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Alle an einem Tisch

Gleichberechtigte Stimmanteile für jeden – vom Chef bis zum Gesellen
Alle an einem Tisch

Dauerstress und fehlende Sicherheit: eine Realität, die wohl vielen Betriebsinhabern bekannt ist. Ein Mitarbeitergremium, das nicht nur eine beratende Funktion, sondern viele Entscheidungsbefugnisse hat, ist dagegen sehr selten. Jacqueline Koch

I „Während meiner Ausbildung und dem Besuch der Meisterschule habe ich beobachtet, wie mein Vater kämpfen musste, um seinen Betrieb mit fast 25 Mitarbeitern am Laufen zu halten. Oft konnte er auf Veränderungen nur reagieren. Für proaktive Schritte waren weder Zeit noch Nerven da. Dabei kam er oft an seine Belastungsgrenze“, erzählt Manfred Pettmesser. Trotzdem stieg er voller Elan in den Familienbetrieb ein und übernahm ihn nach einigen Jahren. Auch er merkte schnell: Als alleiniger Geschäftsführer sind Dauerstress und Überforderung ständige Begleiter. Mit dem 40. Geburtstag kam die Frage auf: Wie schaffe ich das die nächsten 20 Jahre, ohne meine Gesundheit und die Familie zu gefährden? Ein weiteres Schlüsselerlebnis: Im Gespräch mit der Bank wegen eines geplanten Hallenneubaus erfuhr er, dass seine Werkstatt als Sicherheit nicht infrage kam. „Uns wäre es lieber, Sie hätten ein unbebautes Grundstück – das wäre mehr wert.“ Ein Satz, der den Schreinermeister zum Nachdenken brachte. „Als ich erkannte, dass der gesamte Firmenwert im laufenden Betrieb steckt, wurde das Thema Altersvorsorge doppelt brisant.“ Die Idee: Wenn die gesamte Mannschaft geschlossen in eine Richtung geht und alle Herausforderungen als gemeinsame Aufgabe sieht, ist die Übernahme des Betriebes später viel leichter. Die Lösung: Die Mitarbeiter werden stimmberechtigte, entscheidungsfähige und verantwortliche Partner der Schreinerei Pettmesser im oberbayerischen Landkreis Neuburg-Schrobenhausen.

Ein neuer Weg mit vielen Möglichkeiten
Persönliche Gespräche, Schreinerabende und viele Fortbildungen führten bereits in der Vergangenheit zu einem sehr guten Betriebsklima. Kooperation war den Mitarbeitern also nicht fremd. Aber als Pettmesser seine Idee der aktiven Mitbestimmung präsentierte, war das zuerst kein Erfolg. Im Gegenteil: „Es war mucksmäuschenstill, keiner sagte etwas, große Unsicherheit war zu spüren“, beschreibt er die Situation. Also wurde eine für alle bindende Klausurtagung vereinbart. „Die Woche vor der Tagung war fast etwas beklemmend. Viele hatten die Befürchtung, externe Berater würden kommen und letztlich Jobs streichen“, erinnert sich Brigitte Pettmesser.
Die Familie erklärte dem Team das neue Ziel: ein übernahmefähiges Traumunternehmen. Dafür sollte alles auf den Prüfstand und zusammen mit den Mitarbeitern verbessert werden. Eine aktive Mitarbeitervertretung sollte installiert werden und Mitentwicklung, Mitbestimmung sowie Mitverantwortung an der Tagesordnung stehen. „Nachdem wir fast ein Drittel unseres Lebens in der Arbeit verbringen, war mein Gedanke, dass die Leute auch mitbestimmen sollen, was hier passiert. Wir haben also die Ist-Situation im Unternehmen betrachtet und uns dann gefragt, was wir künftig gerne tun würden“, erinnert sich Manfred Pettmesser. Für welche Kunden arbeiten? Welche Produkte herstellen? Die Kernaussage aller Workshop-Gruppen: Wir wollen echte Handwerker bleiben. Keine industrielle Fertigung und keine internationalen Projekte, sondern Handwerk für die Region. Aber es gab auch den Wunsch nach Veränderungen, so zum Beispiel mehr Privatkundschaft. „Der Privatkunde gibt Anerkennung. Er freut sich, wenn etwas fertig ist. Wir haben im Objektbereich top Arbeit abgeliefert – und der nächste Handwerker auf der Baustelle geht damit oft sehr respektlos um“, beschreibt der Geschäftsführer ernüchtert.
Neben den Kunden wurde auch das Portfolio überarbeitet. So haben die Mitarbeiter das Massenprodukt Fensterläden aus der Eigenfertigung gestrichen. Heute sind vor allem Aufträge aus dem Privatsektor sowie Objektaufträge für den Denkmalschutz oder von Architekten, die z. B. Sonderprofile suchen, an der Tagesordnung. Mit etwa 60 % zählen die Bauelemente zum größten Aufgabenbereich. 40 % entfallen auf den Bau von Möbelelementen. Hinzu kommen Aufträge für Kirchen, Klöster und Museen.
Um zu einer klaren Vision mit festen Zielen zu kommen, wurden von den Mitarbeitern auch die unternehmerischen Defizite eigenverantwortlich analysiert – in Gruppen. Der nächste Schritt war die Auflösung dieser Defizite sowie eine Beratungs- und Entscheidungsplattform für das tägliche Business zu schaffen. Also wurde eine monatlich tagende Mitarbeitervertretung installiert. Aus jedem Unternehmensbereich (Bauelemente, Möbelfertigung, Montage, Büro) wurde je ein Mitarbeiter gewählt, der sein Team für zwei Jahre vertritt. Jeder dieser Vertreter hat einen Stimmanteil von 20 % – auch Manfred Pettmesser, der die Vertretung als fünfte Person komplettiert.
Innovationskraft Mitarbeiter
„Alles, was ich mir früher allein überlegt habe – vom Tagesablauf bis hin zu wesentlichen Entscheidungen oder Investitionen –, diskutieren wir jetzt in der Mitarbeitervertretung“, kommentiert der Geschäftsführer. Das reicht von eher banalen Fragen wie der Marke der Akkuschrauber bis zum Thema Fortbildung. Kürzlich entschied sich die Mitarbeitervertretung für die Entwicklung eines betriebsinternen Beurteilungssystems: Wer überdurchschnittlich zum Erfolg beiträgt, solle eine Prämie erhalten. „Das sensible Thema Bezahlung wurde so komplett von meinen Schultern genommen und auf sehr positive Weise von den Mitarbeitern geregelt“, bestätigt Pettmesser. „Das schärft das Bewusstsein jedes Einzelnen – von der Fachlichkeit bis zur Menschlichkeit.“ So besitzen alle Mitarbeiter eine rote Karte. Wenn ein Kollege verbal nicht die richtige Ausdrucksweise findet, wird sie von seinem Gegenüber gezückt. Heute arbeiten acht Mitarbeiter im Büro und 20 in der Werkstatt oder auf Montage. Fünf davon sind Lehrlinge. Neue Mitarbeiter werden aber dank der positiven Firmenentwicklung immer gesucht.
Übernahmefähig mit sinnvollem Krafteinsatz
„Schon nach der ersten Klausurtagung habe ich eine enorme Entlastung gespürt“, erinnert sich Manfred Pettmesser. „Wenn jetzt etwas nicht wie gewünscht läuft, können die Mitarbeiter das nach ihren gemeinsamen Vorstellungen neu regeln. Zwar gebe auch ich meine Meinung ab, vor allem wenn es um die Finanzierbarkeit geht, aber die tragende Rolle hat die Vertretung inne.“
Natürlich bedeutet dies für den Chef auch, als Informationsquelle zu dienen und Einblicke in die Finanzen und interne Abläufe zu geben. Aktuelle Entscheidungen werden vom ganzen Team getragen. Lange Erklärungen und Motivationsprozesse zur betrieblichen Gestaltung fallen dadurch praktisch weg. Zwar wird dieser Prozess nicht von allen Mitarbeitern gleich stark getragen, aber der größte Teil ist sehr engagiert und verantwortungsvoll dabei. Laut Pettmesser gibt es keinen Einzigen, dem der Betrieb egal ist. War die Teilnahme an der ersten Klausurtagung noch verpflichtend, sind seitdem alle freiwillig. Über 90 % Beteiligung seien normal. Im Laufe der letzten drei Jahre hat sich ein großes Selbstverständnis für dieses System entwickelt: „Die Mitarbeiter marschieren als Einheit in eine Richtung, sodass die Betriebsführung leichter fällt.“ Die Geschäftsführung müsse natürlich weiterhin Kunden akquirieren, aber das tägliche Miteinander funktioniere mit einer Stimme.
Die Familie Pettmesser hat sich ein Ziel von zehn Jahren gesetzt, um diesen Prozess vollständig zu etablieren und messbare Erfolge zu realisieren. Heute, vier Jahre nach der Umstellung ist der Weg klar und Manfred Pettmesser zufrieden: „Ich bin auf jeden Fall viel entspannter geworden. Die Problem- und Aufgabenlast ist wesentlich geringer. Die Schreinerei ist ganz klar von den Mitarbeitern abhängig – sicher auch mehr als früher, weil sie mehr wissen und mehr Einfluss haben –, aber dadurch ist auch das Team gestärkt und vor allem die familiäre Belastung zurückgegangen. Ich freue mich auf die kommenden Jahre und auf eine Schreinerei, die wahrhaftig übernahmefähig ist.“ I

Die Autorin
Jacqueline Koch studierte Volkswirtschaftslehre und ist Geschäftsführerin einer PR-Agentur.
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