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Die mit der Technik tanzen

Wo moderne Technologien und klassisches Handwerk verschmelzen
Die mit der Technik tanzen

Jung, dynamisch, innovativ. Wie beschreibt man eine Tischlerei wie Bächer Bergmann? Mittags wird gemeinsam gekocht, abends vielleicht ein Bier getrunken. Dazwischen entstehen beeindruckende Werkstücke und Design-Objekte mithilfe von CAD/CAM und fünf Achsen. BM-Redakteurin Natalie Ruppricht

I Als Jugendlicher bekam Sebastian Bächer (34) von seinem Vater einen alten PC. Der experimentierfreudige Junge verschob zwei Dateien – und nichts funktionierte mehr. „Das war ein einschneidendes Erlebnis“, lacht er heute. „Ich fand es faszinierend, dass man einen Computer mit so wenigen Klicks lahmlegen kann.“ Inzwischen ist Bächer selbst Papa und beherrscht den Rechner wie kein anderer. Mit CAD und CAM zaubert er die wildesten Formen auf die CNC. Neben der Technik hat er zwei weitere große Leidenschaften. Die eine ist das Tischlerhandwerk, die andere Kunst und Design. Da trifft es sich gut, dass er jetzt eine eigene Tischlerei hat, wo er all das verbinden kann.

Wie man Knoten in Holz macht
Auf seinem Schreibtisch liegen Materialmuster, an der Wand hängen Designstudien, zwischen Kaffeetassen und Urlaubsmitbringseln stehen 3D-Modelle. Er zeigt mir einen Knoten aus Holz. „Den haben wir für einen Gitarrenbauer gefräst, als Hals für ein Instrument, auf dem man nicht spielen kann, das es aber in sich hat.“ Dabei setzte sein Team wie so oft auf variable Programmierung. „Wir können einzelne Parameter verändern und somit unendlich viele verschiedene Knoten simulieren und herstellen.“ Gen-Codes nennt Bächer diese Programme, die seinen digitalen Werkzeugkasten kontinuierlich erweitern. Im Nebenraum stehen der 3D-Drucker und ein Laser. „Aus Styropor, Hartschaum oder Kohlefaser fertigen wir hier unter anderem Prototypen für Künstler, Designer und Industriebetriebe.“
Viel Mut und etwas Glück
Die Bächer Bergmann GmbH mit neun Mitarbeitern führt Sebastian Bächer zusammen mit Sandkastenfreund Georg Bergmann. Beide sind Tischlermeister und verstehen es auf beeindruckende Weise, modernste Technologien mit klassischem Handwerk zu verbinden. Das Portfolio des jungen Unternehmens reicht von Möbel-, Objekt- und Ladenbau über Formenbau mittels Fünfachs-Technik bis hin zu CAD-Datenerstellung, 3D-Druck und Laser-Service. Ganz neu ist der siebenachsige Kuka-Roboter, der vor allem zum Experimentieren und für Kunstprojekte angeschafft wurde. Zudem sägt er mit der Kettensäge den „7xstool“, einen Hocker aus Massivholzstämmen.
Bächer hat sein Talent und seine Begeisterung für die computergesteuerte Fertigung früh entdeckt. Er machte sich nach der Lehre zunächst mit einem Montagebetrieb selbstständig und konnte durch einige glückliche Zufälle die CNC im Labor der Fachhochschule Köln nutzen. Er fuchste sich in die CAD-Software Rhinocerus ein, mit der man dreidimensionale Freiformen erzeugen und modellieren kann. Weil die CNC jedoch nicht mit seinen Ideen mithalten konnte, stieß er oft an seine Grenzen. Schnell wurde ihm klar: „Ich brauche mehr Achsen.“ Also mietete er 2011 die Werkstatt in Köln an und kaufte eine gebrauchte Homag BOF 711 mit fünf Achsen, die heute noch im Einsatz ist. 25 000 Euro investierte er in die Maschinenanbindung, das CAM-System PowerMill. Und schließlich hatte er das Glück, dass der britische Künstler Tony Cragg den Weg in seine Werkstatt fand. Der Bildhauer erschuf in jener Phase große, raumgreifende Skulpturen und Sebastian Bächer unterstützte ihn bei der Fertigung, indem er sie Schicht für Schicht auf seiner CNC fräste. Der Tischler erhielt CAD-Daten, welche er in Scheiben zerlegte, um sie produzieren zu können. „Anfangs habe ich tagelang Befehle für die CNC programmiert. Doch irgendwann hatte ich den Prozess soweit automatisiert, dass CAD und CAM aus der Masterdatei automatisch Fertigungsdaten erzeugten.“ An der größten, kugelförmigen Skulptur „Sphere“, die aus 170 Multiplexplatten aufgebaut ist, fräste die CNC zwei Monate lang im Zweischichtbetrieb. AV und Programmierung nahmen dank der selbstgeschriebenen CAD-Tools hingegen nur etwa 40 Stunden in Anspruch.
Tischlern ist Kopfarbeit
„Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass man sein Werkzeug beherrscht. Wenn ich mit CAD und CAM arbeite, habe ich denselben Anspruch an Qualität und Präzision wie bei der Handarbeit. Die Befriedigung am Ende des Tage muss dieselbe sein.“ Auch Stift und Papier hat Bächer nicht aus seinem Büro verbannt. „Tischlern heißt Entwerfen und ist damit vor allem Kopfarbeit. Wie man seine Entwürfe umsetzt, ist zweitrangig. Letztendlich sind Software und Maschinen nur Mittel zum Zweck. Das Tolle an moderner Technik ist aber, dass sie sehr präzise ist und viele neue Möglichkeiten eröffnet.“
Mit dieser Einstellung ist Bächer zum Vorreiter in Sachen 3D-Konstruktion geworden und hat sich einen Namen als CNC-Spezialist gemacht. Das hat ihm unter anderem einen Lehrstuhl an der PBSA Düsseldorf, einer Hochschule für Architektur und Design, eingebracht, wo er mit Studenten einen Entwurf für das Projekt „Kunst am Bau“ umgesetzt hat: eine 24 m hohe Sichtbetonsäule, die aus lauter Dreiecksflächen besteht. Für die Schalung mussten viele komplexe Einzelteile mit komplizierten Gehrungsschnitten angefertigt werden. Dank Bächers Programmierkenntnissen ging das fast von selbst …
Der kreative Tischler sprüht vor Ideen und beherrscht sein Handwerk. Um die Auslastung der BOF zu erhöhen, hat er eine davon umgesetzt und einen Online-Shop mit Lochbildgenerator programmiert – schließlich muss man auch Geld verdienen. Der Nutzer lädt ein Foto hoch, wählt Größe, Material und Auflösung aus und bestellt. Die Tischler erhalten fertige CNC-Daten und müssen nur noch das Material auf die Maschine legen, welche das Bild Punkt für Punkt aus einer Vollkern- oder Siebdruckplatte entstehen lässt. Daneben kann man im Shop Brotsäge, Topfhocker oder eine Wandkugelbahn von Bächer Bergmann oder befreundeten Designern erstehen.
Der Industrie Paroli bieten
Neben der Fünfachs haben die Kölner eine vertikale CNC von Weeke in der Werkstatt. „Damit fertigen wir Korpen, denn das ist auf der großen nicht wirtschaftlich.“ Doch trotz aller eigener Begeisterung für moderne Technik ist Bächer Realist: „Man muss die Dinge hinterfragen, auch den technologischen Fortschritt.“ Er findet nicht, dass jeder Tischler programmieren können muss. Und nicht jeder Betrieb braucht eine CNC, ganz im Gegenteil: „Die Maschinen in Tischlereien sind die mit dem meisten Stillstand und der geringsten Auslastung. Wer jetzt noch keine CNC hat, sollte sich keine mehr zulegen und stattdessen geeignete Zulieferbetriebe finden.“
Im Grunde träumt Sebastian Bächer von zentralen Fertigungsstätten von und für Tischler, die Zulieferer und Profitcenter zugleich sind. Eine Art Ikea, wo nur individualisierte, hochwertige Möbel angeboten werden. „Wir hätten am besten schon gestern eine Genossenschaft gegründet und in moderne Maschinen investiert.“ Hier wird auch ein Meister Eder mit Papierskizze bedient. Als Mitglied kann er seinen Kunden beste Qualität liefern und ist an den Gewinnen beteiligt. Und wenn er mal krank ist, bedeutet das nicht gleich das Aus für seinen Betrieb, weil er geringe Fixkosten hat. „Wir müssen der Industrie Paroli bieten, sonst wird der Möbelbau irgendwann in den Händen weniger großer Firmen liegen.“ Dafür sollte sich die Innung oder Handwerkskammer stark machen, damit der Tischler in Zukunft wieder ganz vorne mitspielt.“
„Ich wünsche mir, dass mehr geforscht wird“
Wir setzen unseren Rundgang fort und treffen in einer der vier Fertigungshallen auf Marie Klein, die jetzt im dritten Lehrjahr ist. Sie schneidet gerade Furnier für ein Schachbrett zu. „Ohne Laser? Du bist ja verrückt“, scherzt Bächer. Marie erzählt, sie sei froh darüber, dass sie die ganze Bandbreite mitbekommt: „Nur, weil wir hier super Maschinen haben, heißt das ja nicht, dass wir die klassischen Sachen nicht lernen.“ Sebastian Bächer fehlt in der Tischlerausbildung das Spielerische, das Forschen und Experimentieren. Dabei sei es gerade für junge Leute besonders wichtig, eigene Projekte zu realisieren. „Wir können niemanden zwingen, das zu machen, was wir cool finden. Aber wir können aufzeigen, wie vielfältig das Tischlerhandwerk und wie geil unser Beruf ist.“ Leider falle das vielen Handwerkern sehr schwer.
Weil ihm das Thema am Herzen liegt, engagiert Bächer sich in der Innung und berät das Ausbildungszentrum Köln. Überbetriebliche Berufsbildungsstätten ruft er dazu auf, die Fördermittel des Bundes unbedingt abzurufen und damit moderne Technologien anzuschaffen. „Auch Leute in ländlichen Regionen haben das Recht auf eine gute Ausbildung.“ Er fordert außerdem die Gleichstellung von Studium und Ausbildung. „Es kann doch nicht sein, dass meine Auszubildenden ein Monatsticket für 90 Euro kaufen müssen, während Studenten die öffentlichen Verkehrsmittel ein ganzes Semester lang für nur 160 Euro nutzen dürfen. Hier muss die Politik auch Auszubildende entlasten.“ I

Feuer fürs Tischlerhandwerk

Meine Meinung

Ich habe Sebastian Bächer auf einer Fachtagung kennengelernt. Mit Jeans, Zehntagebart und Schal, die Hände in den Taschen, trottete er beim Betriebsrundgang vor mir her. Es ging unter anderem darum, ob und wie Tischler im Internet Möbel verkaufen können. „Keine Lust“, dachte ich zunächst. Nachdem wir ein paar Worte gewechselt hatten, wurde mir klar: Dem macht hier keiner etwas vor. Zurück in Stuttgart, besuchte ich seine Website und wusste: Seinen Betrieb in Köln muss ich unbedingt besuchen! Der junge Tischlermeister hat Talent, sowohl im Handwerk als auch am PC, und ein Gespür dafür, wo die Reise hingehen könnte. Und er brennt – für schöne Dinge, für abgefahrene Programmierungen und für unser Handwerk. Lasst den Funken überspringen.
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