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In Zukunft ohne Meisterbrief ?

Markt & Branche
In Zukunft ohne Meisterbrief ?

Es gibt einfach keine Ruhe. Die öffentliche Auseinandersetzung um den Meisterbrief in Deutschland flammt immer wieder auf. Fällt der Meisterbrief? Diese Frage liegt – oft unausgesprochen – in der Luft und sorgt für erhebliche Unruhe. Im Gewitter der Meinungen will der eine die freie Gewerbezulassung auch im Handwerk, der andere hat Angst vor’m bösen Wolf. Da lehnt der europäische Spitzenbeamte Guy Crauser die Übernahme des deutschen Modells für Europa ab und fragt, ob die “Meisterausbildung im Managementteil immer optimal vorbereitet”. Darauf veröffentlicht das RWE in Essen eine Studie, die nachweist, daß Handwerksbetriebe in den ersten Jahren nach ihrer Gründung deutlich beständiger und weniger vom Konkurs bedroht seien als andere Betriebe. Da lancieren SPD-Politiker ein Denkmodell, das den “Betrieb ohne Meisterbrief” im Handwerk über den Umweg einer 10jährigen Nachholfrist auf kaltem Weg etablieren will. Da häufen sich Erklärungen der verschiedensten Handwerksgremien, die den Fortbestand des bisher Geltenden einfordern. Auf den Punkt gebracht: Der Meisterbrief steht mal wieder im Feuer der öffentlichen, politischen Diskussion.

Leserbrief von Christian Zander

Unterhalb der politischen Ebene sind mittlerweile folgende Veränderungen zu verzeichnen: Die Anmeldungen für die Meisterschulen gehen überall stark zurück, die Träger von Vorbereitungskursen sind froh, wenn sie ihre Angebote mangels Teilnehmer nicht einstellen müssen. Die Gesellen warten offensichtlich ab, ob der Wind der europäischen Einigung auch den deutschen Sonderweg bei der Handwerkszulassung und -ausübung wegfegen wird. Nur in Deutschland ist der Besitz des Meisterbriefes Voraussetzung einen Handwerksbetrieb gründen bzw. führen zu können. Diejenigen, die nicht abwarten wollen, gründen einen Betrieb, der unter die Kategorie B der Handwerksrolle fällt. “Handwerksähnlich” heißt der Schlüsselbegriff unter den Montage-, Zulieferer- und industrieähnliche Betriebe fallen. Die Zahlen sind eindeutig: Seit 1993 als Unterpunkt der Holzschindelmacher in die Handwerksordnung aufgenommen, seit 1998 als eigener Punkt 24 aufgeführt, sind die Anmeldungen dieser Art von Betrieben in den letzten Jahren überaus stark angestiegen. In Baden-Württemberg liegen sie heute bei etwa zwei Drittel der normalen Meisterbetriebe, in NRW dagegen schon bei etwa 80 %! Und es ist ein offenes Geheimnis, daß daneben noch ein weites Feld gewissermaßen illegaler Betriebe existiert: Unter den abenteuerlichsten Bezeichnungen (“Freier Künstler”, Holzhandel, usw.) produzieren und vertreiben Gesellen Werkstücke, Möbel u.ä. aus dem Arbeitsbereich der Tischler- und Schreinerbetriebe.
Ob das Schreinerhandwerk will oder nicht, es muß diese Entwicklung zur Kenntnis nehmen, die aus dem Rahmen des bei uns üblichen Betriebs- und Meisterverständnisses fällt. In NRW gab es beispielsweise mehrere Mitgliederversammlungen des Fachverbandes Holz und Kunststoff, die sich mit diesem Thema beschäftigten. Nach intensiven und kontroversen Debatten wurde ein guter und salomonischer Beschluß gefällt: Unter dem Dach des Fachverbandes wurde eine eigene Fachgruppe Montagetechnik gegründet, die auf die neuentstandenen Montagebetriebe zugeht, Info-Blätter erstellt, Weiterbildungskurse anbietet und aktive Interessenvertretungspolitik betreibt. Den einzelnen Innungen ist es dabei überlassen, diesen Betrieben eine Gastmitgliedschaft oder aber eine gleichberechtigte Vollmitgliedschaft anzubieten. Dieter Roxlau, Hauptgeschaftsführer des Fachverbandes HKH in Nordrhein-Westfalen, spricht von einem “deutlichen Signal” in Richtung der neuen Unternehmen, daß sie im Rahmen des Tischlerhandwerks ihre Interessen organisieren und wahrnehmen können.
Meister und Gesellen als selbständige Betriebsinhaber also nebeneinander an einem Tisch, in einer Innung? Was vor einigen Jahren noch unvorstellbar war, ist jetzt nicht nur denkbar, sondern mancherorts bereits Wirklichkeit. Materiell untermauert wurde diese Entwicklung durch die Industrie, die mit immer mehr Produkten in den traditionellen Bereich des Tischler- und Schreinerhandwerks eindringt. Zuhauf werden perfekte, sogenannte “Halbfertigteile” angeboten, die den Schreiner zum Montagehelfer der Industrie degradieren. Dieses gilt auch für die traditionellen Tischlereien, bei denen der Anteil der zugekauften Elemente immer größer wird.
Fällt der große Befähigungsnachweis ?
So begrüßenswert dieses Aufeinanderzugehen ist, weil es wirklichkeitsnah auf die Realität reagiert, um so klarer ist auch, daß es die faktische Aushöhlung des “Großen Befähigungsnachweises” unterstützt. Denn um nicht mehr und nicht weniger handelt es sich bei der Erscheinung der massenhaften Montagebetriebe. So unangenehm es auch ist: Wer unnachgiebig an dem “Großen Befähigungsnachweis” festhält – und gleichzeitig seine ganzen Montagearbeiten an Subunternehmer, d.h. in der Regel Montagebetriebe nach der Anlage B der Handwerksordnung vergibt, der handelt widersprüchlich. Viele Betriebe verfahren aus guten, betriebswirtschaftlichen Gründen, aber eben genauso. Das Herz will bei uns Schreinern mal wieder etwas, was der rechnende Kopf bereits ad acta gelegt hat.
All dies zeigt, daß der Große Befähigungsnachweis heute schon in weiten Bereichen faktisch außer Kraft gesetzt ist. Weil dieses so ist und weil die politische Wetterlage langfristig gegen den deutschen Sonderweg spricht, wird es Zeit, ein handwerkliches Denkverbot aufzuheben: Über kurz oder lang wird in Deutschland der Große Befähigungsnachweis abgeschafft! Der Meistertitel hat in Deutschland eine lange Tradition. In Frankreich ist der “mâitre” und in England der “master” zumeist verdrängt. Nach der Abschaffung des Zunftwesens und durch die verkündete Gewerbefreiheit im 19. Jahrhundert, wurde der “kleine” und der Große Befähigungsnachweis gesetzlich verankert. Der eine bindet das Recht, Lehrlinge ausbilden zu können an die bestandene Meisterprüfung, der zweite knüpft daran auch das Recht, einen Handwerksbetrieb führen zu dürfen. Nur wer Meister war, konnte bisher einen vollwertigen Schreiner- oder Tischlerbetrieb führen. Und nun – wenn jeder Geselle einen Betrieb aufmachen kann – droht dann das Chaos?
Erfahrungsgemäß . . . ja! Natürlich wird die Anzahl der Betriebe ansteigen, werden sich vermehrt Gesellen selbständig machen. Dieses sagt einem der gesunde Menschenverstand, die-ses zeigen aber auch die vorliegenden Erfahrungen und Zahlen nach der Einführung der Gewerbefreiheit im Deutschen Reich um 1870. Im gleichgebliebenen Markt verstärkt sich daher der Konkurrenzkampf und der Markt wirkt nach seinen Gesetzen. Kurz: entscheidende Faktoren für das Überleben werden die Positionierung am Markt, die Auftragslage und die Kapitalausstattung sein. Unter diesen Umständen bekommt der Besitz des Meistertitels einen ganz neuen Wert: Wer Meister ist, hat einen Marketingvorteil!
Denn die Meisterprüfung soll ja nicht abgeschafft werden – sie bleibt als Voraussetzung der Lehrlingsausbildung bestehen. Gerade im Vergleich mit den Nicht-Meistern bekommt der Meistertitel eine neue Chance. Für den Kunden wird der Ausweis Meisterbetrieb zum Qualitätsmerkmal und damit zu einem wichtigen Pluspunkt im Kampf um den Marktanteil. Dieses ist kein hypothetisches Denkmodell, keine Beruhigungspille für verunsicherte Leser, sondern die Schilderung der Schweizer Wirklichkeit. In der Schweiz besteht eben das, was da so angeblich drohend auf uns zukommt. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Die Meisterausbildung ist dort auf einem wesentlich höherem Niveau! Es ist eine freiwillige Meisterprüfung, die ja nicht erforderlich ist, um einen Betrieb zu führen. Sie will bewußt eine Elite formen, das spiegelt sich in der Auswahl der Ausbildungskandidaten und im Umfang des vermittelten Stoffes wider (die erforderliche Stundenzahl ist etwa doppelt so hoch als in Deutschland; 30 000 Franken werden als Kosten veranschlagt und der Zeitaufwand beträgt rund zwei Jahre). Das zeigt sich aber auch im Stil des Unterrichts und der Prüfungen: Teilnehmer berichten, daß der Laptop alltägliches Arbeitsinstrument ist, gefüttert wird mit allem, was notwendig ist und so mit zur Prüfung genommen werden kann. Es ist nicht erforderlich irgendwelche Formeln zu wissen und “abfragebereit” zu haben, sondern mit dem erarbeiteten Wissen (auch dem Laptop) eine Aufgabe aus dem Betriebsalltag zu lösen.
Auf ein einheitliches, neues Niveau heben
Ein kurzer Blick auf die Meisterausbildung in Deutschland zeigt, daß hier ein immenser Änderungsbedarf besteht; insbesonders dann, wenn der Meistertitel – unter den Bedingungen einer veränderten Handwerksordnung – eine der Schweiz vergleichbare, offensive Wirkung entfalten soll. Da nutzen dann auch kleine Korrekturen nichts, wie sie im Augenblick wieder diskutiert werden (“Soll Corian-Verarbeitung gelehrt und geprüft werden oder nicht ?”). Da ist ein tiefer Schnitt notwendig, der wahrscheinlich über den Rahmen eines Berufsverbandes hinausgeht, weil die entscheidenden Veränderungen im Wesen der Ausbildung erfolgen müssen. Handwerkliche Kenntnisse können nur einen Teil darstellen – viel wesentlicher sind die unternehmerischen Fähigkeiten, die gelehrt und erlernt werden müssen. Marketingunterricht gehört heute dazu, praktisches Verkaufstraining, Personalführung. Auch die de-taillierte Auswertungen des vom Steuerberater gelieferten Zahlenmaterials sollte auf dem Stundenplan stehen. Kapitalbeschaffung sollte behandelt werden – wer lernt heute schon die richtige Verhandlungstaktik mit den geldgebenden Banken? Der Teil III müßte gänzlich umgestaltet werden, er ist ja heute schon mehr oder minder anachronistisch. Aber auch in den Teil II, ja sogar in den Teil I, würde ein solcher Änderungsbedarf hineinstrahlen. Die C-Techniken gehören selbstverständlich dazu; müssen gelehrt, angewendet und geprüft werden. Auch formal hätte ein solcher Einschnitt erhebliche Folgen: die Prüfung wäre freiwillig, teuer, anspruchsvoll. Viele der heutigen Kurs-Anbieter würden mangels Nachfrage und weil sie das Niveau nicht halten könnten, vom Markt verschwinden. Aber: Wäre das so schlimm?
Wer heute die Meisterausbildungsstätten betrachtet (von 82 im BM-Extra Heft Karriere 1999 aufgeführten Trägern sind 47 Handwerkskammern, 26 staatliche Schulen und 9 private Anbieter, d.h. “e.V.” und ähnliches. Insgesamt 57 Teilzeitkurse und ebensoviel Vollzeitkursen werden angeboten), sieht einen Flickenteppich vor sich: es gibt zwar einen einheitlichen Lehrplan – aber kaum einer hält sich daran! Da werden Kurse für den Teil I und II mit 600, 700, 800 oder 900 Stunden angeboten (statt der vorgegebenen 1200), wohl um die Gebühren aus Wettbewerbsgründen zu senken; neben Vollzeit- existieren Teilzeitkurse und neben privaten Anbietern inserieren staatliche Meisterschulen (“keine sonstigen Gebühren”). Die Meisterausbildung ist zum eigendynamischen Geschäft geworden und nicht umsonst wird über diese Entwicklung schon gefrotzelt: “Früher zählte die Leistung, heute muß einer noch atmen können – und zahlen – um zum Brief zu kommen.” Möglich ist dieses, weil es keine bundesweite Prüfung gibt, ja, mit wenigen Ausnahmen (Baden-Württemberg und Bayern) noch nicht einmal landesweite. Statt dessen herrscht die Verflechtung des jeweiligen Prüfungsausschusses mit dem Ausbildungsträger über die jeweilige Qualität der Meisterausbildung. Die Wahrheit ist: In Deutschland kann von einer qualitätsmäßig einheitlichen Ausbildung nicht die Rede sein. Dieser Zustand kann den neuen Anforderungen nicht genügen.
Wenn es nicht gelingt, die Ausbildungsstätten auf ein einheitliches Niveau zu bringen, wird es keine Meisterausbildung auf einem höheren Niveau geben. Der Verband der Schweißer macht es mit seinen DVS-Lehrgängen vor: er hat genaue Vorgaben an die Form, den Inhalt und die Dauer der Kurse ausgegeben, deren Erfüllung testifiziert nachgewiesen werden muß, sonst erlischt die Ausbildungsberechtigung! Einen ähnlichen Weg geht der Verband der Schweizer Schreiner, der seine privat geführten Ausbildungsstätten eng am ISO 9000-Zügel hält. Hier werden die Handwerker sowie der Bundesverband manch ein Tabu und manch ein liebgewordenes Vorrecht anpacken müssen.
Wer die Scheuklappen ablegt, muß davon ausgehen, daß sich auch in Deutschland in Zukunft Gesellen im vollem Umfang selbständig machen können. So nachteilig dieses gewiß für die Qualität der abgelieferten Schreiner- und Tischlerarbeiten sein kann, braucht man vor dieser Entwicklung keine Angst zu haben. Denn bald wird auch hier der Wind der Konkurrenz die Spreu vom Weizen trennen. Der Meistertitel aber kann unter diesen Bedingungen eine große Kraft entfalten, wenn er zum zählbaren Verkaufsfaktor wird. Dazu allerdings müßte die Meisterausbildung auf ein entschieden höheres Niveau gehoben, sie müßte grundlegend geändert werden. Wird das deutsche Handwerk rechtzeitig handeln? n
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