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Akribische Recherche bringt den Erfolg

Tischlerei Sebastian Schulz rekonstruierte die hölzernen Innenausbauten in der Frauenkirche
Akribische Recherche bringt den Erfolg

Referenzobjekte sind zwar nicht alles, können einem aber oft die Türen ganz weit öffnen. Sebastian Schulz hat sich bei der Bewerbung um die Restaurierungsarbeiten der Frauenkirche besondere Mühe gemacht – ganz nach dem Motto „anders und besser als die anderen“.

Stolz ist der gebürtige Sachse, dass er sich aus einer Schar von 80 Bewerbern für die Innenausbauarbeiten der Frauenkirche durchgesetzt hat. Dabei ging es nicht nur alleine darum, einen Auftrag zu erhalten, der für lange Zeit die Tischlerei auslastet. „Gerade im Bereich der Denkmalpflege und Althaussanierung sind Referenzobjekte das A und O“, weiß Sebastian Schulz, „denn damit lässt sich nun einmal Kompetenz und Sachverstand belegen.“

Der Tischlermeister und Restaurator im Handwerk wollte sich bei der Ausschreibung von den Mitbewerbern besonders abheben. Für ihn war klar: „Ich muss den Auftraggebern etwas über die Kirche erzählen, was die nicht wissen.“ Und über die Frauenkirche hat Schulz jede Menge zu erzählen. Schon als 19-Jähriger kam er nachts in einer Gedenknacht an der Kirche vorbei. Dort sah er sich dem Kerzenmeer gegenüber, welches an die Bombenopfer in den letzten Kriegstagen erinnerten. „Es müssen tausende von Lichter gewesen sein. In diesem Moment habe ich beschlossen: Sollte die Kirche jemals wieder aufgebaut werden, bin ich dabei.“
Die zum Teil sehr tragische Geschichte des Monumentes ist bekannt: Bereits im 11. Jahrhundert befand sich vermutlich an der Stelle der heutigen Frauenkirche die älteste Kirche Dresdens. 1726 wurde der Grundstein des neuen Bauwerkes gelegt. Der Entwurf sah einen Zentralbau auf quadratischem Grundriss unter einer gewaltigen Kuppel vor. Schon 1734 wurde die Kirche eingeweiht – noch ohne Orgel und mit provisorischem Altar. In den darauffolgenden Jahren bis 1738 wurde die Steinkuppel vollendet. Die als „Steinerne Glocke“ berühmt gewordene Kuppel war nicht nur die Krönung der Stadtsilhouette Dresdens, sondern auch eine geniale baumeisterliche Leistung. Als bedeutendster Kuppelbau nördlich der Alpen und Wahrzeichen evangelischen Kirchenbaus zählt die Dresdner Frauenkirche zu den wichtigsten Werken europäischer Kultur- und Baugeschichte.
Der barocke Innenraum mit seinen fünf halbkreisförmig angeordneten Emporen ist von beeindruckender architektonischer Geschlossenheit und Schönheit zugleich, heißt es. Am 13. Februar 1945 – wenige Wochen vor Ende des bereits entschiedenen Krieges – setzten Luftangriffe auch die Dresdner Frauenkirche in Brand, in deren Folge sie zwei Tage später in sich zusammenstürzte. Ende der achtziger Jahre setzte man sich für einen Wiederaufbau der Frauenkirche ein und begann Spenden zu sammeln. Insgesamt haben bis 2005 über eine halbe Mio. Menschen aus aller Welt über 100 Mio. Euro gespendet. Die Bausumme beträgt 130 Mio. Euro, finanziert durch Stifterbriefe, Souvenirs und Spenden von anderen Stiftungen oder Privatpersonen.
Welches Holz wurde früher verwendet?
Dank des großen Sachverstandes von Sebastian Schulz wurden die Innenausbauarbeiten der Kirche so detailgetreu wie möglich vorgenommen. Schon im Vorfeld hatte er sich im Landesamt für Denkmalpflege intensiv mit der Geschichte der Frauenkirche befasst. Er studierte historische Schriftwechsel und ließ von den Fotolaborantinnen einige Fotos so vergrößern, damit detailliertere Aussagen zu treffen waren. Zusätzlich machte er noch eine weitere Recherchequelle aus: Das Bildarchiv Foto Marburg. Dort gab es Inneneinsichten der Kirche, die auch die Stiftung bis dato noch nicht kannte. Eine wichtige Frage bei seinen ganzen Recherchearbeiten: Welches Holz wurde im Original verwendet? Schulz konnte beweisen, dass in der Kirche früher Tannenholz aus Sachsen und Böhmen verarbeitet wurde und nicht wie beim Wiederaufbau ausgeschrieben Douglasie. Schon die zu den Bauzeiten der Kirche im 18. Jahrhundert beteiligten Tischler priesen nämlich das Tannenholz aus dem Riesengebirge, da es ganz entscheidende Vorteile aufweise: Es lässt sich hervorragend biegen, ist dazu schall- und schwingungshemmend, leicht sowie harz- und verwindungsarm. „Will man also die Akustik der originalen Frauenkirche wieder haben, muss man Tanne verwenden“, argumentierte Schulz.
Bei seiner Suche nach geeigneten Mengen von Tannenholz aus einem einheitlichen Wuchsgebiet mussten ihn sächsische und böhmische Förster an die Kollegen im Schwarzwald verweisen: Im Riesengebirge war keine ausreichende Menge zum Abholzen freigegeben. So machte sich Schulz auf zum Forstamt Todtmoos und informierte sich über die dortigen Vorkommen. Die dreijährigen Forschungsarbeiten erledigte er auf eigene Kosten. „Das war mein ganz persönlicher Anteil am Wiederaufbau der Frauenkirche.“ Es macht ihn stolz, dass er damit etwas bewirkt hat: „Die Planer waren im Begriff, einen riesigen Fehler zu machen. Das konnte ich zum Glück verhindern.“
Handwerkskönnen unter Beweis gestellt
Die Herren der Stiftung waren über die große Fachkenntnis von Schulz überrascht und so kam er in die engere Bewerberauswahl und erhielt schließlich den Zuschlag. Seine handwerkliche Fähigkeiten überzeugten: An einer 3 m breiten zu bauenden Probeachse war die ganze Leistungsfähigkeit des Tischlerbetriebes ablesbar. Hier avancierten seine Arbeiten zur Referenz: Er hatte sprichwörtlich den Bogen raus und brachte das Holz vor der Weiterverarbeitung mit einer eigens entwickelten Vorrichtung in die richtige Form. Da in der barocken Frauenkirche mehr rund ist als gerade, war hier genau dieses Wissen ganz entscheidend.
Die Mitarbeiterzahl wurde beim Beginn der Arbeiten auf 32 Tischler und Auszubildende erhöht. Schulz bildete Zweierteams („Wenn zu dritt gearbeitet wird, steht einer öfter mal herum“) und zwei Vorarbeiter waren in der Kirche von 2003 – 2005 ständig präsent. Nun ging es an die Ausführung: Seine Teams stellten u. a. alle Emporenbrüstungen und Brüstungsverkleidungen sowie das Gestühl im Kirchenschiff und im Bereich der Emporen her. Fast drei Jahre lang verarbeitete man insgesamt ca. 400 m³ Tannenholz, 40 m³ Lärche, 5 m³ Eichenholz, 3 m³ Linde und 20 m³ nordische Kiefer. Alle Flächen beim Gestühl (5000 m²) und bei den Brüstungen (1200 m²) wurden handgehobelt bzw. von Hand finiert. Besondere Herausforderung waren auch die Emporenbrüstungen über dem Altar, die mit Radien um die 4 m extreme Krümmungen aufwiesen. Dazu erhielten die Brüstungen Zierelemente und Schnitzwerke, die er in Zusammenarbeit mit einem Holzbildhauer erstellte. Des weiteren fertigte die Tischlerei die inneren Zugangstüren zum Kirchenschiff und zu den Emporen und den Holzboden, auf dem das Gestühl zum stehen kam her.
Eine besondere Herausforderung waren die 96 eichenen Betstubenfenster, die die Logenplätze vom Kirchenraum abtrennten. Die so genannten Patronatslogen dienten den Reichen der Gemeinde, um „den Herrschaften die Berührung mit dem eigenen Volk zu ersparen“, wie es in alten Schriften geschrieben steht. Letztlich konnte ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bau- und Unterhaltskosten der Kirche aus dem Verkauf bzw. der Vermietung dieser Betstuben bestritten werden.
Auch hier recherchierte der Restaurator Schulz akribisch und wirkte bei der Festlegung von Details mit. Beispielsweise versuchte er die Gestaltung der Fenster durch Vergleiche mit entsprechenden Einbauten in anderen zeitnah entstandenen Barockkirchen nachzuvollziehen. Zur Verglasung der mundgeblasenen Scheiben führte Schulz Versuche durch, um nach historischem Vorbild Stroh zu verwenden. Aber die heutigen Getreidesorten weisen zu geringe Halmlängen auf, da der Strohanteil gegenwärtig nicht sehr gefragt ist. Also wurden die Scheiben eingekittet. Die nach unten in die Leibung versenkbaren Flügel laufen in Führungen, die mit Wollfilzstreifen beklebt sind. So wird ein geräuschloses Öffnen der Fenster möglich. Ein einhakbarer Lederriemen und ein Schnapper hält das Fenster im geschlossenen Zustand. Der Riemen dient zudem dazu, die versenkten Fenster wieder heraufzuziehen. Die Schnapper mit Griff wurden nach seinen Vorgaben aus Stahl geschmiedet, anschließend in der Werkstatt von Schulz ölgeschwärzt und poliert. Auf der in Richtung Betstuben weisenden Seite erfolgte die Endbehandlung der rekonstruierten Teile noch in der Werkstatt von Schulz mit einen Leinölfirnis-Terpentin-Anstrich.
Einzelkämpfer will Sebastian Schulz, der auch VHS-Vorträge für Laien gibt, nicht sein: In seiner täglichen Arbeit für den Denkmalschutz und im Tischlergewerk setzt er immer auf Netzwerke: Zusammen mit zehn anderen Handwerkern gründete er 1993 den Verein „Junioren des Handwerks Südwestsachsen“. Zimmermeister sind dabei, Maurer oder Klempner. Es sei einfacher, ein Netzwerk mit Kollegen aus anderen Branchen zu bilden, sagt der Vereinsvorsitzende Schulz. Sonst sei die Konkurrenz einfach zu groß.
In seinem Betrieb bildete er seit der Gründung 1990 über 50 Lehrlinge aus. Und im Rückblick ist nicht nur er stolz auf das Geschaffene. „Die Arbeiten für die Frauenkirche haben viele Mitarbeiter in ihrer Persönlichkeit reifen lassen. Sie haben Achtung vor den Leistungen der Altvorderen entwickelt und sind sehr stolz, beim Wiederaufbau der Frauenkirche dabei gewesen zu sein.“
Kontakt: Tischlerei Schulz
09117 Chemnitz
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