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Alt und Neu in gelungener Symbiose

Sozialwissenschaftliches Institut der Humboldt-Universität
Alt und Neu in gelungener Symbiose

Es herrscht wieder eine friedliche Campus-Atmosphäre am Institut der Sozial- und Politikwissenschaft der Humboldt-Universität in Berlin. Vergessen scheinen die Zumutungen mit „Dreck, Staub, Lärm und Chaos“ der vergangenen Jahre. Vor über zehn Jahren beschloss die Hochschule die Sanierung des Institutsgebäudes in der Universitätsstraße 3 b. Anfang 1996 rückten die Bauarbeiter mit Presslufthämmern an; erst im April 2005 konnten sie wieder abziehen.

Die Berliner Architekten, Renate Abelmann, Walter Vielain und Clemens Pock, haben Erfahrung mit der Sanierung von Altbauten. Aber dieser Auftrag war doch ungewöhnlich: Ein rund 100 Jahre altes Geschäftshaus aus der Kaiserzeit sollte zu einem Universitätsgebäude mit Seminar- und Besprechungsräumen, einer umfangreichen Bibliothek und einer großen Zahl Einzelbüros umgebaut werden. Der Lehrbetrieb – so wünschte es der Bauherr – musste während des Umbaus weiterlaufen.

Eine Bestandsaufnahme vor Beginn der Sanierung ergab nahezu anarchische Verhältnisse in dem Gebäude. „Es war zu einem Labyrinth geworden, voller merkwürdiger Einzelnutzungen, enger Seminarräume ohne Fluchtwege“, erzählt Walter Vielain. Allein im Erdgeschoss zählten die Architekten 66 Räume. Ordnung in dieses Chaos zu bringen, würde keine leichte Aufgabe werden. Hinzu kam noch, dass das Institut schnell neue Seminarräume brauchte und auch die Fachbereichsbibliothek im Gebäude unterbringen wollte.
Das Architekturbüro entschied, alle publikumsintensiven Nutzungen vom Dach ins Erdgeschoss und maximal in die zweite Etage zu verlegen. „Diese Räume gehören nach unten, dann sind die Menschenmengen im Haus besser zu bewältigen“, sagt Vielain. Das bedeutete aber auch: Die Sanierung musste in umgekehrter Reihenfolge ablaufen, vom Erdgeschoss zum Dach. Bald glich das Eckgebäude unweit des Bahnhofs Friedrichstraße einem gigantischen wissenschaftlichen Experiment über die Stressresistenz angehender Akademiker und ihrer Lehrkörper. „Dieser Lärm, wenn über einem die Wand abgerissen wird und das ewige Umziehen im Haus – es war hart“, erinnert sich Studiendekanin Professor Dr. Karin Lohr. „Aber das Ergebnis ist hervorragend. Sehr schön ist, dass die alte Struktur erhalten blieb – Türen, Fenster und Balkone.“
Historie
Das dreistöckige Eckhaus entstand 1904 nach Plänen der Architekten Otto Richter und Erich Blunck. Es war die Hochzeit des Wilhelminismus mit massigen Protzbauten und schweren Sandsteinfassaden.
Das Geschäfts- und Kontorgebäude der jüdischen Unternehmerfamilie Abrahamsohn spricht eine andere Sprache. Mit seinem großen Dachüberstand und den farbigen Kassetten darin wirkt es eher sachlich und feingliedrig. Vor allem im Innern wirkte das Gebäude bereits in seinem Entstehungsjahr erstaunlich modern. Auffallend ist hier vor allem der lediglich von Stützen getragene Grundriss der Etagen. Zwischenwände konnten vom jeweiligen Nutzer individuell gesetzt werden. Nach Fertigstellung befinden sich im Erdgeschoss Geschäfte, die oberen drei Etagen dienen als „Kontore“, wie man früher Büroräume nannte. 1928 wird die Humboldt Universität Mieter und benutzt Teile des Gebäudes für studentische Aktivitäten.
Nach dem Krieg ist das Gebäude, insbesondere das Dach, stark zerstört. Aber offenbar nicht so schlimm, denn die Humboldt Universität nutzt es bald intensiver als vorher. Bei den eher behelfsmäßig durchgeführten Reparaturen der Kriegsschäden geht vieles der ursprünglich offenen und schlüssigen Konzeption des Gebäudes verloren. Die Scheinarkaden im Erdgeschoss werden zugemauert, und die ehemals offene Eingangshalle geschlossen. Die Giebelspitze wird abgetragen, das Dach abgeflacht. In den nächsten Jahrzehnten erfolgen zahllose Umbauarbeiten im Inneren. 1993 zieht das Institut für Sozialwissenschaften samt Bibliothek ein und beschließt die vollständige Sanierung.
Das Neue aus dem Alten entwickeln
Der Umbau erfolgte in drei Bauabschnitten, wobei sich innerhalb der 10-jährigen Bauzeit auch der Bedarf veränderte. So sollte im Keller ursprünglich eine Cafeteria entstehen, heute ist er Lesesaal der Bibliothek. Der zweite Bauabschnitt (2. und 3. Etage) dauerte von 1998 bis 2001, der dritte (Dach und Keller) von 2002 bis April 2005.
„Wir wollten das Neue aus dem Alten entwickeln und dabei den spezifischen Charakter des Gebäudes herausarbeiten“, formuliert Walter Vielain die Überlegungen seines Teams. Alle Nutzungen mit hohem Publikumsverkehr, wie die Bibliothek mit 70 000 Bänden und die Seminarräume, wurden an den großzügigen Foyerflächen der unteren Etagen zusammengefasst. Das hatte den Vorteil, dass die relativ engen Treppen und der Aufzug entlastet und in den oberen Etagen Platz frei wurde für den Bürobereich. Die Treppenhäuser wurden nicht verändert, sondern nur saniert und zu volltauglichen Rettungswegen ausgerüstet. Ebenso wurden die Flure im Mittelflügel und Seitenflügelbereich neu organisiert, um ausreichend breite und übersichtliche Rettungswege zu gewährleisten.
Große rostrote Buchrücken auf Glaswänden weisen Besuchern im Eingangsbereich den Weg in die 1 500 Quadratmeter große Fachbibliothek mit 70 Leseplätzen. Man installierte eine Stahl-Galerie in die 4,50 m hohen Räume und vergrößerte so die Stellfläche für Bücher.
Sowohl Seminarräume als auch die Bibliothek waren keine geschlossenen Räume, in denen die Studenten mit sich und ihren Gedanken isoliert bleiben. Hier legte das Architekturbüro AVP großen Wert auf Transparenz und Großzügigkeit zum Foyer und zur Straße hin. Dazu Vielain: „Das ist ja ein wesentliches Instrument der Sozialwissenschaften: Beobachten und beobachtet werden.“ Bis in die Tiefe des Gebäudes bleibt jetzt daher der Außenraum Stadt erlebbar. Glasbauteile insbesondere im Erdgeschoss ermöglichen Ein-, Aus- und Durchblicke.
Im Erdgeschoss zur Vorderfront hin liegen auch drei Seminarräume. Aus Schallschutzgründen – wenige Meter weiter verläuft die S-Bahntrasse, auf der auch Fernzüge rollen – sind alle Gruppen- und Seminarräume klimatisiert. 80 Büros für die Institutsverwaltung sowie Besprechungs- und Gruppenräume befinden sich auf den weiteren Etagen. Sie verfügen alle über Tageslicht und zu öffnende Fenster und sind durchschnittlich 20 m² groß.
Dem Denkmalschutz lagen vor allem die Wiederherstellung der Scheinarkaden im Erdgeschoss, der Originaldachform und des Treppenhauses am Herzen. Da die Fenster der Scheinarkaden in der Vergangenheit vor allem Schaufenster von Geschäften waren, griffen AVP motivisch darauf zurück. Nach verschiedenen Entwürfen und vielen Terminen mit dem Bauherr und der Denkmalschutzbehörde entschied man sich für eine asymmetrische Lösung. Dabei füllen die Fenster die Bögen nicht ganz, sondern gehen jeweils auf einer Seite in eine Farbfläche über. Oberhalb der Kämpfer verschatten Lamellen das Oberlicht. Diese zweite, innen vorgeblendete Fassade enthält die Verdunklungsanlage, die Entlüftung und Heizung.
Neuland Carrels
Mehrere große Elemente akzentuieren den Großraum der Bibliothek: Im Erdgeschoss sind das eine edle Stahltreppe, die ovale Verbuchungs-theke und die gefalteten Info-Plätze sowie in der zweiten Etage der Bibliothek die sieben Carrels, abschließbare Arbeitsräume für konzentriertes Arbeiten. Sie werden für einen bestimmten Zeitraum von den Studenten gebucht, sind verkabelt und akustisch abgeschirmt, Belüftung und Beleuchtung erfolgen über die offene Decke. Mit den Carrels betraten AVP vor zehn Jahren Neuland. „Als wir unseren Prototyp vorstellten, wurde er nur zögerlich akzeptiert. Heute gibt es Pläne, weitere Carrels aufzustellen, weil sie bei den Studenten so beliebt sind.“ Darin können die Studenten auch ihre Arbeit liegen lassen, wenn sie an ihrer Dissertation schreiben.
So wie die Carrels sind auch die PC-Plätze und Stehtische sowie Sitz- und Tischelemente in den Wartebereichen Sonderanfertigungen nach Entwürfen der Architekten.
Alte Türen erhalten
Zur Freude der Denkmalschützer konnte AVP auch die gusseisernen Türen im Eingangsbereich und im Haupttreppenhaus vor dem Verschrotten retten. Als Originalbestände entsprachen sie nicht den heute üblichen Sicherheitsstandards des Brandschutzes. Mittels Spezialanstrichen und Dichtungen erhielten die Türen aber doch die nötige Feuerbeständigkeit. Zwar mussten die Architekten dies in Form eines Gutachtens für jede einzelne Tür nachweisen, trotzdem blieben die Kosten unter denen für eine neue Tür.
Der alte Aufzug war aber technisch nicht haltbar und wurde entfernt. Die schmiedeeiserne Jugendstil-Einfassung im Fahrstuhl-Schacht blieb erhalten, wurde aber zusätzlich mit einem Geflecht aus Edelstahl innen verkleidet. Ein neuer, größerer Aufzug entstand wenige Meter davon entfernt.
Neuer Keller – neues Dach
Der dritte und letzte Bauabschnitt – der Ausbau des Dachs und schließlich des Kellers – nimmt eine Sonderstellung in der gesamten Sanierung ein: Durch den Neuaufbau beider Gebäudeabschnitte ergaben sich für die Architekten gestalterische Freiräume, die sie dann auch ausgiebig nutzten. Das Dach wurde nach den Originalplänen von Richter und Blunk in der ursprünglichen Form und Kubatur komplett neu aufgebaut. Das Konzept vom transparenten und offenen Raum stand beim Planen des Dachinnenraums im Vordergrund und so hielt sich AVP nicht an die alten Pläne.
„Es ging uns darum, Blickbezüge innerhalb der Räume zu schaffen“, so Vielain. Bei einer so großen Kubatur wäre es normal gewesen, einen Deckel darauf zu setzen und wegen der großen Höhe eine zweite Etage einzuziehen. „Lieber wollten wir diesen tollen Raum in seiner Großzügigkeit erlebbar machen.“
Vor allem in den Fluren geht dieses Konzept auf: Dachschrägen werden aufgefangen durch Wände, die ihrerseits leicht gekippt sind. Es gibt keine Fugen oder Leisten, sondern eine übergangslos in weißgrau gestrichene Fläche. Tageslicht dringt durch verschieden große Fensterschlitze. Schlanke, rund acht Meter hohe, V-förmige Stützen stabilisieren den Aufsatz. Die Wartebereiche überraschen mit poetisch bizarren Sitzecken und die Türen zu Seitenfluren sind in Wahrheit große asymmetrische Tore. „In diesem Bauabschnitt sind die Architekten über sich selbst hinaus gewachsen“, so die Verantwortlichen der Universität. Und die Architekten hätten in einem „visionären“ Entwurf gezeigt, was in einem Altbau möglich ist. „Das Dach ist ein architektonisches Highlight.“
Da die Gewölbedecken unter den Innenhöfen marode waren, wurde auch das Untergeschoss praktisch neu gebaut. In der neuen Betondecke ließen AVP eine etwa sieben mal zwei Meter große Öffnung frei. Durch diesen Lichtkubus aus sieben Zentimeter dicken, begehbaren Glasplatten fällt Tageslicht auf den Leseplatz darunter.
Rund 2 300 Studenten der Sozial- und Politikwissenschaften lernen heute an dem Institut, das sich nach dem Umbau wieder hundertprozentig seiner Arbeit widmen kann. ■
Entwurf:
AVP Architekten BDA
Prof. Dipl.-Ing. Renate Abelmann
Dipl.-Ing. Walter Vielain
Dipl.-Ing. Clemens Pock
Nicola Sabot und Andreas Gehrke
Hasenheide 61/II, 10967 Berlin
Ausführende Firmen:
Stahlfenster: Metallbau Stoof, 14806 Schwanebeck
Begehbare Verglasung: FSB Freienhufener Stahlbau GmbH, 01983 Freienhufen
Stahltreppe: Metallbau Böhnke, 02931 Weißwasser
Carrels: VHB Vereinigte Holzbetriebe,
87700 Memmingen
Theke Bibliothek, bedruckte Glaswände im Foyer und Akustikverkleidungen: E-S-M Drescher,
97877 Wertheim
Trockenbau Dach: Jaeger Akustik, 10829 Berlin
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