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Auf der Suche nach neuen Chancen

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Auf der Suche nach neuen Chancen

Auf der Suche nach neuen Chancen
Deutsche Fenster in europäischen Bauten (hier ein Gebäude in Belgien) sind heute noch die Ausnahme. Das sollte sich ändern!
Das Jahr 1997 wird in die Analen der Geschichte als Jahr des Suchens eingehen. Die Frage nach wirksamen Wegen, die aus einer scheinbar ausweglosen Lage führen könnten, zogen sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche unserer Wirtschaft. Für die Unternehmer in Handwerk und Industrie wird die Orientierung immer komplizierter, weil die notwendigen Rahmenbedingungen durch tägliche, vielfach chaotische Hiobsbotschaften, durchkreuzt werden. In einem Gespräch mit Dipl.-lng. Jürgen Estrich versuchte die BM-Redaktion die derzeitige Situation zu analysieren und die widersprüchlichen Zukunfts-Prognosen zu ordnen, um daraus Rückschlüsse für Maßnahmen, Investitionen und unternehmerische Entscheidungen in der nahen – aber auch für die fernere – Zukunft abzuleiten.

BM: Haben die Unternehmer in Deutschland, und hier denken wir vor allem an die unentbehrlichen Klein- und Mittelbetriebe des Handwerks, eine Chance für eine zuverlässige, treffsichere Zukunftsorientierung?

Estrich: Es gibt erheblich mehr Hinweise auf Tendenzen die aufzeigen, wohin die Entwicklungen speziell in der Bau- und Ausbaubranche gehen. Zu dieser globalen Feststellung muß ohne Umwege betont werden: Die Welt, in der wir leben und in der jeder Einzelne seinen Platz hat, wird so nicht bleiben. Unglücklicherweise gehört es in Deutschland immer noch zu den fürchterlichsten Vorstellungen, daß nichts so bleibt, wie es ist. Die Zukunft kann nur mit Veränderungen gestaltet werden.
BM: Halten Sie den Widerstand gegen notwendige Veränderungen als eine typisch deutsche Misere?
Estrich: Ausländische Wirtschaftsexperten sagen zu dieser Frage inzwischen ungeschminkt ihre Meinung, wobei Deutschland – so der bekannte Unternehmensberater Minoru Tominaga – als „Einig Jammerland“ bezeichnet wird. Andere, ernstzunehmende Kommentare betonen, daß der deutsche Pessimismus völlig unbegründet ist. In der Tat wird hierzulande unter anderem die überstrapazierte Diskussion um den „Standort Deutschland“ mediengerecht negativ dargestellt. Stattdessen sollten die durchaus vorhandenen positiven Seiten dargestellt werden. Das geht jedoch nicht, ohne die Frage nach dem „Deutschland innerhalb Europas“ zu beantworten.
BM: Haben wir in Deutschland bessere Chancen, seitdem das gemeinsame Wirtschaften in der „Europäischen Union“ existiert?
Estrich: Nicht sofort und nicht von alleine. Europa braucht Zeit, um sich zu formieren. Die Erkenntnis, daß wir unsere Geschicke im eigenen Land nun nicht mehr selbstherrlich und eigenständig lenken können, haben alle anderen 14 EU-Mitgliedsstaaten viel schneller gewonnen, und sie vor allem konsequenter in ihre Strategien einbezogen. Es gehört zu den unglücklichen Begleitumständen, daß wir die absolute Führungsrolle auf allen Gebieten in Europa gepachtet zu haben meinen. Natürlich haben wir maßgeblich Anteil am Funktionieren der Gemeinschaft – nicht nur finanziell, sondern auch in der Forschung, Entwicklung und Technik.
BM: Wir teilen Ihre Beurteilung hinsichtlich der Anpassungsträgheit der Deutschen schlechthin nicht uneingeschränkt. Sagen Sie unseren Lesern doch mal Beispiele bisheriger Versäumnisse?
Estrich: Ein besonders treffendes Beispiel zu dieser Frage kommt aus dem Fensterbau. Also jenem Arbeitsgebiet, welches zu den Existenzträgern besonders vieler Unternehmen – bis hin zu den Zubehör- und Zulieferunternehmen – zählt. Seit 1991 werden in erschreckend schnell zunehmendem Tempo jährlich mehr Fenster importiert, als aus deutschen Betrieben ins Ausland exportiert.
Ein Kommentar aus deutschen Reihen hierzu: „Der Krieg hat begonnen, aber keiner geht hin.“ Treffender kann man diese alarmierende Situation gar nicht darstellen.
BM: Kann man diese, in Sachen Fenster tatsächlich bedenkliche Entwicklung der „Negativen Außenhandelsbilanz“, verallgemeinern?
Estrich: Diese Frage habe ich erwartet, weil der boomende Export auf den ersten Blick eine hervorragende deutsche Wettbewerbslage im Ausland vermuten läßt. Sicher gehört das Fenster zu den Export/ Import-Ausnahmen. Wie in allen Wirtschaftszweigen sollte jedoch auch im Ausbau die flaue Binnenkonjunktur den Blick über die Grenzen lenken. Die großen Erfolge im Export dürfen nicht zu trügerischen Schlußfolgerungen über unsere Wettbewerbskraft in Europa führen. Diese schwindet nämlich zunehmend: Deutschland produziert tendenziell zu teuer.
BM: Gibt es unter diesem Gesichtspunkt überhaupt noch Chancen zur Bewältigung dieser Marktveränderung?
Estrich: Zu allererst sollte man aufhören über das Phänomen Europa immer nur zu klagen und in allen Bereichen ausschließlich Nachteile zu entdecken. Wer die Globalisierung der Märkte realistisch ansteuert wird sehr bald erkennen, daß es gerade durch die Öffnung und Vergrößerung der Aktionsbereiche über die Landesgrenzen hinweg plötzlich ganz neue Möglichkeiten gibt. Mit überlieferten, landesspezifischen Angeboten allein, läßt sich der Europa-Markt allerdings nicht erobern. Da müssen die verwöhnten deutschen Bauteile-Anbieter die Frage erlauben, ob denn das deutsche Ausbauteil für Europa tatsächlich das beste Spitzenprodukt ist. Es ist nämlich nach fast fünf Jahren Europa-Praxis zu erkennen, daß in benachbarten Ländern durchaus gute Fenster, brauchbare Türen und Ausbauarbeiten hergestellt und eingebaut werden können.
BM: Was schlagen Sie daraus folgernd einem deutschen Handwerksbetrieb an Konsequenzen vor?
Estrich: Dazu bedarf es nicht einmal einer Beratung von außen her: Die Betriebe erleben täglich, wie ausländische Anbieter vor ihrer Werkstattür, einen Wettbewerb veranstalten der beweist, daß auch andere Länder Bau- und Ausbauteile nach unserem Standard herstellen können. Das hohe Qualitäts-Niveau deutscher Bauprodukte kann die Kostennachteile nur noch bedingt ausgleichen. In der Rationalisierung liegen gerade bei kleinen Betrieben immer noch gewisse Reserven. Aber es ist zunehmend festzustellen, daß sich die Kunden weltweit sträuben, die Einkommens- und Sozialwünsche der Deutschen durch ihre Einkäufe zu finanzieren. Das Thema „Innerbetriebliche Kostenexplosion“ ist somit kein nationales, sondern ein internationales Problem geworden.
BM: Würden Sie in Ihrer Empfehlung so weit gehen, daß deutsche Betriebe zum Beispiel Fenster nicht mehr selbst fertigen, sondern diese von einem ausländischen Hersteller kaufen?
Estrich: Das wäre ein Kompromiß, wenn auch auf Zeit gesehen keine Endlösung. Denn die Ausbaubetriebe sind und bleiben produzierende Unternehmen. Nur was sie selbst und was andere produzieren, folgt keiner starren Regel. Und genau darin liegen die eigentlichen Probleme. Für einen Schreinerbetrieb ist es überhaupt keine Schande, wenn er vorgefertigte, oder montagefertige Teile zukauft, und mit diesen – nennen wir es einfach mal „Handelsanteil“ – komplexe Aufträge abwickelt. Über diesen Weg können Wettbewerbsverlagerungen ausgeglichen werden. Dieses Geschäft mit seinen Chancen spielt sich inzwischen europa- und sogar weltweit ab.
BM: Hier haben Sie ein wichtiges Stichwort ins Gespräch gebracht: Wir meinen den Ausflug in neue Aufgaben. Gibt es dafür Beispiele?
Estrich: Zunächst muß zu dieser Frage festgestellt werden, daß spezialisierte Betriebe in auftragsschwachen Zeiten die größeren Schwierigkeiten haben, als „Allround-Betriebe“. Nun ist es ja kein Geheimnis mehr, daß insbesondere ein 5-, 10- oder 15-Mannbetrieb unmöglich alle anfallenden Schreinerarbeiten aus eigener Fertigung abwickeln kann. Der Zukauf ist sehr unterschiedlich. Er bewegt sich derzeit zwischen 20 und 85 % – im Trockenbau sogar bei 95 bis 98 %. Ein reiner Innenausbaubetrieb kann im Rahmen eines Komplettauftrages auch Fenster und Türen liefern und montieren, obwohl er diese nicht selbst fertigt. Er stabilisiert also zusätzlich seine Wettbewerbsfähigkeit, wenn er Teile zukauft, die im Ausland mit niedrigen Löhnen hergestellt wurden und hierzulande preiswert einzukaufen sind. Diese Taktik hat sich vielfach als Existenzfrage etabliert.
BM: Aber auch ohne Zukauf aus Billigmärkten gibt es im heimischen Markt sicher neue Aufgaben. Wo zum Beispiel?
Estrich: Ohne Prophet spielen zu wollen, kann ich Ihnen dazu voraussagen, daß für die handwerklichen Fenster- und Türenbaubetriebe die flankierenden Vollwände ein enormes Auftragspotential beinhalten. Ich meine damit die Wandbekleidung innen angebracht, die zukünftig nicht nur gestalterische Aufgaben hat, sondern die ebenso die Wärmedämmung verbessert. Denn von schlecht gedämmten Vollwänden haben wir in Deutschland Millionen Quadratmeter speziell aus der Nachkriegs-Wiederaufbauhektik. Der bauliche Wärmeschutz kann nicht nur ein Auftrag an das Fenster sein, sondern bedeutet „Aufwertung der gebäudeumhüllenden Fläche.“ Es gibt sehr interessante Arbeitsfelder, die sich aus weiter steigenden Anforderungen an den Wohnkomfort, an Dämmung, Sicherheit usw. ergeben.
BM: Und welche Rolle spielen in dieser Entwicklung die Normen, Vorschriften und Regelwerke?
Estrich: Neben den Widerständen, gegenüber europäischen Baugepflogenheiten, gehört der Umgang mit Normen und Regelwerken zu einer Frage, die sich in deutschen Unternehmen erheblich negativer auswirken, als in anderen europäischen Ländern. Da sich im Rahmen der Europa-Harmonisierung im Bauwesen die Bauvergabe und die Bewertung mehr und mehr an der Erfüllung gestellter Anforderungen und deren Nachweis orientiert, müssen die deutschen normhörigen Auftragnehmer umdenken: Entscheidend ist das Ergebnis, während der Weg, der dazu führt, dem Anbieter frei überlassen sein wird. Innovationen haben Konjunktur. Vor der Fertigung steht zukünftig die Produktentwicklung, die bisher durch eine nahezu nahtlose Normung blockiert war. Die Kreativität wird aktiviert und damit die Chancen, sich zu unterscheiden.
BM: Das Jahr 1997 war begleitet von einem neuen Pleite-Rekord, von Preisunterbietungen in bisher nicht gekannten Dimensionen von baurechtlichen Auseinandersetzungen mit Schwerpunkt „Schikane-Reklamation“ usw. Gibt es daneben auch positive Meldungen?
Estrich: Man muß manches eben positiv sehen: 1997 hat das Umdenken, wenn auch sehr langsam, in Bewegung gebracht. Das ist positiv, auch wenn daraus noch keine Wende entsteht. Die Einsicht, daß nur das Hoffen auf eine bessere Konjunktur noch keine Lösung herbeiführt, ist schon ein großer Stimmungsfortschritt. Und wenn obendrein erkannt wird, daß sich der Neubau auf einem niedrigeren Niveau normalisiert, daß im Baubestand ein zunehmendes Auftragspotential steckt, und daß die Anforderungen steigen, werden sich die Produkt-Entwicklungen anders als in früheren Rezessionen, auf neue, andere Aufgaben konzentrieren. Die Bauteile werden immer wertbestimmender für die Bau- und Raumnutzung, und damit sollte bei allem Widerspruch, auch das Preisgefüge proportional wachsen. Das wäre nicht möglich, wenn wir das uniformierte Einheits-Europa-Bauteil bekämen. Die Europanorm eröffnet den Weg zum alternativen, besseren Produkt.
BM: Herr Estrich, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Nun hat auch das Hoffen einen neuen Inhalt bekommen: Es wird das Warten in Untätigkeit ablösen und damit neue Aufgaben freisetzen. n
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