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Ausdrucksstarke und authentische Ästhetik

Grafisch gestaltete Oberflächen im kulturellen Wandel der Jahrzehnte
Ausdrucksstarke und authentische Ästhetik

Fantasievolle Dekore mit individuellen grafischen oder fotografischen Motiven feiern ein Comeback. Den subkulturellen Einfluss von Graffiti, Streetart und den neuen Medien sowie moderne Drucktechniken sind dabei nicht von der Hand zu weisen. Die Zusammenhänge wie und warum die grafisch gestaltete Oberfläche mal dominanter und mal fast verschwunden war, zeigt unser Autor in einem kleinen geschichtlichen Abriss auf. In Zukunft wird die Dekorsprache wohl vielfältiger, innovativ und authentisch werden und mit sehr diffizilen, floralen oder linearen Grafiken das Erscheinungsbild künftiger Räume prägen.

Die Sachlichkeit und der Funktionalismus des Bauhauses gelten bis heute als der Inbegriff deutschen Designs. Emotionalität, Individualität oder gar modische Aspekte zählten nicht zur Philosophie des Bauhaus-Gedankens. Dekordesign spielte in der Architektur oder in Möbelobjekten eine eher untergeordnete Rolle. Im Bereich Tapete kam jedoch 1930 eine Kollektion auf den Markt, die bald sehr erfolgreich war. Die Gestaltung basierte auf feinen unauffälligen Mustern, die sich aus den Oberflächenstrukturen ergaben und den Raum optisch erweitern sollten. Prinzipiell sollte sich das Dekordesign der Architektur und den Möbelobjekten unterordnen. Ähnliche Ideen führten etwa gleichzeitig zur Entstehung der Raufasertapete.

Die 50er Jahre
„Ihre tägliche Freude” titelt eine Werbeschrift von Resopal. „Endlich ist ihr Wunschtraum in Erfüllung gegangen. Die Resopal-Küche ist jetzt ihre tägliche Freude. Alles strahlt in freundlichen Farben.” Die Küchenoberfläche hat zwar hier kein konkretes Dekor, wird aber durch den „patchworkartigen” Aufbau zu einem, für damalige Verhältnisse „dekorativen Gesamtbild”, das auf emotionaler Ebene ansprechen sollte. Auch fein gemusterte grafische Dekore gehörten zum Angebot der damaligen Resopal-Kollektion und waren absolut trendweisend. Künstlerischer Berater von Resopal und Mitinitiator des Rats für Formgebung wurde 1952 Jupp Ernst (1905–1987). Er trat dafür ein, nur solches Dekor zu entwickeln und einzusetzen, das „dem Kunststoff Eigenart gibt”. Jede Imitation von Holz, Marmor usw. lehnte er vehement ab.
Erst 1959 wirbt der Prospekt „Maserung” explizit für ein Holzdekor.
Der Nierentisch wird zum Inbegriff des modernen Wohnens und stellt den Gegensatz zum geradlinigen und funktionalen Design des Bauhauses dar. Er ist quasi als „Lifestyle-Möbel” der 50er Jahre zu verstehen und kam den Bedürfnissen nach Wohnlichkeit und Luxus nach dem 2. Weltkrieg nach. Wegen der zumeist engen Wohnverhältnisse waren leichte und vielseitige Möbel gefragt. Ein eigenständiges Dekor spielte hier eine wesentliche Rolle. Anders als beim Gedankengut des Bauhauses übernahm das Dekor hier die Rolle des „Eye-catchers” und dominierte über das Möbelstück. Sehr bekannt und quasi ein Klassiker ist das Boomerang-Dekor vom Schichtstoffhersteller Formica.
Beim Tapetendesign findet man jetzt zeichnerisch florale Formen. Typisch für die 50er Jahre ist die künstlerische, manufakturartige Handschrift der Designer, die Tapeten und Stoffe gestalten. Fazit: Die grafische Oberflächengestaltung der 50er Jahre war geprägt von Farbigkeit, Verspieltheit, figurativer und gegenständlicher Thematik mit zeichnerisch malerischer Note. Die Proportion der Muster war eher klein als raumgreifend.
Die 60er Jahre
Die Muster werden grafischer und weniger verspielt. Die neuen Gestaltungen spiegeln Modernität und technischen Fortschritt wider. Einer der bekanntesten und prägendsten Designer dieser Zeit war Verner Panton. Der heute als Design-Klassiker angesehene Panton Chair gilt quasi als Designikone der 60er Jahre.
Panton war auch einer der Pioniere konzeptionell zusammenhängender Raumplanungen mit Dekorelementen. Die Dekorsprache Pantons distanziert sich durch die rein geometrischen Kompositionen völlig vom Stil der 50er Jahre und wirkt im Vergleich dazu futuristisch und visionär.
Die 70er Jahre
Die 70er Jahre sind die Hochzeit der bedruckten Tapete – geometrisch bis floral. Die spektakuläre Inszenierung des Raumes über plakative Farbigkeit und raumgreifende Flächenmuster stand hier im Mittelpunkt. Der Tapetenhersteller P+S International hat im Jahr 1975 ein interessantes Tapeten-Musterbuch herausgegeben, das mit sensationellen Raumfotos die Anwendungsmöglichkeiten aufzeigt. Dabei wird die Dekorsprache der 70er Jahre und deren Zeitgeist anschaulich dokumentiert. Vielleicht darf man behaupten, dass die grafische Gestaltung in dieser Zeit auf die Spitze getrieben wurde, so dass es zu einer Abkehr der jüngeren Generation bezogen auf Dekor im Allgemeinen kam. Selbst die Generation, die diesen Stil lebte, entschuldigte sich spätestens in den 80er Jahren für die vermeintlichen Fehltritte der damaligen Zeit.
Die 80er Jahre
Aus der Schlaghose wurde die Karottenhose. Aus breiten gemusterten Krawatten wurde der schmale Lederschlips und aus plakativ gemusterten Tapeten wurde die weiß getünchte Raufasertapete. Die 80er Jahre sind das Kontra zu den 70er! Wenn es überhaupt mal grafische Muster gab, waren diese meist spitz oder kantig aufgebaut, um eine deutliche Distanzierung zu den 70er Jahren aufzuzeigen.
Mit dem Zeitraum der 80er Jahre ist auf jeden Fall Ettore Sottsass, als Gründer der Gruppe Memphis zu nennen. Ettore Sottsass verkörperte die von ihm stark geprägte Gestaltungsrichtung des Anti-Designs. Der Gestaltungsstil Ettore Sottsass war durch die Pop-Art beeinflusst und brachte die Alltagskultur ins Design spielerisch mit ein. Elemente wie Ironie und Humor waren Bestandteil seiner Entwürfe. Zu erwähnen ist auch das Dekor „Letraset”.
Im Bereich der Laminatoberflächen war die Gruppe Memphis stilprägend für die Dekorkollektionen des Herstellers Abet Laminati in den 80er Jahren. Die Dimension der Dekormuster war hier meistens filigran und weniger raumgreifend.
Die 90er Jahre
Dieses Jahrzehnt war geprägt durch die Globalisierung und durch den Einfluss der neuen Medien und des Internets. Seit den 90er Jahren entstand eine Multi-Kultur mit verschiedensten, stilistischen Ausprägungen. Durch die gesteigerten Kommunikations-Möglichkeiten über das Internet, über Foren und Blogs über Portale wie YouTube findet sich für fast jeden Stil eine Anhängerschaft. Auch Musikkanäle wie MTV prägen eine pluralistische Stilwelt stark mit. Nichts ist mehr wirklich „out” oder „in”. Es entsteht ein völliges Crossover von Stilen. Das Einzige was noch wichtig ist, ist dass der Stil des einzelnen Menschen, Produktes oder Raumes Authentizität aufweist. Ein sauberes Konzept oder Profil macht die Glaubwürdigkeit aus. Generell kann man sagen, dass ein Drang nach Individualität und persönlicher Identität spürbar wird. Es wird zunehmend wichtiger eine private Oase zu schaffen, die im Gegensatz zur Büro- oder Arbeitswelt steht. In der Gastronomie entstehen Clubs und Lounges, die der Leistungsgesellschaft einen Rückzugsort zur Entspannung bieten sollen. Stilprägend wird nun stärker als je zuvor die junge Generation, die die neuen Medien als Informations- und Kommunikationsquelle nutzt und somit unbewusst die späteren Trends der Industrie kreiert. Woher kommt der aktuelle Trend zu dekorativen Oberflächen? Es ist anzunehmen, dass die neuen Tendenzen zu dekorativen Oberflächen und großgemusterten Tapeten mit ausgelöst wurden, durch die urbanen Grafiken der Straße, das Graffiti und Streetart.
Ein schönes Beispiel für das Potenzial der Streetart-Kultur ist das 2005 re-designde „Park-Hotel” – später Hotel Fox – in Kopenhagen. Insgesamt 21 internationale Künstler aus dem Streetart-Bereich gestalteten die Zimmer des Kopenhagener Hotels individuell. Die Ergebnisse sind ein künstlerisch einzigartiges Hotelkonzept, welches weltweit zur Inspirationsquelle neuer Design-Hotel Konzepte geworden ist.
Fast allen Zimmern gemein, ist der Hang zu großflächiger Grafik in Verbindung mit einem markanten Farbkonzept. Oberflächendesign wird nicht als ein wiederkehrendes Muster verstanden, sondern als ein erzählerisches Motiv mit künstlerischem Anspruch. Beachtenswert, da es eine junge und ungefilterte Auffassung von Raumgestaltung zeigt, welche den Kerngedanken zeitgemäßen Designs zum Ausdruck bringt, nämlich die Wichtigkeit der Authentizität und die Nähe zur Entstehung von Kultur – zur Basis der Subkultur. Der Schlüssel für die Umsetzbarkeit „großflächiger und individueller Oberflächendesigns”, wie im Fall Hotel Fox (Tapete, Teppich oder Möbeloberflächen), sind auch mit den neuen, digitalen Produktionstechniken begründet.
Die Innovation des digitalen Produzierens hat eine völlige Revolution in der Landschaft der gestalteten Oberflächen ausgelöst. Sie wird über die Möglichkeiten des digitalen Druckprozesses unterstützt.
Im Jahre 1999 habe ich gemeinsam mit Kai Peters das Label „Universal Decor” – unter dem Dach der Schäffer und Peters GmbH – gegründet. Die Firma Schäffer und Peters gehörte zu den ersten Firmen in Deutschland, die über digitale Druckmaschinen Dekorpapierbögen für die Schichtstoffindustrie umsetzen konnte.
In einer Zeit, in der die gesamte Produktlandschaft der Laminat-Branche von Holz- oder Gesteinsnachbildungen geprägt war. Vor diesem Hintergrund und der Wichtigkeit von Authentizität – gerade für die jüngere Generation – erschien uns das Dekorangebot völlig inkonsequent und ich begann eine grafische Kollektion rapportfähiger Oberflächen zu entwickeln. Das Novum dabei war, dass keine kleinen Flächenmuster entworfen wurden, die sich ständig wiederholen, sondern, dass auf einem Druckbogen keine Motivwiederholung enthalten war. Trotzdem war der Druckbogen (1,3 m x 3 m) mit dem Folgebogen rapportfähig.
Technisch umsetzbar war das ganze über den Digitaldruck der Firma Schäffer und Peters und konnte somit in der Verpressung zu Platten einfließen. Bald erhielten wir erste Aufträge von Planungsbüros für Objekteinrichtungen und landeten schließlich in den Storekonzepten großer Marken.
Ausblick
Das grafische Oberflächendesign der letzten Jahre ist aus rückbezüglichen, jedoch neu interpretierten Formensprachen entstanden und wurde zunächst allgemein als „Retro-Design” tituliert. Die Formensprachen basierten zumeist auf organischen Elementen oder geometrischen Flächen mit abgerundeten Außenkonturen. Im Gegensatz zur Farbigkeit der 60er und 70er Jahre setzten sich eher harmonische Farbkompositionen – mit frischer emotionaler Farbe – durch.
Für die Zukunft wird die Dekorsprache vielfältiger werden und sich in verschiedene Richtungen ausprägen. Das damalige „Retro-Design” hat bereits seinen Zenit überschritten. Zu erwarten sind nun sehr diffizile, florale oder lineare Grafiken, welche die Oberfläche elegant und dezent ästhetisieren werden. Dabei werden sich unterschiedliche Glanzgrade von Teilflächen, reliefartige Strukturen oder changierende Effekte durchsetzen. Gefragt ist nun vor allem die Industrie, neue Techniken zu entwickeln, um diese progressiven Strömungen über das Material innovativ umsetzen zu können. Für die Menschen ist es wichtiger denn je geworden, dass die Dinge, die sie umgeben, innovativ und authentisch sind und eine eigene Identität verkörpern. Das Echte ist wieder gefragt, egal ob es die Holzdiele, der Sichtbeton, Granit oder ein Schichtstoff mit ehrlicher Identität ist. Auch die Rolle der Unifarbe wird wieder wichtiger werden. Dabei ist für den Kunden eine ästhetische, feinfühlig zusammengestellte Farbpalette markanter Farben interessanter, als die Quantität des Farbangebotes.
Eine elegante grafische Oberfläche in Kombination zu einer stimmungsgebenden Unifarbe wird das Erscheinungsbild künftiger Räume prägen. Konzeptionelle ganzheitliche Raumlösungen sind mehr angesagt, als singulär erarbeitete Oberflächenlösung. Seit Beginn des neuen Jahrtausends sind die grafische Formensprache und die Emotionalität bei den Oberflächen zurückgekehrt, nachdem diese Aspekte zwei Jahrzehnte keine wesentliche Rolle gespielt haben. ■
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Schallmessung in der Praxis: Michael Fuchs (r.) und Simon Holzer bei raumakustischen Messungen in einem Objekt (Friseursalon Max in Wallersdorf). Foto: Barbara Kohl, Kleine Fotowerkstatt
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