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Boxen für ein besseres Leben

Schreinermeister Rupert Voß kümmert sich um gewaltauffällige Jugendliche
Boxen für ein besseres Leben

Ein bayerischer Unternehmer macht mit unternehmerischen und sozialen Instrumenten jugendliche Serienstraftäter fit für den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Zusammen mit einem Familienthera- peuten gründete Schreinermeister Rupert Voß die Jugendwerkstatt „Work and Box Company“, um gewaltauffälligen Jugendlichen zu helfen.

Der kleinste gemeinsame Nenner im Leben von Rupert Voß heißt Bildung. Nach der Hauptschule absolvierte er eine Schreinerlehre – als Schulbester und Innungssieger mit der Note „sehr gut“. Im Mai 1991 schloss Voß die Meisterschule ab, diesmal als Schul- und Jahrgangsbester. Das aber war erst der Auftakt. Bis heute nahm er an über 130 Seminaren und Weiterbildungen zu Marketing, Qualitätsmanagement, Reklamationsbearbeitung, Finanzierung, Bau- und Arbeitsrecht teil. Fortbildungen rund um Mitarbeitermotivation, Verkaufstraining, Persönlichkeitsentwicklung, Mentaltraining, Körpersprache und Rhetorik standen und stehen noch immer ebenfalls auf seinem Bildungsplan. Rupert Voß ist Schreinermeister, Firmengründer, Unternehmensberater, Boxinstruktor, Vorstandsvorsitzender einer Aktiengesellschaft, Initiator einer Hilfsmaßnahme für jugendliche Serienstraftäter …

„Das sieht alles sehr verwirrend aus“, erläutert der erfolgreiche Handwerksunternehmer aus Taufkirchen am Stadtrand von München. „Tatsächlich hängt alles ganz eng zusammen und baut aufeinander auf.“ Mit 25 Jahren übernahm der frisch gebackene Schreinermeister die Betriebsleitung der Neuberger Schreinerei GmbH. Sieben Jahre später wurde ihm die Geschäftsführung der Neuberger Parkett- und Fußbodentechnik übertragen. Anfang 2000 schließlich gründete der Unternehmer die Voss Beteiligungs GmbH, unter deren Dach die Unternehmen zusammengefasst und durch die Voss & Partner Unternehmensberatung ergänzt wurden. Hier arbeiten heute 35 Mitarbeiter, unter ihnen fast die Hälfte Auszubildende, exakt 16 junge Menschen.
„Wenn man mit Jugendlichen zu tun hat, ist das nicht immer ganz einfach“, weiß Rupert Voß – eine leichte Untertreibung seines gesellschaftlichen Engagements, bei dem er sich seit vielen Jahren schon um gewaltauffällige Jugendliche kümmert. „Die meisten von ihnen saßen schon im Knast“, beschreibt er seine Klientel und wird sehr deutlich. „Viele nehmen Drogen. Sie kompensieren Sehnsüchte mit Sucht. Einen Schulabschluss hat kaum einer und eine richtige Familie auch nicht. Fast alle sind Ausländer. Den Vater kennen viele nicht oder nur als prügelnden Despoten.“
Um ihnen helfen zu können, müsse man ihre Sprache sprechen, sagt Voß. Da sei es nur folgerichtig gewesen, wenn er das Boxen gelernt habe. Zusammen mit dem Familientherapeuten Werner Makella gründete der Unternehmer die Jugendwerkstatt „Work and Box Company“, ein gemeinsames Projekt des Vereins „hand in“ der Stadt München, des Landkreises München und des Europäischen Sozialfonds. Bis zu 20 junge Männer schleusen sie Jahr für Jahr durch die Werkstatt und arbeiten mit Richtern, Polizei und Jugendgerichtshelfern eng zusammen, um die richtigen Kandidaten zu finden. Dann erhalten die Jugendlichen ein Kommunikationsangebot – zusammen mit einem Paar Boxhandschuhen. „Boxen ist nonverbale Kommunikation“, erläutert Rupert Voß das ungewöhnliche Vorgehen. „Auf diese Art erreichen wir sie überhaupt erst, denn für eine verbale Kommunikation sind die meisten unerreichbar. Schläge dagegen kennen sie sowohl als Täter als auch als Opfer. Indem sie von uns nun die Gelegenheit erhalten, im Ring aufeinander und auf mich treffen zu können, trete ich augenblicklich in einen Kontakt zu ihnen, meist sogar den einzigen, den sie zulassen, weil die Verletzungen ihrer Kindheit noch zu stark in ihnen nachwirken. Das ist der Anfang unserer Therapie.“
Kürzlich stand ein junger Mann vor dem Unternehmer. Gerade war er von einer Weiterbildungsmaßnahme der Arbeitsagentur ausgeschlossen worden, weil er einen anderen Teilnehmer durch eine Glastür geworfen hatte. „Bei uns sind die Türen aus Stahl und die Fenster aus Sicherheitsglas“, sagt Voß und klopft gegen eine Scheibe des Trainingsraums. „Die Jungs brechen auch Spinde auf und bestehlen sich gegenseitig. In ihrem Wertesystem ist das etwa so verwerflich wie für uns das Bohren in der Nase.“ Dennoch gibt Voß ihnen eine Chance, wo die Gesellschaft in den meisten Fällen alle Brücken abgebrochen hat und stattdessen lautstark nach Strafverschärfungen oder Boot Camps wie in den USA ruft. „Boot Camps bringen nur dressierte Affen hervor“, urteilt er. „Hier beugt man sich dem Druck wie eine Weidenrute. Kaum lässt der Druck nach, schnellt man wieder in die alte Form. Wir dagegen fordern eine Entscheidung der Jungs ein.“
Voß und Makella gehen pragmatisch therapeutisch vor – und keiner der Jungs merkt es. Jede Aufnahme in das Projekt beginnt deshalb mit einer Anamnese, um zu prüfen, wo der therapeutische Ansatz liegen soll. Die Box-Profis steigen deshalb ganz einfach in den Ring. „Wenn sich jemand provozieren lässt und zuschlägt, dann tut er das häufig, weil er sich minderwertig fühlt“, sagt Voß. Er und Makella führen die Jugendlichen deshalb an ihre Grenzen und lehren sie, diese zu erkennen und nicht länger zu überschreiten. Das Erlernen und Einhalten von Grundtugenden wie Ordnung, Fleiß, Pünktlichkeit, Disziplin, Respekt, Lern- und Leistungsbereitschaft steht im Vordergrund der Arbeit.
Nachmittags helfen die Jugendlichen als Praktikanten nebenan in der Schreinerei. Sie arbeiten allerdings nicht in gemischten Teams mit den Mitarbeitern der Firma. „Jugendliche mit einer ähnlich kaputten Persönlichkeit wie die der Münchner U-Bahn-Schläger kann ich nicht produktiv im Betrieb einsetzen“, sagt Rupert Voß. Noch immer könne niemand seine privaten Wertgegenstände einfach in der Werkstatt herumliegen lassen. Werkzeug dagegen sei unproblematisch, weil die Praktikanten damit nichts anzufangen wüssten. „Wenn sie Ausrüstung mitgehen ließen, hieße das ja, sie müssten arbeiten.“
Wo aber liegt denn nun der Nutzen für das Engagement des Unternehmers, wenn er nicht einmal sein Telefon auf der Werkbank liegenlassen kann, ohne Gefahr zu laufen, dass es sofort gestohlen würde? Gibt es ihn überhaupt, oder handelt Rupert Voß schlicht altruistisch? Einerseits sieht er sich gerade als Firmenchef in einer gesellschaftlichen Verantwortung. Als Gesellschaft, sagt er, zahlten wir einen sehr hohen volkswirtschaftlichen Preis dafür, Menschen ins Gefängnis zu stecken, von denen 80 Prozent danach rückfällig würden – eine extrem teure Spirale ohne Ende. „Das Erfolgskriterium unseres Projekts haben wir nach den Prinzipien des Total-Quality-Managements ausgerichtet“, erläutert Voß die Vorgehensweise. Danach müsse Leistung messbar sein. „Uns stellt sich die Frage ganz konkret: Können wir einen Jugendlichen mit 40, 50 oder 60 Vorstrafen so sozialisieren, dass er auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle bekommt? – In vier von fünf Fällen gelingt uns genau dies!“
Warum bieten Unternehmen Jugendlichen einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz an, die erkennbar problematische Persönlichkeiten sind? Auch darauf weiß Rupert Voß eine Antwort. „Unsere Jungs haben eine irrsinnige Power, die sie häufig ihre Grenzen überwinden lässt, die sie jedoch aufgrund ihrer psychischen Verletzung nur zu oft an den falschen Stellen herausgelassen haben. Beispielsweise besitzen sie ein hoch entwickeltes Gespür dafür, ob es jemand ehrlich mit ihnen meint.“ Und, fährt er fort, diese Jugendlichen hätten die Tugend verinnerlicht, sich wenig von anderen sagen zu lassen. Die meisten hätten den Wunsch, niemals mehr Fremde über ihr Schicksal entscheiden zu lassen. Aus dieser Haltung resultiere häufig der unbändige Wunsch nach mehr Eigenverantwortung, der Wille, sich durch eigene Leistung zu bestätigen. „Keine schlechten Voraussetzungen, um unternehmerisch tätig zu sein“, weiß Voß. „Einer unserer ersten Teilnehmer etwa hat eine Spedition gegründet, nachdem er drei Jahre lang als LKW-Fahrer gearbeitet hat.“
Natürlich schafft dies nicht jeder der Problem-Jugendlichen. Immerhin aber befinden sich 37 der insgesamt 41 vermittelten Teilnehmer aus den ersten drei Jahren des Projekts, die auch in Ausbildung oder Beruf vermittelt wurden, noch immer in stabilen Verhältnissen. Sie haben ihre Ausbildung beendet. Sie sind in Lohn und Brot, teilweise in weiterführenden Qualifikationen. Das ist eine Erfolgsquote von 90 Prozent. Und auch die Straffälligkeit ist um 90 Prozent zurückgegangen. Rupert Voß wäre kein Unternehmer, wenn er den Erfolg nicht auch unter dem Aspekt des Gewinns betrachten würde. Die volkswirtschaftlichen Kosten für einen jugendlichen Serienstraftäter liegen seriösen Schätzungen zufolge bei rund 100 000 Euro in drei Jahren. Dieser Preis entfällt, wenn er auf dem ersten Arbeitsmarkt angekommen ist und für sich selbst sorgen kann. „Wir haben also in drei Jahren rund 3,7 Millionen Euro eingespart“, rechnet er vor. „Für drei Jahre Work and Box Company haben unsere Geldgeber in dieser Zeit etwa eine Million Euro an öffentlichen Geldern beigesteuert. Der volkswirtschaftliche Reinertrag aus der Investition von einer Million beläuft sich also auf 2,7 Millionen Euro.“
Auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das Ganze kein Null-Summen-Spiel. „Unsere Mitarbeiter sind durch die räumliche Nähe und durch Veranstaltungen in das Projekt integriert“, erläutert Voß. Dabei spiele insbesondere der menschlich-emotionale und weniger der fachliche Austausch eine Rolle. „Durch die Reibung mit den Jugendlichen verbessern sich ganz automatisch die Sozial- und Krisen-Kompetenz aller Mitarbeiter sehr wesentlich. Sie entwickeln ein neues Standing und treten beispielsweise Kunden, Lieferanten und Kollegen gegenüber viel selbstsicherer auf.“ Auch das Management habe gelernt, ehrlicher und direkter zu sein, vor allem sich selbst gegenüber. „Wir laden inzwischen nur diejenigen zum Personalgespräch ein, bei denen uns eine innere Stimme sagt, die sind es.“ Dank der Projekterfahrung und der damit gewachsenen Menschenkenntnis, so der Firmenchef, würden die Auswahlverfahren effektiver und zeiteffizienter geführt. Die eingesetzte Zeit halbiere sich. Auch die Unternehmensberatung profitiere stark von den Erfahrungen der Work and Box Company: Unbedingte Treue zur Sache, zur Sache des Kunden, schafft Glaubwürdigkeit und Offenheit – Tugenden, die heute jeder zu schätzen weiß, gleich, ob als Kunde oder als Mitarbeiter. ■
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