Sind Korpusecken mit Vollholz-Anleimer oder mit Furnierkante widerstandsfähiger gegen harte Stoßbelastung? Die Technikerarbeit von Johannes Dreber und Florian Schürmann, an der Fachschule Holztechnik & Gestaltung in Hildesheim, brachte überraschende Ergebnisse.
Die Vorstellung, dass ein Vollholz-Anleimer am Korpus oder an Möbeltüren vor umfallenden Staubsaugerrohren oder rammenden Bobby-Cars – also vor alltäglichen „Haushaltsunfällen“ – besser schützt, ist weit verbreitet. Und nicht nur in der betrieblichen Praxis wird die Vollholzkante als ein besonderes Qualitätsmerkmal betrachtet. Und: So manche Prüfungskommission für Meister- und Gesellenstücke macht den Vollholz-Anleimer zur Pflicht.
Abgesehen von dem größeren Material- und Zeitaufwand, verglichen mit Furnierkanten, stellt sich aber die Frage, welchen Sinn ein Vollholzanleimer erfüllen soll. Keine Frage, wenn man die Werkstückkante profilieren will, braucht man ihn. Soll aber die Korpus- oder die Türkante einfach nur gebrochen werden, so könnte man präventiv mit dem Vollholzanleimer eine Schutzfunktion verbinden. Wie viel der Vollholzanleimer zum Schutz vor Dellen an der Korpusecke tatsächlich beitragen kann, sollte in der Technikerarbeit von Johannes Dreber und Florian Schürmann herausgefunden werden.
Dafür wählten die Studenten einen einfachen Versuchsaufbau: Ein Fallkörper, ähnlich einem Staubsaugerrohr oder Besenstiel, sollte aus definierten Höhen auf verschiedene Kanten mit und ohne Vollholz-Anleimer fallen, um die Zerstörungen beurteilen und messen zu können.
Dazu wurde eine Stahlstange mit einer Masse von 1,15 kg und einem Durchmesser von 15 mm um einen Drehpunkt herum aus den Höhen 20, 75 und 150 mm auf die jeweilige Korpusecke fallen gelassen. Die Dellen, die sich dabei ergaben, wurden begutachtet und gemessen. Das Ergebnis war aufschlussreich: Sowohl bei der Korpus-Konstruktion auf Gehrung, als auch bei der stumpfen Korpusecke hat der Vollholz-Anleimer die Bildung von Dellen und Beulen begünstigt. Anders ausgedrückt: Die furnierte Spanplatte mit Furnierkante statt mit Vollholz-Anleimer, wies deutlich geringere Verformungen auf. Um verlässliche Aussagen treffen zu können, wurden die Tiefen der Dellen mit einem optoelektronischen Werkzeug-Vermessungsgerät ermittelt und in einer Tabelle zusammengefasst: Das Balkendiagramm zeigt, dass eine Kante mit Massivholz-Anleimer eine im Durchschnitt 50-bis 100-prozentige tiefere Delle aufweist, als eine furnierte Kante. Das Fazit der angehenden Techniker: Um eine (kantige!) Korpusecke vor Schäden durch Hausgeräte zu schützen, schadet es eher, Vollholz-Anleimer zu verwenden. Die Konstruktion mit Furnierkante, also mit druckfester, feiner Spanplatten-Deckschicht direkt unter dem Furnier ist erheblich weniger empfindlich. Auch der Vorwand, dass eine einmal entstandene Delle mit einem Vollholz-Anleimer als Untergrund, besser zu reparieren sei, dürfte bei heutigen Reparaturmöglichkeiten sicher der Vergangenheit angehören, meinen Johannes Dreber und Florian Schürmann. So bleibt festzuhalten: Vollholz-Anleimer bei eckigen Korpuskanten lohnen den Aufwand nicht, denn mit einer Furnierkante sind die Schäden durch mechanische Belastung deutlich geringer. Das könnte vielleicht in Zukunft auch die Meisterprüfungs-Kommissionen überzeugen.
Hermann Sielaff
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