1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite » Allgemein »

Der Ausbildungsbeginn gleicht einem Kulturschock

Jugendliche brauchen Führung, Orientierung und viel Geduld
Der Ausbildungsbeginn gleicht einem Kulturschock

Aller Anfang ist schwer. „Die neuen Auszubildenden knabbern häufig an der körperlichen und zeitlichen Umstellung“, weiß Schreinermeister Marcus Brenner. Längere Arbeitszeiten, fehlende Ferien, Pünktlichkeit, Höflichkeit: Es gibt vieles, worüber die Lehrlinge stolpern können. Hier ist ein guter Kontakt zum Ausbilder wichtig, der oft genug viel Fingerspitzengefühl haben muss.

In den vergangenen 40 Jahren hatte das kleine Brenner Einrichtungshaus+Schreinerei mindestens einen Lehrling in der Werkstatt. Obwohl das Unternehmen im baden-württembergischen Bad Boll vor allem leichte und feine Schreinerarbeiten machen, ist doch mal eine schwere Schranktür zu tragen. Aber vor allem das andauernde Stehen erfordert Ausdauer. Daran kann sich der heute 34-jährige Marcus Brenner selbst noch gut erinnern.

Auch die zeitlichen Veränderungen von Schule zu Beruf fallen den Jugendlichen oft schwer. „Der Ausbildungsbeginn gleicht einem Kulturschock“, sagt Hiltrud Treu, Sozialpädagogin des Plochinger Garp-Bildungszentrums, das für seine Mitgliedsbetriebe 160 Jugendliche in der einjährigen technischen Grundausbildung betreut und darüber hinaus weitere 65 Jugendliche, die in diesem Jahr keine Lehrstelle gefunden haben. Diese so genannte Projektausbildung finanziert die Agentur für Arbeit.
Frisch von der Schule sind allein die längeren Arbeitszeiten und die fehlenden Ferien ein schwieriger Schritt für die Jugendlichen, so ihre Erfahrung. Das bestätigt Brenner, wenn seine Azubis alle zwei Wochen für einen Tag in der Werkstatt arbeiten oder in den Ferien für einige Wochen am Stück da sind. „Da muss man ein wenig Geduld haben“, kommentiert der Design- schreiner, der in London erst einen Master of Arts machte, dann die Meisterschule in Freiburg absolvierte, ehe er 2002 den Familienbetrieb übernahm.
Die meisten Lehrlinge arbeiten sich über Praktika während den Ferien ins Team ein. „Natürlich müssen sich die Jugendlichen handwerklich geschickt anstellen“, sagt er, „aber viel wichtiger sind mir die soft skills, also die soziale Kompetenz.“ Deshalb hat der Chef das Gefühl, dass eher seine drei Gesellen über neue Azubis entscheiden als er: „Die wissen meist noch besser, wer motiviert ist etwas zu lernen, aufmerksam ist und mit Mitarbeitern und Kunden umgehen kann.“ Diese persönlichen Eigenschaften seien nur schwer zu lernen, dagegen müssen die Neuen bisher nicht mit Holz umgegangen sein. Koordination und geschickte Hände vorausgesetzt, sei das Schreiner-Handwerk wesentlich leichter zu erlernen.
Auch für Chef und Mitarbeiter sind neue Azubis oft eine Überraschung. Einen Lehrling, der mit dem Wort „Krankmeldung“ in die Tür gestürzt sei, hat die Garp-Mitarbeiterin kürzlich wieder raus geschickt. Erziehungsarbeit sei das, manchen Jugendlichen eine normale Begrüßung und vollständige Sätze beizubringen. Diese Unart dürften Ausbilder und Mitarbeiter allerdings nicht persönlich nehmen. Einige Jugendliche wüssten es nicht besser. „Die brauchen Grenzen und Orientierung“, sagt die Plochingerin, „da müssen Ausbilder klare Ansagen machen und sich Respekt verschaffen.“
Teamfähigkeit und Respekt will gelernt sein
Pünktlichkeit ist immer wieder ein Streitpunkt. Während in der Schule der Unterricht auch ohne den letzten Schüler anfängt, kann ein Arbeitsteam nicht mit einem Mann weniger losfahren. „Beim ersten Mal bekommen die Azubis noch eine scherzhafte Breitseite“, erzählt Brenner, „aber beim dritten Mal hintereinander gibt es richtig Ärger.“ Denn das habe etwas mit Teamfähigkeit und Respekt gegenüber den Kollegen zu tun. Schnell bekommen sie von den Gesellen keine verantwortlichen Tätigkeiten mehr zugeteilt. In der Regel kapieren das die Jugendlichen ruck zuck und stellen sich um.
Zu Beginn seiner Tätigkeit hatte Brenner aber einen unbelehrbaren Azubi: „Der hat zwar kapiert, dass das nicht geht, kam aber weiterhin zu spät.“ Viel zu gutgläubig sei er damals gewesen. Schließlich stellte er den Lehrling vor die Wahl: Entweder du erfüllst deine Pflichten oder bekommst unbezahlten Urlaub und machst deine Prüfung auf eigene Faust. „So einen Fall hatten weder mein Opa noch mein Vater“, sagt Brenner, „das würde ich heute sicher nicht nochmals mitmachen.“ Überraschenderweise schaffte der Jugendliche seine Prüfung obwohl ihm die weitere Betriebspraxis fehlte.
Konflikte müssen schnell gelöst werden
Mit zehn Mitarbeitern ist der Betrieb klein und übersichtlich. Deshalb hört der Chef sofort, falls was im Busch ist. Der schnelle und direkte Kontakt mit seinen Auszubildenden hilft dem Schwaben aufkeimende Konflikte und Schwierigkeiten – auch in der Schule – in kurzer Zeit aufzuspüren und zu beheben. Das ist grundlegend. Denn: Jeder fünfte Lehrling bricht seine Ausbildung ab. Das ist das Ergebnis einer Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung. Meist sind es die Auszubildenden, die kündigen. Während ein Drittel feststellt, dass sie den falschen Beruf gewählt haben, sind es für zwei Drittel die Bedingungen im Betrieb, die zum Abbruch der Ausbildung führen. Dahinter stecken vor allem persönliche Konflikte. Ärgerlich für beide Seiten. Der Betrieb investiert Geld und Arbeitszeit. Der Azubi setzt gar seine berufliche Zukunft aufs Spiel.
„Es ist wichtig, Jugendlichen regelmäßigen Kontakt anzubieten“, bestätigt Garp-Mitarbeiterin Treu. Sie wüssten oft nicht: Frage ich zu viel oder zu wenig? Der Kontakt zum Ausbilder wird oft als heikel empfunden, denn viele hätten regelrecht Angst, schließlich entscheidet er über Wohl und Wehe. Zwar kennt jede Ausbildungsgeneration das Anfangsgefühl: Ich bin klein, unwissend und verloren. Doch den Jugendlichen werde heute in dieser sensiblen Phase zu Hause immer seltener der Rücken gestärkt. „Das müssen verstärkt die Ausbildungsbetriebe leisten“, weiß Treu. Das Bildungszentrum empfiehlt deshalb Patenschaften zwischen den Neuen und Auszubildenden im zweiten oder dritten Lehrjahr. Unter Gleichaltrigen in einer vergleichbaren beruflichen Situation seien Gespräche wesentlich offener als mit dem Ausbildungsleiter selbst. Die größere Nähe zu den Azubis lohnt sich: In der Projektausbildung mit „schwierigen“ Jugendlichen brechen lediglich zehn Prozent die Ausbildung vorzeitig ab. Mindestens 95 Prozent schaffen laut eigenen Angaben den Abschluss und mehr als die Hälfte bekommt eine Folgeanstellung bei den Kooperationsbetrieben. Die Bilanz der Azubis von Garp-Mitgliedsunternehmen sieht vor allem bei der Übernahmequote von 98 Prozent im vergangenen Jahr nochmals deutlich besser aus.
Für ein Projekt komplett selbst verantwortlich
„In großen Unternehmen sind Patenschaften sicher sinnvoll, aber kleinere Betriebe pflegen einen ganz anderen Umgang“, so Brenner. Für die Jugendlichen sei dies auch neben dem Beruf eine ganz entscheidende Lebensphase, oft mit der ersten festen Beziehung oder dem Einzug in eigene vier Wände: „Die kommen als kleine, schmale 16-Jährige und gehen als gestandene Männer und Schreiner.“ Deshalb bekommen die jungen Männer nach der Hälfte ihrer Lehrzeit eigene Projekte, für die sie vom Zuschneiden bis zur Oberflächenbehandlung komplett verantwortlich sind. Weil die ausgelieferte Qualität stimmen muss, komme zwar mehr Kleinholz zustande, es dauere länger oder es gäbe gar zweite Versuche, aber für die Persönlichkeitsentwicklung sei das selbstständige Arbeiten entscheidend. Am Schluss dürfen sie die Kommode oder den Schrank selbst zum Auftraggeber bringen. Auch das hat für den Meister seinen Sinn: „Da bekommen sie Respekt von den Kunden entgegen gebracht und werden selbstbewusster.“ (Jens Gieseler). ■

Tipps von A wie Alkohol bis V wie Verantwortung

1429472

Der Umgang mit neuen Azubis

Sibylle Teschner begleitet seit sechs Jahren als Coach den Berufseinstieg von Jugendlichen. Die Göppingerin ist Ansprechpartnerin für Auszubildende und Ausbilder. Sie weiß, dass kritische Situationen während der Lehrzeit meist aus sieben Gründen entstehen.
  • 1. Alkohol: Kommen die Jugendlichen mit einer Fahne zur Arbeit, sollten Ausbilder sie sofort und gezielt darauf ansprechen, denn in vielen Berufen besteht ganz schlicht eine erhöhte Verletzungsgefahr. Betrieb und Azubis müssen geschützt werden.
  • 2. Fördern: Es ist wichtig, an die Auszubildenden zu glauben: Sie zu fordern und zu fördern. Dazu sollte das Positive ihrer Arbeitsergebnisse hervorgehoben und der nächste Lernschritt vereinbart werden.
  • 3. Montagsfehlen: Fehlt ein Azubi häufig am Montag, muss er lösungsorientiert angesprochen werden. Was ist zu tun, damit er am Anfang der Woche anwesend ist?
  • 4. Offenheit: Ausbilder müssen eine Vertrauensbasis schaffen, damit die Jugendlichen mit beruflichen und privaten Problemen zu ihnen kommen. Eltern werden dieser Rolle immer seltener gerecht.
  • 5. Orientierung: Die Auszubildenden kommen in eine völlig neue Situation. Es ist hilfreich, wenn Ausbilder und Mitarbeiter Strukturen geben, an denen sich die jungen Menschen orientieren können.
  • 6. Respekt: Manchen Jugendlichen fehlt der Respekt vor anderen Mitarbeitern. Sie vergreifen sich im Ton. Wer am Anfang zu lange beide Augen zudrückt, bekommt später kein Bein auf den Boden.
  • 7. Verantwortung: Die Jugendlichen wachsen, wenn sie Verantwortung übertragen bekommen. Und sei es zunächst die Sauberkeit der Werkstatt. Es bedarf einer klaren Anweisung, wie das Ergebnis aussehen soll und dass es kontrolliert wird.
Herstellerinformation
BM-Gewinnspiel
Herstellerinformation
BM-Titelstars
Herstellerinformation
Im Fokus: Vernetzte Werkstatt

Herstellerinformation
Im Fokus: Vakuumtechnik
Herstellerinformation
BM auf Social Media
BM-Themenseite: Innentüren
Im Fokus: Raumakustik
_6006813.jpg
Schallmessung in der Praxis: Michael Fuchs (r.) und Simon Holzer bei raumakustischen Messungen in einem Objekt (Friseursalon Max in Wallersdorf). Foto: Barbara Kohl, Kleine Fotowerkstatt
Im Fokus: Gestaltung
Alles bio? Nachhaltigkeit im Tischler- und Schreinerhandwerk

BM Bestellservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der BM Bestellservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin-Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum BM Bestellservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des BM Bestellservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de