Ein exotisches Praktikum

Bereits zum Ende seiner Tischlerlehre hatte Marc Prüfer sich über die Möglichkeiten informiert, als Geselle für eine begrenzte Zeit in einem Betrieb im Ausland zu arbeiten. Unterstützung erhielt er durch „Sesam“, einem europäischen Austauschprogramm, das jungen Gesellen und Gesellinnen die Chance bietet, Handwerkstechniken anderer Länder kennen zu lernen und sich Fremdsprachenkenntnisse anzueignen. Doch auch Eigeninitiative ist gefragt: „Meinen Gastbetrieb, das Atelier Wolf, habe ich über das Internet gefunden“, berichtet Prüfer. Zur Vorbereitung auf das Praktikum besuchte er dann noch einen Französisch-Sprachkurs, um seine Kenntnisse aufzufrischen. „Nachdem ich mich um das Flugticket und die nötigen Versicherungen gekümmert hatte und alle anderen Formalitäten erledigt waren, flog ich am 28. Juli 2006 von Frankfurt aus nach St.-Pierre im Süden der Insel.“

Vor Ort half ihm dann sein Gastarbeitgeber, Wolfgang Bültemeier, bei der Suche nach einer Unterkunft und einem Transportmittel. Prüfer kaufte einen alten Peugeot 205, Bültemeier war der offizielle Halter. Bültemeier, ein gebürtiger Hannoveraner, ist vor 20 Jahren nach Réunion ausgewandert und betreibt seitdem dort eine kleine Tischler-Werkstatt. Er war sehr angetan von seinem Praktikanten und würde jederzeit wieder einem deutschen Gesellen eine Stelle anbieten (wolf.atelier@wanadoo.fr).

Marc Prüfer war auf der Insel La Réunion vor allem von der außergewöhnlichen kulturellen Vielfalt beeindruckt. „Verschiedenste Glaubensrichtungen und Kulturen treffen hier aufeinander.“ Die Bevölkerung setzt sich aus Franzosen, Afrikanern, Indern und Chinesen zusammen, die seit mehreren Generationen dort leben.

„Wenn man aber bei einer tropischen Insel wie „La Réunion“ an lässiges Arbeiten und Siesta unter Palmen denkt, dann wird man von der Realität mit Sicherheit enttäuscht sein. Denn Réunion gehört zu Frankreich und hat eben auch französische beziehungsweise europäische Standards, wie zum Beispiel Bauvorschriften.“ Und: „Die Auftraggeber erwarten Pünktlichkeit und hohe Qualität.“ Der Arbeitsalltag brachte spannende Aufgaben mit sich: „Mein Praktikumsbetrieb „Atelier Wolf“ fertigte während meines Aufenthaltes die komplette Inneneinrichtung für ein 3-Sterne-Hotel und das Wohnhaus des Besitzers. Ich arbeitete während meines Aufenthaltes 40 Stunden pro Woche. Aufgrund von Lieferterminen war ich teilweise aber auch samstags und an Feiertagen im Einsatz. Eine Herausforderung waren auch die begrenzten Räumlichkeiten und der Maschinenpark, der sich auf Kombimaschinen beschränkte.“

„Es hat mich gefreut, dass ich meine Fähigkeiten im Ausland unter Beweis stellen konnte.“ Natürlich war er auch begeistert, Sprache und Kultur des Gastlandes kennen zu lernen. „Für mich ist die Teilnahme am Sesam-Praktikum eine absolut richtige Entscheidung gewesen, die mich beruflich und persönlich weiter gebracht hat.“ Deshalb empfiehlt er das Programm auch jedem jungen Gesellen. „Eine sorgfältige Planung ist allerdings Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung.“ Das bedeutet rechtzeitige Kontaktaufnahme mit der örtlichen Handwerkskammer, sowie die Suche nach einem geeigneten Gastbetrieb im Ausland. „Meine Beraterin bei der Handwerkskammer Kassel stand mir immer mit Rat und Tat zur Seite.“

Seit April diesen Jahres ist Marc Prüfer wieder in Deutschland und arbeitete im väterlichen Betrieb mit. Sein Vater, Hartmut Prüfer, ist Tischlermeister und Diplom Designer. Er leitet seit 25 Jahren die „Tischlerei Prüfer“ in Kassel. Für die Documenta in Kassel waren etliche Aufträge zu erledigen – Vitrinen, Schaukästen und Podeste, raumgestaltende Elemente in Kreisringform und Sitzmöbel.

Mittlerweile hat Prüfer in Berlin einen Studienplatz für „International Business“ an der dortigen FH für Wirtschaft bekommen. Der 4-jährige deutsch-britische Studiengang findet je zur Hälfte in Berlin und Cambridge statt. Nebenbei möchte er noch seine Sprachkenntnisse in Französisch und Spanisch vertiefen, um beruflich international tätig sein zu können. ■

Anbieter: Sequa-Stiftung für wirtschaftliche Entwicklung und berufliche Qualifizierung gGmbH

Teilnahmevoraussetzungen: für junge Handwerksgesellinnen und -gesellen sowie Handwerksmeisterinnen und -meister; Alter: ab 18 Jahre

Zielländer: alle EU-Länder

Ablauf: 1 Monat Sprachkurs im In- oder Ausland; berufsbezogene Tätigkeit in einem Betrieb oder Lehrgang in einer Weiterbildungseinrichtung; Dauer: insgesamt 32 Wochen

Finanzierung: austauschbezogene Kosten werden aus Mitteln der EU-Kommission im Rahmen des Leonardo da Vinci-Programms und privaten Mitteln bezuschusst

Anmeldung: Anträge können unter dem Stichwort „Sesam-Programm“ an die zuständige Handwerkskammer gestellt werden