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„Es wird eh gestrichen …“

Josua Konrad hat in Kanada viel mehr Dinge mit Klammern befestigt als jemals zuvor
„Es wird eh gestrichen …“

Cowboyhüte, so weit das Auge reicht: Das war der erste Eindruck, den ich hatte, als ich am Flug- hafen in Calgary im Westen von Kanada landete. Es war genau so, wie man es sich immer vorstellt. Kaum Autos unter zwei Tonnen, ein Vorgarten mit einer Größe von 10 000 000 m² und auch die Schreinerarbeiten hielten einige Überraschungen bereit …

Doch der Reihe nach: Mein Traum, ein Jahr lang ins Ausland zu gehen, entstand während meiner Ausbildung zum Schreinermeister in Karlsruhe an der Heinrich-Hübsch-Schule. Ich wollte endlich Englisch lernen und außerdem nicht mit 60 Jahren eines Morgens schweißgebadet aufwachen und feststellen, dass ich nichts von der Welt gesehen hatte.

Über mehrere Ecken bekam ich eine Telefonnummer von einem deutschen Schreinermeister, der im kanadischen Ort Okotoks bei Calgary arbeitet. Nach einem kurzen Telefonat sicherte er mir zu, dass ich erst einmal zwei Monate bei ihm arbeiten und auch auf der dazugehörigen Farm wohnen könne.
Schon am Tag nach meiner Ankunft begann ich, in dem Zwei-Mann-Betrieb zu arbeiten. Die Bandbreite der Schreinerarbeiten war groß: vom kompletten Innenausbau, mit dem Schwerpunkt Küchen, über Treppenbau bis hin zu Außenanlagen, wie Zäune und Terrassen.
Als deutscher Schreiner kam mir die Art des Möbelbaus anfangs äußerst befremdlich vor. Fast jede Verbindung bestand aus Leim und Nägeln. Ich habe dort in einer Woche mehr Klammern verschossen als in meinem gesamten Schreinerleben davor. Ein Türfutter mit Türblatt wog schätzungsweise zehn Kilo und wurde durch das Futter hindurch angeschossen. Eine Grundregel in Kanada lautet: „Es wird eh gestrichen …“ und „Wir streichen zweimal dick und einmal gar nicht.“ Und die Arbeit des Zwischenschliffs sparen sich die meisten sowieso.
Auch beim Treppenbau gelten andere Regeln als in unseren Landen: Die Nordamerikaner können keine Treppen mit freitragender Innenwange bauen. Stattdessen laufen bei einer gewendelten Treppe in der Biegung drei Stufen auf einen Punkt zusammen, an welchem die Last dann mittels eines Pfostens auf den Boden abgeführt wird.
Da Kanada reich an Wäldern ist, sollte man meinen, das meist verwendete Baumaterial sei Massivholz. Doch mitnichten. Das meist verwendete Baumaterial ist MDF. Die Preise für Holz sind recht hoch und da alles „eh gestrichen“ wird, sieht der „gemeine“ Kanadier keinen Sinn in dessen Verwendung. Auf den Punkt gebracht: Schnell. Günstig. Kurzlebig. So sind die meisten Dinge.
Interessant ist auch das Thema Umweltbewusstsein. Kanadier trennen ihren Kunststoff-Müll in sieben verschiedene Sorten, aber nahezu jeder zweite fährt einen benzinschluckenden Pick-up und die Fenster und Türen in den Häusern entsprechen einem Standard, der bei uns in Gartenlauben Verwendung finden würde. Und das bei 40 Grad minus im Winter. Ich habe ein Haus gesehen, das auf ein Meter hohen Stelzen stand, und weil der Besitzer manchmal kalte Füße bekam, hat er einfach unter das Haus im Freien 35 Heizkörper angeschraubt. Eine super Fußbodenheizung. Klar, gehen 95 Prozent der Wärme in die Botanik, aber dafür kann man sie ja höher aufdrehen. Energie sparen? Wahrscheinlich nie davon gehört.
Dafür ist Gastfreundschaft für die Kanadier beileibe kein Fremdwort: Ich wurde immer und überall sehr freundlich und mit offenen Armen empfangen. Anfangs war ich eher verwundert, wenn ich an der Supermarktkasse nach Befinden, Herkunft und Beruf befragt wurde. Ich nahm an, dass diese Fragen nicht ernst gemeint wären. Aber ich habe schnell gemerkt, dass der freundliche Umgang – ob echt oder gespielt – eine angenehme Atmosphäre schafft und dem alltäglichen Leben sehr zuträglich ist.
Insgesamt war ich ein Jahr lang in Kanada: Acht Monate habe ich in der Schreinerei gearbeitet. Vier Monate bin ich durch das Land gereist, habe als Cowboy auf einer Ranch gearbeitet und Rinder gebrandmarkt, habe Wanderungen, alleine und zu zweit, ins Backcountry zu Grizzly und Co. unternommen und bin mit einem sieben Meter langen Wohnmobil durch das Land gefahren. Die Reise mit dem Wohnmobil war die Gegenleistung für den Bau eines Gartenzauns. Alles in allem: Ein Jahr Lebenserfahrung, das mich in meinem Denken und Verständnis weit voran gebracht hat und auch mein Leben in Deutschland stark beeinflusst. Meine Sicht auf mein Heimatland hat sich während des einen Jahres grundlegend geändert. Mir wurde bewusst, welch enorme Vorteile es hat, in Deutschland zu leben. Alleine meine Schreinerausbildung war dort schon bares Geld wert.
Mein Englisch allerdings – um auf mein ursprüngliches Ziel zurückzukommen – hätte nach dem einen Jahr besser sein können. Aber ich habe gelernt, dass eine offene, vorurteilsfreie und freundliche Art viel wichtiger ist, als die richtigen Vokabeln und eine korrekte Grammatik. Denn: Wer mit einem Lächeln auf den anderen zugeht, kommt meistens ans Ziel. ■
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