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Mehr als Gaudi

10. Tischlerinnen-Treffen
Mehr als Gaudi

“Aah, Ihr geht’s wohl auch auf diese Schulung”, meint der Schaffner und mustert Ulrike und mich neugierig, als wir auf den unkrautbewachsenen Bahnsteig springen. Ich schaue Ulrike an, Ulrike schaut mich an, wir ziehen die Stirn in Falten: “Ja, ja, hmm, Schulung . . . doch. . . könnte man es nennen.” Ein wenig amüsiert wenden wir uns ab. Wir sind auf dem Weg zum Tischlerinnen-Treffen.

Später in der Küche des Tagungshauses fragt der Zivi in breitestem Oberbayrisch: “Was macht’s denn eigentlich hier? Seid’s einfach zur Gaudi doo??” “Ja klar, die werden wir bestimmt auch haben”, sage ich und nehme ihm die Milch aus der Hand.

Über 80 Frauen sind zum 10. Tischlerinnen-Treffen am Chiemsee vorbei an den Fuß der Alpen gereist. Sie kommen aus Flensburg, Bremen, Mecklenburg, Dresden, Berlin, Kassel, Heidelberg, sie kommen vom Land und aus der Stadt, es sind Meisterinnen, Gesellinnen, Azubis.
“Es ist immer wieder interessant zu hören, was diese oder jene jetzt gerade macht”, hatte Uli schon im Zug zu mir gesagt. Die Schreinergesellin aus Basel ist jetzt das fünfte Mal dabei. Sie selbst arbeitet zur Zeit im Messebau. “Die Arbeit ist o.k.”, sagt sie, “aber so kreativ, wie es allgemein immer heißt, ist die Arbeit natürlich nicht; als Gesellin ist man doch einfach nur Ausführende.” Noch ein Jahr, dann geht sie auf die Akademie für Gestaltung nach Aachen.
Ganz verschiedene Lebensläufe
Die Lebensläufe der Frauen sind nicht immer geradlinig. Und doch scheint sich mit den Jahren einiges geändert zu haben: Beim ersten Tischlerinnen-Treffen war die einzige anwesende Meisterin noch etwas Besonderes. Heute ist vieles selbstverständlicher. Einige Meisterinnen sind schon seit Jahren selbständig: Conny hat eine Gesellin angestellt, streitet mit der Gewerbeschule, weil sie es unpraktisch findet, daß die Auszubildende am Mittwoch zur Schule muß. Karin hat den Betrieb von ihrem Vater übernommen, mit dem Altgesellen ist es etwas schwierig: “Der denkt gar nicht mit”, klagt sie. Aber das eine Jahr bis zur Rente will sie ihn halten. “Dafür kennt er sich aus.” – Alltagssorgen. Für Susanne, alleinerziehende Mutter, wird jetzt vieles einfacher, wenn ihr vierjähriges Töchterchen in den Kindergarten kommt. “Da kann ich einfach länger am Ball bleiben, konzentrierter arbeiten.”
Der Austausch war und ist immer noch wichtig. Schließlich ist “man” oft die einzige Frau in der Werkstatt. Eine spezielle Situation und oft nicht einfach. Schön, wenn frau mal darüber reden kann – ganz ohne Männer. Nein, abschotten wolle man sich nicht, aber einmal im Jahr dürfe es schon heißen: Ladies only!
Die Erfahrungen sind unterschiedlich. Birte aus Mecklenburg ist in der Ausbildung die einzige Frau unter 70 Männern. “Das ist nichts für Frauen”, hat sie sich fast täglich anhören müssen. Da hat es Manuela besser: In ihrer Klasse reden die sieben Jungen nur im Flüsterton über Spoiler, tiefergelegte Autos und den schnellsten Weg zum Autoteilezubehör.
Fixe Tippelei
Zwischendurch beäuge ich immer mal wieder neugierig, vielleicht auch ein wenig neidisch (“toll, so’n freies Leben”), die fahrenden Gesellinnen: Die eine trägt Melone, die andere Schlapphut, die dritte beige Weste und Rock. Warum tragen nicht alle die gleiche Kluft? Was habt Ihr in Eurem Bündel? Was für Regeln gibt es? Und schließlich: Wie kommt man eigentlich zur wandernden Zunft?Es sind immer wieder die gleichen Fragen und besonders redselig scheinen die tippelnden Frauen nicht zu sein. Um die Fragerei abzukürzen, gibt es abends eine offizielle Runde. Aber es bleibt ein Hauch von Geheimnis. Auch wenn jetzt alle wissen, daß nur wenige der Schächte Frauen aufnehmen, es aber auch Freireisende gibt, was es mit der Bannmeile auf sich hat, daß für’s Fahren kein Geld ausgegeben werden sollte und die Zahnbürste in der Hosentasche steckt. Und außerdem: “Wie oft soll ich es noch sagen, jede von uns ist anders”, sagt Ariane und läßt ihr Strickzeug sinken. Ich ziehe meinen Kopf ein … o.k, o.k, vielleicht sind nur die sechs Anwesenden nicht so redselig. “Und für wen strickst Du die Socken?” “Für den Winter, die, die es zu kaufen gibt, sind zu dünn und gehen zu schnell kaputt.”
“Früher haben mich Sachen aufgeregt …”
Schon beim 1. Treffen 1991 waren 60 Frauen dabei. Zwar soll es damals “irgendwie ein Jammerquark, nach dem Motto ,Wir haben es ja so schwer'” gewesen sein, meint Ulrike, die dabei war, und verzieht das Gesicht. Aber “kuscheliger” sei es auch gewesen. Heute ist viel fachlicher Austausch dazu gekommen: Ist Frau auf der Baustelle mit der “Erika” oder mit einer Handkreissäge und Führungsschiene besser bedient? Aber die Anekdoten über Meister und andere Männer gibt es genauso immer noch. Sabine erzählt: “War ich doch mal mit einer Auszubildenden auf ‘ner Baustelle. Und mit uns eine Zimmerfrau und dann noch die Architektin. Da geht die Tür auf, ein Mann kommt rein, guckt sich um, sieht uns alle und fragt: ,Sagt mal, ist denn gar keiner hier?'” Die Umstehenden prusten los … Frauen in Männerberufen … solche Situationen kennt jede aus eigener Erfahrung. “Früher haben mich Sachen aufgeregt, die sind mir heute völlig egal”, sagt Silja aus Berlin.
Ein dickes Lob
Hinter uns fängt es an zu rumoren. Gisi, eine der fünf Frauen vom “Orgateam”, schiebt die Trennwand beiseite, um den Saal für den Abend herzurichten. Das Treffen wird immer noch ehrenamtlich organisiert, da hat sich mit den Jahren nichts geändert. “Nein, einen Verein gründen wir nicht, dann fängt’s an, schwierig und eng zu werden”, da sind sich die Frauen einig. Trotzdem stimmt eigentlich alles: Ein dickes Lob an das Orgateam! Monate vorher mußten Gelder aufgetrieben, Firmen angeschrieben, Telefonate geführt, Referentinnen verpflichtet werden und nicht zuletzt mußten natürlich die Frauen auf das Treffen aufmerksam gemacht werden. Daß die Brötchen morgens pappig sind und eine der Referentinnen ausfällt, weil sie in einen Verkehrsunfall verwickelt worden ist “Da steckst du nicht drin!”
Als es am ersten Abend heißt, Ring frei zum Listeneintrag für die Kurse, an denen nur 12 oder 14 teilnehmen können, jammert manche: “Ich kann mich gar nicht entscheiden.” Zur Auswahl stehen Möbelfotografie, Freihandzeichnen, Zeitmanagement, Werkzeugpflege, Erste Hilfe, Holzbildhauerei, Tischlerinnen-Lieder, Erfahrungsaustausch zu Kalkulation und Angebot, Kalkulation am Computer, Waldbegehung. Die beiden Tage sind ausgefüllt, für jeden Geschmack, jeden Elan und jede Wissenslücke ist etwas dabei.
“Meine sehr verehrten Damen und Damen!”, eröffnet Petra Förster den Freitagabend. Das Programm der professionellen Kabarettistin “Mit den Waffeln einer Frau” ist gut, die Frauen jubeln ihr zu, eine Zugabe gibt es jedoch nicht: “Ich habe alles gegeben”, sagt sie.
Etwas Glück gehört dazu
Auf den Samstagabend warten alle gespannt: Eine Überraschung hat das bayrische Orgateam versprochen und ein Raunen geht durch die Menge als die fünf mit ernsten Gesichtern, Lederhosen und Ziehharmonika auf der Bühne stehen. “Oh, jaaa… ein Schuhplattler!” Alles lacht und freut sich und, “do schaug hii”, ein paar schunkeln sogar mit. Für die große Tombola anschließend werden dann die Hälse gereckt und die Ohren gespitzt. Viele namhafte Firmen hatten Preise zur Verfügung gestellt. Und einen Akkuschrauber, einen Satz Forstnerbohrer oder japanische Handsägen kann eigentlich jede gut gebrauchen. Da klopfen die Herzen schneller. Das Glück ist nicht jeder hold, aber das Glück einer anderen wird mit wohlwollendem Grinsen quittiert.
(Tischlerinnen-Treffen 2000: Sabine Zöller, Kaiserstraße 53, 69115 Heidelberg)
Regina Adamczak
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