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. . . nach Maß

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. . . nach Maß

Im September 1996 veröffentlichte der damalige Präsident der Handwerkskammer Aachen und heutige Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Dieter Philipp, seine „Denkanstöße zur Flexibilisierung des dualen Systems der Berufsausbildung“. Dieter Philipp, der am Gesellen- und Meisterbrief festhalten will, plädiert für eine „Ausbildung nach Maß“, bei der die traditionelle Lehre in vier Ausbildungsstufen untergliedert wird. Welche Konsequenzen dies für das Tischlerhandwerk hätte, erläutert Dr. Rudolf Luers, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes HKH in diesem Beitrag.

Von Dr. Rudolf Luers, Wiesbaden

1. Problemstellung
Ausgangspunkt der Überlegungen von Dieter Philipp waren:
• die Starrheit bzw. mangelnde Elastizität dieses Systems, das auf Änderungen im beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld der Berufsausbildung zu spät reagiere und
• den technischen Fortschritt nicht oder verspätet nachvollziehe
• die Konzentration handwerklich-mittelständischer Betriebe auf Kernfelder ihrer Tätigkeit, mit der Folge, daß breite Qualifikationen immer weniger abgerufen werden, dafür aber Spezialisierungen • höhere theoretische Anforderungen in der Berufsausbildung als Folge wachsender beruflicher Anforderungen
• fehlende Eingangsvoraussetzungen für eine Berufsausbildung insbesondere bei den Abgängern aus Haupt- und Realschulen, was durch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft empirisch bestätigt wird.
Danach
• verlassen jährlich mindestens 30 000 junge Menschen die Schulen ohne ausreichende Grundkenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen
• muß die Bundesanstalt für Arbeit jährlich etwa 500 Mio. DM aufwenden, um junge Menschen zur Berufsreife zu führen und
• rund 100 000 junge Menschen bleiben jährlich ganz ohne Bildungsabschluß.
Gleichzeitig ist aber der Drang nach höherwertigen Bildungsabschlüssen, wie dem Abitur und einem Studienabschluß, ungebrochen.
Vor diesem Hintergrund plädiert Philipp für eine „Ausbildung nach Maß“, bei der die traditionelle Lehre in vier Ausbildungsstufen untergliedert wird. Dabei können Anteile der sogenannten Grundstufe je nach Vorkenntnissen entfallen, um den unterschiedlichen Problemstellung
• Systemmängel
• Konzentration auf Kern-
felder
• gestiegene Anforderungen
• fehlende Eingangsvoraus-
setzung
á Folge:
  • 30 000 Schulabgänger/Jahr mit mangelhaften Grundkenntnissen
  • 500 Mio. DM Aufwand seitens der Bundesanstalt für Arbeit
Rund 100 000 junge Menschen/Jahr ohne Bildungs-abschluß
schulischen Eingangsvoraussetzungen Rechnung zu tragen.
Gleichzeitig will Philipp am Gesellen- und Meisterbrief festhalten. Doch soll zusätzlich ein „Kleiner Gesellenbrief“ mit einem abgespeckten Theorieanteil eingeführt werden, der durch eine Art Facharbeiterprüfung nach etwa 2/3 der Ausbildung erworben werden könnte. Dieser „Kleine Gesellenbrief“ gebe vor allem Hauptschülern eine Chance, deren Begabung eher praktischer denn theoretischer Natur sei.
Die herkömmliche Berufsausbildung soll aber nicht nur nach unten, sondern auch nach oben erweitert werden. So könnten Abiturienten und Studienabbrecher, deren Quoten laut Bundesbildungsministerium inzwischen je nach Fachrichtung zwischen 30 und 70 % liegen, z. B. schon während der Lehre zu Betriebsassistenten qualifiziert werden, um auf diese Weise zielgerichtet eine Führungsposition anzupeilen. Dabei sollen Handwerksmeister auch künftig studieren können, doch auch Hochschulabsolventen sollten stärker ins Handwerk gelockt werden.
Es kam zum Eklat
Die Überlegungen Philipps entfachten eine breite öffentliche Diskussion, ohne jedoch seine differenzierten Überlegungen angemessen zu würdigen. Die Ursache lag in der eindeutigen Fehlinterpretation einer Pressemitteilung des BMBF, mit der der damalige Minister Rüttgers die Einführung eines „Kleinen Gesellenbriefs“ begrüßt. DPA Bonn verbreitete daraufhin unter der Überschrift: „Der ,Kleine Gesellenbrief’ ist da – Zertifikat für Abbrecher“ die Meldung, daß derjenige, der seine Lehre abbricht oder die Prüfung nicht besteht, den Kleinen Gesellenbrief erhalten solle.
Die Bild-Zeitung kommentierte dies wie folgt:
Wer früher seine Lehre abbrach oder durch die Prüfung sauste, bekam zum Abschied einen Händedruck. Manchmal auch ein paar hinter die Ohren. Diese Zeiten sind vorbei. Ab sofort, so setzte Bildungsminister Rüttgers durch, erhält jeder Auszubildende, der seine Lehre nicht zu Ende macht, einen „kleinen Gesellenbrief“. Damit sollen erbrachte Leistungen bestätigt werden. Seit wann wird Nicht-Leistung belohnt? Vielleicht kriegt bald auch einer, der gar nicht zur Lehre antritt, ein Zertifikat – den „ganz kleinen Gesellenbrief“.
Damit war der Eklat da. Auch der BHKH veröffentlichte eine Stellungnahme mit der eindeutigen Ablehnung dieses Vorhabens, allerdings ohne nochmals die Überlegungen Philipps genauer nachzuprüfen, wobei vielleicht entschuldigend angemerkt werden könnte, daß zwischen der Veröffentlichung der Überlegungen Philipps und dem Aufruhr in der Presse im Frühjahr 1998 etwa eineinhalb Jahre lagen. Inzwischen ist die Diskussion abgeflaut, das Problem freilich nicht gelöst.
Dieser Aufsatz soll daher vorrangig dazu dienen
  • 1. die Diskussion in unserem Handwerk für eine differenzierte Ausbildung zu eröffnen und
  • 2. dazu die vorliegenden Denkanstöße einer Ausbildung nach Maß zu ordnen, kritisch zu sichten und zu würdigen, sowie schließlich
  • 3. den Weg zu notwendigen Differenzierungsentschei-dungen beruflicher Ausbildungswege im Tischler- und Schreinerhandwerk ebnen helfen.
Dieser Weg ist steinig und lang. Schnelle Ergebnisse sind nicht zu erwarten. Auf die Gremien des Bundesverbandes, die gerade in herausragender Weise die Ausbildungsordnung modernisiert haben, kommt sehr viel Arbeit zu, denn es handelt sich nicht um ein streng abgegrenztes Problem, sondern um die Erarbeitung eines kompletten Systems. Dabei wird Abschied von manchen liebgewordenen Vorstellungen der Ausbildung im dualen System genommen werden müssen. Es werden aber auch neue Perspektiven eröffnet, die letztlich der Durchsetzungsfähigkeit unserer Betriebe im Wettbewerb auf den Märkten entscheidend helfen werden.
Es geht dabei nicht um die Verteidigung des Althergebrachten, des Bewährten. Es geht aber vor allem um die Zukunftssicherung unserer Betriebe und der in ihnen angebotenen Arbeitsplätze. Diese Anstrengung wird nicht gemeistert werden, wenn die Ausschüsse und Arbeitskreise nur auf Bundesebene die Arbeit leisten sollen. Es ist erforderlich, daß die den Bundesverband tragenden Verbände dieses Vorhaben aktiv unterstützen. Duale Berufsbildung und Berufsausbildung findet nicht im luftleeren Raum statt. Erfolgsvoraussetzung ist ihre Verwertbarkeit in den Betrieben.
2. Begründungen für eine differenzierte Ausbildung
Wer Dinge verändern möchte, benötigt hierzu eine Begründung. Allgemein hat dies Präsident Philipp geleistet mit seinen Anmerkungen zur Leistungsfähigkeit und Zukunftsorientiertheit des dualen Systems der Berufsausbildung. Die Begründung für einen Ansatz zu differenzierten Ausbildungsmöglichkeiten im Tischlerhandwerk steht freilich aus. Es sind vor allem die soziale Verantwortung des Tischlerhandwerks, zum zweiten der Zusammenhang von Differenzierung, Ausbildung und Kosten sowie schließlich die europäische Dimension auch nationaler Ausbildungssysteme, die ein derartiges Vorhaben fundieren.
a) Die soziale Verantwortung des Tischlerhandwerks
Das Tischlerhandwerk ist nicht nur einer der Hauptausbilder im produzierenden Handwerk mit über 43 000 Lehrlingen, sondern es hat vor allem eine überaus anerkannte Breitenausbildung zu bieten, die über die Werkstoffkunde, die Technik, die Gestaltung, der Umweltverträglichkeit seines Rohstoffes bis hin zur Montage eine Vielzahl beruflicher Perspektiven eröffnet. Dies geschieht auf einem Markt, auf dem jährlich einschließlich der holzverarbeitenden Industrie etwa 100 Mrd. DM von ca. 600 000 Beschäftigten erwirtschaftet werden. Abgesehen davon finden Absolventen einer Tischlerlehre gerade wegen der Einzigartigkeit der in dem Berufsbild konzentrierten Qualifikationsvielfalt auch in anderen Branchen leicht ein Aus- und Unterkommen. Schließlich sei auch daran erinnert, daß im Tischlerhandwerk relativ zu den produzierenden Handwerken überproportional viele Mädchen ausgebildet werden, die Schulabschlüsse in der Regel über dem Durchschnitt liegen und der Lehrabschluß gerne auch als Vorstufe für ein darauf aufbauendes Studium genommen wird. Der hohe Anspruch, den dieser Beruf stellt, ist damit auch Verpflichtung, sich notwendigen Reformen des dualen Systems nicht zu verschließen.
Dabei haben aber nicht nur die Betriebe soziale Verantwortung zu übernehmen. Dies gilt in gleichem Maße für die Beschäftigten selbst. Es sollte anerkannt werden, und hier sind die Gewerkschaften gefragt, dies ihren Arbeitnehmern beizubringen, daß sich die Lebens- und Arbeitswelt der Beschäftigten ändern wird bzw. schon geändert hat. Festgefügte und festgeschriebene Berufsbilder, Beschäftigungs-, Laufbahn- und Entlohnungsschemata werden bald der Vergangenheit angehören. Sie haben ihre Zukunft hinter sich. Das überkommene Muster von Ausbildung – Arbeit – Ruhestand wird ersetzt werden durch das „Tätigkeitenportfolio“ (Peter Gross), das aus verschiedenen Tätigkeiten in der Erwerbsphase, aber auch aus Nichterwerbsphasen bestehen kann. Ein deregulierter Arbeitsmarkt wird den Einzelnen stärker fordern. Er muß erkennen können, wo seine Chancen liegen und wie er sie nutzen kann, was auch bedeuten kann, im Laufe eines Lebens mehrere, vielleicht auch artverwandte Qualifikationen zu erwerben, wo eine breite Qualifikation auf der Folie eines differenzierten und spezialisierten Produktionsapparats weder angeboten noch bezahlt werden kann.
Am Arbeitsmarkt lautete bisher das Glaubensbekenntnis, daß nur eine breit angelegte Ausbildung gegen die Risiken des Arbeitsmarktes Sicherung biete. Ich glaube, daß diese These überholt ist. Trotz breit angelegter Ausbildungsgänge haben wir an die vier Mio. Arbeitslose. Die Ausbildung allein ist es nicht. Es sind auch allgemeine Faktoren wie etwa Flexibilität und Mobilität, die eine gewisse Absicherung gegen die Risiken dynamisch sich entwickelnder Märkte bieten.
Es gibt ca. 400 bis 500 geregelte Ausbildungsgänge in Deutschland, aber über 22 000 Nennungen im statistischen Verzeichnis der Berufe. Auch atomisierte Qualifikationen bieten heute Chancen, wie z. B. Tätigkeiten im Bereich der Telekommunikation in den sogenannten Call Center beweisen. Was also vermag eine breite Ausbildung zu nützen, wenn diese – aus Kostengründen – nicht mehr nachgefragt wird?
b) Differenzierte Ausbildung und Kosten
Mit der Erzeugung und Nutzung breiter Qualifikationen bzw. Berufsausbildungen sind erhebliche Kosten verbunden. Die Betriebe laufen dabei sogar in eine doppelte Kostenfalle. Zum einen wird zunächst mit hohen Kosten eine breite Ausbildung erzeugt. Zum anderen wird dann aber diese breite Ausbildung gar nicht genutzt. Nun mag man einwenden, daß breit ausgebildete Gesellen überall, auch außerhalb des eigenen Betriebs einsetzbar sind, was immerhin der sozialen Verantwortung des Tischler- und Schreinerhandwerks gerecht werde. Doch ist dies Argument nicht haltbar, denn hier wird mit privaten Investitionen nicht etwa privater, sondern öffentlicher Nutzen erzeugt, was betriebswirtschaftlich widersinnig ist, denn der Nutzen kommt nicht dem Investor zugute. Die Unternehmen finanzieren eine Ausbildung, die in der betrieblichen Praxis nur noch bedingt anwendbar ist. Dieses betriebswirtschaftlich widersinnige Verhalten läßt die Klage über zu hohe Ausbildungskosten z. T. unglaubwürdig erscheinen, sobald sich andere Lösungen anbieten.
Die Frage ist freilich, ob eine verschlankte Ausbildung einsetzbar erscheint. Einerseits scheint es, als habe sich die Ausdifferenzierung von Märkten und Produkten intensiviert. Man könnte auch sagen, daß die Spezialisierung der Betriebe zugenommen hat. Wohl kaum ein Betrieb bietet noch die ganze Palette an Tischlereiprodukten an, und wo dies geschieht, ist die Frage, ob dieser Betrieb gegenüber einer spezialisierten Konkurrenz bestehen kann. Dies können auf jeden Fall hochspezialisierte Betriebe, sei es im Fensterbau, im Treppenbau, in den Fachsparten des Innenausbaus, wie etwa der Küchen- und Badmöbelproduktion, dem Ladenbau, dem Messebau, der Einrichtung von Praxen und Kanzleien usw. Andererseits wird dieser Trend durch moderne Halbzeuge der Holzwerkstoffindustrie gestützt, die in der Lage ist, vorgefertigte, oberflächengestaltete Elemente millimetergenau und vorgebohrt just in time an die Baustellen zu liefern, sodaß bald nur noch die Montage notwendig erscheint. Dies mag dem Ethos eines individuellen Innenausbaus zuwiderlaufen, aber die Märkte fragen nicht nach Moral. Sie fragen nach Preisen und Kosten als den zentralen Lenkungsinstrumenten der Marktwirtschaft.
Handwerksbetriebe (ebenso wie andere Betriebe) werden es sich in der Zukunft nicht leisten können, allgemeinen Nutzen mit privaten Investitionen zu erzeugen. Sie werden es sich auch nicht leisten können, quasi auf Vorrat Qualifikationen zu erzeugen, die nicht abgerufen werden. Und sie werden es sich aus Kostengründen nicht leisten können, breit angelegte Fähigkeiten für die Montage einzusetzen. Dieses Verhalten kann die Betriebe teuer zu stehen kommen, und es kommt teuer zu stehen.
Dies gilt auch für spezialisierte Produktionsbereiche. In BM 11/98 hat ein Ausbildungsmeister die These vertreten, daß es heute nicht mehr „den“ Schreinerbetrieb gebe, sondern eine Vielzahl weitgediehener Spezialisierungen. Er wirft u. a. die Frage auf, wie ein Fensterbaubetrieb praktische Kenntnisse im Effektlackieren von Möbeln vermitteln wolle und weist daraufhin, daß schon heute die betriebliche Praxis es vielfach nicht mehr erlaube, die breiten Kenntnisse der neuen Ausbildungsordnung zu vermitteln. Zwischen den anfallenden Arbeiten, mit denen der Betrieb Geld verdient, und dem, was einem Lehrling zu vermitteln sei, klaffe eine Lücke, die letztendlich dazu führe, daß der Ausbildungsplan nicht mehr eingehalten werde.
Nochmals sei auch die Montage erwähnt. Es ist betriebswirtschaftlich unsinnig, hochqualifizierte Kräfte für Teilarbeiten einzusetzen. Immer wieder trifft man Betriebe, die ausgestorben scheinen, wenn alle Gesellen auf den Baustellen sind. Der Hinweis, daß die Maschinenstandzeiten hohe Kapitalkosten erzeugen, wird akzeptiert. Aber die Betriebsorganisation ist eben noch nicht so weit, heißt es dann. Im Innenausbau hört man das Gegenargument, daß der Einbau nur durch diejenigen vorgenommen werden könnten, die die Teile auch gefertigt hätten, weil man nur so wissen könne, was wo hingehört. Dies erscheint nicht nachvollziehbar, denn auch hier handelt es sich zunächst um ein organisatorisches Problem, das lösbar sein müßte.
Eine ganze Reihe von Betrieben ist nicht mehr in der Lage, das gesamte Berufsbild auszubilden. Trotzdem brauchen diese Betriebe Nachwuchs. Also werden Lehrlinge ausgebildet, wie auch immer. Die überbetriebliche Unterweisung kann hier auch nicht Abhilfe schaffen. Sie ist als Krücke gedacht, und es ist doch wohl eine Binsenweisheit, daß man auf seinen eigenen Beinen immer besser zu stehen und zu gehen vermag, als mit jeder noch so ausgeklügelten Gehhilfe. Eine differenzierte Berufsausbildung kann hier Abhilfe schaffen, so daß die eigenen Beine wieder zu gebrauchen sind.
c) Differenzierte Ausbildung in Europa
Eine differenzierte Ausbildung nach Maß hätte auch in Europa Bestand. Die UEAPME, die Europäische Union des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe, hat im Juni 1998 Eckwerte einer Lehrlingsausbildung in Europa verabschiedet, die in ihrem Kern vom ZDH unter der Federführung von Herrn Spelberg entstanden sind. Hier sei nur der Leitsatz Nr. 10 erwähnt, wonach es eine Bandbreite an Ausbildungsberufen für Lernschwache bis hin zu Hochbegabten geben muß.
Die differenzierte Ausbildung dient damit der Zukunftssicherung der Betriebe.
3. Modelle
Es stellt sich nun die Frage, welche Modelle für eine differenzierte Ausbildung bereits existieren. Schon vorab läßt sich sagen, daß unser Handwerk dabei nicht gerade an der Spitze der Bewegung steht. Andererseits ist die Diskussion um derartige Modelle freilich auch von einer Begriffsverwirrung geprägt, die es nicht leicht macht, derartige Modelle und Vorstellungen klar zu entwickeln.
a) Vorschläge im Handwerk
Der ZDH hat „Überlegungen für ganzheitliche Strukturen“ vorgelegt. Danach wird der eigentlichen Gesellenebene mit Ausbildungszeiten von 3 bis 3,5 Jahren eine Ebene mit Ausbildungszeiten von 2 bis 2,5 Jahren vorgelagert, von der der Durchstieg auf die Gesellenebene möglich bleibt.
Im Zweiradmechanikerhandwerk könnte der „Fahrradhandelmechaniker“, im Kfz-Handwerk die „Fachkraft für Fahrzeugverwertung bzw. Blech-/ Oberflächeninstandsetzungsarbeiten“ eingeführt werden. Bei den Zentralheizungs- und Lüftungsbauern usw. wäre eine Fachkraft für Rohrverbindungen/Rohrverlegungen, bei den Metallbauern die Fachkraft für Werkstoffverarbeitung und Montagetechnik möglich. Für das Tischlerhandwerk wurde die Fachkraft für Küchen- und Möbelmontage vorgeschlagen.
Oberhalb der Gesellenebene und damit zwischen Gesellen- und Meisterbrief als Fortbildung/Spezialisierung angesiedelt, gibt es im Kfz-Handwerk den Servicetechniker bereits, und soweit bekannt, mit gutem Erfolg. Für die anderen genannten Berufe existieren Vorschläge einer Ausbildung zum Kundendienstmonteur (Z/L), zum Sicherheitstechniker (Metallbauer) und zum Steuerungsfachmann (Feinwerktechnik). Für das Tischlerhandwerk existiert als Arbeitsbegriff der Sicherheitsfachmann.
b) Vorschläge in der Industrie
Im Bereich der Industrie wurden folgende Vorschläge unterhalb eines normalen Lehrabschlusses für neue Berufe unterbreitet, wobei nur diejenigen Vorschläge aufgeführt sind, die das Tischlerhandwerk berühren:
• Bauwerksabdichter
• Fachkraft für Küchen- und Möbelmontage
• Recycling-Fachkraft
• Bodenleger
• Fachkraft für Veranstaltungstechnik
• Holz- und Bautenschützer
• Kunststoffbauer
• Kunststoff-Fensterbauer.
Die Vorschläge der Industrie machen deutlich, daß über Ausbildungsgänge auch Märkte besetzt werden. Mit anderen Worten: Werden diese Berufe in der Industrie zugelassen, so erwächst dem Tischlerhandwerk im Bereich seiner Kernkompetenz erhebliche Konkurrenz.
4. Ausbildung nach Maß im Tischlerhandwerk
Die bisher gegebene Darstellung macht deutlich, daß es stichhaltige Begründungen für eine Ausbildung nach Maß auch für das Tischlerhandwerk gibt. Im Vordergrund dürften dabei der Kostenaspekt und der Verlust von Märkten stehen. Die Frage ist nun, wie diese angelegt sein könnte.
Dabei müssen die bisher vorgelegten Vorschläge kritisch bewertet werden. Es ist eine für die Neukonstruktion von Berufen unterhalb der Gesellenebene gefährliche Begriffsverwirrung erkennbar. Diese entsteht dadurch, daß die vorgeschlagenen Modelle von zwei unterschiedlichen Standpunkten aus unterbreitet werden, die aber nicht klar herausgestellt werden. Die eine Gruppe hat das Individuum, den Menschen, im Zentrum seiner Überlegungen. Hierzu zählt der Vorschlag des ZDH-Präsidenten Philipp. Hier steht die Reaktion auf Bildungsdefizite im Vordergrund, d. h. Lösungen für leistungsschwächere Jugendliche aufzuzeigen. Allerdings kann man hierzu anmerken, daß die Behebung schulischer Defizite zunächst nicht Sache von abgespeckten Ausbildungsordnungen sein kann, sondern Sache der Schule bleiben muß. Diese dürfe nicht aus der Verantwortung entlassen werden, wie es sinngemäß in der FAZ vom 25.6.98 heißt: Vor allem muß das Leistungsniveau der Schüler wieder erhöht werden. Es kommt auf die Schulen und Eltern an.
Die zweite Gruppe argumentiert vom Markt her. Dies wird insbesondere bei den Vorschlägen der Industrie deutlich. Hier geht es nicht vorrangig um die Behebung eines Bildungsnotstandes, sondern darum, Kosten zu sparen und dabei einen bestimmten spezifischen Personalbedarf zu decken.
Zwischen beiden Gruppen besteht aber eine Überschneidung, nämlich die Absenkung der Ausbildungszeit auf 2 bis 2,5 Jahre. Im Bereich dieser Überschneidung besteht dann auch die Begriffsverwirrung. Auch 2 bzw. 2 1/2-jährige Ausbildungsgänge können sehr anspruchsvoll sein, je nachdem wie sie angelegt werden. Zwischen der Behebung eines Leistungsdefizits und kürzeren Ausbildungszeiten gibt es keine direkte kausale Verbindung. Es ist deshalb erforderlich, die Zielrichtung des eigenen Vorhabens genau festzulegen. Will man nun Ausbildungsgänge für Leistungsschwächere schaffen oder will man zu vertretbaren Kosten ausbilden und Märkte besetzen?
Beides soll möglich sein. Das Tischler- und Schreinerhandwerk braucht aus sozialer Verantwortung eine Differenzierung nach unten. Aus Markt- und Kostenüberlegungen heraus muß eine Differenzierung in der Breite erfolgen. Dabei ist es erforderlich, das Berufsbildungssystem im Tischlerhandwerk als Kontinuum aufzufassen, d. h. „abgespeckte“ Lösung mit der „normalen“ Ausbildung und darüber gelegten Ebenen intelligent zu verzahnen. Schließlich taucht die Frage nach einer Integration dem Tischlerhandwerk artverwandter Berufe, wie etwa dem Bodenleger oder dem Stuhlbauer auf, aus denen Elemente für neue Berufsbilder gewonnen werden könnten.
5. Schlußbetrachtung
Das Tischlerhandwerk muß sich in die Diskussion um die Differenzierung der Berufsausbildung, um eine Ausbildung nach Maß aktiv gestaltend einbringen. Dabei sollte jedoch der Kernbereich der Ausbildung im Tischlerhandwerk nicht vernachlässigt werden. Auch die neue Ausbildungsordnung kann nicht für alle Zeiten gelten. Das BIBB hat soeben sein Projekt „Dienstleistungstätigkeit und Qualifikationsbedarf im produzierenden Handwerk“ beendet. Es enthält auch für das Tischlerhandwerk wertvolle Anregungen. Zu erwähnen sind das gesamte Gebiet des Beratens, oder allgemeiner, des Verkaufens wie auch der Betriebsführung. Demgegenüber scheint der Blick in allen Bereichen zu sehr auf Produktion und Technik ausgerichtet zu sein. Im Rahmen von Differenzierungsüberlegungen wäre daher auch vorstellbar, produktionsorientierte Tätigkeiten aus der normalen Lehre auszugliedern, diese in neue Berufsbilder einzufügen und die sich ergebenden Freiräume für neue Inhalte der angesprochenen Art zu nutzen. Die Differenzierung der Ausbildung erweist sich so als ehrgeiziges Projekt, das nicht nur aus der Addition weiterer Elemente besteht, sondern überaus anspruchsvolle Überlegungen im Gesamtzusammenhang der Neuordnung der Ausbildung im Tischlerhandwerk erfordert. n
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