Die Markteinführung der Spanplatte in den 1950er-Jahren gilt als eine der bedeutendsten Innovationen der industriellen Möbelfertigung. Bis heute ist die Spanplatte die am häufigsten eingesetzte Holzwerkstoffplatte in der Holz- und Möbelindustrie. Mit ihrem Siegeszug ging eine fortschreitende Veränderung vom Möbelbau und so auch von der Fertigung von Möbeln einher. Kannte man bis in die 1950er-Jahre als „Holzleime“ fast ausschließlich nur Glutin- („Knochenleime“), Harnstoffharzleime und Dispersionsklebstoffe, so war es vermutlich das Jahr 1962, das eine große Veränderung für den Einsatz von Klebstoffen in der Möbelindustrie eingeleitet hat. Die erste Durchlaufmaschine nach dem „Heiß-Kalt-Verfahren“ gilt als Vorläufer der heutigen Kantenanleimmaschinen.
1963 kamen die ersten gefüllten EVA-Schmelzklebstoffe (Ethylen-Vinyl-Acetat) auf den Markt und mit der Kombination aus Kantenanleimmaschine und Schmelzklebstoff begann die wirtschaftliche Serienfertigung von Kastenmöbeln. Eine Technik, die bis heute etabliert ist.
Mit steigenden Ansprüchen an die Qualität der Möbel ging ein steigender Anspruch an die Leistungsfähigkeit der eingesetzten Klebstoffe einher. Über Polyester-Schmelzklebstoffe, Polyamid-Schmelzklebstoffe und später Polyolefin-Schmelzklebstoffe zeichnete sich ein klarer Trend für eine ganz andere Technologie von Schmelzklebstoffen in der Kantenklebung ab: PUR-Schmelzklebstoffe. Bereits im Jahr 1987 wurden die ersten reaktiven PUR-Schmelzklebstoffe (Polyurethan) für die Kantenklebung vorgestellt, ein echter Quantensprung. Eine chemische Vernetzung innerhalb des Klebstoffes und auch eine chemische Anbindung an die Klebpartner führen am Bauteil zu einer deutlichen Steigerung der Wärmebeständigkeit ( 120 °C) sowie darüber hinaus auch der Wasser- und Wasserdampfbeständigkeit.
Die Handhabung der damals neuen Klebstoffe war für Verarbeiter, Maschinenhersteller und auch Klebstoffhersteller eine echte Lernkurve. Dank spezieller Aufschmelzgeräte, antihaft-beschichteter Maschinenbauteile und stetiger Produktoptimierungen sind Sorgen zur Verarbeitung aber bereits seit langer Zeit passé.
Neben der industriellen Möbelfertigung erfahren PUR-Schmelzklebstoffe auch eine rasant zunehmende Beliebtheit im Handwerk. Kantenanleimmaschinen werden heute bereits ab der Einsteigerklasse mit einer „PUR-Option“ angeboten, um PUR-Schmelzklebstoffe als 2-kg-Blockware oder handliche Patronenware verarbeiten zu können. Die Verfügbarkeit von PUR-Schmelzklebstoffen als Granulat macht den Einsatz auch für Kleinverbraucher ohne Investition in spezielle Maschinentechnologie einfacher denn je. Das patentierte Granulierungsverfahren für PUR-Schmelzklebstoffe der Jowat SE macht den Einstieg in die „Welt von PUR“ heute für jedermann möglich.
Was ist eigentlich PUR?
Reaktive PUR-Schmelzklebstoffe werden wie alle anderen Schmelzklebstoffe in festem Zustand vom Klebstoffhersteller ausgeliefert. Dieses erfolgt in speziellen feuchtigkeitsdichten Verpackungen. Erst zur Verarbeitung werden sie im Leimtopf der Kantenanleimmaschine oder in einem externen Aufschmelzgerät aufgeschmolzen. Der Auftrag erfolgt im Regelfall mit einer Auftragswalze auf die Trägerplatte. Zunächst kommt es im Prozess in der Maschine durch das Abkühlen zu einem rein physikalischen Festigkeitsaufbau, der in einer entsprechenden Anfangsfestigkeit resultiert. Durch eine Reaktion mit Wassermolekülen (aus Material- bzw. Luftfeuchtigkeit) findet anschließend eine chemische Vernetzung statt. Durch diese Vernetzung erfüllen reaktive Schmelzklebstoffe erhöhte Anforderungen hinsichtlich Festigkeit, Wasser- und Wärmebeständigkeit sowie Chemikalienresistenz. Die reaktiven Gruppen in den PUR-Schmelzklebstoffen wirken sich zudem äußerst positiv auf das Adhäsionsspektrum (Haftspektrum) aus, da der Klebstoff zusätzlich mit geeigneten Reaktionspartnern auf den Materialoberflächen feste chemische Bindungen eingehen kann. So können beispielsweise auch Kantenbänder aus Aluminium geklebt werden.
PUR-Handling: Einfacher als gedacht
Dennoch bringt das Thema bei vielen Tischlern und Schreinern nach wie vor Fragen hervor. Insbesondere die Handhabung und die nötigen „Spielregeln“ zur Reinigung und Wartung der Leimtöpfe führen häufig zu einer gewissen Verunsicherung, die aber unbegründet ist.
In speziellen Aufbewahrungsbehältern, die mit Stickstoff oder Druckluft beaufschlagt werden, können Leimtöpfe mit aufgeschmolzenem PUR-Schmelzklebstoff gelagert werden. Eine Überbrückung von Produktionspausen (z. B. über Nacht) oder auch bei Klebstoffwechseln ist auf diese Weise einfach und unkompliziert möglich.
Aber auch die Reinigung der entsprechenden Aggregate ist heute mit wenigen Handgriffen erledigt. Die einzelnen Schritte:
- Klebstoffreste ablassen bzw. von der Auftragswalze abrakeln: Mit der Hilfe von z. B. einem Spatel aus Holz können Klebstoffreste mechanisch aus dem Leimtopf entfernt werden. Das Ablassen des Klebstoffes findet dabei unter Verarbeitungstemperatur statt (ca. 120 bis 140 °C). Achtung: Keine spitzen oder scharfen Gestände verwenden, welche die Antihaft-Beschichtung der Auftragseinheit beschädigen könnten.
- Einfüllen von PUR-Spülmittel in die Auftragseinheit: Ein spezielles PUR-Spülmittel wird wie der Klebstoff im Leimbecken aufgeschmolzen (gleichbleibende Verarbeitungstemperatur) und in alle klebstoffführenden Bereiche gefördert (min. 30 min zirkulieren lassen). Ein spezielles Additiv in dem Spülmittel stoppt die chemische Reaktion des PUR-Schmelzklebstoffes und verhindert die Vernetzung. Der verbleibende Klebstoff ist nun nicht mehr zum Kleben geeignet und bei Bedarf kann die Kantenanleimmaschine nun abgestellt werden.
- Spülmittelreste ablassen bzw. von der Auftragswalze abrakeln: Vor Wiederinbetriebnahme der Kantenanleimmaschine muss das Spülmittel ebenfalls wieder in geschmolzenem Zustand aus dem Leimtopf sowie auch von der Auftragswalze entfernt werden. Spülmittelreste können dabei mit frischem Klebstoff herausgespült werden bis keine Reste des eingefärbten Spülmittels (in unserem Beispiel Rot) mehr erkennbar sind.
Sofern auf einen klassischen EVA-Schmelzklebstoff gewechselt wird, gilt es, die unterschiedlichen Verarbeitungstemperaturen zu beachten. EVA-Schmelzklebstoffe werden üblicherweise bei 180 bis 200 °C verarbeitet. Beginnend bei 120 bis 140 °C sollte das Ablassen des Spülmittels parallel zum Aufheizen des Leimaggregates stattfinden. Der bei dieser Temperatur noch hochviskose („dickflüssige“) EVA-Schmelzklebstoff verdrängt das niedrigviskose („dünnflüssige“) Spülmittel sehr effektiv, sodass der Spülvorgang rasch beendet werden kann. Sobald keine Rotfärbung mehr im geschmolzenen Klebstoff erkennbar ist, kann mit dem Bekanten von Werkstücken begonnen werden.
Kennzeichnungsfreie PUR-Schmelzklebstoffe
Das Angebot an PUR-Schmelzklebstoffen für die Kantenklebung wird seit einigen Jahren um eine alternative Technologie erweitert. Konventionelle PUR-Schmelzklebstoffe erhalten in der Regel einen Überschuss an freiem monomeren Isocyanat (zumeist 4–4‘-Diphenylmethan Diisocyanat – kurz MDI) in der Größenordnung von ca. 2 %. Seit 2012 müssen isocyanathaltige Produkte bei einem Gehalt von monomerem Isocyanat ab 0,1 % mit dem GHS-Symbol Nr. 8 (Gesundheitsgefahr) gekennzeichnet werden und die entsprechenden Sicherheitsinformationen (H- und P-Sätze) ausgewiesen werden. Klebstoffe mit einem Gehalt 0,1 % an freiem monomerem Isocyanat unterliegen keiner Kennzeichnungspflicht als Gefahrstoff und erbringen somit einen wichtigen Beitrag zum Thema Arbeitsschutz.
Der Autor
Dipl.-Ing. (BA) Ingo Horsthemke leitet das Globale Produktmanagement bei der Jowat SE in Detmold.