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Streicheleinheiten

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Streicheleinheiten

Streicheleinheiten
Siegfried Schreiber fand erst mit 50 Jahren zum Drechseln
Eigentlich sind es Alltagsgegenstände: Becher, Schalen und Schüsseln – schlicht und schnörkellos. Doch gerade deshalb sind sie so schön und nichts ließe sich daran ändern, ohne die Harmonie zu zerstören. Denn der Drechsler Siegfried Schreiber reduziert Formen auf das Wesentliche. Aber er reduziert auch das Holz, manchmal sogar so weit bis es lichtdurchlässig wird und nachgiebig – so als sei es eine weiche Substanz. Gerade mal 0,3 mm Wanddicke ist sein Rekord, den er herausgedrechselt hat. Auch Risse und Sprünge gibt es bei ihm nicht – auch nicht im Bereich von Ästen. Die für Holz typischen inneren Spannungen baut Schreiber “etappenweise ab”: In ganz individuellen Rhyth-men nimmt er sich die Teile vom überdachten Garagenvorplatz und drechselt daran herum – dann gönnt er den Rohlingen wieder viel Ruhe. Schicht für Schicht geht das so und während der Ruhephasen verliert das Holz die letzten Reste Feuchtigkeit. Nur so, sagt er, wird das Reißen verhindert. Doch es dauert drei bis fünf Jahre bis ein Objekt fertig ist.

Die Oberflächen sind naturbelassen – kein Lack, keine Lasuren. Die Objekte werden nur kurz mit Öl abgewischt und dann poliert, poliert, poliert, bis ein seidiger Glanz entsteht, der auch durch Gebrauch keinen Schaden nimmt. Die Schalen können auch mal nass werden – es bleiben keine Wasserflecken, höchstens matte Stellen zurück. Diese können mit einem weichen Tuch oder mit ganz feiner Stahlwolle entfernt werden.
Das Drechseln hat sich Schreiber weitgehend selbst beigebracht und er kokettiert damit, die einschlägige Fachliteratur kaum gelesen zu haben. Denn so oder so: “Man muss vom Holz selbst lernen.”
Siegfried Schreiber, Jahrgang 1940, ist ein “Spätberufener”. Erst seit 1989/90, also mit fast 50 Jahren, dreht Schreiber “mit Bewusstsein” seine ersten größeren Schalen. Und erst seit 1991 gibt es jene, extrem flachen, großen Objekte und die sehr dünnwandigen Becher ohne Fuß, die sich kreisend auf und ab bewegen, die Schreiber “Taumelschalen” nennt.
Diese kreisenden, taumelnden, beweglichen Becher und Schalen sind heute zum Markenzeichen von Siegfried Schreiber geworden. Vor allem die bis zu 70 cm großen, ganz flachen Schalen aus Birnenholz oder hellem Ahorn muten in ihrer schnörkellosen puristischen Gestaltung japanisch an. Schon 1991 erhielt Schreiber – zu seiner Überraschung – Einladungen zum Woodworker Summit in Matsumoto, Japan, als einer von drei Europäern, und 1992 zum International Crafts Festival in Toyama. Dort wurde diese flache Schale mit dem 2. Preis ausgezeichnet und seither nennt er sie “Japan-Schalen”.
Auch seine “Meditations-Schalen” erinnern an fernöstliche Beziehungen. Es sind große, tiefe, aus Esche gedrehte Schalen. Die Übergänge zum breiten, perlmuttsilbrig schimmernden Rand sind weich und fließend. Wer seine Hände am Holz entlang führt, mag vielleicht spüren, dass da Kraftströme fließen, dass es da sinnliche Vibrationen gibt.
Autodidakten stellen in gewisser Weise stets eine Herausforderung für die Etablierten dar, weil sie mit Ecken und Kanten ein Widerspruch gegenüber der allgemein gängigen Ordnung sind. Das gilt auch für Siegfried Schreiber, der in seinem Leben kräftig gegen den Strom geschwommen ist. Der quirlige Mann mit dem graumelierten Bart, den fröhlichen kleinen Augen hinter dem ovalen Brillengestell und dem gestickten Käppi vermittelt den Eindruck einer Alternativszene und einem Schuss Esoterik.
In einer gutbürgerlichen, kinderreichen Familie in Stuttgart aufgewachsen, galt er in seiner Jugend als schwarzes Schaf und Versager der Familie. Weil man ihm das Abitur nicht zutraute, steckte man ihn als Lehrling in einen Holzbetrieb, in eine Drechslerei. Gedrechselt wurde da, so erinnert er sich, überhaupt nicht mehr. Der Betrieb hatte sich auf die Herstellung von Serien-Kleinmöbeln spezialisiert. Weil ein Hilfsarbeiter keine Gesellenprüfung bestehen konnte, kam er vier Wochen vor dieser Prüfung zu einem Crash-Kurs in den Betrieb des Obermeisters, der zu seinem Glück als Vorsitzender auch die Gesellenprüfung abnahm. Aber mit Holzgestaltung oder gar Drechslerei lief von da ab nichts mehr – für nahezu drei Jahrzehnte. Auf dem zweiten Bildungsweg machte er später das Abitur und studierte danach Pädagogik. Als Lehrer an der Hauptschule folgte dann ein Aufbaustudium für den Berufsschulunterricht. Das war Ende der 60er Jahre und Siegfried Schreiber nennt sich einen “Ur-68er” mit allem was dazu gehört: Sit-ins, Teach-ins, Demos, Friedensbewegung, Ostermärsche, Anti-Atomwaffen-Bewegung, Blockaden – als Student und später auch als Berufsschullehrer. Doch dies war für einen Lehrer nicht gerade förderlich. Trotz mehrerer, positiv beschiedener Disziplinarverfahren, zog er sich aus dem Schuldienst zurück.
1990: das ist der Beginn seiner freiberuflichen Tätigkeit als Drechsler. Warum ausgerechnet Holz? Warum ausgerechnet Drechslerei? Da war nicht eine Erinnerung an die “imaginäre Drechslerlehre”, sondern eine Spielerei an einer verstaubten Drehbank aus der Jugendzeit. Und die ersten bescheidenen Versuche auf einer kleinen Drehbank in den Jahren 88/89 bestätigten, dass es da wohl ein besonderes Beziehungsgeflecht zwischen dem Material Holz und dem Menschen Siegfried Schreiber gab. In der Tat tauchen sehr ungewöhnliche Bilder und Assoziationen auf, wenn Siegfried Schreiber über Holz spricht. Seine Lieblingshölzer sind Esche und Ahorn, daneben noch Birke, Zwetschge, Apfel und Birne. Zu Buche und Eiche dagegen hat er keine Beziehung, sie “sprechen ihn nicht an!” Das ist nicht nur bildhaft gemeint. Er hat ein ganz sinnliches, ja erotisches, lustvolles Verhältnis zu Holz. So spricht er davon, dass die Schalen “seine Kinder sind, die erst erwachsen werden, wenn ich sie weggebe”. Seine Beziehung zum Holz läuft nicht “über das Auge und den Verstand, sondern aus dem Bauch heraus über die Hand”. Er spricht davon, dass sich die Hand vom Holz leiten lässt und, dass er dazu sein Werkzeug ausschließlich von Hand führt. Siegfried Schreiber, ein Esoteriker, ein Träumer, ein Spinner, der eine andere, verstandesmäßig nicht zu fassende Beziehung zum Holz hat?
Aber da ist auch noch der andere Siegfried Schreiber, der mit Ausdauer und Nachdruck, analytisch und zielgenau seinen Weg zum Bekanntwerden und zum Kunden plant. Auf vielen Kunsthandwerkermärkten hat er seine Arbeiten gezeigt, in Ausstellungen und Galerien in Deutschland und im Ausland, auf Weihnachtsmärkten, auf Designausstellungen wie “Raum-Objekte” in Stuttgart, seit 1993 auf den Frankfurter Messen und auch auf der Münchener Handwerksmesse. Der Erfolg ist nicht ausgeblieben und so gibt es einen wachsenden Kundenkreis und bemerkenswerte Auszeichnungen. Neben dem Preis in Japan erhielt er allein 1997 den “Design Preis Bochum” sowie den renommierten Hessischen Staatspreis für das deutsche Kunsthandwerk. Eine besondere Auszeichnung ist der Preis der “Art Austria”. Dies ist eine kleine, bewusst elitäre Künstlervereinigung in Österreich. Dort einen Preis – gewissermaßen von Kollege zu Kollege – zu erhalten, ist für den Insider ein außer-ordentliches Ereignis. Und nicht ohne Stolz verweist Siegfried Schreiber auf den Karl-Reuss-Preis und den Staatspreis des Landes Baden-Württemberg, die er 1998 in Stuttgart entgegen nehmen durfte.
So ist der Späteinsteiger in wenigen Jahren zum Erfolgsmenschen geworden. Vielleicht liegt das Geheimnis dieses Erfolges wirklich in der ganz eigenen, sinnlich erotischen Beziehung zum Holz? Seinen Kunden jedenfalls gibt er mit auf den Weg: “Vergessen Sie nicht, das Stück täglich zu streicheln!” o
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Schallmessung in der Praxis: Michael Fuchs (r.) und Simon Holzer bei raumakustischen Messungen in einem Objekt (Friseursalon Max in Wallersdorf). Foto: Barbara Kohl, Kleine Fotowerkstatt
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