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Zum „Casting“ in die Werkstatt

Stuhl-Projekt und Pizzaessen: Eine Bochumer Schreinerei sieht sich ihre zukünftigen Lehrlinge genau an
Zum „Casting“ in die Werkstatt

Ausbildungsstart 2008: Die Schreinerei Holz und Form GmbH in Bochum geht erfolgreich ungewöhnliche Wege bei der Suche nach dem geeigneten neuen Lehrling. In dem so genannten „Stuhl-Projekt“ entwerfen und bauen die Ausbildungsplatzbewerber einen Stuhl, unterstützt von den Gesellen und Lehrlingen des Betriebs.

Jugendliche lassen sich offensichtlich sehr gern „casten“, ein Trend zur Selbst-Präsentation, der jetzt auch in der Wirtschaft angekommen ist. Neue Ideen müssen her, damit vor allem das Handwerk auch künftig die Nase vorn hat bei der Suche nach dem geeigneten Berufsnachwuchs. „Mit dieser neuen Methode haben wir die allerbesten Erfahrungen gemacht“, sagt Wolfgang Nonnenmacher. Gemeinsam mit Michael Kaiser führt er die 1987 gegründete Schreinerei Holz und Form GmbH in Bochum. Zehn Mitarbeiter sind hier beschäftigt, darunter zwei Lehrlinge. Über 20 junge Menschen haben die beiden Unternehmer mittlerweile ausgebildet. Kaiser ist außerdem Mitglied im Prüfungsausschuss und als Lehrlingswart der Bochumer Tischlerinnung für rund 90 andere Auszubildende im Tischlerhandwerk der Region verantwortlich.

Vor über einem Jahr kamen erstmals die sechs, sieben interessantesten Bewerber zum „Casting“ in die Werkstatt. Inzwischen fand dieser außergewöhnliche Eignungstest bereits zum zweiten Mal statt. Auch die anderen Mitarbeiter des Betriebs einschließlich der Lehrlinge wurden zu diesem so genannten Stuhl-Projekt eingeladen, freiwillig an diesem Eignungstest mitzuwirken. Gemeinsam entwarfen und bauten die Ausbildungsplatzbewerber einen Stuhl, unterstützt von den Gesellen und Lehrlingen des Betriebs. Sie entwickelten Ideen, gestalteten einen Entwurf und setzten ihn schließlich gemeinsam in der Werkstatt um.
Franziska Teubert war beim ersten „Stuhl-Projekt“ 2007 dabei: „Ich finde das eine tolle Idee, denn so konnte ich ohne viele Worte zeigen, was ich praktisch draufhabe.“ Am Ende sei zwar eher ein Puppenstuhl aus ihren Versuchen geworden, aber mit der Lehrstelle habe es trotzdem geklappt. Am meisten habe ihr die offene und partnerschaftliche Art aller Mitarbeiter auch im Umgang mit den Bewerbern an diesem Tag imponiert, sagt die junge Brandenburgerin, die für ihren Ausbildungsplatz nach Bochum umgezogen ist.
Die beiden Unternehmer haben mit ihrem „Stuhl-Projekt“ fast ideale Bedingungen zur Auswahl der besten neuen Lehrlinge geschaffen. Das gemeinsame Pizza-Essen vermittle ihnen zusätzliche Aufschlüsse über das Verhalten der Bewerber, verrät Michael Kaiser. Darüber hinaus nutzen die beiden Firmenchefs das „Casting“ auch als Möglichkeit einer gezielten Personalentwicklung. So wird einerseits eine Konkurrenzsituation geschaffen und andererseits die Teamfähigkeit eines jeden Beteiligten gefordert. Abschließend werden an die Bewerber Punkte vergeben. Stimmberechtigt sind nicht nur die Firmeninhaber, sondern jeder einzelne Mitarbeiter.
Michael Kaiser ist Realist. „Wir bereiten uns schon seit längerer Zeit gezielt auf die schwierige Situation vor, dass die Zahl der geeigneten Bewerber für eine Lehrstelle stetig abnimmt, wir als Unternehmen aber auch künftig auf gut ausgebildeten und hoch motivierten Berufsnachwuchs angewiesen sind“, sagt der Schreinermeister. „Jetzt schnappt die demografische Falle zu“, kommentiert er die aktuelle Situation. „In den neuen Bundesländern werden immer mehr Lehrstellen zu Leerstellen.“
Neben der quantitativen Seite des Problems gibt es verstärkt auch eine qualitative. Die Ausbildungsreife vieler Bewerber lasse immer weiter nach, so die Bochumer Unternehmer. „In Zukunft“, sagt Michael Kaiser, „entscheidet mehr und mehr die Attraktivität des jeweiligen Arbeitgebers, ob sich genügend geeignete Bewerber auf einen Ausbildungsplatz bewerben werden. Die weniger attraktiven Betriebe gehen dann leer aus und riskieren auf Dauer wegen des fehlenden Berufsnachwuchses ihre Wettbewerbsfähigkeit.“ Er und Wolfgang Nonnenmacher sorgen vor. Je besser das Betriebsklima, wissen sie, desto attraktiver das Unternehmen. So etwas spreche sich herum. In jeder Region gebe es ein Netzwerk aus Eltern, Lehrern und Freunden der potenziellen Ausbildungsplatzbewerber. Die meisten Ausbildungsbetriebe seien hier bekannt und würden natürlich auch bewertet. So sorge vor allem der regionale „Flurfunk“ dafür, dass die Zahl der Bewerber zusammen mit dem Ansehen des Betriebs wachse.
Tue Gutes und sprich darüber, lautet deshalb eine Antwort der Bochumer Schreinerei. Eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit gehört nach Ansicht von Michael Kaiser zu den entscheidenden Voraussetzungen für ein positives Firmen-Image. „Wir haben kürzlich Kirchentüren renoviert“, berichtet er über seine jüngste Erfahrung. „Im Zusammenhang mit einem Gottesdienst haben wir dann feierlich die neuen Türen aufgeschlossen. Die Kameras der Lokalreporter klickten, und die Leute haben sogar geklatscht.“ Noch immer, freut sich der Unternehmer, würden sich deshalb 50 bis 60 Jugendliche auf eine Lehrstelle in der Schreinerei Holz und Form bewerben. Die Unterschiede aber seien groß.
„Wir machen die besten Erfahrungen, wenn wir sehr früh mit der Ausbildungsvorbereitung beginnen“, erklärt der Firmenchef und empfiehlt eine systematische Vorgehensweise. Die Auswahl des neuen Lehrlings beginne meist zu Beginn des Kalenderjahres. Der erste Schritt sei die Auswertung der Bewerbungsunterlagen. „Ich schaue mir zuerst gründlich die Zensuren an“, sagt Kaiser. „Auf Deutsch und Mathe legen wir den größten Wert. Die Mathematik-Note ist das wichtigste Indiz dafür, ob der Bewerber ein gewisses technisches Verständnis mitbringt.“
In einem zweiten Schritt führen er und Nonnenmacher persönliche Bewerbungsgespräche mit fünf bis sechs Bewerbern und bieten ihnen die Möglichkeit von Praktika an. Meist in den Osterferien sind die Jugendlichen zur Probearbeit im Betrieb. Beide Seiten nutzen dann die Chance, sich gegenseitig besser kennenzulernen, Neigungen und Begabungen auszuloten und auch ein wenig auszuprobieren.
Teamorientiert, engagiert und sympathisch
Doch bevor geeignete Bindungsinstrumente gesucht werden können, müssen die Besten erst einmal gefunden werden. „Den Zuschlag erteilen wir nach drei Kriterien“, fasst Michael Kaiser zusammen. An erster Stelle stünden gute schulische Leistungen. Eine zweite Empfehlung sei die Persönlichkeit des Bewerbers. Teamorientiert, engagiert und sympathisch müsse er sein. „Das ist schnell geklärt“, sagt der Ausbildungsprofi. „Ich frage nach dem Hobby, dem Freizeitverhalten und beobachte während des Praktikums genau.“ Hier muss die dritte Hürde für eine mögliche Berufsausbildung genommen werden. Es geht um die Frage, ob der Bewerber erkennbar Zugang zur Materie hat, ob er Spaß hat, mit Holz umzugehen, ob er über Phantasie und räumliches Vorstellungsvermögen verfügt.
Hält der neue Lehrling seinen Ausbildungsvertrag dann in der Hand und betritt zum ersten Mal als Kollege den Betrieb, gibt es auch kein Fremdeln. Im Idealfall kennt jeder jeden aus dem „Stuhl-Projekt“. „Wir überlassen nichts dem Zufall“, erläutert Michael Kaiser das Programm der ersten Tage im Betrieb. Eine selbst entwickelte, ständig überarbeitete Checkliste verhindert böse Überraschungen. Einer der beiden Geschäftsführer nimmt sich einen ganzen Tag Zeit und begleitet den „Neuen“ oder die „Neue“ durch den Betrieb. Die ausführliche Präsentation des Betriebs und des künftigen Arbeitsplatzes soll dem Neuankömmling das Gefühl von Vertrautheit und Transparenz vermitteln.
Sogar ein eher heißes Eisen fassen die Unternehmer am Tag der Ankunft eines neuen Lehrlings an, das Thema Privatarbeit. „Wir fordern jeden unserer Lehrlinge ausdrücklich dazu auf, auch privat als Tischler zu arbeiten, betonen aber, dass dies nicht gewerblich geschehen dürfe“, sagt Michael Kaiser. „Das Angebot bedeutet, lerne, und mach Deine Fehler, aber mach sie auf Deine Kosten.“ In Absprache mit der Geschäftsleitung können aber nicht nur die Lehrlinge, sondern auch alle anderen Mitarbeiter Werkzeug aus dem Betrieb einsetzen. Benötigtes Material wird gegen eine entsprechende Vergütung ebenfalls bereitgestellt. Damit, sagt er, sei der Rahmen sauber abgesteckt und werde wirkungsvoll der Schwarzarbeit vorgebeugt. Darüber hinaus sei dieses Angebot Teil der Firmenphilosophie. „Wir pflegen einfach die alten, tradierten Werte des Miteinanders im Sinne gegenseitiger Wertschätzung und verfügen über eine hohe Kommunikationskultur“, erklärt Michael Kaiser. „Davon profitieren nicht nur unsere Kunden, sondern jeder einzelne Mitarbeiter bis zum jüngsten Lehrling.“ (Reinhard Myritz) ■
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