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Zum Lümmeln und Wippen

Projektarbeit an der Akademie für Gestaltung München: Ideen verflechten sich zu Produkten
Zum Lümmeln und Wippen

Kann ein so traditionelles Material wie Weide zeitgerecht und innovativ gestaltet werden? Welche Berechtigung bzw. Funktion hat ein so handwerklich geprägtes Material im digitalen Zeitalter? Experimentelle Antworten in Form von einem einfachen Sitzmöbel, entstanden im Rahmen einer Projektarbeit, die die Akademie für Gestaltung München in Zusammenarbeit mit dem Innovations- zentrum des Flechthandwerks in Lichtenfels unter der Leitung von Prof. a.c. Thorsten Franck durchführte.

Körbe und Flechtmöbel werden in Fernost preiswert hergestellt und von dort in alle Welt vermarktet – so die heute gängige Praxis. Doch wenn sich gelernte Handwerker aus den unterschiedlichsten Gewerken unter dem Vorzeichen „Gestaltung“ mit dem Thema befassen, können auch in Deutschland bisher ungesehene und spannende „Gelegenheiten zum Sitzen“ entstehen.

Die 18 Studentinnen und Studenten hatten bereits in München experimentiert und Entwürfe entwickelt. Dozent Thorsten Franck erklärt die Vorgehensweise: „Das Experimentieren dient als Vorstufe zur Formfindung, unabhängig vom eigentlichen Ziel „Hocker“. Gearbeitet wurde reduziert auf einfache geometrische Formen und mit verschiedenen Materialien. Bei der Formenanalyse halfen in sich bewegte Fotografien und Handskizzen. Die beim Experimentieren entstandenen Entwürfe wurden in der Gruppe besprochen und die geeignetste Form zum Weiterarbeiten ausgewählt.“
Thorsten Franck, ist gelernter Schreiner. Er studierte Industrie- und Produktdesign in Deutschland und England und arbeitet heute u.a. als Dozent an der Akademie für Gestaltung in München (siehe Interview auf Seite 58). Er bearbeitete mit den Studierenden die Aufgabe und diskutierte Materialfragen, statische Problemstellungen sowie ergonomische Erwägungen. Viele Zeichnungen, Recherchen und Modelle später kristallisierten sich Prototypen heraus. Mit den fertigen Entwürfen reiste die Gruppe ins Zentrum des Flechtens: In Lichtenfels bei Coburg steht seit Jahren ein Innovationszentrum, das sich dem Thema Formentwicklung für ansässige Betriebe widmet. Geballtes Fachwissen steuerte Werkstattleiter Klaus Jakob bei. Derart kompetent begleitet, verflochten die Studierenden die Entwürfe aus tagelang gewässerten Weidenruten zu überzeugenden Möbeln. Die Ergebnisse der Projektarbeit passen sich dem Bedarf des täglichen Lebens an: Vom Laptop-Arbeitsplatz bis zur Gartenbank sind Gelegenheiten entstanden, die zum Sitzen und Verweilen, zum Spielen oder einfach zum Chillen einladen.
Im Einzelnen: Aus Entwürfen werden Möbel
„Snail“ ist ein modulares Sitzmöbel: Die Elemente lassen sich als Hocker nutzen oder zur Bank, zur Sitzinsel, zur Sitzzeile zusammenstellen. Es bietet dem Benutzer einige Variationsmöglichkeiten. Durch waagerechtes oder senkrechtes Aufstellen ergeben sich zudem verschiedene Sitzhöhen. Hier wird Sitzen zum Erlebnis (Entwurf: Lisa Krath, Oliver Lenk, Michael von Mücke).
„Huit“ ermöglicht ein dynamisches und bewegtes Sitzen. Der Hocker ist nicht nur Sitzmöbel, sondern auch ein stilvolles Objekt für den Innenbereich – ein gestalterisches Chamäleon. Die naturgemäß einfache Form eines Hockers ist hier in einer verblüffend komplexen und ästhetisch anspruchsvollen Form umgesetzt, ohne dabei an Klarheit zu verlieren. Die sichtbaren und sitzbaren Flächen werden durch ein zur Acht verdrehtes Band erzeugt (Entwurf: Janine Nelhübel, Pia Duppich).
„ Sitzkorb“: Die Verbindung von einem Hocker mit einem Korb schafft eine praktische Symbiose, die vielfältig genutzt werden kann – sei es beim Picknick oder beim Angeln. Im Alltag wird der Hocker als Korb verwendet, der im Auto durch seinen schrägen Stand äußerst stabil steht und ein hohes Füllvolumen hat (Entwurf: Julian Baumüller).
Der „Loop_Stool“ besteht aus einem 6 m langem Strang, zusammengefügt aus drei Rattanstäben. Durch Verschlaufung und Überkreuzung entstand das Grundmodell. Für die Stabilität wurde das Gerüst mit weißer bzw. roter Weide umwickelt. Die Flächen wurden wahlweise mit Textilstreifen und Verflechtung ausgestaltet (Entwurf: Magdalena Thalhammer, Andreas Liebl).
„Drei_Bein“: Bei diesem Hocker wird die Gewichtskraft senkrecht in den Boden abgeleitet, so dass sich die Hockerbeine nicht auseinander spreizen können. Durch zwei unterschiedlich hohe Bögen an den Seiten, wird die Stabilität noch gesteigert. Das Flechtwerk verbindet Flexibilität mit Stabilität bei geringem Gewicht. Der Hocker ist eine gelungene Kombination aus alter Handwerkstechnik und ökologischem Material (Entwurf: Michael Mattner, Johannes Sperrer).
Der Name „Dysi“ ist abgeleitet vom Begriff „Dynamisches Sitzen“ und war Grundlage zur Entwicklung dieses niederkomplexen Sitzmöbels. Der Hocker verbindet die Materialien Metall, Holz und Weidengeflecht. Zwei Puffer aus Naturkautschuk unterstützen eine gesunde, flexible Sitzhaltung (Entwurf: Markus Ostermeir, Peter Rupp).
„Knobi“, der Aktionshocker, hat neben einer Seele auch seinen eigenen Willen, egal in welche Richtung er gestoßen wird, er schwingt immer wieder zurück in die Position, die man braucht, um auf ihm Platz zu nehmen. Seine Stehauffunktion erhält der Hocker von seiner runden Standfläche, die mit Blei gefüllt, aus einer Stahlhalbkugel besteht (Entwurf: Stefanie Eser).
Die Grundform des Sitzelements „Cõne“ besteht aus zwei Kegelstümpfen – einem kleineren, der als Standpunkt dient und einem größeren, der die Sitzfläche bildet. Die Verjüngung in der Mitte führt zu einer leichten fließenden Form (Entwurf: Katharina Thumann).
Die Weiterbildung Gestalter im Handwerk
Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg des Projekts ist die handwerkliche Vorbildung, die alle Studierenden vorweisen können, denn in der Akademie für Gestaltung bilden sich Handwerker der verschiedensten Berufsgruppen in Gestaltung weiter. „Vom Buchbinder bis zum Schreiner haben wir Experten quer durch alle Materialien wie Holz, Metall, Keramik, Glas etc. dabei“, sagt Barbara Schmidt, die Leiterin der Akademie. „Viele der Projekte werden bei uns in Zweierteams gelöst. Dadurch werden Fachkenntnisse und Erfahrungen des eigenen Gewerks eingebracht und im Projekt gemeinsam nach neuen Lösungen gesucht.“
Typisch für die maßgeschneiderte Weiterbildung ist die Orientierung an alltagsrelevanten Aufgaben und praxisbezogenen Projekten. Die Studierenden lernen, Grundlagen des Zeichnens, Farbgestaltung, Fotografierens und zwei- und dreidimensionalen Gestaltens, um dann in komplexere Ebenen einzusteigen. Der staatlich anerkannte Abschluss nennt sich „Gestalter/in im Handwerk“ und kann über Meister BAföG gefördert werden. Die Absolventen stehen an der Schnittstelle zwischen Planung und Ausführung. ■

Die Geschichte der Weidenflechterei

Info

Die Weide ist eine unserer ältesten Kulturpflanzen, die schon den Römern und den Germanen bekannt war. Erste Funde von Flechtarbeiten (ca. 10 000 J. v. Chr. ) wurden im nahen Osten gefunden. Bis zu ihrer zunehmenden Verdrängung durch industrielle Produkte aus Draht und Kunststoff waren rohrgeflochtene Körbe ein ständig benötigter Gebrauchsgegenstand in der Landwirtschaft, im Handwerk und in den Haushalten. Das Korbflechten war eine klassische Noterwerbsweise. Soweit nicht die ländliche Bevölkerung ihre Körbe selbst herstellte, bezog sie sie von wandernden Korbmachern.
1590 wurde die erste Korbmacherzunft in München gegründet. Während des Jugendstils gab es eine Blütezeit der Flechterei. Es wurden Tische, Stühle etc. hergestellt. Die Korbflechterei entwickelte sich zu Industriebetrieben. Durch den Ausbruch der Weltkriege fiel die Flechtindustrie zusammen und wurde in die Rüstungsindustrie eingegliedert (Munitionskörbe). Einen zweiten Einbruch erlitt die Flechtindustrie durch die Entwicklung des Pappkartons Mitte der 50er Jahre. Neue Impulse wurden durch die Kinderwagenindustrie gesetzt. Zudem begann man Körbe für den Wohnbereich herzustellen.
Heute werden Korbmacher in Deutschland unter der Berufsbezeichnung Flechtwerkgestalter ausgebildet.
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