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Tischlern im Reich der Mitte

Als Holztechniker in China
Tischlern im Reich der Mitte

Angefangen hatte alles auf der Ligna 1999 in Hannover, wo ich als Übersetzer für eine amerikanische Firma tätig gewesen war. Durch einen Zufall bekam ich Kontakt zu einem Geschäftsmann aus Hongkong namens Steve Hu. Herr Hu erzählte mir von seiner Möbelfabrik im Südosten Chinas und der Möglichkeit, mein frisch erlerntes Technikerwissen dort in die Tat umsetzen zu können. Ich war begeistert von der Idee, so einfach kann man das Arbeiten mit dem Reisen verbinden, noch dazu in China, einem Land von dem ich nicht allzu viel wusste, das mich aber gerade deswegen sehr faszinierte.

Trotzdem würde noch ein Jahr ins Land ziehen, wollte ich doch mein Studium zum Holztechniker an der Technikerschule in Hildesheim ab-schließen. Als es dann soweit war, tat ich mich doch schwer mit meiner Entscheidung. Im Dezember entschloss ich mich dann doch den Kontakt mit dem Möbelfabrikanten in China wieder aufleben zu lassen.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten (Briefe) entstand eine Kommunikationsbrücke dank E-Mail. In kurzen Mails ließ Herr Hu mich wissen, was mich erwarten würde. Ich hatte von der fachlichen Seite keine Bedenken, und auch der Rest wird schon, dachte ich mir. Ein Datum im März wurde angepeilt, und ich sollte für mindestens drei Monate in China bleiben. Je näher der Zeitpunkt der Abreise kam, umso mehr bereitete ich mich auf den Aufenthalt in China vor. Ich sammelte Informationen über das Land und die Leute und hatte Glück, dass ich jemand kennenlernte, der mit seiner Familie drei Jahre in Peking gelebt hatte. Das war für mich eine sehr ergiebige Informationsquelle. Zudem erhielt ich die entsprechende Literatur. Zu den weiteren Vorbereitungen gehörten Erkundigungen über die notwendigen Impfungen und die nicht vermeidbaren Behördengänge.
Anfang März war es dann soweit. Na ja, fast. Ich dachte, ich hätte alle meine Hausaufgaben gemacht und meiner Reise würde nichts mehr im Weg stehen. Aber da hatte ich mich getäuscht. Als allererstes wurde mir gesagt, ich hätte kein Visum für die Volksrepublik China und könnte somit meinen Flug nicht antreten. Meine Güte, das hatte ich mit dem Konsulat schon vor fünf Wochen abgesprochen, ich sollte das Visum in Hong-kong bekommen. Also verpasste ich meinen Flug. Nach einigen Telefongesprächen durfte ich dann doch die nächste Maschine nehmen, zwar nach Singapur, aber die Richtung stimmte ja so ungefähr. 30 Stunden nach meinem Abflug in Hamburg landete ich dann in Hongkong. Doch die Strapazen des Fluges waren schnell vergessen. Die Stadt Honkong faszinierte mich: Groß in der Einwohnerzahl, mit sehr viel Leben und kontaktfreudigen Menschen besiedelt, klein und durchaus überschaubar in der Fläche.
Am 2. Tag nach meiner Ankunft, alle Behördengänge waren erledigt, machten wir uns auf den Weg nach Dong Guan, einer kleinen Stadt in der Provinz Guan Dong. Ca. 150 km von Hongkong entfernt und ganz und gar in der Volksrepublik. Das Autofahren ist mit das Aufregendste was China zu bieten hat und trotzdem freut man sich wenn man wieder aussteigen darf.
Traditioneller chinesischer Möbelbau
Die Möbelfabrik des Steve Hu zählt ca. 500 Beschäftigte, und ist auf den traditionellen chinesischen Möbelbau spezialisiert. Die Möbel werden fast in die ganze Welt exportiert. Der japanische Markt wird mit Möbeln im japanischen Stil beliefert, und durch die Zusammenarbeit mit mehreren Designern aus Amerika und Frankreich entstehen zurzeit auch Stilmöbel aus der Rokokozeit sowie Avantgardemöbel. Auch wird die Planung und Ausführung für größere Innenausbauten wie Hotels etc. angeboten.
Mein erster Eindruck war „Au Backe!“ Speziell die chinesischen Holzverbindungen waren wie eine neue Welt für mich, mal abgesehen davon, dass eigentlich alles neu war: Die chinesische Malerei, das Schnitzen, die Intarsienarbeiten. Die technischen Möglichkeiten die ich hier vorfand, waren eine sehr angenehme Überraschung, war doch alles vorhanden, von Opas Bandsäge bis hin zum 3-achsigen Bearbeitungszentrum.
Man versucht so unabhängig und günstig wie möglich zu sein, also befinden sich auch ein Sägewerk und Frischluft-Abluft Trockenkammern hier. Eine Schlosserei und eine Elektrowerkstatt sorgen für die Wartung und Instandhaltung der Maschinen. Es scheint, dass die Materialbeschaffung recht gut ist, denn es gab kaum Engpässe. Trotzdem muss schon eine gewisse Koordinierung stattfinden, da der Transport und die Zollabfertigung doch seine Zeit braucht.
Um mich weiter in die Materie einzuarbeiten, und ein Gefühl für die Arbeiter und deren Arbeitstechniken zu bekommen, aber auch um ihnen die Scheu vor mir zu nehmen, fing ich an, mit Hilfe eines Dolmetschers, die Leute zu befragen und mir sämtliche Arbeitstechniken zeigen zu lassen. Dies erwies sich als durchaus hilfreich, konnte ich doch somit eine Verbindung zu ihnen aufbauen. Schnell wurde mir klar, das sie genauso wissbegierig waren wie ich. Um die entstehenden Fragen und Antworten zu übersetzen, musste der Dolmetscher ganze Arbeit leisten. Einiges ist wohl untergegangen, aber trotzdem empfand ich die Trefferquote als hoch. Auch wurde mein Zeichnen sehr gefordert, und es füllten sich die losen Blätter mit kleinen Scribbles, von denen man nachher nur noch erahnen konnte, was es mal gewesen sein könnte. Aber alles half und so wurde ich schnell mit einbezogen in sämtliche Fragen die aufkamen. Die Sprachbarriere blieb natürlich bis zum Ende, aber wenn man nicht weiter wusste, wurde gelacht und auf die Schulter geklopft. Bevor ich zu meinen Aufgaben komme, möchte ich noch eine Exkursion in den chinesischen Möbelbau unternehmen. Ich bin auf diesem Gebiet kein Experte, und kann meinen Ausführungen nur hinzufügen, das mir dieses Wissen mündlich überliefert wurde, von denen, mit denen ich hier zusammen gearbeitet habe. Also entschuldige ich mich, falls ich etwas durcheinander gebracht habe.
Die chinesische Möbelkunst hat eine 3500 Jahre alte Tradition. Zwei Stilepochen treten dabei hervor und erreichen den höchsten Status, welchen wir als orientalischen Stil kennen. Zum einem den der Ming Dynastie (13. – 16. Jahrhundert) und dem der Qing Dynastie (16. – Anfang 20. Jahrhundert).
Beide Stile sind sehr verschieden. Die Möbel aus der Ming Dynastie sind einfach gehalten, mit starken Konturen, natürlicher Eleganz und einer hohen Funktionalität. Es sind Möbel, mit schönen sichtbaren Korpusverbindungen.
Die Möbel der Qing Dynastie wirken dagegen kompliziert, verspielt und bunt. Verwenden sie doch viel mehr Schnitzerei und Intarsienarbeiten, vornehmlich aus Mother of Pearl. Obwohl dies schon in der Ming Dynastie angefangen hatte, kommt es hier zu einem Höhepunkt. Die Funktionalität dieser Möbel ist zweitrangig, vielmehr möchte man auffallen, sogar angeben. Vergleichbar mit dem Rokoko oder der Chippendale Zeit in England, welche ja auch chinesische Elemente aufgenommen hatte.
Auch muss noch differenziert werden in verschiedene Gegenden, welche ihre eigenen Stile hervorbrachten. Hochburgen wie Guangzhou, Suzhoung oder Peking.
Die Fabrik Hu produziert beide Stilepochen.
Aber eines haben beide Möbel gemeinsam, es sind Vollholzmöbel. Vornehmlich wird Rosenholz aus dem Südosten Asiens (Palisander) oder Afrika (Bubinga) verarbeitet. Inzwischen wird aber zum Teil auch europäische Buche und sogar Rüster genutzt, da der Preis und das Gewicht wohl dafür sprechen.
Die Endbehandlung ist dann aber wieder traditionell chinesisch. Ein Lacqür, der gewonnen wird von dem Saft eines Baumes, dient als schützender Überzug für das Holz. Der Aufwand ist sehr groß und, um dies zu veranschaulichen, hier die wichtigsten Arbeitsschritte.
Nachdem das Holz geschliffen (Körnung 120) wurde, wird ein Füller aufgetragen, welcher die Poren des Holzes verschließen soll. Dies muss solange wiederholt werden, bis alle Poren verschlossen sind. Danach wird wieder geschliffen (Körnung 240), mit Vorsicht, damit man nicht durch den Füller schleift.
Jetzt wird die Grundfarbe (auf Wasserbasis) angemischt. Diese dient dazu, dem Holz eine einheitliche Farbe zu geben. Hellere Stellen werden öfter nachbearbeitet usw. Es bedarf großer Fähigkeit diese Farben anzumischen, und so wird dieses nur vom Meister vorgenommen. Wohl auch deswegen gibt es hier nur zwei Farbmischungen. Zum einen ein warmes Braun, zum anderen ein dunkleres Rot, vergleichbar mit Mahagoni. Danach wird mit 320er Papier nachgeschliffen. Es entsteht eine homogen wirkende Fläche. Farbunterschiede werden nicht geduldet.
Erst jetzt beginnt man mit dem Aufbau des chinesischen Lac-qürs, eine eher gelblich transparente Mischung aus dem Saft, Oil und ein wenig Wasser. Dies wird per Hand mittels Baumwolllappen auf die Flächen aufgetragen.
Wichtig dabei ist, dass die Umgebung eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit (min. 70 %) und Temperatur (min. 23 °C) haben muss, damit der Trocknungsprozess stattfindet. Bei ca. 28° und 90 Prozent RLF sind das ungefähr acht Stunden.
Danach wird noch einmal mit 420er Körnung nachgeschliffen, um dann die restlichen sieben Schichten aufzutragen. Bei minimalen Trocknungszeiten kann diese Arbeit schon mal fünf bis sechs Tage dauern.
Es ist sicherlich nicht einfach, dieses Handwerk zu beherrschen. Wie mir berichtet wurde, schleifen die „Auszubildenden“ erstmal drei Jahre, es können auch fünf werden, bevor sie jemals den Lacqür auftragen dürfen.
Auch ist es üblich, dass der Meister seine Rezepturen für die Grundfarbe an andere Fabriken verkauft. Chinesische Lacqür selber muss sehr giftig sein. Reihenweise haben die Arbeiter Hautausschlag, welcher aussieht wie Hitzepickel.
Chinesische Malerei und die Intarsienarbeiten vollenden die hohe Möbelkunst, die mir hier geboten wurde. Beides sind sehr zeitintensive Arbeiten, die vom Arbeitsaufwand wohl kaum bezahlbar wären. Da aber hier in China noch andere Verhältnisse herrschen, ist dies ohne weiteres doch möglich.
Doch nun zu meiner Aufgabe. Besprochen war, dass ich bei allen Arbeiten mithelfen sollte. Sozusagen ein one man think tank. Ich sollte Herrn Hu tatkräftig unterstützen in seinen neuen Ideen, die er für die Firma und dessen Zukunft hatte.
Mein erstes Projekt sollte die Planung eines Furnierraumes sein. Ich konnte diesem nur zustimmen, wurde doch alles, selbst die Rückwände, aus Vollholz produziert. Eine Riesenverschwendung des Rohstoffes, von den vielen Vorteilen abgesehen, welche der Plattenwerkstoff und das Furnier bieten. Auch wurde jetzt auf die Rokokomöbel gesetzt, was ja mit ziemlich aufwendigen Furnierarbeiten zusammenhängen kann.
Einen vorhandenen Raum, welcher die Möglichkeit für Expansion zulässt, nahm ich als Grundlage für die Planung.
Da ich keine Angaben zu den verarbeitenden Mengen bekommen konnte, machte ich mich daran, ein paar Grundlagen in AV zu vermitteln und wie ich meine, war die Resonanz auch recht positiv. Leider gibt es in China keine Ausbildung, wie wir sie kennen, also wurde oft das Holztechnik Tabellenbuch gewälzt, um Fragen zu beantworten.
Es folgte eine Großbaustelle in Hongkong, welche mit Holzfußböden und Einbauschränken ausgestattet werden sollte. Ein großes Problem ist auch hier das „Arbeiten“ des Holzes. Durch die hohe Holzfeuchte, kommt es später zu enormen Toleranzen.
Ein Großteil der Zeit verbrachte ich mit dem Konstruieren von technischen Detaillösungen zu diversen Problemen.
Die Trocknungskammern wurden während meiner Tätigkeit in dem Betrieb gerade technisch aufgerüstet und auf ein Softwareprogramm umgestellt. Da viele der Gebrauchsanweisungen in englischer Sprache abgefasst waren, half ich, wo ich konnte.
Im Vorrichtungsbau gab ich Hilfestellung und wir überlegten uns Vorrichtungen für die CNC-Bearbeitung oder für Formverleimungen.
An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich ganz herzlich bei Herrn H. Sielaff, Fachlehrer an der Fachschule für Holztechnik und Gestaltung in Hildesheim, zu bedanken, der mich mit meinen Fragen nie allein gelassen hat, und auch immer eine Antwort parat hatte.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Tätigkeit in dem chinesischen Betrieb für mich sehr lehrreich war. Ich konnte mein Fachwissen vertiefen und ein Land mit einer interessanten Kultur mit freundlichen, hilfsbereiten Menschen kennenlernen.
Mein Dank gilt auch meinem Chef Steve Hu, der mir die Möglichkeit gab, in seinem Betrieb tätig zu sein und neue Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln.
Natürlich ist es unmöglich, alle Eindrücke in diesem Bericht wiederzugeben. Doch vielleicht habe ich mit diesen Zeilen andere neugierig gemacht, gleiches zu tun. Also Ihr Holztechniker und Gestalter, wenn Ihr Lust habt, drei Monate mit Chopsticks zu essen, dann könnt Ihr ein interessantes Land kennenlernen und eine andere Kultur, Arbeitsweise sowie Land und Leute.
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