Die Verpackung: Ein handelsüblicher Karton, kaum 90 x 90 cm groß und gerade mal 10 cm hoch. Der Inhalt: Fünf, lediglich 10 mm starke, weiß beschichtete Vollkernplatten, eine quadratisch und vier winkelig bearbeitete mit je zwei rechteckigen Löchern – dazu ein Spanngurt in leuchtend oranger Farbe. Der Zweck: Innerhalb von gut fünf Minuten soll, ganz ohne Werkzeug und weitere Verbindungsmittel, ein Tisch für vier Personen entstehen, geeignet für drinnen und draußen.
Was klingt wie die Geschichte eines samstäglichen Einkaufes bei einem bekannten skandinavischen Möbelhaus, ist der Traum eines jeden Möbeldesigners: Ein simples, sich selbst erklärendes Produkt, das sich kompakt verpacken, lagern und versenden lässt und darüberhinaus vom Kunden selbst und ohne zusätzliche Hilfsmittel zusammengebaut werden kann. Den beiden Brüdern und gelernten Schreinern Christian und Mathis Thaler aus Nürnberg ist dies mit ihrem Tisch „Kurt“ gelungen.
Gleiche Herkunft – unterschiedliche Wege
Aufgewachsen in einer handwerklich-künstlerischen Familie, besuchten Christian und Mathis Thaler die Rudolf-Steiner-Schule in Nürnberg, eine Schule mit angeschlossenen Lehrwerkstätten für Holz und Metall. Parallel zum schulischen Unterricht absolvierten beide dort ab der 9. Klasse eine Ausbildung zum Schreiner.
Den älteren Bruder Christian (36) zog es nach dem Abitur nach Stuttgart um an der dortigen Akademie der Bildenden Künste Industriedesign zu studieren. Praktische Erfahrungen sammelte er nach dem Studium in einem renommierten Münchner Büro für Industriedesign, beim Designküchenhersteller Bulthaup und während seiner Zeit als selbstständiger Designer in London und Bremen. Heute ist Christian Thaler neben seiner freien Tätigkeit als Designer bei einem weltweit agierenden Unternehmen für die sogenannte Additive Fertigung tätig.
Einen anderen Weg schlug sein jüngerer Bruder Mathis Thaler (31) ein. Nach Gesellenjahren in verschiedenen Betrieben in Deutschland und Neuseeland besuchte er die Schule für Holz und Gestaltung in Garmisch-Partenkirchen und legte dort die Meisterprüfung ab. Mathis Thaler ist heute im Kreativ- und Planungsbereich des Ladenbauunternehmens Aichinger im fränkischen Wendelstein tätig.
„Die Idee, mal was zusammen zu machen, trieb uns schon seit einigen Jahren um“, so Christian Thaler. „Möbel in handwerklicher Kleinserie zu produzieren und das in direkter Kommunikation und Kooperation zwischen Gestalter und Hersteller.“ Heute entwickeln die beiden Brüder neben ihren Vollzeitjobs gemeinsam Möbel und Innenausbauten. Von der ersten Idee, die mal vom einen oder anderen Bruder stammt und dann zusammen weiterentwickelt wird, bis hin zu gemeinsam entworfenen Objekten, sind in den vergangenen Jahren bereits einige serienreife Möbel entstanden.
Stabil verspannt
Den Tisch „Kurt“ – ein Spiel mit dem Wort Spann(G)Kurt – entwickelte Christian Thaler eigentlich für den eigenen Bedarf, da er einen kompakten, außentauglichen Tisch für den heimischen Balkon benötigte. Bestehend aus einer quadratischen Platte und vier winkelig geformten Fußelementen aus 10 mm starker, weiß beschichteter Vollkernplatte, lässt sich dieser mittels eines, unter der Platte verlaufenden Spanngurtes verbinden. Die Stabilität und Winkelsteifigkeit des Tisches ergibt sich aus dem formschlüssigen Ineinandergreifen und der diagonalen Verspannung der einzelnen Elemente. Den Tisch „Kurt“ gibt es inzwischen auch in einer Größe von 160 x 80 cm aus gebleichter und lackierter Ahorn-3-Schichtplatte. Hergestellt werden beide Varianten in der Schreinerei von Mathis Thalers Meisterschulkollegen Günther Furnier in Adelsried bei Augsburg (www.schreinerei-furnier.de).
Flexible Raumstruktur
Eine Verneigung vor dem niederländischen Maler der Klassischen Moderne Piet Mondrian und seinen streng geometrisch gegliederten Werken stellt das variabel steckbare Regal
Piet M dar. Beim ursprünglich von Christian Thaler auch für den eigenen Bedarf entworfenen Regal lassen sich 19 mm starke Platten aus schwarz durchgefärbtem MDF über kleine, hakenförmige Verbindungselemente formschlüssig miteinander verbinden. Die Beschläge aus Multiplex/Aluminium greifen dabei in kleine, im Raster von 245 mm in die Platten eingefräste Taschen ein, die das rückwandlose Regal verbinden.
Achtung Vorfahrt
Auf einer pfiffigen Idee von Mathis Thaler basiert der Couchtisch „Attention“ aus farbig pulverbeschichtetem Aluminiumblech. Inspiriert wurde er durch die dreieckige Form von Verkehrsschildern, die auch als Prototypen dienten. Durch gleichmäßiges Abkanten der Spitzen entsteht ein dreibeiniger, stabil stehender Beistelltisch mit einer Höhe von 430 mm. Die Tischchen lassen sich einzeln oder im Dreier-Set aufstellen und zum Verstauen oder Versenden auch Platz sparend stapeln.
Nützlicher Helfer
Unverkennbar Pate stand bei der Trittstufe „Max Tritt“, einem gemeinsamen Entwurfsprojekt von Christian und Mathis Thaler, der bekannte Ulmer Hocker von Max Bill. In einer durchdachten Weiterentwicklung wurde daraus ein eigenständiges Produkt mit Mehrfachnutzen. In geschlossenem Zustand kann das Kleinmöbel aus massiver, fingergezinkter Tanne – dank eines Griffloches in der Sitzfläche leicht transportierbar – als Hocker genutzt werden. Ausgeklappt dient es als zweistufiger Tritt oder Bibliotheksleiter. Ein seitlich überstehender, in kräftigem Blau lackierter Zapfen arretiert den Tritt in geschlossener Position und dient gleichzeitig als „Auslöser“ zum Öffnen. „Max Tritt“ wurde in der Werkstatt von Mathis Thalers Meisterschulkollegen Stefan Goldbrunner in Mamming gefertigt (www.schreinerei-goldbrunner.de).
Kontinuierliche Entwurfsprozesse
„Klar gibt es den gestalterischen Geistesblitz, den Musenkuss oder die zündende Idee“, sagt Christian Thaler, gefragt nach den Quellen ihrer Entwürfe. „Der Tisch „Kurt“ war solch eine spontane Idee, die relativ schnell zum jetzigen Ergebnis führte“ gibt er zu. Ein weit größerer Teil der Projekte entwickele sich jedoch in einem zähen Ringen um die Idee, ergänzt sein Bruder Mathis. Manch ein Entwurf landet in der Schublade oder fristet ein Dasein in Skizzenbüchern, wird später wieder hervorgeholt, geprüft, verworfen oder weiterentwickelt und gerät vielleicht so über das Stadium eines Funktionsmodells zum fertigen Prototyp. „Die Zeit als Filterfunktion nutzen“, nennt Christian Thaler diesen Prozeß. Momentan sind die beiden kreativen Brüder dabei, Hersteller und Vertriebswege für ihre Produkte zu finden – und auch hier gilt „mit vereinten Kräften“.