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Bauchladen war gestern

Tischlerei Binder: Der Weg zum klaren Profil, Teil 1
Bauchladen war gestern

Ein alteingesessener Familienbetrieb, spektakuläre Referenzen, geballtes Know-how: Manch einer hätte kaum darüber nachgedacht, als es um die Übernahme ging: Doch für Julia Behrendt und ihren Bruder Jan Binder war schnell klar: So konnte es nicht weitergehen.

BM-Redakteurin Regina Adamczak

Als Julia Behrendt und Jan Binder in den Betrieb ihres Vaters einstiegen, war es ein bisschen so wie eine Katze im Sack. Über Geld wurde nie geredet. Gefertigt wurde, was rein kam: Möbel, Messebau, Objekte, Fenster und Türen. Die Tischlerei Binder war 1962 in der Bottroper Innenstadt vom Opa Alfred Binder gegründet worden. Zehn Jahre später zog das Unternehmen etwas weiter nördlich nach Bottrop-Kirchhellen in ein Gewebegebiet. Hier war mehr Platz. Man baute. 1989 übernahm Helmut Binder den Betrieb und verdoppelte die Produktionsfläche.

Tochter Julia wollte Grundschullehrerin werden. Dann entschied sie sich doch für eine Lehre im väterlichen Betrieb, wechselte noch während der Lehrzeit in eine andere Tischlerei und arbeitete anschließend als Gesellin in verschiedenen Betrieben. 2005 absolvierte sie die Meisterprüfung und unterstützte anschließend ihren Vater im Betrieb.

Ihren Bruder Jan zog es eigentlich schon früh in die Branche: Er wollte sofort nach der Schule eine Schreinerlehre in Garmisch-Partenkirchenmachen. Doch die Mutter sagte Nein. Das ärgerte ihn. Also noch ein paar Schleifen gedreht. Fachabitur. Zivildienst. Verschiedene Praktika. Dann doch: Tischlerlehre! Und 2010 die Meisterprüfung. Endlich Garmisch. Da ließ er sich dann nicht mehr reinreden. Den Meisterbrief in der Tasche stieg auch er in den Familienbetrieb ein.

Die Zahlen mussten auf den Tisch

Alles schien also klar: Eine Schreinermeisterin und ein Schreinermeister in bestem Alter, ein Vater, der sich langsam aus dem Gröbsten ausklinken wollte. Warum noch lange nachdenken? Doch blauäugig waren die zwei nicht. Die Katze musste aus dem Sack, die Zahlen auf den Tisch. Und schnell wurde klar: So rosig läuft das Geschäft nicht. Zwar wurden tolle Objekte eingerichtet und spektakuläre Theken gebaut, doch oft war man auch nur Subunternehmer, nur ein Notnagel. Die Auftragsreichweite war klein. Ebenso die Gewinnspanne. Mehr Planbarkeit musste her. Was war zu tun?

In die Zukunft denken

Wer nun ins Spiel kam, war Thomas Behrendt, der Mann von Julia. Behrendt hat Betriebswirtschaft studiert. Zwar hat seine jetzige Arbeit – er ist Großkundenbetreuer bei einem internationalen Beratungskonzern – mit dem, was eine Tischlerei macht und braucht, wenig zu tun. Doch Behrendt blickte immer schon gerne über den Tellerrand hinaus.

Nächteweise saßen die drei zusammen: Wie könnten sie sich aufstellen? Architekten – das war die erste Idee. Kontakte wurden aufgenommen, Präsentationen verschickt, Gespräche geführt. Doch Kaltakquise funktioniert bei Handwerkern nicht, das war die Erkenntnis. Die Prozesse sind zu lang.

Also belegte Behrendt ein Seminar in EKS – Engpasskonzentrierte Strategie (siehe Kasten Seite 59). „In einem betriebswirtschaftlichen Studium wird immer nur zurückgeschaut. Doch um Zukunftsstrategien zu entwickeln, muss man nach vorne gucken,“ so Behrendt. Er lernte Paul Meyer kennen. Der Ostfriese hatte schon 1997 das Franchisekonzept „Einer.Alles.Sauber.“ zusammen mit einem Kollegen entwickelt. Das Konzept richtet sich vornehmlich an Holzbau-Unternehmen und bietet Komplettmodernisierungen für Privatkunden an. Doch nicht irgendwie: Versprochen wird der staubfreie Umbau bewohnter Eigenheime. Heute gehören zu dem Verbund deutschlandweit knapp hundert Partner.

Breite Aufstellung ist schwierig

Thomas Behrendt überzeugte der Ansatz und gemeinsam mit Paul Meyer, aber auch mit seiner Frau Julia und seinem Schwager Jan machte er sich an die Arbeit: Zuerst wurde der Ist-Zustand des Familienbetriebes analysiert: Welche Engpässe gab es? Eigentlich war die Tischlerei Binder ja eine ganz normale Tischlerei, doch wenn man ehrlich und genau hinschaute, war genau das das Problem: Es war ein „Bauchladen“. „Die Erkenntnis war ganz schön schmerzhaft,“ sagt Jan Binder rückblickend.

Der erste Engpass war also die breite Aufstellung: Man kümmerte sich um Privatkunden, hatte Aufträge im Objektbau, bewarb sich um öffentliche Ausschreibungen oder arbeitete als Sub-Dienstleister für Kollegen. Das Ziel dahinter: „Wenn wir nicht genügend verdienen, müssen wir Angebot und Zielgruppen erweitern.“ Doch daraus ergab sich gleich der nächste Engpass: Von außen konnte niemand erkennen, wofür das Unternehmen eigentlich stand. Die Anziehungskraft ging gegen Null. Die Lage war nicht gerade rosig und der dritte Engpass waren folglich die Finanzen: Preisverhandlungen und Zahlungserinnerungen waren an der Tagesordnung, die Gewinne minimal. Das Ende vom Lied: Die Motivation ging flöten – der vierte Engpass.

Was sind die Stärken?

Und wenn Julia Behrendt und Jan Binder eines klar war, dann das: Die Arbeit sollte Spaß machen und natürlich sinnvoll sein. Ohne Wirtschaftlichkeit war das kaum möglich. Was war zu tun?

Folgende Fragen standen im Mittelpunkt: Was sind unsere Stärken? Welche Aufgaben lösen wir besonders gut und welche Zielgruppe ist am erfolgversprechendsten? „Unsere Stärke war und ist ganz klar der Möbelbau“, sagt Julia Behrendt. „Hier haben wir schon früher schöne Projekte realisiert, wie zum Beispiel den Thekenbereich im Rockefeller Plaza in New York, aber auch viele hochwertige Lösungen für Privatkunden.“

Geballte Fachkompetenz

In der Werkstatt arbeiten drei erfahrene Gesellen. „Unsere Mitarbeiter sind seit langen Jahren bei uns. Einer ist gerade in Elternzeit, einer geht in drei Jahren in Rente“, sagt Jan Binder. Dazu kommen drei Azubis, ein Helfer und eine Bürokraft. Der Senior Helmut Binder ist unterstützend dabei und last, but not least: die doppelte Meisterkompetenz von Julia Behrendt und Jan Binder. Beste Voraussetzungen also.

Die Produktion in Bottrop-Kirchhellen wurde seit 2013 fortlaufend modernisiert, optimiert und digitalisiert. Im Mittelpunkt steht eine Nesting-CNC-Maschine. Die Produktionszeichnungen werden in 3D erstellt und per CNC-Generator, CAD/CAM-Schnittstelle übertragen. Die Zeichnungen werden – wo es passt – mit dem Korpusgenerator erstellt. Ebenso wurde der Materialfluss in der Werkstatt optimiert.

Es geht noch spezialisierter

„Zuerst wollten wir als Zielgruppe Gewerbekunden und Privatkunden ansprechen“, erinnert sich Behrendt. Doch Paul Meyer rät ab: „Zu wenig spitz.“ Spitz? „Ja, eine Spezialisierung muss sich wirklich auf eine Zielgruppe konzentrieren, sonst geht zu viel Energie wieder verloren“, erklärt Behrendt. In der Vergangenheit war es in der Tischlerei Binder oft so, dass die kleineren Aufträge der Privatkunden warten mussten, wenn Abgabetermine von Objekten gehalten werden mussten. Klar, dass die Privatkunden davon wenig begeistert waren. Das sollte sich ändern. Denn: Die großen Projekte sprengten in der Vergangenheit regelmäßig die Produktion. Gleichzeitig war die Auftragslage nach Fertigstellung oft ungewiss. Also war klar: Privatkunden sollten die Zielgruppe werden!

Die Frauen entscheiden

Doch selbst da stellte sich schnell heraus: Auch hier geht es noch „spitzer“. Die Generation 50 plus sollte es sein. Und auch von dieser sinnvollerweise nur ein spezielles Segment: Menschen, die in einer Partnerschaft leben, Wohnungseigentum haben und eine entsprechende Kaufkraft und Zahlungsbereitschaft. Auch das klingt erst einmal nicht spektakulär, doch die drei guckten noch genauer hin: Laut Umfragen entscheiden zu 92 % die Frauen, wenn es um das Thema Inneneinrichtung geht. Und so war die Zielgruppe endlich gefunden: Es war nicht der Kunde, sondern es war: die Kundin. 50 plus. Mit Sinn für schöne Möbel, die individuell zu ihr und ihrem Wohnraum passen und zudem über Funktionalität und Ordnungssysteme verfügen. Voilá!

Wie kann die Zielgruppe überzeugt werden?

Doch war man damit nun am Ziel? Nein, denn nun fingen die Fragen erst richtig an: Was war das brennendste Problem dieser Kundin? Und wie konnte sie erreicht, von dem Angebot der Tischlerei überzeugt und zur vollsten Zufriedenheit bedient werden?

Wie Julia Behrendt und Jan Binder gemeinsam mit Thomas Behrendt ein umfassendes Konzept für ihr Unternehmen entwickelten und warum sie erst 2017 den Betrieb komplett übernahmen, erfahren Sie im zweiten Teil dieser Kurzserie in BM 05/20.

Binder Innenausbau GmbH

46244 Bottrop-Kirchhellen

www.innenausbau-binder.de


Engpasskonzentrierte Strategie

Außergewöhnlichen Erfolgen auf der Spur

Manche Unternehmer erzielen außergewöhnliche Erfolge. Warum ist das so? Wolfgang Mewes analysierte Hunderte von Fällen und erkannte darin ein Muster: Er entwickelte die Engpasskonzentrierte Strategie. Kurz: EKS oder Mewes-Strategie.

In sieben Phasen geht es darum, sich auf seine Stärken zu konzentrieren, eine Zielgruppe zu definieren, deren Engpass zu lösen und sich darauf zu spezialisieren:

  • Phase 1: Analyse der Ist-Situation: Wo sind unsere speziellen Stärken und welche Aufgaben lösen wir besonders gut? Kernkompenzen?
  • Phase 2: Was bewirke ich mit meinen Stärken? Welches Geschäftsfeld verspricht am meisten Erfolg? Welche Probleme löse ich besser als andere? Was also ist die passende Spezialisierung?
  • Phase 3: Welches ist die erfolgsversprechendste Zielgruppe? Für welche Zielgruppe hat mein spezielles Angebot den größten Nutzen? Was ist die optimale Marktnische?
  • Phase 4: Was ist das brennendste Problem dieser Zielgruppe? Oder nach Mewes: Welches ist der Engpass, den ihre Zielgruppe am dringendsten empfindet?
  • Phase 5: Analyse von Innovationspotenzial: Wie kann ich meine Leistung oder mein Angebot weiter verbessern, um den größten Engpass meiner Zielgruppe zu lösen?
  • Phase 6: Mit wem kann ich zusammen arbeiten? Als Spezialist sind sie auf Kooperationspartner angewiesen, da sie nicht alles selber in der Qualität leisten können, die ihre Zielgruppe erwarten darf. Suchen sie daher systematisch nach Kooperationspartnern, die mit ihren Zielen übereinstimmen und ihre Leistung sinnvoll ergänzen.
  • Phase 7: Welches Grundbedürfnis befriedige ich mit meinem Angebot? Vieles ändert sich: Trends, Herstellungsverfahren oder Rahmenbedingungen. Bestehen bleiben die Grundbedürfnisse nach Nahrungsmitteln, Kleidung, Wohnung, Mobilität, Information, körperlicher Fitness und anderem. Folglich ist nur die Spezialisierung auf dauerhafte Grundbedürfnisse nachhaltig erfolgreich.

www.strategie.net


Serie in drei Teilen

Ein Konzept auch für Kollegen

Wie eine ganz normale Tischlerei in Nordrhein-Westfalen ein Konzept entwickelte, mit dem sie selber gut fährt und von dem auch Kollegen profitieren könnten, erfahren Sie in dieser Serie:

1. Teil: Warum sich die Tischlerei Binder entschieden hat, in Zukunft keine spektakulären Theken zu bauen, sondern sich auf Kundinnen zu spezialisieren.

2. Teil: Wie kann eine konsequente Ausrichtung gelingen?

Jedes Detail muss stimmen

3. Teil: Was bringt dieses Konzept für andere Tischlereien und Schreinereien?

Funktioniert auch für andere Tischler


BM-Redaktuerin Regina Adamczak

Das habe ich mich gefragt

Verderben viele Köche den Brei?

Schwester, Bruder, Vater, Opa … und dann mischt da noch der Schwager mit. Kann das gelingen? Ich war skeptisch. Doch beim Besuch der Tischlerei Binder lernte ich: Wenn jeder seinen festen Aufgabenbereich hat, kann jeder mit seinen persönlichen Fähigkeiten zum Gelingen beitragen und keiner muss zurückstecken. Respekt und Akzeptanz vorausgesetzt! Drei starke Persönlichkeiten bilden ein starkes Team.

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