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Die Lust, zu bewahren

Holzmanufaktur Rottweil ist Spezialist für Restaurierung
Die Lust, zu bewahren

Günther Seitz und Hermann Klos haben eigene Ideen entwickelt, wie sie alte Fenster auf Neubaustandard bringen. Auch die Rekonstruktion von Bauausstattungen ist ihr Spezialgebiet. Und alles nur, weil sie schöne Dinge einfach nicht wegwerfen können.

von Christine Speckner

Am Spätnachmittag, wenn Sonnenlicht durch die Rundbögenfenster fällt, fühlt man sich in eine andere Zeit zurückversetzt. In der Werkstatt steht Günther Seitz und sagt: „Das begeistert mich auch nach 30 Jahren noch, dass wir Holzteile reparieren, die 300 Jahre alt sind. Die halten locker wieder 100 Jahre.“ Die Holzmanufaktur Rottweil hat sich auf die Reparatur und Restaurierung von historischen Ausstattungen spezialisiert, vor allem Fenster, und auch Türen, Böden und Täfer.

Wertschätzen statt wegwerfen

Wenn sie sich damals nicht so geärgert hätten, gäbe es die Firma heute nicht. Vor über 30 Jahren, als Günther Seitz und Hermann Klos noch als angestellte Schreiner arbeiteten, waren sie es leid, im Kundenauftrag häufig alte Fenster und Türen aus schönen Altbauten wegzuwerfen. Der respektvolle Umgang mit dem Baudenkmal, der Erhalt der alten Qualität, war Nebensache. Genau das begeisterte die jungen Tischler. Um Altes zu bewahren, wagten sie den Schritt in die Selbstständigkeit und mieteten eine kleine Dorfschreinerei bei Rottweil. Ein Zeitsprung in die Gegenwart. Heute beschäftigt die Firma 64 Mitarbeiter und ist europaweit unterwegs. Neulich kam eine Einladung nach Venedig. Dort soll ein Palazzo mit Hunderten Fenstern saniert werden. Auch wenn solche Anfragen nicht jeden Tag auf dem Tisch liegen, so ist das „schützenswerte Kulturgut Fenster“, wie es Hermann Klos nennt, zum wichtigsten Umsatzbringer geworden. 10 Mio. Euro Jahresumsatz macht der Betrieb mit Fenstern. Zwei Drittel fallen auf Reparatur und Restaurierung, ein Drittel auf die Rekonstruktion historischer Fenster.

Hervorragender U-Wert

„Die Anforderungen an den Wärmeschutz steigen ständig. Deshalb haben wir für sämtliche Fensterkonstruktionen eigene Konzepte für die Restaurierung und Rekonstruktion entwickelt“, sagt Klos. Da es sich bei den Projekten in der Regel um denkmalgeschützte Gebäude handelt, darf sich die filigrane Erscheinung eines Bauteils nicht verändern. Handwerkliche Präzision gehört dazu, um ein altes Fenster auf den Standard eines Neubaufensters zu bringen. Zum firmeneigenen Team gehören zwölf Schreinermeister, 40 Schreinergesellen, fünf Schreinerazubis, fünf Maler. Dazu zwölf Mitarbeiter in der Verwaltung, die von der Prokuristin Adelina Bytyci-Dodolli geleitet wird.
Zurück in die Werkstatt. Nach der Dokumentation der sichtbaren Schäden vor Ort, dem Ausbau und Transport nach Rottweil, werden je nach Schadensbild Beschläge korrigiert, Fenster justiert, morsche Stellen ausgebessert. Oder neue Wetterschenkel an den Fensterflügeln angesetzt. Schöne, alte Gläser werden vorsichtig aus dem Kittfalz herausgelöst und gereinigt. Das Isolierglas kann mit Wiederverwendung der alten Scheibe hergestellt werden. Allein für den Fenstertyp „Kastenfenster“ wurden acht verschiedene Varianten der Ertüchtigung entwickelt. Nur ein Beispiel: „Ersetzen wir die innere oder äußere Verglasung durch besonders hochwertige Isolierverglasung, erreichen wir für das gesamte Fenster einen Ug-Wert von 0,45 W/m²K – bei einer Isolierglasstärke von nur 17,2 mm“, sagt Klos.

In Kooperation mit einem regionalen Glashersteller hat die Holzmanufaktur Sondergläser entwickelt, die dünn sind und trotzdem einen guten U-Wert haben. Auch bei der Rekonstruktion hängt die Gestaltung vom denkmalpflegerischen Konzept ab. Soll etwa ein Barockfenster nachgebaut werden, kommt es auf viele Details an: Profile und Querschnitte wie beim Original, Eckverbindungen „auf Hobel gefertigt“, Sprossenkreuze auf Gehrung gearbeitet, Wetterschenkel aus einem Stück, geschlossene Brüstungen, Oberfläche auf Ölbasis lasierend und in der Optik gealtert, Scheiben mit Wellen, Schlieren und Blasen.

Campus mit Geschichte

Der Firmenstandort hat einen Wow-Effekt. Hier im Neckartal, fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, stand im 16. Jahrhundert eine Pulverfabrik mit vielen Gebäuden. Später wurden die Anlagen zur Herstellung von Viskosegarnen umgenutzt. Nach dem industriellen Niedergang lag das Areal Jahrzehnte brach. Seit Mitte der 1990er-Jahre entwickelte sich die Industriebrache zum modernen Gründerzentrum. Für viele alten Gebäude die Rettung in letzter Minute. Als erster Handwerksbetrieb zog 1993 die Holzmanufaktur auf das Areal, erwarb nach und nach sieben Gebäude und sanierte die maroden Industriebaudenkmäler. Auf 6500 m² entstand so ein Campus mit Charme: Die ehemalige Jakobskirche wird heute als Schreinerei genutzt, die Heneshalle als Büro und Ausstellung, das WC-Häuschen ist jetzt ein Aufenthaltsraum für Mitarbeiter. Das Feuerwehrhaus dient als Holzlager, das ehemalige Pumpenhaus ist heute Malerwerkstatt und Schulungsraum. Die Spulerei wurde zur Glaswerkstatt. Daneben die Metallwerkstatt mit Lager. Vier der Gebäude wurden mit dem Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet. Kein Wunder, dass sich in den letzten 24 Jahren im Neckartal weitere 70 Betriebe angesiedelt haben.

Forschung und Innovation

Die Holzmanufaktur hat eine Methode entwickelt, mit der sie im Baudenkmal die ästhetische, materielle und konstruktive Qualität von Bestandsfenstern erhalten kann. Gleichzeitig werden ein besserer Wärme- und Schallschutz und sicherheitsrelevante Standards erreicht. Das Fensterprojekt wurde 2016 von der Landesregierung, Wirtschaftsverbänden und Universitäten ausgezeichnet. „Dabei haben wir ein gebrauchtes Fenster durch Reparatur und Ersatz veralteter Komponenten auf den Qualitätsstandard eines Neubaufensters gebracht. Damit konnten wir nachweisen, dass Baudenkmäler energetisch nicht der Norm hinterherhecheln müssen“, betont Seitz. Derzeit fördert die Holzmanufaktur weitere Forschungsprojekte mit der Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau, sowie der Hochschule für Technik Stuttgart und dem Fraunhofer-Zentrum für energetische Altbausanierung und Denkmalpflege Benediktbeuern. Ziel ist die wissenschaftliche Zertifizierung der entwickelten Qualitätsstandards. „Das wird immer wichtiger dem Bauherrn gegenüber“, so Seitz.

Ein Eispavillon erwacht

Hunderte denkmalgeschützte Projekte haben die Rottweiler mit Partnern aus den Bereichen Oberfläche, Metallverarbeitung und weiterer angrenzender Gewerke realisiert, darunter viele internationale Projekte, auch Klöster, Schlösser, Staatsbibliotheken. Ihr Fachwissen stellt die Holzmanufaktur auch für Planungen zur Verfügung, von der Bestandserfassung bis zur abnahmefähigen Ausführung. An 8000 Adressen werden die Firmenbroschüren verteilt: Denkmalpflege, Bauämter, Architekten. Oft werden sie weiterempfohlen. So auch bei einem renommierten Projekt in der Schweiz. Der zuständige Denkmalpfleger meinte etwas scherzhaft: „Wenn Sie in den tausend Tälern Graubündens niemanden finden, der das machen kann, dann gehen Sie halt ins Neckartal nach Rottweil.“ So kam es. Pünktlich zur Schweizer Skiweltmeisterschaft 2017 wurde der Eispavillon (Baujahr 1905) in St. Moritz vom bekannten Architekten Norman Foster saniert. Schließlich erhielt die Holzmanufaktur den Auftrag 50 historische Fenster und die Außentüren zu restaurieren und teilweise zu rekonstruieren. Nach 30 Jahren Leerstand eine besondere Herausforderung. Viele Bauteile waren in kritischem Zustand. Die Hölzer morsch, verfault, die Konstruktionen gelöst.

Alufenster im Denkmal

Baudenkmäler werden immer jünger. Darin liege die Herausforderung der Zukunft, sind Klos und Seitz überzeugt. Damit ändern sich die Baumaterialien. Bei der Aufstockung des Erweiterungsbaus der Bayerischen Staatsbibliothek in München z. B., haben sie es zurzeit mit Aluminiumfenstern aus den 1970er-Jahren zu tun. Auch diese Fenster werden in Rottweil restauriert. Auch Kunststofffenster werde man in absehbarer Zeit in Baudenkmälern ertüchtigen müssen, so Klos. Deshalb plant die Holzmanufaktur ein Forschungsprojekt mit der Hochschule für Restaurierung in Köln. Dabei wird untersucht, wie man Kunststoffoberflächen, die sich auflösen, als historische Bauteile erhalten kann.

Holzmanufaktur Rottweil

78628 Rottweil

www.holzmanufaktur-rottweil.de


Die Autorin

Christine Speckner ist freie Journalistin und lebt bei Freiburg.

www.christine-speckner.de

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