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Die Vier-Tage-Woche

„Wir haben den Berg überschaubar gemacht“
Die Vier-Tage-Woche

„Am Freitag hab ich frei“, singt in einem Kinderbuch das Sams. Für die Mitarbeiter der Schreinerei Schäffer ist dieser Traum Wirklichkeit geworden – und das ohne Abstriche beim Einkommen. Wie ist das möglich? BM-Redakteurin Natalie Ruppricht

I Es ist wie im Hamsterrad: Man hetzt von einem Termin zum nächsten, den Schweiß auf der Stirn, keine Zeit fürs Mittagessen. Man berät Kunden, konstruiert, weist Mitarbeiter ein, schreibt Angebote und Rechnungen. Welcher Selbstständige kennt sie nicht, die 60- oder gar 70-Stunden-Woche?

Martin Schäffer – Schreinermeister, Techniker und Gestalter – wollte so nicht weitermachen. Um seine eigenen Überstunden, aber auch die der Angestellten in den Griff zu bekommen, hat er im Frühjar 2015 eine Vier-Tage-Woche eingeführt. Ein großer Auftrag hatte zuvor ein halbes Jahr lang das ganze Team geschlaucht und alle wünschten sich eine Veränderung. „Diese Chance musste ich einfach nutzen“, erzählt der 48-Jährige, „schließlich will ich bis zur Rente durchhalten – und sie dann auch genießen können.“
Alle in einem Boot: Verantwortung teilen
Das innovative Arbeitszeitmodell ist Teil eines Zeitmanagement-Systems, das insgesamt aus drei Säulen besteht. Zunächst ging es Schäffer darum, die Verantwortung im bereits 1948 gegründeten Betrieb auf mehrere Schultern zu verteilen. Also beschäftigt er inzwischen zwei festangestellte Meister: Hans Berroth und Gerhard Sautter unterstützen ihn bei der Arbeitsvorbereitung für drei Gesellen und zwei Auszubildende und arbeiten zudem 50 % ihrer Zeit produktiv mit – wie auch der Chef. Der stellt sich seine Firma als Karren vor: „Früher saßen die Mitarbeiter hinten und ich habe allein gezogen. Heute ziehen wir zu dritt und alle helfen schieben.“
Die zweite Säule ist eine langfristig angelegte, aber sehr detaillierte Kapazitätsplanung für alle anfallenden Werkstatt- und Montagearbeiten mit großzügigen Pufferzeiten. Die dritte: eine mittel- bis kurzfristige Aufgabenplanung und -verteilung im Büro.
Die Zeiten im Blick
Ende 2014 stellte Schäffer das weitere Vorgehen vor: Statt wie bisher 38,5 Wochenstunden je Geselle zu verplanen, würden es künftig nur noch 32 sein. Der Freitag wäre in der Regel frei – sowohl für die Fach-, als auch für die Führungskräfte. „Ich wollte, dass es für uns alle entspannter wird.“
In einer Excel-Liste planen die drei Meister-Kollegen das ganze Jahr durch: jeder Tag eine Zeile, je Mitarbeiter eine Spalte. Entsprechend ihrer Kalkulation verteilen sie die Werkstatt- und Montagezeiten der einzelnen Aufträge. Dafür stehen von Montag bis Donnerstag acht Stunden pro Person zur Verfügung. Und am Freitag 6,5 Pufferstunden. „Etwa 12 % unserer Arbeitszeit bleiben also erst mal offen“, erklärt Schäffer. Dieser Puffer darf immer erst in der laufenden Woche angerührt werden, etwa wenn Mitarbeiter krank sind oder ein eiliger Auftrag rein kommt. „So haben wir immer Zeit für Unvorhergesehenes und kommen trotzdem selten ins Schwitzen.“
Dauert eine Montage länger als kalkuliert, entscheiden die Angestellten selbst, wie sie sich die Mehrarbeit einteilen. „Viele bleiben donnerstags länger. Dadurch sparen wir eine zusätzliche Anfahrt. Andere arbeiten freitags ein paar Stunden.“
Im Schnitt war 2015 jeder zweite Freitag wirklich frei und die wöchentliche Arbeitszeit der Gesellen liegt mittlerweile bei 36 Stunden. Ihr Lohn hat sich nicht verändert: Sie erhalten nach wie vor ein stetiges Einkommen. Werden die Pufferzeiten nicht benötigt, bauen sie Überstunden ab, kommt etwas dazwischen, werden es wieder mehr. Die anfängliche Sorge, dass das Überstundenkonto dahinschmilzt, hat sich nicht bestätigt. „Die Mitarbeiter haben zwar 30 bis 50 Stunden abgebaut. Im Laufe der Jahre hatten sich aber teilweise bis zu 150 Stunden angesammelt“, schmunzelt Schäffer. Er kann sich an den ruhigen Freitagen auf die Büroarbeit konzentrieren und muss nicht mehr jeden Samstag arbeiten. „Das tut auch der Familie gut!“
Klare Aufgabenteilung
Im Büro gibt es für die Meister ebenfalls eine Liste. Jeder darf jedem Aufgaben vergeben, etwa: „Auftrag XY fertig – bitte Rechnung schreiben.“ Der Plan sieht vor, dass für Berroth und Sautter maximal 30 Stunden verplant werden, für Martin Schäffer bis zu 40. „Zehn Stunden kommen eh immer drauf“, lacht der Betriebsinhaber. Er ist mit seiner heutigen 50-Stunden-Woche aber sehr glücklich: „Früher hatte ich immer 20 Aufgaben im Kopf, jetzt ist der Berg überschaubar. Wenn ein überraschender Anruf kommt, kann ich schnell einschätzen, ob wir den Auftrag annehmen können oder nicht.“
Weniger Fehler dank besserer Planung
„Wie verdienen die ihr Geld?“, wird sich der eine oder andere Kollege fragen. „Man muss es sich natürlich leisten können, auch mal nein zu sagen“, gibt Martin Schäffer zu und beschreibt die Zwickmühle, in der er wie viele seiner Kollegen steckte: „Es fällt uns schwer, Kunden einen Wunsch abzuschlagen. Deshalb arbeiten wir oft am Anschlag – und dabei passieren Fehler. Geschwind heißt immer: Man macht es drei Mal. Durch die detaillierte Planung und unsere Pufferzeiten haben wir jetzt mehr Ruhe und Vorlauf.“
Der Innenausbauer hat außerdem seinen Zulieferanteil erhöht und lagert somit das Risiko der Produktion aus. „Unser einziger Engpass ist heute die Montage.“
Trotzdem rechnete er mit einer Auswirkung auf die Erfolgszahlen. Gemeinsam mit Martin Braun, dem betriebswirtschaftlichen Berater im Landesfachverband Baden-Württemberg, hat er daher Mindestumsätze definiert und die notwendige Anzahl verrechenbarer Stunden bestimmt, damit der Deckungsbeitrag positiv ausfällt. Anfangs wurde jeder Auftrag engmaschig überwacht. Inzwischen ist der Stuttgarter aber entspannt: „Unser Umsatz ist um 10 % gesunken, der Gewinnrückgang liegt bei ca. 13 %. Beides ist tragbar und ein annehmbarer Preis für das Mehr an Lebensqualität.“ 2015 sei aber auch kein einfaches Jahr gewesen: „Im Frühjahr hatten wir wenig Arbeit – da kam uns unser neues Arbeitszeitmodell sogar entgegen.“
Während im Kleinbetrieb ein fester Puffertag die beste Möglichkeit sei, ein flexibles Zeitsystem umzusetzen, biete es sich in großen Betrieben – wo die Auslastung der Maschinen eine wichtige Rolle spielt – an, den Schichtbetrieb anders aufzuteilen. „Wer sehr viele Angestellte hat, kann die Rückgänge wahrscheinlich sogar kompensieren.“
Die Angst ablegen und das Leben genießen
„Anfangs saß ich an meinen freien Wochenenden oft daheim und wusste gar nicht, was ich mit der Zeit anfangen soll“, erinnert sich Schäffer. „Wenn man sich aber erst einmal daran gewöhnt hat und die Angst ablegt, man könnte zu wenig Arbeit haben, ist es einfach nur paradiesisch.“ I
Schreinerei Martin Schäffer
70599 Stuttgart

Und es geht doch!

Meine Meinung

Neulich habe ich einen Vortrag gehört: Ein IBM-Mitarbeiter erzählte Handwerkern, wie sie Ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigern können. Da war unter anderem die Rede von flexiblen Arbeitszeiten und Arbeit im Home-Office. Ein Aufschrei ging durch die Reihen: „So etwas ist in unserer Branche überhaupt nicht möglich.“ Das Beispiel von Martin Schäffer zeigt: Es geht sehr wohl.
Ja, meine Generation wünscht sich mehr Freiheiten und kann mit dem Satz „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ wenig anfangen. Gehen Sie einen Schritt auf junge Menschen wie mich zu und schaffen Sie eine Win-Win-Situation. Sonst stehen Sie womöglich bald ohne Fachkräfte da.
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