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Ein automobiles Vorbild

Wie Luft und Liebe den Fensterbau revolutionierten
Ein automobiles Vorbild

Schreinermeister Stefan Herder hat die Professionalität der Industrie auf ein mittelständisches Handwerksunternehmen übertragen. Viele kleine Maßnahmen und eine Luftbefeuchtungsanlage ermöglichen top Oberflächen für Holzfenster und Haustüren. BM-Redakteurin Natalie Ruppricht

I Christoph Höhbauer ist Physiker. Seit Januar 2016 leitet er das operative Geschäft eines Fensterbaubetriebes, den sein Großvater 1950 im oberpfälzischen Luhe-Wildenau gegründet und der Vater, ein Architekt mit Vetriebstalent, zur heutigen Größe mit 350 Mitarbeitern und rund 16 000 m² Produktionsfläche weiterentwickelt hat. Doch dem Junior-Chef fehlte noch etwas: „Bis zum Tod meines Opas war die Höhbauer GmbH sehr fertigungsorientiert, Danach entstand ein Vakuum. Ich wollte wieder einen Fachmann in die Geschäftsführung holen und suchte schon lange nach einer Führungskraft im technischen Bereich.“

Engpass Lackierung
Zu seinem Glück zog es Schreinermeister Stefan Herder, der einige Jahre bei Daimler in Sindelfingen gearbeitet hatte, 2013 zurück in die bayerische Heimat. „Ich wusste sofort, dass er der Richtige für uns ist“, erinnert sich Höhbauer. Denn: „Er kennt sowohl das Handwerk, als auch die große Automobilwelt, wo jeder Prozess bis ins kleinste Detail designed und dokumentiert ist.“ Eingestellt wurde Herder als technischer Leiter und eines seiner ersten Projekte war die Optimierung der Holzfensterfertigung. Hier, im ältesten Teil der Firma, herrschten beengte Verhältnisse. Die Strukturen waren gewachsen, die Prozesse hatten sich entwickelt und gehörten überdacht. Der Flaschenhals war schon immer die Lackierung: Vor allem farbige Oberflächen mussten mehrmals gespritzt und häufig zwischengeschliffen werden, um die gewünschte Qualität zu erzielen. Das störte den Materialfluss. Gemeinsam mit der ganzen Mannschaft hat Herder viele Einzelmaßnahmen – manche scheinbar banal – erarbeitet und umgesetzt, um Staub und Schmutz zu reduzieren.
Ein Modell kann Augen öffnen
„In einem Workshop haben wir zunächst den Produktionsfluss erarbeitet“, erzählt Herder. Dazu wurde die Holzfertigung im Maßstab 1:20 nachgebaut. Jeder Kollege fand sich und seinen Arbeitsplatz darin wieder. Dann wurde das Modell zerlegt und jede Abteilung hat ihre Abläufe optimiert. „Als wir die Teile wieder verbanden, waren die Zusammenhänge plötzlich für jeden klar“, schwärmt Herder. „Die Ideen sind nur so gesprudelt.“ Christoph Höhbauer ergänzt: „Wenn man das Wissen seiner Mitarbeiter nutzt, muss man keine Überzeugungsarbeit leisten.“ Nach dem Workshop wurde ein Hallenanbau realisiert, denn an der SCM-Fertigungsstraße fehlte Lagerfläche für vorkommissionierte Fensterkanteln. Außerdem stimmte der Materialfluss nicht: Wegen der Anordnung der Maschinen war für den Rohschliff eine Rückwärtsbewegung nötig.
Besen und Lack machen den Unterschied
Weiter ging es in der Malerei: „Anstatt wie bisher Symptome zu behandeln und ein Türblatt fünfmal zu lackieren, weil das Ergebnis nicht stimmte, haben wir uns auf die Suche nach den Ursachen gemacht: Wo kommt der Staub her?“ Er fiel beispielsweise von den Traversen, an denen die Werkstücke fürs Fluten und Lackieren aufgehängt werden. „Also haben wir zwei Straßenbesen am Ende des Rundlaufs montiert.“ Sie streifen vor dem erneuten Bestücken den überschüssigen, getrockneten Lack ab. Als Nächstes hat Herder die beiden Handspritzstände unter die Lupe genommen: Früher waren die Wände verwinkelt, am Boden lag eine einfache PE-Folie. „Der Schmutz war quasi überall und immer in Bewegung. Man hatte keine Chance, dagegen anzukommen.“ Heute ist der Lackierbereich abgetrennt. „Das war keine riesige Investition: Wir haben die Wände mit Platten verkleidet und sauber lackiert, damit man sie abwischen kann.“ Am Boden wurde eine Folie verklebt, die den Overspray festhält. Inzwischen putzt eine Reinigungsfirma jeden Samstag das gesamte Gebäude. „Das hat den Vorteil, dass wir freitags bis Feierabend produzieren können.“ Und in der Flutanlage sorgt eine spezielle Beschichtung dafür, dass sich die „Tropfsteinhöhlen“ ganz einfach abziehen lassen.
Beharrlichkeit wird belohnt
Nach all diesen Maßnahmen gab es trotz vieler Verbesserungen immer noch kleine Pickel in der Oberfläche. „Die ersten 90 % waren ein Kinderspiel. Für die letzten 10 % muss man hartnäckig und ausdauernd sein“, sind sich Höhbauer und Herder einig. Manche Mitarbeiter verzweifelten mit dem neuen Kollegen: „Hör auf, Herder, das wird nix. Wir sind nicht in der Automobilbranche.“ Doch der hartnäckige Schreinermeister hat nicht locker gelassen. Für 90 Euro kaufte er sich ein USB-Mikroskop und schaute sich damit die Verunreinigungen an. Sie entpuppten sich als Partikel einer anderen Farbe. Oberflächenpartner und Lacklieferant Adler wusste: „Das kann sich von der Pistole lösen. Schau Dir mal die Spritzdüse an.“ Obwohl die regelmäßig gereinigt wurde, fand Herder dort tatsächlich viele Rückstände. „Adler empfahl uns, die Zerstäuberluft zu befeuchten. Mit einer Anlage von Herbert Hauptkorn konnten wir schließlich alle Themen auf einmal erschlagen.“
Feuchte Luft für reproduzierbare Ergebnisse
Wasserlack hat einen Festkörperanteil von nur 40 bis 45 % und besteht zum Großteil aus H2O. Dieses verflüchtigt sich bei trockener, kalter Umgebungsluft schnell. Die Folgen: Overspray, Orangenhaut und Bläschenbildung sowie Haftungsprobleme. Dazu Hauptkorn: „Der Lack muss so lange offen bleiben, bis das Wasser draußen ist und die schweren Partikel nach unten gelangt sind.“ In seinen Anlagen bereitet er das Wasser zunächst auf, indem er Kalk, Erdionen und Kohlendioxid entfernt. Dann wird die Druckluft auf 55 °C aufgeheizt und gesättigt, um den Feuchtigkeitsverlust zu ersetzen. Die Zerstäubung sei dadurch viel feiner. Man komme besser in die Fälze und sehe auch bei stark pigmentierten Lacken keinen Farbtonunterschied. „Die Verfilmung ist ausgezeichnet“, verspricht der Erfinder. „Man fühlt es sogar: Der Lack greift sich samtiger an, die Oberflächenspiegelung ist ruhig und klar.“ Die zweite Komponente, eine Hochdruckluftbefeuchtungsanlage, sorgt nicht nur in der Malerei, sondern in der gesamten Fertigung für konstante klimatische Bedingungen. Dadurch arbeitet das Holz nicht mehr. Es lässt sich besser verarbeiten, ist maßhaltig und nimmt Grundierung, Zwischenlack und Endbeschichtung besser an. „Heute ist es kein Problem mehr, wenn wir Profile, die freitags gefräst wurden, erst montags verleimen“, bestätigt der Produktionsleiter.
Hochdruck- und Druckluftbefeuchtung waren innerhalb einer Woche installiert. Die Kosten von rund 60 000 Euro haben sich schnell amortisiert, weil Nacharbeit und Reklamationen deutlich weniger wurden und der Lackverbrauch um ca. 35 % gesunken ist.
Mit einfachen Mitteln viel erreichen
Herder arbeitet auch weiterhin an einer kontinuierlichen Verbesserung in allen Bereichen: „Vor allem die Taktung muss passen.“ Holten sich die Mitarbeiter aus der Endfertigung ihr Material früher selbst im Lager ab, werden sie heute nach dem Milkrun-Prinzip beliefert. Nach einem Messerwechsel an der SCM wird erst Nadelholz bearbeitet, später Meranti. Und verschiedene Aufträge mit derselben Farbe durchlaufen gemeinsam die Flutanlage. „Oft sind es die einfachsten Mittel, mit denen wir viel erreichen können“, resümiert Herder. „Man muss nur die Augen offen halten.“ I

Ein spannender Lebenslauf

Meine Meinung

Stefan Herder hat bei einem Acht-Mann-Betrieb gelernt, fertigte nach der Meisterschule Holzzierteile für Autos und wurde schließlich von Daimler in die Entwicklung berufen. Er bereiste Zulieferbetriebe in der ganzen Welt und hatte regelmäßigen Kontakt mit dem Top-Management. Trotzdem ist Herder auf dem Boden geblieben und darf sich heute – zurück im Handwerk und in seiner Heimat – bei Fensterhersteller Höhbauer auf professionelle Art und Weise so richtig austoben. Er füllt Managementtheorien mit Leben und reißt eine ganze Firma mit. Das macht nicht nur ihn sympathisch, sondern auch seinen Chef, der ihm Vertrauen schenkt und ihn machen lässt.


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