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Kunststoff statt Glas

Schreinerei Helm zeigt, was mit Acrylglas alles möglich ist
Kunststoff statt Glas

Ein fast vergessender Werkstoff erlebt wieder seinen Aufschwung – Acrylglas. Im Gegensatz zu früher, können mit dem Werkstoff viele Anwendungsbereiche abgedeckt werden. Zudem lassen sich diverse Materialien in den Kunststoff einbetten. Die Schreinerei Helm hat sich auf Acrylglas spezialisiert und gibt hilfreiche Tipps für die Verarbeitung.

Rainer Hardtke

Erst im Dezember 2016 restauriert, strahlt das Kölner Lichtspielhaus „Filmpalast“ im neuen Glanz. 1931 von Wilhelm Riphahn entworfen, war der Filmplast einst das größte Kino Westdeutschlands und Schauplatz glamouröser Filmpremieren und Sondervorstellungen. Heute strahlt es wieder in neuem Glanz. Erhalten blieben der Eingang mit seinen goldfarbenen Metalltüren, typisch für die 50er- und 60er-Jahre aus Eloxal. Und auch das Foyer mit den beiden großen Freitreppen verspricht – vermutlich wie früher – die Vorfreude auf ein glamouröses bevorstehendes Kinoerlebnis. Das unterstreicht auch die neue Theke in der ersten Etage, an der man Popcorn und Getränke bestellt und bewusst oder unbewusst den goldenen Glanz des Eingangs in sich aufnimmt.

Grund dafür ist auch die üppige Dekoration der riesigen Theke, die fast die gesamte Breite des Eingangs einnimmt. Hergestellt hat die Theke die Möbelmanufaktur Helm Design aus Troisdorf bei Köln. „Wir waren sehr früh in die Planungen eingebunden und kannten die strengen Auflagen des Denkmalschutzes“, sagt Inhaber Daniel Helm: „Und um den alten Glanz auf neue Art zu interpretieren, entschlossen wir uns zu einer Blende aus Acrylglas mit Goldflimmern, die rückseitig angestrahlt werden und deshalb diese zauberhafte Stimmung verbreiten.“

Der Weg zum Acrylglas

„Für mich zählen Emotionen, Wirkung und Ausstrahlung und da hat Acryl eine Menge zu bieten“, bekennt Daniel Helm. So sucht er auch seine Mitarbeiter aus. Nachdem er sein Hobby zum Beruf gemacht habe, wie er selbst sagt, achtet er darauf, dass die Chemie im Betrieb stimmt: „Ich suche meine Mitarbeiter auch nach Sympathie aus“, betont Daniel Helm und weiter: „Ich stelle nur Leute ein, bei denen ich Bunsenbrenner in den Augen sehe. Ich muss deren Begeisterung sehen und spüren können.“

Auf Acrylglas aufmerksam geworden ist der Schreinermeister durch Zeitschriften und Messen. „Völlig geflasht war ich, als mir ein Muster vorgelegt wurde, in dem Daunenfedern in Acrylglas eingebettet waren. Die Idee haben wir sofort in einem Nachtischschrank umgesetzt, der bombig angekommen ist“ schwärmt er noch heute. Danach wurde mit verschiedenen Dessins und Licht experimentiert. Kann sich ein Kunde die Idee nicht so recht vorstellen, wird auch schon mal ein Modell gebaut.

Kein Wunder, das Acrylglas in der Möbelwerkstatt von Helm Design einen festen Platz gefunden hat. Im Showroom stehen Muster mit farbigen Metallgeweben, natürlichen Materialien – auch Holzfurnieren – oder Platten mit besonderer Tiefenwirkung und unterschiedlichen Beleuchtungsmöglichkeiten.

Kunststoff-Bearbeitung in der Schreinerei

Acrylglas bearbeiten können fast alle 15 Mitarbeiter des Betriebes, aber zwei Helm-Mitarbeiter haben sich besonders darauf spezialisiert. Bezogen werden die Acrylglasplatten in Stärken von 8 bis 20 mm von einem europäischen Lieferanten. Auf Anfrage sind auch 60 mm möglich. Hauptsächlich verarbeitet der Troisdorfer Betrieb 15 mm dicke Platten in der Größe 1950 x 1100 mm. Diese werden auf einer üblichen Plattensäge geteilt und auf einer CNC-Fräse mit Diamantkopf, einer vierachsigen Weeke, weiter bearbeitet. Bei der Plattensäge ist ein spezielles Sägeblatt mit Trapezflachzahnung nötig, mit dem auch beschichtete Spanplatten geschnitten werden.

Die Platten werden mit 3000 Umdrehungen/min grob vorgeschnitten, im Umlaufmaß ein Millimeter größer als benötigt. Anschließend werden die Werkstücke auf der CNC-Fräse mit Wendeplatten auf das gewünschte Maß gefräst. Hier ist darauf zu achten, dass die Wendeplatten immer eine gute Schärfe aufweisen. Dabei läuft die Fräse etwa mit 18 000 Umdrehungen/min und einem Vorschub von 10 m/min. Läuft die Fräse langsamer, besteht die Gefahr, dass die Kanten anschmelzen und sich kleine Kügelchen bilden, die die Oberfläche zu sehr anrauen und die Nachbearbeitung erschweren. Nach dem Fräsen werden die Schnittkanten mit feinem Schleifpapier (400 Körnung) geschliffen. Soll die Oberfläche besonders hochwertig werden, nehmen die Helm-Mitarbeiter einen Bunsenbrenner zur Hilfe und schmelzen letzte Schleifreste auf der Oberfläche einfach weg. Ein Vorgang, der etwas Erfahrung benötigt, damit die Oberfläche nicht verbrennt, sondern sich in der gewünschten Form glatt zieht.

Die Schleif-, Bohr- oder Fräspartikel sind das größte Problem das wir haben, sagt Helm-Mitarbeiter Christian Martin-Andersen: „Egal wie, aber die Späne müssen weg!“ Schwieriger ist die Bearbeitung mit der Stichsäge oder mit der Bohrmaschine. Hier muss die Geschwindigkeit sehr niedrig sein, damit die Säge- oder Bohrreste abtransportiert werden können. Bei der Stichsäge empfiehlt sich das Sägen mit Wasser, um das Blatt zu kühlen.

Beim Bohren sind spezielle Acrylbohrer mit besonders scharfer Schneidfläche vorzuziehen. Auch hier sind eine niedrige Geschwindigkeit und wenig Druck auf den Bohrer und das Werkstück ausschlaggebend für den Erfolg. „Unterstützen kann man das Bohren, indem ein Kollege die Bohrstelle mit einer Druckluftpistole kühlt“, rät Martin-Andersen.

Kleines Badezimmer, große Wirkung

Den goldigen Effekt aus dem Filmpalast hat Daniel Helm in Köln gleich auf einer weiteren Baustelle umgesetzt. Ein denkmalgeschütztes Haus aus der Zeit der Jahrhundertwende zu Anfang des 20. Jahrhunderts erhielt einen Fliesenspiegel aus dem gleichen Acrylglas wie der Kölner Filmpalast mit eingeschlossenen Goldfolien und verleiht dem kleinen schmalen Badezimmer mit Echtholzboden in Eiche eine mondäne Tiefenwirkung. Ein Schmuckstück in dem insgesamt mit sehr viel Liebe renovierten Wohnbau in einem traditionellen Kölner Stadtteil.

Gesellenstück mit Acrylglas aufgewertet

Auch der ehemalige Helm-Auszubildende Fabian Schwingeler ließ sich vom Bauen mit Acryl inspirieren. Der Hobbymusiker wünschte sich schon lange ein geeignetes Möbelstück für seine umfangreiche LP-Sammlung. Diesen Wunsch erfüllte er sich und baute als Gesellenstück ein Sideboard für seine 3000 LPs. Inspirieren ließ er sich architektonisch von den modernen Kölner Kranhäusern am Rhein. Da bereits seine Gitarre eine Goldplattierung besitzt, übernahm er die Acrylplatten mit den Goldfolien für die Frontseite. Nach vier Wochen Fertigungszeit und einer kurzen Gesellenstücks-Ausstellung im Museum steht das gute Stück nun bei ihm zu Hause.

Helm design by Daniel Helm
Ihr Schreinermeister GmbH
53842 Troisdorf
www.helm-einrichtung.net


Geschichte des Acrylglases

Wie entstand der Werkstoff?

Glas aus Kunststoff herzustellen beschäftigte die Menschen bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert. Doch erst 1928 wurde Acrylglas in Deutschland entwickelt. In Deutschland war hieran der Chemiker Walter Bauer beteiligt. Die ersten gegossenen Scheiben aus Polymethylmethacrylat (PMMA) wurden im Jahre 1933 in Deutschland von Otto Röhm hergestellt und zur Marktreife gebracht. Die gegossenen Acrylglasplatten wiesen Eigenschaften wie Transparenz, Brillanz, Witterungsbeständigkeit, Formbarkeit und Bruchfestigkeit auf. Dass unter dem Markennamen Plexiglas bekannte Acrylglas erhielt auf der Pariser Weltausstellung 1937 den „Grand Prix“ und eine Goldmedaille.
Nachahmer folgten und zahlreiche Unternehmen brachten ähnliche Produkte unter Namen wie Altuglas, Oroglas, Paraglas, Resartglas oder Vedril auf den Markt. Heute werden Acrylkunststoffe im Spritzgieß- und Extrusionsverfahren hergestellt und zu einer Vielzahl von Produkten im Haushalt, der Uhrenindustrie, in der Orthopädie, Gerätebau, Möbelindustrie im Bauwesen oder als Halbzeug zur Weiterverarbeitung produziert.


Der Autor

Rainer Hardtke beschäftigt sich seit rund 30 Jahren mit den Werkstoffen Glas und Kunststoff. Dabei ist er immer wieder überrascht, wie viel Entwicklungspotenzial in beiden Werkstoffen zu finden ist – und in deren Kombinationen.

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