Seit der Novellierung der Meisterprüfung gegen Ende der 2000er-Jahre, in der das klassische Meisterstück zum Meisterprüfungsprojekt wurde, heißt es in § 4 der Prüfungsordnung: „Der Prüfling hat ein Meisterprüfungsprojekt durchzuführen, das einem Kundenauftrag entspricht. Vorschläge des Prüflings für den Kundenauftrag sollen berücksichtigt werden. Die auftragsbezogenen Kundenanforderungen werden vom Meisterprüfungsausschuss festgelegt. Auf dieser Grundlage erarbeitet der Prüfling ein Umsetzungskonzept.“ Dies bedeutet, dass der Prüfling ein umfassendes Raumkonzept entwickeln und zeichnerisch umsetzen muss sowie ein darin enthaltenes Einzelmöbel oder Detail als sogenanntes Teilerzeugnis im Maßstab 1:1 in vorgegebener Zeit zu fertigen hat. Je nach Handwerkskammer und Prüfungskommission kann dabei die Gewichtung der Teile unterschiedlich ausfallen. Die Handwerkskammer Düsseldorf, an der Birger Schneider einen berufsbegleitenden Meisterkurs besuchte, macht diese Kriterien zur Auflage. Alle Prüflinge müssen dort für einen fiktiven Kunden ein umfassendes Gebäude- und Innenraumkonzept entwickeln und in drei Arbeitstagen zeichnerisch umsetzen, daraus ein Teilerzeugnis auswählen und dieses konstruktiv planen, zeichnen und anschließend im Zeitraum von ca. zwei Wochen fertigen.
Vom Tischler zum Architekten und Meister
Nach Realschule und Tischlerlehre holte Birger Schneider erst mal sein Fachabitur nach, um anschließend an der Fachhochschule Düsseldorf Architektur zu studieren. Schon während seines Studiums entwickelte er Möbel und Produkte bis zur Serienreife – darunter auch eine Handbrühmaschine, die er in einem eigens gegründeten Unternehmen erfolgreich vertrieben hat.
Seit 2016 führt Birger Schneider zusammen mit seinem Partner Norman Kamp, ebenfalls Tischler und Innenarchitekt, das Büro konture.studio mit eigener Fertigungswerkstatt. Dort bearbeiten sie ein breites Spektrum an Innenarchitektur-Projekten und setzen Möbel- und Innenausbauten um – seit diesem Jahr auch als eingetragener Tischlermeisterbetrieb.
Von Klassikern des Möbeldesigns inspiriert
Beim Entwurf seiner Tagesliege „Blaire“ ließ sich Birger Schneider von den Möbeln von Thonet und Mies van der Rohe leiten. Von ersterem übernahm er das Prinzip des Holzbiegens unter Dampf, von letzterem das Thema Tagesliege und entwickelte daraus ein eigenständiges Möbel in Esche, Stahl und Mineralwerkstoff.
Die Liegefläche der Tagesliege wird dabei aus 17 Esche-Rundstäben im Durchmesser von
20 mm gebildet, welche durch flache Stäbe aus farbigem Mineralwerkstoff (HiMacs) auf Abstand verbunden werden. Die aus 20 mm starken, quadratischen Escheleisten auf der Tischfräse gefrästen Rundstäbe – das Holz dafür stammt aus dem elterlichen Wald im Sauerland – wurden mit den gebogenen Teilen des Fußendes und des Kopfteils in der Länge gestoßen. Birger Schneider nutzte dafür das Prinzip der Schäftung, einem geschweiften Längsstoß, den er mithilfe der Origin von Shaper herstellte. Die gebogenen Teile wurden dabei in einer selbst gebauten Dampfkammer unter Wasserdampf erhitzt und auf eigens hergestellten Schablonen unter Berücksichtigung der Rückstellung überbogen.
Sandwich-Prinzip zur Korpusfertigung
Das Kopfende bzw. die Lehne der Liege stützt sich auf einen Korpus aus massiver Esche auf. Dazu verleimte Birger Schneider 23,7 mm starke Eschebretter und fräste aus ihnen auf einer kompakten CNC in seiner Werkstatt die Außen- und Innenkontur des Korpus. Diese Ringe wurden mittels Fixierungsdübeln zu einem beidseitig offenen, aus 27 Schichten bestehenden Korpus verleimt. Zur einen Seite nimmt dieser einen bündig einschlagenden, auf mechanischen Vollauszügen (Blum Movento) geführten und mittels Push-to-open-Technik zu öffnenden Schubkasten auf. Auf der gegenüberliegenden Seite lässt sich eine an dreidimensional verstellbaren Bändern verdeckt angeschlagene Klappe ebenfalls grifflos öffnen – die Zuhaltung erfolgt über Magnet.
Der hölzerne Aufbau der Liege wird durch ein farbig pulverbeschichtetes Gestell aus gebogenem und verschweißtem 25-mm-Rundstahl getragen. Ein flaches Polster im Kopfbereich und eine zylindrische Polsterrolle (Stoff: Kvadrat) nehmen den Farbton des Gestells (Ral 5011, Stahlblau) auf und geben dem fein detaillierten Möbel eine frische, leicht skandinavische Anmutung.
Vom Entwurf bis zur Fertigung
Mit der Kombination aus Designbüro und angeschlossener Tischlerwerkstatt können Birger Schneider und Norman Kamp ihrer beider Leidenschaften, den Entwurf und die handwerkliche Fertigung, in Personalunion ausleben. Seit dem Umzug in eine größere Werkstatt werden sie durch zwei weitere Kollegen – einer ebenfalls gelernter Tischler und Designer, der andere Tischlermeister und Architekt – tatkräftig unterstützt.