Wolfgang Werning hat fast drei Jahrzehnte als Fachlehrer in der Meisterausbildung seine Fächer nach bestem Wissen und Gewissen unterrichtet und dabei eine „übergeordnete Führungsschulung“ nicht vermisst. Nun jedoch – mit einigem Abstand– fragt er sich selbstkritisch, ob das wirklich ausreichend war, und meint, es sei allerhöchste Zeit für „Nachbesserungen“ in der Meisterausbildung im Bereich Unternehmensführung. Lesen Sie dazu das Interview auf den nächsten Seiten mit dem Fazit: „Wir sollten unsere jungen Kolleginnen und Kollegen nicht länger im Regen stehen lassen. Geben wir uns einen Ruck, verlassen wir unsere Komfortzone, packen wir’s an.“
Was meinen Sie dazu?
BM will wissen: Was meinen Sie dazu? Haben Sie Ihre Meisterausbildung als zielführend erlebt? Konnten Sie das Gelernte in der Praxis brauchen? Muss sich die Ausbildung ändern? Schreiben Sie uns!
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BM im Interview mit Wolfgang Werning über zeitgemäße Meisterausbildung
»Es muss mehr in Richtung Psychologie gehen«
BM: Viele selbstständige Schreinermeister klagen heute über die große Arbeitsbelastung. War früher alles besser?
Wolfgang Werning: Chef und Unternehmer zu sein, erforderte immer schon einen hohen persönlichen Einsatz. Doch durch den gesellschaftlichen und betrieblichen Wandel steigen die Anforderungen an Führungskräfte ständig. Viele selbstständige Schreinermeisterinnen und Schreinermeister arbeiten immer noch zu viel selbst in der Werkstatt als „bester Facharbeiter“ mit, fühlen sich für alles zuständig und betreiben damit – meist unbemerkt – Selbstausbeutung.
BM: Würden Sie jungen Menschen davon abraten, sich mit einem Betrieb selbstständig zu machen?
Werning: Nein, auf keinen Fall. Chef und Unternehmer zu sein, in der eigenen Schreinerei, ist eine großartige Angelegenheit. Man kann eigene Ideen verwirklichen, hat Freiheiten und trägt auch gesellschaftliche Verantwortung, indem man zum Beispiel Arbeitsplätze schafft. Allerdings wird Führung heute oft überlagert von der Hektik des Tagesgeschäftes.
BM: Was muss sich ändern?
Werning: Angehende Meisterinnen und Meister gehen davon aus, dass sie durch Meisterausbildung und die abgelegte Meisterprüfung gut auf ihre zukünftigen Tätigkeiten vorbereitet wurden. Das ist im technischen, organisatorischen und kaufmännischen Bereich meist gegeben. Doch sobald sie Führungsverantwortung im Betrieb übernehmen, stellen sie große Defizite fest, fühlen sich nicht vorbereitet und alleine gelassen. Denn: Der „menschliche“ Faktor gewinnt zunehmend an Bedeutung. Wichtiges Kriterium bei der Führung ist der Umgang mit Mitarbeitern, Kunden und mit der eigenen Person. Bei der Vorbereitung von zukünftigen Meisterinnen und Meistern auf Führungstätigkeiten geht es weniger um „Buchwissen“, sondern vielmehr um persönliches Verhalten, Stärkung der Persönlichkeit, den Abgleich von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung, also um die Person des zukünftigen Chefs – es geht „in Richtung Psychologie“.
BM: Was ist Ihre Idee?
Werning: Es mangelt in der Meisterausbildung meist an einer übergreifenden Strategie. Die einzelnen Dozentinnen und Dozenten haben nur den Blick auf ihren „abgegrenzten Fachbereich“. Die zukünftige Rolle der Meisterschüler als Chef und Unternehmer muss aber „durchgängig“ thematisiert werden, d. h. das Lehrpersonal muss fächerübergreifend zusammenarbeiten. Hier sind Schul- und Kursleitung in die Pflicht zu nehmen, um diesen Prozess zu steuern.
Vom ersten Unterrichtstag an wird:
- an der neuen Rolle als Chef (vom Gesellen zum Meister) gearbeitet,
- klar gemacht, welche Bedeutung das Thema Unternehmensführung für den Erfolg eines Betriebes hat,
- der große Einfluss der Person des Chefs, besonders in Klein- und Mittelbetrieben, herausgestellt,
- darauf geachtet, dass die angehenden Führungskräfte von Anfang an als Unternehmer auftreten, denken und handeln.
BM: Was ist das Ziel?
Um seinen Aufgaben gerecht zu werden, muss sich der zukünftige Chef beim „operativen Geschäft“ zurücknehmen. Er muss mehr am Betrieb arbeiten anstatt im Betrieb zu arbeiten. Er muss Zeit haben für Mitarbeiter, Kunden und für sich selbst.
Mitarbeiter erfordern die größte Aufmerksamkeit, man sollte sie fordern und fördern und man sollte ihnen viel zutrauen. Delegieren wird deshalb zum wichtigsten Führungsinstrument. Doch oftmals fällt genau das den Meisterinnen und Meistern am schwersten: Nicht mehr selbst Hand anzulegen, sondern nur noch als eine Art „Coach“ für die Mitarbeiter tätig zu sein, widerstrebt ihnen, erscheint manchen als Berufswechsel.
BM: Und was wäre die Lösung?
Meisterinnen und Meister sollten nach der Meistervorbereitung die Grundlagen der Führung verinnerlicht haben. Mein Vorschlag wäre es, einen Grundschein zum Thema Führung in der Meistervorbereitung anzustreben. Sind die Grundlagen erst einmal vorhanden, muss die Entwicklung von Führungswissen in der Praxis weiter erfolgen, unterstützt durch ein großes Angebot an Seminaren bei den Fachverbänden und Handwerkskammern. In diesem Bereich ist auch lebenslanges Lernen gefragt.
Das Interview führte BM-Redakteurin Regina Adamczak.