Proaktiv wolle man einer zukünftigen Gefahr begegnen, so Prof. Dr.-Ing. Geralt Siebert, Vorsitzender im Normenausschuss zur DIN 18008. Der Ausschuss sehe bei einer verstärkten Verwendung von Flachglas durchaus höhere Risiken bezogen auf die Gebrauchstauglichkeit.
Auf der Einspruchssitzung vom 12. Juli 2018 im DIN in Berlin zeigte der Vorsitzende klare Kante. Aus Sicht des Ausschusses sind, wie unter Abschnitt 5.1.4 formuliert, „frei und ohne Hilfsmittel zugängliche Vertikalverglasungen auf der zugänglichen Seite bis mindestens 0,80 m über Verkehrsfläche mit Glas mit sicherem Bruchverhalten auszuführen.“ Damit ist indirekt bestimmt, dass im Rahmen der planerisch festzulegenden Einflussgrößen auch der Glasbruch bzw. der unsachgemäße Umgang mit Glas durch die normative Festlegung den Benutzer vor Schäden schützen soll.
Mit der neuen Regel würde Deutschland auch nur bestehende Anforderungen, die es schon in anderen europäischen Ländern gäbe, einführen, so eines der Argumente. Es habe auch keine Kampfabstimmung gegeben, sondern die Entscheidung sei in großem Konsens erfolgt. Aus Sicht des Normenausschusses gibt es eine Vielzahl von Hinweisen, die die Forderung begrüßen. Teilweise seien auch höhere Grenzen als 0,8 m gewünscht worden.
Nach heftigen Diskussionen mit dem Normenausschuss, bei denen die Einsprüche aus dem Glaserhandwerk, aber auch von Tischler Schreiner Deutschland und vom Bundesverband Deutscher Fertigbau kamen, schlug man eine Ergänzung des Abschnitts 5.1.4 vor. Nach derzeitigem Bearbeitungsstand ist dies eine Art Öffnungsklausel: „Von dieser Regelung kann abgewichen werden, wenn eine Risikoabschätzung durchgeführt wurde.“
Innentüren sind auch betroffen
Ganz nebenbei ist durch den Normenausschuss auch klargestellt worden, dass die Innentüren von dieser Regelung ebenfalls betroffen sind. Der Vorsitzende, Professor Siebert, sieht das eindeutig. Im Vorfeld der Diskussionen zur Norm gab es immer wieder Überlegungen, inwieweit die DIN 18008, die aus den alten Regelungen der TRAV, TRPV etc. entstanden ist, auch für Innentüren anzuwenden ist. Durch den Geltungsbereich der Norm, die die Bemessungs- und Konstruktionsregeln von Glas im Bauwesen regelt, sind die Innentüren, bei denen sich verschiedene Experten einig waren, dass diese gefährlich sind, mit erfasst.
Was ist Sicherheitsglas?
In der letzten Zeit sind in der Branche verschiedene Dokumente aufgetaucht, die formulieren, dass künftig alle vom Abschnitt 5.1.4 im Entwurf der DIN 18008 betroffenen Verglasungen, nur noch mit VSG oder ESG-H auszustatten seien. Hier stellte der Vorsitzende klar, dass die Aufzählung in der Norm, was denn Glas mit bruchsicherem Verhalten sei, hier eine Aufzählung ist, die nicht abschließend ist.
Auch hierzu hatten die Fachverbände massiv eingesprochen. So schlagen die Arbeitsstättenregeln bzw. die berufsgenossenschaftlichen Regeln der DGUV auch andere Maßnahmen vor. Dazu zählen unter anderem Splitterschutzfolien, aber auch der organisatorische Schutz, zum Beispiel durch Abschirmung.
Abgrenzung zur EN 16612
Laut Anwendungsbereich regelt die DIN 18008 die Schadensfolgenklassen 1, 2 und 3 nach EN 1990. Neben Methoden zur Ermittlung der Bemessungswerte der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit finden sich auch Regeln für die Bemessung und Konstruktion zur Sicherstellung bspw. ausreichender Stoßsicherheit und Resttragfähigkeit von Glas im Bauwesen. Laut DIN ist damit auch eine Abgrenzung zur europäischen Norm, hier der EN 16612 gegeben. Diese regelt alle allseitig linienförmig gelagerten, zur Ausfachung genutzten und durch senkrecht zur Glasebene gerichtete Flächenlasten (z. B. Wind, Schnee, Klimalast) beanspruchte Gläser. Das gilt ohne jegliche geometrische Begrenzung. Darunter fällt der größte Teil der verbauten Isoliergläser, zum Beispiel alle Fensterscheiben oberhalb Brüstungshöhe. Sie entsprechen der Schadensfolgeklasse 0. Durch die unterschiedliche Einstufung in den Schadensfolgeklassen konnte die DIN 18008, die eigentlich schon Ende 2017 als Entwurf erscheinen sollte, quasi gerettet und damit erst veröffentlicht werden.
Handwerker und Risikobetrachtungen
Bedauerlicherweise ist man auf die Kritik, dass man durch eine These die Forderung nach Sicherheitsglas abgeleitet hat, und nun dem Handwerker vor Ort eine Risikobetrachtung zumutet, nicht eingegangen. Seriös wäre es gewesen, die These, dass allein die künftige Mehrverwendung von Glas zu erhöhten Risiken führt, konkret zu untermauern. TSD hatte kritisiert, dass die Risikobetrachtung an der falschen Stelle erfolge. Aus Sicht des Verbandes wäre der Weg über ein entsprechendes Forschungsprojekt, zum Beispiel Zukunft Bau, der richtige.
„Die DIN Roadmap sieht vor, dass eine Norm nicht verworfen werden muss, wenn etwas teurer wird, sondern entscheidend sei der Nutzen“, hatte der Ausschussvorsitzende erklärt. Inwieweit ein tatsächliches Gefährdungspotenzial besteht, mag bezweifelt werden. Letztendlich bleibt die Frage offen, ob sich bei fehlendem Unfallgeschehen – sowohl in der Vergangenheit als auch den in der Zukunft vermuteten – ein höherer Nutzen einstellen kann oder ob der alte lateinische Spruch gilt: Cui bono („Wem zum Vorteil“).
Kommentar von Peter Ertelt
Verpflichtender Normentwurf?
Beschäftigt man sich mit dem Thema, was ein Normentwurf ist, so kommt man an der Normenreihe DIN 820, Normungsarbeit, nicht vorbei. Ein Blick auf die Definition des Normenentwurfs schafft Klarheit: Manuskript für den Normentwurf, vom Arbeitsgremium verabschiedete und druckreif aufbereitete Fassung einer Norm-Vorlage (DIN 820-3, Abschnitt 3.3.4).
Offensichtlich ist, dass ein Normenentwurf i. d. R. keine allgemein anerkannte Regel der Technik ist, die eingehalten werden muss. Der Entwurf zur DIN 18008 berücksichtigt diesen Umstand übrigens im Deckblatt. Hier ist als Anwendungsvermerk formuliert: Dieser Normentwurf mit Erscheinungsdatum 2018-04-06 wird der Öffentlichkeit zur Prüfung und Stellungnahme vorgelegt. Weil die beabsichtigte Norm von der vorliegenden Fassung abweichen kann, ist die Anwendung dieses Entwurfs besonders zu vereinbaren.
Von daher ist es unverständlich, dass die Glasindustrie in ihren Schreiben, die in der Branche lanciert wurden, immer wieder auf die Pflicht zur Einhaltung der Norm verweist, so Peter Ertelt, Vorsitzender des Bundesfachbeirates Fenster und Fassade. Bedauerlich, dass man auch nach der Einspruchssitzung im Juli 2018 sich als Bundesverband Flachglas nicht klar von dieser Vorgehensweise distanziert, so der Ausschussvorsitzende von Tischler Schreiner Deutschland. Als Innungsorganisationen vertreten wir einen großen Verkehrskreis. 177 Einsprüche zur Norm haben gezeigt, dass gerade der Passus zur Verwendung von Sicherheitsglas hoch kritisch gesehen wird. Lobbyismus sollte nicht auf Kosten der Branche geschehen.
Der Autor
Ralf Spiekers ist Abteilungsleiter
Technik, Normung und Arbeitssicherheit bei Tischler Schreiner Deutschland