Im Mai 2020 wurden die Teile 1 und 2 der DIN 18008 im Weißdruck veröffentlicht. Dies bedeutet, dass die Norm nicht mehr verändert wird. Sie kann daher beim Beuth-Verlag erworben werden. Aber erst mit der erneuten Veröffentlichung der Norm in den jeweiligen Bundesländern gilt die neue DIN 18008 als baurechtlich eingeführt und für die Branche bindend. Dies ist derzeit noch nicht erfolgt und wird frühestens für den Herbst 2020 oder zum Jahreswechsel 2020/2021 erwartet. Wer derzeit die neue DIN 18008 anwenden möchte, muss diese explizit ausschreiben.
Formulierung in der DIN 18008
In den letzten fünf Jahren wurde vom Normenausschuss, welcher mehrheitlich von der Glasindustrie besetzt war, versucht, Formulierungen zu finden, die Sicherheitsglas auch im privaten Bereich zur Pflicht machen sollten. Am 17. Dezember 2018 hatte die Bauministerkonferenz mehrheitlich diesen Vorschlag abgelehnt und gedroht, dieser Formulierung nicht zuzustimmen, da damit das Bauen unverhältnismäßig verteuert würde. Somit wurde der Punkt 5, „Sicherheitskonzept“ neu formuliert. Er lautet nun wörtlich wie folgt:
- DIN 18008-1, 5.1.4 „Werden auf Grund gesetzlicher Forderungen zur Verkehrssicherheit Schutzmaßnahmen für Verglasungen erforderlich, kann dies beispielsweise durch Beschränkung der Zugänglichkeit oder Verwendung von Gläsern mit sicherem Bruchverhalten erfüllt werden.
Anmerkung: Es wird auf §37 Abs: 2 Musterbauordnung (MBO) bzw. die entsprechende Umsetzung im Landesrecht verwiesen.“
Die Musterbauordnung (MBO) beschreibt in § 37 (2) Folgendes: Fenster, Türen, sonstige Öffnungen … Glastüren und andere Glasflächen, die bis zum Fußboden allgemein zugänglicher Verkehrsflächen herabreichen, sind so zu kennzeichnen, dass sie leicht erkannt werden können. Weitere Schutzmaßnahmen sind für größere Glasflächen vorzusehen, wenn dies die Verkehrssicherheit erfordert.
- Formulierung „Glasflächen die bis zum Fußboden herabreichen“: Hier stellt sich die Frage, was der Gesetzgeber mit „bis zum Fußboden“ meint. Da hier kein Abstand zum Fußboden genannt ist, bleibt Platz für Interpretation.
- Dann finden sich weiter in § 37 die Worte „allgemein zugängliche Verkehrsflächen“. Etymologisch bedeutet das Wort „gemein“ = „Der Gemeinschaft gehörend“, dies stammt aus dem Lateinischen („communis“). Allgemein zugänglich bedeutet somit, dass ein solch bezeichneter Bereich für die gesamte Öffentlichkeit zugänglich ist. Sowohl der Bundesgerichtshof in Karlsruhe , als auch das Bundesbauministerium bestätigen diese Auslegung.
Die falsche Auslegung dieses Begriffes hinein in den privaten Sektor hätte dramatische Auswirkungen auf die Normenarbeit. Die Begriffe „allgemein zugänglich“ finden sich schließlich nicht nur im Glasbereich, sondern u. a. auch in den Regelungen für Null-Schwellen und beim Bau von öffentlichen Toilettenanlagen. Sollen hier die Regelungen auch für den privaten Sektor gelten? Wohl kaum.
- Weiter spricht die MBO zunächst einmal davon, dass … Glasflächen, die bis zum Fußboden allgemein zugänglicher Verkehrsflächen herabreichen, zu kennzeichnen sind, sodass sie leicht erkannt werden können.
- Weiter findet sich in § 37 das Wort „Verkehrsfläche“. Mit dem Begriff „Verkehr“ wird die Gesamtheit der Bewegung von Fahrzeugen, Personen, Nachrichten, etc. bezeichnet. Wichtig ist hier der Sammelbegriff „Gesamtheit“. Eine einzelne Person in einer Eigentumswohnung wird ihren Weg von der Küche ins Wohnzimmer schwerlich mit „Personenverkehr“ erklären.
Die Bauministerkonferenz ist der Autor und Herausgeber der MBO. Wenn hier in einer weiteren Stellungnahme vom 15. Januar 2019 mitgeteilt wird, dass kein Sicherheitsglas gewünscht wird, kann stillschweigend davon ausgegangen werden, dass der Autor wohl sein eigenes Werk nach seiner Bestimmung interpretiert.
Die Veränderung zur jetzigen DIN 18008 liegt darin, dass der Begriff allgemein zugängliche Verkehrsfläche in einem Mehrfamilienhaus auf die Hauseingangstür, auf Fenster in einem Treppenhaus und auf die äußere Verglasung von Wohnungseingangstüren anzuwenden ist, die von Besuchern oder anderen Mitbewohnern des Hauses „berührt“ werden könnten, sofern diese bodentief ausgeführt werden. Diese Verglasungen waren zumindest in der alten Norm noch strittig.
Schlussfolgerung und klare Antworten
Ist nach der Einführung der neuen DIN 18008 Sicherheitsglas pauschal anzuwenden? Antwort: Nein. Die DIN 18008 ist zwar im Weißdruck erschienen, aber zum Stand September 2020 noch nicht baurechtlich eingeführt. Daher ist sie noch nicht gültig. Wenn eine Ausführung nach der neuen DIN 18008 gewünscht wird, muss diese vom Planer derzeit explizit ausgeschrieben werden.
- Ist sie baurechtlich eingeführt, lässt sich kein Zwang zu Sicherheitsglas im privaten Bereich herauslesen, da laut der MBO (auf diese verweist die DIN 18008) Sicherheitsglas nur in allgemein zugänglichen Verkehrsflächen, bei bodentiefen Verglasungen vorgeschrieben ist. Streng genommen reicht sogar eine „Kennzeichnung“ der Scheiben aus. Ausgenommen sind die derzeit bereits bekannten Regeln zu den absturzsichernden Verglasungen.
- Der private Sektor, oder wie es manchmal interpretiert wird, der „allgemein unzugängliche Bereich“ ist davon ausgenommen.
Einsatz von Sicherheitsglas in der Praxis
Da die erste Frage mit Nein beantwortet wurde: Wo muss dann aktuell Sicherheitsglas eingesetzt werden? Die Antwort lautet: In einem Mehrfamilienhaus sind mit der baurechtlichen Einführung der DIN 18008 – zusätzlich zu den absturzsichernden Scheiben – alle Scheiben mit Sicherheitsglas zu versehen, die der Allgemeinheit zugänglich sind. Dies wären zum Beispiel:
- Verglasungen in Hauseingangstüren, beidseitig,
- Verglasungen in Wohnungseingangstüren auf der Außenseite,
- bodentiefe Scheiben in Treppenhäusern (auch bei nicht absturzsichernden Vergla- sungen).
Die Verwendung von Sicherheitsglas kann empfohlen werden, ein normativer Zwang zur Anwendung besteht bei einer Empfehlung aber nicht. Diese Aussage wird vom Fachverband Glas, Fenster, Fassade, Baden-Württemberg gestützt und vom Bauministerium als Autor der MBO bestärkt. Wer als Berufsverband in vorauseilendem Gehorsam Sicherheitsglas empfiehlt mit der Begründung, dass irgendwann ein Gericht in Deutschland dies fordern könnte, der begeht „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“.
Der Autor
Glasermeister Jürgen Sieber ist Landesinnungsmeister des Fachverbands Glas, Fenster, Fassade, Baden-Württemberg; freier Dozent an der Meisterschule für Glas-, Fenster- und Fassadentechnik in Karlsruhe sowie öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger.