Die EN 17210 ist vorgesehen als teilweiser Ersatz der nationalen Normenreihe DIN 18040 „Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen“:
- Teil 1: „Öffentlich zugängliche Gebäude“ (von Oktober 2010),
- Teil 2: „Wohnungen“ (von September 2011),
- Teil 3: „Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum“ (von Dezember 2014).
Damit stellt sich natürlich die Frage, was sich mit Inkrafttreten dieser europäischen Norm in Deutschland ändern wird, und ob die bekannten nationalen Normen zum barrierefreien Bauen ihre Gültigkeit behalten.
Was ändert sich?
Im Grunde erst einmal nichts. Die künftige EN 17210 enthält im Wesentlichen Schutzziel-Formulierungen (englisch mit functional requirements umschrieben) und Empfehlungen. Mithin sind die dort getroffenen funktionalen Anforderungen rein qualitativ formuliert, d. h. ohne konkrete quantitative Angaben. Diese funktionalen Anforderungen werden zwar durch zwei Fachberichte (TR = Technical Reports)
- CEN/TR 17621: Barrierefreiheit und Nutzbarkeit der gebauten Umgebung – Technische Leistungskriterien und Anforderungen
- CEN/TR 17622: Zugänglichkeit und Nutzbarkeit gebauter Umgebung – Konformitätsbewertung
ergänzt, aber diese werden nicht in das deutsche Normenwerk übernommen. Sofern sie nicht vertraglich vereinbart werden, haben sie in Deutschland rein informativen Charakter.
Im Ergebnis schreibt die künftige EN 17210 weder vor, auf welche Art und Weise Schutzziele (funktionale Anforderungen) erfüllt werden sollten, noch enthält sie irgendwelche Beschreibungen hierzu. Daher steht dieses Dokument nicht im Widerspruch zu technischen nationalen Normen für Barrierefreiheit.
So findet sich beispielsweise zu Türschwellen die Forderung „Können Türschwellen nicht vermieden werden, müssen sie niedrig und abgeschrägt sein“ – also ohne Nennung eines konkreten Zahlenwertes zur maximal zulässigen Schwellenhöhe. Dies regeln – auch nach Veröffentlichung der EN 17210 – weiterhin die nationalen Regelwerke. In Deutschland ist das die erwähnte Normenreihe DIN 18040.
Randnotiz: Der Begriff „Schwelle“ taucht über 20 Mal in der EN 17210 auf. Grund hierfür ist der themenspezifische Aufbau der Norm, d. h. Angaben zu Türschwellen sind nicht einmalig genannt, sondern überall dort, wo sie auch in der Praxis vorkommen können.
Wie geht es weiter?
Für die Überarbeitung bzw. besser gesagt Anpassung der nationalen Normenreihe DIN 18040 stehen drei Jahre (nach Veröffentlichung der EN 17210) zur Verfügung. Ziel dieser Überarbeitung ist die Widerspruchsfreiheit zum übergeordneten europäischen Papier. Dies betrifft die Schutzziel-Formulierungen, aber auch Anforderungen aus EN 17210, für die es bis dato national keine Regelung gab bzw. die im Widerspruch zu denen der aktuellen Normenreihe DIN 18040 stehen. Hierfür bedarf es eines entsprechenden technischen Lösungsvorschlags, ggf. mit Festlegung von Zahlenwerten. Alternativ wäre auch denkbar, dass diesbezüglich keine Anforderungen festgelegt werden, da diese schon in anderen Normen geregelt sind.
Es ist damit zu rechnen, dass Schutzziel-Formulierungen in der zu überarbeitenden Normenreihe DIN 18040 geändert bzw. gestrichen werden, da diese im europäischen Papier zu finden sind. Dies sind Festlegungen, wie beispielsweise „Türen müssen deutlich wahrnehmbar, leicht zu öffnen und schließen und sicher zu passieren sein“.
Damit wird aus der künftigen Normenreihe DIN 18040 eine „Anwendungsnorm“ zur EN 17210, welche die technische Umsetzung der europäischen Anforderungen unter Nennung von Lösungsbeispielen darlegt, also zeigt, wie die verbalen Schutzziele in gebaute Wirklichkeit umgesetzt werden.
Zusammenfassung
Die EN 17210 ist im Themenbereich Barrierefreiheit als zusätzliche Informationsquelle mit erklärenden Texten und Begründungen anzusehen. Bis zum Ablauf der dreijährigen Übergangsfrist (nach Veröffentlichung der europäischen Norm) gilt weiterhin die bekannte nationale Normenreihe DIN 18040. Diese wird im Rahmen der Überarbeitung zu einer „nationalen Anwendungsnorm“ und an die EN 17210 angepasst werden.
Der Autor
Dipl.-Ing. (FH) Knut Junge ist seit 2002 am ift Rosenheim tätig. Er ist Mitarbeiter des ift-Sachverständigenzentrums sowie Mitglied in Normenausschüssen und Gremien für das barrierefreie Bauen.