1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite » Allgemein »

Die Pionierarbeit ist getan

Biologische Oberflächen in der Praxis
Die Pionierarbeit ist getan

Auch wenn die Zeiten der Pionierarbeit im Bereich ökologischer Möbel- und Innenausbau vorbei sind: “Bewegung ist immer da”, weiß Peter Häring. Der Mitbegründer der Umweltgemeinschaft Baden-Württemberg gilt inzwischen als einer der alten Hasen in diesem Geschäft. Moderne Technologien und umweltgerechte Produktion sind für ihn kein Widerspruch, die Oberflächentechnik ist aus den Kinderschuhen heraus.

Hell scheint die Sonne durch die vielen Holzfenster in die Büroräume, in der Luft ein zarter, angenehmer Geruch. “Die Leute sollen herein kommen und sich wohl fühlen”, lächelnd kommt uns Peter Häring entgegen, graues Hemd, dunkelgrünes Leinenjackett. Der Raum ist mit ergonomisch gestalteten Stühlen, Mas-sivholzmöbeln und Holzfußboden ausgestattet. Alles Bio? “Wir haben einen ganzheitlichen Anspruch: Haus und Werkstatt sind nach baubiologischen Richtlinien gebaut – vom Sumpfkalkputz auf der Fassade draußen bis zum Kalk-Anstrich der Deckenbalken drinnen. Werkstattgebäude, Inneneinrichtung, Produktionsweise und Produkt sind aus einem Guss. Äußeres und inneres Erscheinungsbild stehen ganz im Zeichen der ökologischen Unternehmensphilosophie.”

In der “Holzwerkstatt Peter Häring”, in March-Hugstetten bei Freiburg, werden Küchen und Einzelmöbel in Massivholzbauweise gefertigt, ein eigenes Büromöbel-Programm läuft gerade an. Das ist jedoch nur eine Hälfte des Produktspektrums, die andere Hälfte umfasst den individuellen Innenausbau – so gut wie alles mit biologischer Oberfläche.
Marketing-Konzepte
Klare, nachvollziehbare Produktstrukturen sind dem engagierten Betriebsinhaber ein besonderes Anliegen. Der Kunde erhält mit seinen Möbeln einen Produktpass, aus dem Werkstoffe, Klebstoffe, Oberflächenbehandlung, Beschläge und Geräte ersichtlich sind. Außerdem enthält der Pass eine Pflegeanleitung für die Oberfläche, eine Rücknahmeerklärung, Hinweise zur Trennung und Demontage im Falle der Entsorgung. Und: Die Telefon-Nummer des Chefs! “Die Kunden erwarten heute eine persönliche Betreuung.”
Ziel ist es, langlebige Qualitätsprodukte zu fertigen, in sparsamen, reduziertem Design – jenseits der Effekthascherei, darauf legt Peter Häring besonderen Wert. “Aufgesetztes Design hat keine Funktion”, kritisiert er. Der Begriff Formgebung gefällt ihm besser. “Weniger ist mehr”, lautet der Anspruch. Immer jedoch stehen die Wünsche des Kunden an erster Stelle. “Der Kunde muss das Gefühl haben, dass es ,sein’ Schrank ist, ganz speziell für ihn angefertigt.” Und so werden Ideen des Kunden, beispielsweise spezielle Griffmulden, in die Tat umgesetzt.
Die Geschäfte gehen gut. Trotzdem muss über Marketing-Konzepte nachgedacht werden. “Es gibt kein Patent-Rezept zur Gewinnung neuer Kunden. Der Endverbraucher im ökologischen Segment ist ganz schwierig einzuschätzen”, meint der erfahrene Meister. Heute vermischt sich vieles. “Ikea-Kunden sind auch unsere Kunden.” Mund-zu-Mund-Propaganda sei natürlich gut. Auch regionale Ausstellungen und Messen, wie die Öko/Ökobau, nutzt er. Eher skeptisch steht Häring dem Tag der offenen Tür als Marketing-Instrument gegenüber: “Der dient heute eigentlich nur noch der Pflege des Kundenstammes.” Er hat die Erfahrung gemacht, dass potentielle Kunden angesichts einer Flut derartiger Veranstaltungen eher reserviert reagieren.
Es gilt, die individuellen Einzelanfertigungen gezielt auf dem Markt zu positionieren. Erst in diesem Jahr wurde in der Freiburger Innenstadt ein Ladengeschäft bezogen. “Der Kunde möchte heute in den Laden gehen, das Produkt sehen und den Preis wissen”, mutmaßt Häring. Das Geschäft betreibt er in Kooperation mit seinem Kollegen Alfred Wilhelm, der dieses Handelhaus unter dem Namen “Wilhelm, Ergonomie und Möbel” im Jahr 1993 gründete. Zusätzlich zu den Produkten aus der eigenen Werkstatt, werden in dem Geschäft auch Massivholzmöbel, ergonomische Sitzmöbel und Wohnsysteme als Handelprodukte angeboten.
Technik zum Wohle des Menschen eingesetzt
Und wie steht ein ökologisch denkender und handelnder Betrieb den modernen Technologien gegenüber? “Wir setzen die Technik zu unserem Wohl ein. Handwerkliche Sorgfalt und menschliche Kreativität bestimmen den Arbeitsablauf. Keinesfalls steht die Maschine über der Arbeitskraft des Menschen.” Im Büro sorgen drei vernetzte Computer für eine effiziente Abwicklung des kaufmännischen Bereiches. Im Werkstatt-PC werden die auftragsbezogenen Fertigungszeiten erfasst. Seit knapp drei Jahren gehört eine kleine CNC-Maschine zum hochwertigen Standardmaschinenpark. Auch ein Vierseiter trägt dazu bei, den Arbeitsablauf wirtschaftlich zu gestalten. Die Schubladen werden an der Zinkenfräsmaschine gefertigt. Häring: “Eine gute Aufgabe für die Lehrlinge, auch wenn der Zukauf natürlich manchmal günstiger wäre.”
Ein Teil des verwendeten Holzes kauft Peter Häring selbst beim Förster im heimischen Wald ein, dessen nachhaltige Bewirtschaftung er überprüfen kann. Das Holz wird je nach Stärke mindestens ein Jahr gelagert, um das Stehvermögen zu verbessern. Auf deklarierte Ware wird auch bei Plattenware geachtet. Verwendet werden Dreischicht- und Leimholzplatten.
In der Oberfläche steckt viel Zeit
Ein Hauptaugenmerk gilt der Oberflächenbehandlung. “Eigentlich sollte sie nur erfolgen, wo es nötig ist”, sagt Peter Häring. “Kleiderschränke müssen von innen im Grunde nicht behandelt werden. Oder man verseift sie mit einem Kernseifenprodukt, das einen dünnen Schutzfilm bildet.”
Meist aber verlangt der Kunde eine Top-Oberfläche – auch innen. “In der Oberfläche steckt viel Zeit”, sagt Häring. “Um ein entsprechendes Resultat zu erreichen, muss größter Wert auf einen guten Schliff gelegt werden.” Mit Körnung 100/120 wird vorgeschliffen, der Fertigschliff erfolgt mit Körnung 150 für den Korpus und Körnung 180 für die Sichtflächen. Eine Breitbandschleifmaschine sorgt für den nötigen Qualitätsschliff.
Verwendet werden biologische Oberflächenmaterialien. Natürlich kommt es auch einmal vor, dass ein Kunde ein lackiertes Produkt möchte. Obwohl das eher die Ausnahme ist. Dann greift man zu Wasserlacken.
Öl-/Wachsgemisch
Seit einem halben Jahr wird für Korpusse und Fronten ein Öl-/Wachsgemisch der Firma Biofa verwendet. Die Emulsion ist lösemittelfrei und hat zahlreiche Vorteile: Beispielsweise wird nur ein Produkt für den kompletten Oberflächenaufbau benötigt, die Trocknungszeiten sind relativ kurz und das Öl-/Wachsgemisch vermeidet den sonst für Öle und Wachse typischen “Gelbeffekt”.
Das Gemisch wurde für den maschinellen Auftrag in der Industrie entwickelt und lässt sich durch Walzen, Spritzen oder Streichen auftragen. Im Betrieb von Peter Häring wird das Öl-/Wachsgemisch im beheizten Zuführungsschlauch auf eine Temperatur von 40 °C erwärmt und im Spritzverfahren mit einem Niederdrucksystem appliziert. Ein Feinfilter ist vorgeschaltet.
Nach dem Auftrag wird das Gemisch mit einem Exzenterschleifgerät und sehr feinem Schleifpad vertrieben. Gleich anschließend spritzt man die andere Seite und vertreibt wiederum das Oberflächenmaterial. Der Überschuss wird mit einem Papiertuch abgenommen. Die Trockenzeit beträgt sechs bis zwölf Stunden. Dann erfolgt nach Bedarf ein leichter Zwischenschliff mit Körnung 280. Nach dem zweiten Auftrag wird die Oberfläche mit einem Exzenterschleifgerät, das mit einem sauberen Baumwolltuch bespannt ist, verdichtet und auspoliert, damit sich eine gleichmäßige Oberfläche ergibt. Schon innerhalb einer Stunde sind die Teile stapelfähig.
Peter Häring schätzt den Verbrauch bei einem zweischichtigen Aufbau auf 30 bis 50 g pro m². “Das hängt von der Holzart und vom jeweiligen Produkt ab.” Edelstahlgeräte sind nicht notwendig. Die Geräte werden mit einer speziellen Reinigungslösung gesäubert. Das ist zwar Sondermüll, es fallen jedoch lediglich geringe Mengen an.
Da die Oberflächenmaterialien so gut wie keine schädlichen Stoffe enthalten, kann der Arbeitsschutz auf ein Minimum reduziert werden. Bei Häring wird eine Trockenfilter-Absaugwand eingesetzt. Ein separates Lack-lager ist nicht erforderlich.
Küchenarbeitsplattenöl und Hartwachs
Für Küchenarbeitsplatten wird Küchenarbeitsplattenöl der Marke Trip Trap bevorzugt. “Das Öl enthält zwar 0,1 % eines Erdöl-destillates, die Oberfläche ist aber hochgradig belastbar”, rechtfertigt Peter Häring die kleine Abweichung von der Bio-Schiene. Das Öl wird nass in nass aufgetragen. Bis die Fläche komplett gesättigt ist, wird immer wieder nachgeölt. Das überschüssige Öl entfernt man mit einem Baumwolltuch. Nach einer Trockenzeit von 36 Stunden wird nachpoliert.
Außerdem verwendet Häring das lösemittelfreie Hartwachs der Firma Naturhaus, eine Mischung u. a. aus Bienenwachs, Carnauba-Wachs und Leinölfirnis. Es ist für stark belastete Möbeloberflächen im Innenbereich geeignet, z. B. Tische, Arbeitsplatten oder Treppen. Das Hartwachs verarbeitet er mit einer Kartuschenpistole. “Die Arbeit mit einer Kartuschenpistole ist eine etwas diffizile Geschichte. Wenn der Schmelzpunkt des Materials nicht genau erreicht wird, gibt es Schwierigkeiten.” Der Schmelzpunkt von Hartwachs liegt bei ungefähr 80 °C, aber eben nur ungefähr. Unterschiedliche Produkte differieren hier um einige Grad.
Unkomplizierte Pflege
Sind die Kunden denn mit der Bio-Oberfläche ihres Möbels zufrieden? “Die Oberflächen sind sehr unkompliziert, Flecken können einfach mit einem Vlies beseitigt werden”, sagt Häring. “In den ersten zwei Monaten sollten die strapazierten Flächen, wie z. B. die Arbeitsplatten, in jeder Woche einmal nachbehandelt werden. Natürlich informieren wir den Kunden, er erhält eine Pflegeanleitung. Gebrauchs-spuren können wir vertreten. Das Produkt ist lebendig.” Die Kunden akzeptieren, dass das Holz nachdunkelt und vergilbt. Pigmentiertes Öl mit Weißan-teilen, um das Holz hell zu halten, nimmt Häring nicht so gerne: “Es verschleiert die Holzstruktur.”
Wie alles begann
Mit 25 Jahren hatte Peter Häring den Meisterbrief, 1978 gründete er einen eigenen Betrieb mit einem Gesellen und zwei Lehrlingen. Fünf Jahre lang konzentrierte man sich auf konventionellen Ladenbau. “Im Ladenbau war damals schnelleres Geld zu machen. Aber was heute gefertigt wurde, war morgen schon abgeschrieben. Das war mir zu oberflächlich, damit konnte ich mich nicht identifizieren”, resümiert Peter Häring. Das Schlüsselerlebnis hatte er 1982 als Sub-Unternehmer in Saudi-Arabien: “Da war ein Mensch nichts wert und das Produkt nur ein Spielzeug.” Im Jahr 1983 nahm er an einem Fernlehrgang Baubiologie des Institutes für Baubiologie und Ökologie Neubeuern teil und begann anschließend, seinen Betrieb Stück für Stück umzustellen. “Das Studium hat mich in den Bann gezogen. Ich wusste: Dazu stehe ich, das kann ich weiter entwickeln.” Damals waren Gesundheitsschäden durch Holzschutzmittel ein ganz heißes Thema. “Der Mensch ist ein sehr sensibles Wesen”, sagt Peter Häring.
Individueller Möbel- und Innenausbau hat ein anderes Klientel als der Ladenbau. Anfangs gab es ein konventionelles und ein biologisches Standbein. Aber schon 1988 wurden 80 % der Produkte in Massivholz-Bauweise gefertigt. Bald verlangte der expandierende Betrieb mehr Produktionsfläche. Außerdem hatte das neue Denken, die neue Firmenphilosophie in den alten Werkstatträumen keinen rechten Platz mehr. Um dem ganzheitlichen Anspruch gerecht zu werden, wurde 1987 eine eigene Werkstatt nach baubiologischen Grundsätzen gebaut. Heute arbeiten 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Büro und Werkstatt. Alle identifizieren sich mit dem Betrieb und dem Produkt. Auf Ausstellungen und Messen treten sie mit potentiellen Kunden in Kontakt und tragen die Betriebsphilosophie nach außen.
Als 1994 die Umweltgemeinschaft Baden-Württemberg gegründet wurde, war Peter Häring dabei. Damals ging es darum, sich vom Ökoaudit abzugrenzen und einen eigenen Forderungs-Katalog zu entwickeln. Sein Betrieb wurde 1995 zertifiziert. Inzwischen geht seine Produktionsweise über die Vorgaben der Umweltgemeinschaft hinaus. Neben der Werbewirkung des Umweltzeichens nach außen sieht Peter Häring vor allem Vorteile im Aufbrechen innerbetrieblicher Strukturen: “Die Mitarbeiter werden einbezogen und handeln selbstständig und eigenverantwortlich.”
Wunschlos glücklich?
Auf Wünsche für die Zukunft angesprochen, meint Peter Häring: “Ich fände es schön, wenn es mehr Kooperationen im Kollegenkreis und mit dem Handel gibt. Die Vernetzung fehlt heute immer noch.” Aber er sieht auch gleich die Schwierigkeiten dieser Zusammenarbeit: “Jeder spricht seine Kunden auf seine persönliche Art an, Kunden sind nicht austauschbar.”
Nachdem das Gütesiegel der Umweltgemeinschaft für Betriebe eingeführt wurde, ist ein Gütesiegel für ökologische Produkte ein weiteres Anliegen von Peter Häring. Es sollte nachprüfbar, verbindlich und von unabhängiger Seite kontrolliert sein: “Unter dem Deckmäntelchen der Ökologie”, resümiert Häring, “wird viel Missbrauch getrieben.”
Regina Adamczak
Die wichtigsten Kriterien
• Ausschließliche Verwendung von Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft
• Vermeidung schadstoffhaltiger Materialien, wie z. B. säurehaltige Lacke, PVC-Verbundmaterialien, Holzschutzmittel im Wohnbereich, Lacke mit schwermetallhaltigen Pigmenten
• Keine Verwendung von FCKW-haltigen Isoliermaterialien, Nitrocellulose-Lacken
• Lüftungsmaßnahmen im Spritzbereich
• Erstellen eines Abfallwirtschaftskonzeptes
• Verwertung der Produktionsresthölzer
• Rücknahmegarantie
• Festlegung von verantwortlichen Personen für umweltsensible Bereiche
• Erstellen eines Produktdatenblattes für jeden Auftrag
• Regelmäßige Überprüfung durch ein unabhängiges Institut
Herstellerinformation
BM-Gewinnspiel
Herstellerinformation
BM-Titelstars
Herstellerinformation
Im Fokus: Vernetzte Werkstatt

Herstellerinformation
Im Fokus: Vakuumtechnik
Herstellerinformation
BM auf Social Media
BM-Themenseite: Innentüren
Im Fokus: Raumakustik
_6006813.jpg
Schallmessung in der Praxis: Michael Fuchs (r.) und Simon Holzer bei raumakustischen Messungen in einem Objekt (Friseursalon Max in Wallersdorf). Foto: Barbara Kohl, Kleine Fotowerkstatt
Im Fokus: Gestaltung
Alles bio? Nachhaltigkeit im Tischler- und Schreinerhandwerk

BM Bestellservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der BM Bestellservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin-Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum BM Bestellservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des BM Bestellservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de