Über den Tellerrand des eigenen Handwerks hinauszublicken und gemeinsam mit Kollegen aus anderen Gewerken zu ganz neuen Gestaltungsansätzen zu kommen: An der Akademie für Handwerksdesign Gut Rosenberg in Aachen ist das möglich. Unsere Autorin Anne Bergerfurth, selbst ehemalige Studentin der Akademie, besuchte für uns die diesjährige Examensausstellung und stellt ausgewählte Arbeiten vor.
Autor: Anne Bergerfurth
I Überraschende und erfrischende Gestaltungskonzepte prägten die Ausstellung der diesjährigen Examensarbeiten. Ein Semester lang haben sich die Studenten mit ihren selbst gewählten Themen beschäftigt und dabei gezeichnet, Modelle gebaut und viele Gespräche mit Dozenten und anderen Studenten geführt. Dadurch konnten neue Impulse gefördert, althergebrachte Konstruktions- und Formgebungsarten kritisch hinterfragt werden und zu einer anderen Sicht auf die Dinge und Entwürfe verhelfen. Vermutlich wurde nicht gleich der erste Entwurf umgesetzt – es folgten viele Studien und Modelle, bevor ein Prototyp gebaut werden konnte.
Geborgen und behütet
Paul Schmachtenberg, Tischlermeister und Meisterdesigner, beschäftigte sich mit einem Kinderbett, bei dem er die Bugholztechnik aufgriff und in schlichter Gestaltung umsetzte. Durch Kabelbinder schafft er eine raffinierte Verbindung der Konstruktionselemente, die sich so auch komplett in ihre Einzelteile zerlegen lassen. Eine praktische Schlafhöhe, je nach Alter des Kindes, lässt sich durch einfaches Umdrehen des Betts erreichen. Neben gestalterischen Aspekten habe er, so Paul Schmachtenberg, auch auf maximale Durchlüftung und die Erfüllung aller DIN-Normen für Kinderbetten geachtet.
Klassisches Vorbild modern umgesetzt
In Anlehnung an die kombinierten Bank/Tisch Schulmöbel aus alten Zeiten entwickelte Jesse Krencky, Tischlermeister und Meisterdesigner, ein modernes Schreib- und Arbeitsmöbel. Dabei wollte er mit einer geschlossenen, schützenden Seite und einer offenen, einladenden Seite das Raumgefühl verstärken: „Diese Autonomie bietet auch die Möglichkeit, das Möbel als Gruppe oder als einzelne Inseln anzuordnen.” Dabei durchdachte der Meister, trotz der handwerklichen Fertigung des Protyps, das Stück bis hin zur CNC-fähigen Serienreife.
Experimentelle Herangehensweise
Bootsbauer und Handwerksdesigner Michael Dumke hat seinen erlernten Beruf während der Examensarbeit noch mal richtig auf den Kopf gestellt. Durch eine der Konstruktion von Kühltürmen entlehnte Geflechtstruktur entwickelte er verschiedene Bootsmodelle. Um einen auseinandernehmbaren Bootsrumpf legte er über 100 m Vollholzanleimer und wickelte diesen fortlaufend von vorne nach hinten. Die Linien beschreiben einen Volumenkörper und es entsteht zudem eine überraschend große Stabilität – und darüber hinaus eine innovative Neuerung im Bootsbau: ein Holzboot bzw. Kajak, das ohne Kiel auskommt!
Beim diesjährig erstmals ausgelobten “Rosenberger Designpreis”, auf den sich die Absolventen mit ihren Abschlussarbeiten bewerben konnten, freute sich Michael Dumke über den zweiten, mit 500 € ausgelobten Platz. Die finanzielle Unterstüzung übernahm dabei die Aachener Bank: Durch die neu initiierte Kooperation mit der Akademie wolle man vor allem die gestalterische Berufsausbildung fördern und unterstützen, so deren Vorstandssprecher Franz-Wilhelm Hilgers.
Gleich einem Stück gefaltetem Papier …
Der mit 1 000 € dotierte 1.Preis ging an den Tischler und Meisterdesigner Max Möllenbrink, der mit seinem Meisterstück, einem Arbeitstisch, überzeugte. Die weiße, formverleimte Tischplatte hat einen einem gefalteten Stück Papier gleichenden Knick in der Tischfläche. Dieser ist nicht nur ein Hingucker, sondern auch als Ablage für Stifte und Zeichenrollen gedacht und erfüllt zudem noch einen entscheidenden statischen Aspekt. So konnte auf eine aussteifende Zarge verzichtet werden.
Neuer Auftritt für ein bekanntes Möbelstück
Ein ausgefallenes Meisterstück und ein neu umgesetztes Thema ist der Schaukelstuhl von Christine Dijks. Der aus Weißbuche gefertigte und mit Naturleder bezogene Schaukelstuhl zeichnet sich durch eine reduzierte und schlichte Linienführung aus. Die Bewegung im Sitzen bringt positive Aspeke mit sich: Der Gleichgewichtssinn wird angeregt und die Konzentration durch eine schaukelnde Bewegung gefördert. “Der fließende Übergang von Armlehne zur Rückenlehne und zum Seitengestell war eine gestalterische und handwerkliche Herausforderung”, so Christine Dijks. Und auch darüber konnte sich die frischgebackene Tischlermeisterin und Meisterdesignerin freuen: Als Jahrgangsbeste des 24. Studiengganges erhielt sie den mit 1 000 € dotierten Förderpreis der „Stiftergemeinschaft zur Förderung des Handwerks in der Region Aachen”.
Gestaltung im Handwerk eröffnet Wege
An der Akademie für Handwerksdesign Gut Rosenberg werden nicht nur gestalterische Kompetenzen für ausgebildete Handwerker gefördert, sondern auch betriebswirtschaftliche Kenntnisse vermittelt. Im hier angebotenen Studiengang „Two in one “, der mit einem vorhandenen Gesellenbrief möglich ist, werden neben dem Designstudium die Teile drei und vier der Meisterprüfung erworben. Wer sich als Tischlergeselle auch noch für die Belegung der Teile eins und zwei entscheidet, hat über die HWK vor Ort dazu die Möglichkeit und beendet das Studium mit einem Examensstück, welches gleichzeitig den Anforderungen der Meisterprüfung entsprechen muss.
Durch die Kombination der Meisterprüfung mit dem Designstudium erhält man den Titel des „Meisterdesigners”, der seit diesem Jahr in Deutschland als Bachelor anerkannt wird. Mit der Examensarbeit (ohne Meisterprüfung) erlangt man den Abschluss des „Handwerksdesigners”, mit dem ein aufbauender Design-Masterstudiengang in Basel, Schweden und England möglich ist. Mit der erfolgreichen Zwischenprüfung nach drei Semestern, wird der Abschluss „Gestalter im Handwerk” verliehen.
Insgesamt wurden dieses Jahr 26 Studenten im feierlichen Rahmen nach ihrem dreijährigen Studium verabschiedet. Vierzehn von ihnen als Meisterdesigner und zwölf als Handwerksdesigner. I
Akademie für Handwerksdesign Gut Rosenberg
52072 Aachen
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