Wer vom Augsburg der Jahre um 1550 spricht, der spricht von einem berühmten Wirtschafts- und Handelszentrum. Die freie Reichsstadt zählte um diese Zeit Kaiser und Fürsten in ihren Mauern, sie beheimatete weltweit agierende Handelsherrn wie die Familien der Fugger und Welser. Augsburg war im 16. und 17. Jahrhundert eines der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Zentren Deutschlands. In dieser Stadt blühte die Luxusproduktion zu ungeahnter künstlerischer Raffinesse. Zwischen 1550 und 1700 bildeten die Tischler und Schreiner dieser Stadt die Elite ihres Handwerksberufes in Deutschland. Wie ein Magnet zog sie deshalb u. a. jährlich bis zu 800 wandernde Schreinergesellen an. Berühmt waren die „Kistler von Augsburg“ – aber die Spur ihrer Werke hat sich bis auf wenige, bekannte Ausnahmen verlaufen. Die Kunsthistorikerin Christine Cornet hat in ihrer jetzt veröffentlichten Dissertation „Die Augsburger Kistler des 17. Jahrhunderts“ durch intensives Aktenstudium die Lebensdaten zahlreicher Tischler („Kistler“) der damaligen Zeit zusammengetragen und konnte etliche ihrer Werke zuordnen.
In eindrucksvollen Werksbeschreibungen entsteht ein lebendiges Bild absoluter Kunstfertigkeit, die auch während der chaotischen Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) ausgeübt werden konnte. Vielfach gestufte, gekröpfte und profilierte Kassettendecken zum Beispiel, die in ihrer dritten Dimension eine Tiefe von bis zu zwei Metern erreichten, die Beherrschung der Intarsientechnik, der Verarbeitung des damaligen teuersten Holzes der Welt (Ebenholz), der meisterlichen Verwendung neuartiger Materialien wie Silberüberzüge bei Möbeln, oder Schildpatt und eingelegte Edelsteine, die Übernahme immer neuer Möbeltypen – all das zeigt, wie kreativ die damaligen Meister waren. Manches Interessante über die Arbeitsbedingungen wird mitgeteilt, etwa, dass zum erfolgreichen Verkaufen schon damals eine „Visierung“ dazugehörte, eine Ansichtszeichnung mit der ein Angebot bereichert werden musste.
Auch wird die meisterliche Zunftpolitik mit all‘ ihren Hässlichkeiten der Abschottung gegenüber den Gesellen eindringlich geschildert, die sich insbesondere durch viele willkürlich aufgerichtete Hindernisse auf dem Weg zur eigenen Meisterschaft des Nachwuchses zeigte.
Zu bedauern ist allerdings, dass der Blick auf die soziale Wirklichkeit in diesem gewichtigen Buch nicht tiefer geht. Fragen der Stadtpolitik werden allenfalls gestreift (immerhin besaß Augsburg über Jahrhunderte eine dann 1548 zerschlagene Zunftverfassung), die Zunft der Kistler selber wird als Einheit aufgefasst, ihrer Zerstrittenheit und innerzünftischen Konkurrenz wird nicht nachgegangen,ebenso wenig wie der Frage, ob es bei den Augsburger Kistlern eine durchgängige Herrschaftsschicht gegeben habe. (Christian Zander)
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