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Eine Schreinerin in Japan

Erfahrungen einer deutschen Schreinergesellin im japanischen Arbeitsleben
Eine Schreinerin in Japan

Mein Interesse an Japan, im besonderen an traditionell japanischer Holzbauarchitektur, wurde während meiner Schreinerlehre geweckt, als die Firma Dick – die sich auf den Vertrieb von japanischen Feinwerkzeugen spezialisierte – einige dieser faszinierenden Werkzeuge in der Berufsschule in Stuttgart-Feuerbach vorführte. Meine Klassenkameraden und ich waren besonders von der hohen Schnittqualität der Sägen beeindruckt. So begann ich mich für japanische Holzverbindungen zu interessieren, kaufte Bücher und es entstand der Wunsch, handwerkliche Kenntnisse auf diesem Gebiet in Japan zu erwerben. Als sich dann nach Abschluß meiner Schreinerlehre die Möglichkeit ergab, ein Jahr in einem traditionellen japanischen Zimmermannsbetrieb zu arbeiten, stimmte ich umgehend zu.

Seit zehn Monaten arbeite bzw. lerne ich nun im Betrieb „Yasuimoku komuten“ in Kyoto – ein traditionell arbeitender Betrieb, der seit 14 Generationen von der Familie Yasui geführt wird. Die Firma beschäftigt insgesamt 70 Mitarbeiter, davon 25 Bürokräfte, die für die Bauplanung/-leitung und die Organisation verantwortlich sind sowie 45 Zimmermänner.
Die Zimmermänner im Betrieb „Yasuimoku komuten“ sind sogenannte „miyadaiku“. Sie unterscheiden sich vom gewöhnlichen Zimmermann – „daiku“ genannt – darin, daß sie auf Teehäuser, Tempel- und Schreinbauten spezialisiert sind. Ihre Arbeiten umfassen Neubauten im traditionellen japanischen Stil sowie Restaurierungs- und Rekonstruktionsarbeiten alter Holzgebäude. Die „miyadaiku“ – bekannt für Präzision und Komplexität ihrer Arbeiten – genießen in der japanischen Gesellschaft ein weit höheres Ansehen als der gewöhnliche Handwerker.
Eine Ausnahme
Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Frauenquote im Schreinerhandwerk allmählich zunimmt, sind hier in Japan Frauen im Holzhandwerk überhaupt nicht vertreten. Folglich stelle ich eine absolute Ausnahme – ja, eine „Rarität“ – in Japan dar, als Frau im Handwerk zu arbeiten. Schon in der Heimat hatte ich die unterschiedlichsten Reaktionen erfahren, als ich von meinem Plan erzählte, in Japan zu arbeiten. Ob Japaner, Amerikaner oder Europäer, ob Mann oder Frau, die meisten waren – mit einem Laut des Erstaunens – verblüfft und sprachlos. Selbst der japanische Chef versteht nicht ganz, warum ich als Frau im Handwerk arbeite und die Zimmerleute schmunzeln meist über meine Anwesenheit bzw. mein Arbeiten auf der Baustelle und in der Werkstatt.
Trotz dieser Umstände bin ich dankbar, daß ich als Frau, noch dazu als Ausländerin, die Möglichkeit habe, in einem so traditionell geführten Betrieb wie „Yasuimoku komuten“ zu arbeiten und zu lernen. Im gesamten Unternehmen arbeiten nur fünf Frauen, drei als Sekretärinnen und zwei sind Architektinnen. Selbst von den Architektinnen wird erwartet, daß sie zu den Teepausen Tee zubereiten und der Belegschaft servieren und morgens vor Arbeitsbeginn das Büro säubern. In Japan gibt es in den wenigsten Betrieben Putzpersonal; den Betrieb sauber zu halten ist meist Aufgabe der weiblichen Angestellten. Auch genießen sie nicht den Respekt und die Akzeptanz ihrer männlichen Kollegen, die ihnen aufgrund ihrer Ausbildung zustehen würde. Die Japanerinnen betonten mir gegenüber, wie nett und freundlich alle zu mir wären. Sie müssen sich mit einem schrofferen Ton ihrer Mitarbeiter abfinden. Dagegen bin ich eine Ausnahme, ich bin eine Ausländerin und nur für ein Jahr im Land, ich bin ein „Gast“ im Betrieb und Gäste genießen in Japan nun einmal eine vorzügliche Gastfreundschaft.
Mit dem Werkzeug eins werden
Meine Aufgabe der ersten sechs Wochen in Kyoto bestand darin, aus den unzähligen historischen Gebäuden insgesamt 26 Tempel, Schreine, Teehäuser und Burgen zu besuchen und zu dokumentieren. Mit Hilfe von eigenen Fotos und mit Beschreibungen, die ich mir aus Büchern angeeignet hatte, lernte ich auf diese Weise sehr viel und konnte mich intensiv mit der japanisch traditionellen Holzbauarchitektur auseinandersetzen. Eine Aufgabe, die – wie sich bald herausstellte – für mein handwerkliches Arbeiten von großer Bedeutung wurde.
Im darauffolgenden Monat machte mich ein alter Zimmermanns-„Meister“ (73 Jahre) mit dem Umgang und der Erhaltung japanischer Handwerkzeuge vertraut. Dafür stellte mir der Betrieb eine Grundausstattung neuer Werkzeuge zur Verfügung. Normalerweise erhalten Zimmerleute beim Eintritt in eine Firma in Japan nur eine kleine Grundausstattung von Werkzeugen, die sie dann mit eigenen Werkzeugen vervollständigen. Nicht grundlos werden in Japan die Stecheisen, Sägen und Hobel „Dogu“ genannt, was wörtlich übersetzt „Weg des Werkzeugs“ heißt. Damit möchte man ausdrücken, daß das Werkzeug seinen Meister ein Leben lang begleitet – es ist untrennbar mit dem Menschen und der von ihm gestalteten Umwelt verbunden.
Die größte Schwierigkeit stellte für mich das Schärfen der Stech- und Hobeleisen dar. Die Japaner benutzen keine bzw. kaum Schleifmaschinen, sondern Schärfen die Eisen überwiegend mit einfachen Wasserschleifsteinen verschiedener Körnungen. Das Prinzip des Schärfens verstand ich sehr schnell, nur die Umsetzung mit den Händen bedurfte einige Zeit. Die „Kunst“ ist es, das Eisen gleichmäßig und im gleichen Winkel über den Wasserstein mit entsprechendem Druck zu bewegen, so daß der gewünschte Schnittwinkel entsteht. Die geschliffene Fläche soll dann eine plane, spiegelähnliche Fläche ergeben, die keine Wölbung hat – kurz eine aufwendige Übungssache, die Schweiß, Schwielen aber auch Hingabe bedeutet.
In dieser Zeit durfte ich auch einfachere Holzverbindungen herstellen. Angefangen von einfachen Schlitz- und Zapfenverbindungen, über Schwalbenschwanz- und Längsverbindungen der Balken bis hin zu Verbindungen von Rundhölzern. Die Holzverbindungen werden nicht – wie in Deutschland üblich – mit Bleistift und Meterstab angezeichnet, sondern mit Tusche bzw. Tinte. Dabei verwendet man eine Anreißfeder aus Bambus „sumisashi“, ein Winkel aus Edelstahl „sashigane“ sowie einer Art Schlagschnur „sumitsubo“, die ebenfalls mit Tinte getränkt ist. In traditionellen japanischen Gebäuden beruht die Maßeinheit nicht auf dem metrischen System, sondern auf dem traditionellen japanischen Maßsystem. Die Grundeinheit ist der „japanische Fuß“, „shaku“ genannt, der in etwa dem englischen Fuß (foot bzw. feet) entspricht. E
Verwunderung auf der Baustelle
Als ich dann das erste Mal auf die Baustelle kam, war ich doch etwas verblüfft – im Positiven wie im Negativen. Bei der Baustelle handelte es sich um einen Neubau eines buddhistischen Tempels. Aber entgegen meiner ursprünglichen Auffassung, daß traditionelle japanische Holzbauten ausschließlich aus Holz bestehen, d. h., ihre Standfestigkeit nur aufgrund der komplexen Holzverbindungen und Holznägeln – ohne jegliche andere Verbindungsmittel – haben, wurde ich etwas enttäuscht. Es werden eine Unmenge an Nägeln, Schrauben, Bolzen und Muttern sowie Metallplatten mitverarbeitet. Natürlich alles so eingefügt, daß es nicht sichtbar ist. Ich war perplex als ich sah, daß diese fein säuberlich gearbeiteten Holzverbindungen mit Bolzen und Muttern unterstützt werden. Da ich immer angenommen hatte, die Verbindungen in sich würden ausreichen, die erforderliche Statik sicher zu stellen, erklärte man mir, daß der Einsatz von Verbindungsmitteln aus Metall seit dem großen Erdbeben in Kobe 1995 erhöht wurde. Teilweise auch aufgrund neuer gesetzlicher Richtlinien für Neubauten in bezug auf die erhöhte Erdbebengefahr in Japan.
Auf der anderen Seite hat mich der fachmännische Umgang der Zimmerleute mit ihren Handwerkszeugen beeindruckt, auch wenn heute bereits viele kleine elektrische Handmaschinen wie Kreissäge oder Hobel eingesetzt werden, beherrschen sie doch die Handwerkzeuge perfekt. Der japanische Zimmermann „miyadaiku“ scheint eine Einheit mit seinem Körper und dem Werkzeug zu bilden; das Werkzeug ist Teil seiner selbst.
Die Geduld und Ruhe, welche die Zimmermänner bei der Arbeit aufbringen, indem sie Stunden sogar Tage auf der Baustelle die sichtbaren Oberflächen der Balken, Holzbohlen und -bretter mit Handhobeln bearbeiten, ist faszinierend. Bei unseren Personalkosten in Deutschland einfach nicht vorstellbar! Aber das Ergebnis der handgehobelten Oberflächen spricht für sich. Diese glatten, seidig-glänzenden Oberflächen geben dem Holz einen natürlichen Schutz vor Wassereinwirkung. Die meisten Hölzer werden nicht oberflächenbehandelt; lediglich die Stirnseiten der Hölzer werden meistens mit weißer Farbe gestrichen; sie sind zugleich Schutz und Zierde. Bis vor sieben Jahren gab es auch noch keine spezielle Schulausbildung im Handwerk. Ein angehender Zimmermann ist ohne Vorkenntnisse von der allgemeinen Schule in den Betrieb gekommen und hat dort im Laufe der Jahre seine Kenntnisse gesammelt.
Seit sieben Jahren gibt es nun eine dreijährige Schulausbildung für das Zimmerhandwerk – auch speziell für das traditionelle japanische Holzhandwerk. Im Alter von 15 bis 16 Jahren können sich die Japaner für diverse Berufsschulausbildungen entscheiden, nur ist diese Auswahl in Japan sehr eingeschränkt und nicht so vielfältig wie in Deutschland. Es ist auch kein duales Ausbildungssystem, sondern eine rein schulische Ausbildung.
Anke Gabriel
Anke Gabriel, geb. am 25. September 1973 in Leonberg
  • 1991 Austauschschülerin in Australien
  • 1994 Abitur in Leonberg
  • 1994 – 1997 Schreinerlehre bei der Möbelschreinerei und Innenausbaubetrieb Nissler & Eder in Sindelfingen und gleichzeitigem Besuch der Gewerblichen Schule für Holztechnik, Stuttgart-Feuerbach, mit Abschluß Wirtschaftsassistent im Handwerk von September 1997 bis Oktober 1998 in Kyoto, Japan
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