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»Gut für uns alle«

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»Gut für uns alle«
Nicht zuletzt bedingt durch den demografischen Wandel gewinnt das Thema Komfortwohnen zunehmend an Bedeutung. Produkte und Dienstleistungen sollten so gestaltet sein, dass sie für einen möglichst großen Nutzerkreis ohne Anpassung verwendbar und leicht auf verschiedene Anforderungen einstellbar sind. Dr. Peter Neumann, Vorsitzender des „Europäischen Instituts Design für Alle in Deutschland“ und DIN Certco-Gutachter im Fachgebiet „Barrierefreie Planungen, Bauten und Produkte“, erläutert Ziele und Hintergründe.

BM: „Von Barrierefreiheit zum Design für Alle“ lautet der Titel einer Ihrer Veröffentlichungen. Hat sich der Begriff „barrierefrei“ überholt? Schränkt er die Zielgruppe zu sehr ein?

Dr. Neumann: Der Begriff der Barrierefreiheit ist noch nicht überholt, wird aber zumeist nur auf die Gruppe der Menschen mit Behinderungen bezogen. Dabei wird mittlerweile auch in der „UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ gefordert, dass Produkte und Dienstleistungen im Sinne eines Design für Alle so gestaltet werden sollen, dass sie von allen Menschen möglichst weitgehend ohne eine Anpassung oder ein spezielles Design genutzt werden können. Diese UN Konvention ist im Übrigen seit dem 26. März 2009 auch für Deutschland verbindlich.
BM: Was steckt hinter dem Begriff „Design für Alle“?
Dr. Neumann: Design für Alle umschreibt einen Planungs- und Gestaltungsprozess, der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit für alle Menschen zum Ziel hat. Das bedeutet, dass die gebaute Umwelt, Produkte und Dienstleistungen so gestaltet sein sollen, dass sie sicher, gesund, funktional, leicht verständlich und ästhetisch ansprechend sind und dabei die menschliche Vielfalt berücksichtigen. Wichtig ist, dass das fertige Produkt weder diskriminiert noch stigmatisiert oder anderweitig beeinträchtigt.
BM: „Design für Alle“ klingt zuerst einmal recht unspezifisch und pauschal. Gibt es dennoch in diesem Bereich eine einzugrenzende Zielgruppe?
Dr. Neumann: Für etwa 40 Prozent der Bevölkerung ist eine Gestaltung von Produkten im Sinne des Design für Alle notwendig und für 100 Prozent, also für alle von uns, auch komfortabel und ein Qualitätsmerkmal. Design für Alle fordert nicht für alle Menschen das Gleiche, sondern die Produkte sollen den Bedürfnissen möglichst aller Menschen angepasst werden. Der Kunde steht also mit seinen individuellen Bedürfnissen und Wünschen im Mittelpunkt des Entwicklungsprozesses.
BM: Warum kann es für den Tischler wichtig sein, sich mit dem Thema „Design für Alle“ auseinanderzusetzen?
Dr. Neumann: Ein Tischler ist vor allem im Bereich Innenausbau tätig, und hier wird in der Regel individuell geplant und gefertigt. Von daher bestehen seine Aufgaben und auch Kernkompetenzen darin, die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Kunden zu erfassen und entsprechend umzusetzen. Ein Design für Alle sollte hier selbstverständlich sein: Denken Sie einmal daran, dass sehr viele Arztpraxen, Apotheken, öffentliche Einrichtungen etc. in Zusammenarbeit mit Tischlern erarbeitet werden. In all diesen Bereichen gibt es viel Publikumsverkehr mit unterschiedlichsten Nutzern. Wenn im Weiteren für Privatkunden z. B. im Wohnungsbereich gearbeitet wird, rückt immer mehr in den Blick, dass die Menschen älter werden und zu allermeist auch so lange wie möglich in ihren eigenen Wohnungen leben möchten. Der Tischler als Inneneinrichter ist auch hier mit den Anforderungen eines Designs für Alle konfrontiert, im besten Sinne, auch für seinen Betrieb. Denn die Erwartungen an ihn und der Umfang seiner Planungen erweitern sich. Die diesbezüglichen Chancen sollten genutzt werden. Zwischen Kundenwünschen und einem möglichen Architektenkonzept kann der Tischler im Einzelfall durchaus erweiternd vermitteln. Ein guter Tischler sollte sich stets auch als guter Gestalter einbringen können. Im Prozess des Designs für Alle ist der Tischler also eng eingebunden.
BM: Sie sind Partner des Projektes „Wohnen im Wandel“ der Handwerkskammer Münster. In welchen Wohnbereichen wird sich der Wandel als erstes vollziehen? Wo gibt es den größten Handlungsbedarf?
Dr. Neumann: Bezogen auf eine Wohnung bestehen die größten Herausforderungen für einen Tischler sicherlich im Bereich Zugang (Türen, Fenster, Treppen), Bäder und auch Küchen.
Grundsätzlich sollten alle Räume oder Elemente im Hinblick auf Komfort, Funktionalität, Ästhetik und Sicherheit gestaltet sein. Das Thema Sicherheit umfasst z. B. die Vermeidung von glatten Bodenflächen, herausstehenden Teilen oder von Stoffen, die bestimmte Allergien auslösen können. Dazu gehört auch das Prinzip der kontrastreichen Gestaltung: Eingänge oder Türrahmen sollten farblich abgesetzt sein, bei Treppen sollten durchgehende Handläufe vorhanden sein und die Kanten der Stufen kontrastieren etc.
BM: Wo befinden sich in einer Wohnung neuralgische Punkte? Welche Bereiche sind in der Wohnung besonders sensibel?
Dr. Neumann: Besonders sensibel sind die Übergänge zwischen Innen und Außen, d. h. Türen, Schwellen, Stufen und Treppen. Sicherheit und Komfort haben hier oberste Priorität. Daneben gilt es, eine leichte Nutzbarkeit und Erreichbarkeit von Schränken und Ablagen zu ermöglichen. Informationen sollten zusätzlich durch mindestens zwei der Sinne (Sehen, Hören, Fühlen etc.) wahrnehmbar sein.
BM: Gibt es hier tatsächlich einen Bedarf? Oder handelt es sich um „Nice-to-have“-Produkte?
Dr. Neumann: Insbesondere mit Blick auf den demografischen Wandel ist der Bedarf sehr groß, aber er wird noch nicht überall erkannt bzw. artikuliert. Vor allem bei der Generation 50plus beginnt gerade das Umdenken. Der Bedarf an barrierefreien und zugleich gut gestalteten Produkten, die auch dem eigenen Lebensstil entsprechen, nimmt hier deutlich zu. Allerdings trifft dieser Bedarf derzeit noch auf Handwerker, die sich auf diese Entwicklung noch nicht eingestellt haben. An dieser Stelle bietet unser Projekt „Wohnen im Wandel“ in Kürze maßgeschneiderte Qualifizierungsangebote (siehe www.wohnen-im-wandel.de).
BM: Warum beschäftigen sich öffentliche Auftraggeber bisher mehr mit diesem Thema als Privatkunden?
Dr. Neumann: Es gibt auf Bundes- und Länderebene gesetzliche Grundlagen, wonach die öffentliche Hand dazu verpflichtet ist, umfassende Barrierefreiheit herzustellen. Die oben genannte UN-Konvention richtet sich darüber hinaus auch an private Rechtsträger, die öffentlich zugängliche Einrichtungen und Dienste anbieten. Eine allgemeine Verpflichtung für den Privatkunden auf Herstellung von Barrierefreiheit besteht nicht.
Viele Privatkunden halten sich zurück, sicher auch, weil sie sich selbst stets und immer während als aufrecht gehende und all ihrer Sinne mächtige Menschen sehen möchten. Das sei ihnen nicht genommen, nur schränken sie sich damit auf Dauer häufig auch selbst ein.
Allerdings haben bereits viele private Träger, wie z. B. Wohnungsbaugesellschaften, die Zeichen der Zeit erkannt und lassen ihre Wohnungen modernisieren. Es hat sich gezeigt, dass Wohnungen, die die Wünsche und Anforderungen der Nutzer stärker berücksichtigen, leichter vermietet werden können.
BM: Sind ältere Menschen offen für das Thema „barrierefrei“ oder müssen Unternehmer schon früher ansetzen?
Dr. Neumann: Unsere Untersuchungen zeigen, dass das Thema Barrierefreiheit unter älteren Menschen gerne vermieden wird, man möchte sich nur ungern damit auseinandersetzen. Und natürlich hat man selber keinerlei Behinderung, selbst wenn man nicht mehr so gut zu Fuß ist oder mittlerweile schlechter sehen kann.
Unternehmer sollten, wenn sie sich in diesem Gebiet erfolgreich etablieren möchten, den Mehrwert von Barrierefreiheit deutlich kommunizieren, vor allem mit Blick auf Aspekte wie Komfort, Lebensqualität und Sicherheit, gegebenenfalls auch in Richtung höherer Wertbeständigkeit der Immobilie.
BM: Welche Punkte sind in Kundenansprache zu beachten? Worauf reagiert die Zielgruppe allergisch?
Dr. Neumann: Gegenüber dem Kunden sollte man stigmatisierende Begriffe wie „behindertengerecht“, „altersgerecht“ oder „seniorengerecht“ eher vermeiden. Man sollte stattdessen auf allgemein positiv besetzte Begriffe wie „Komfort“ und „Lebensqualität“ setzen, die auch auf individuelle Erleichterungen im Alltag hinweisen. Design für Alle erhöht die Lebensqualität der Menschen und bietet daneben auch die notwendige Sicherheit. Das erleichtert die Kundenansprache und trifft den Punkt.
BM: Vielen Dank für das Gespräch. ■

Zur Person

Dipl.-Geogr. Dr. Peter Neumann hat als Mitarbeiter am Institut für Geographie der Universität Münster langjährige Forschungs-, Beratungs- und Projektmanagement-Erfahrungen. Er ist Vorsitzender des „Europäischen Instituts Design für Alle in Deutschland“ und Vorstandsmitglied im „EIDD – Design for All Europe“. Peter Neumann ist zudem DIN CERTCO-Gutachter im Fachgebiet „Barrierefreie Planungen, Bauten und Produkte“. Im Jahr 2002 hat er NeumannConsult, ein Beratungsunternehmen mit dem Schwerpunkt Design für Alle, gegründet.

Neues Fortbildungsmodul in Münster

„Design für Alle“ bringt neue Impulse im Handwerk

Die Akademie Gestaltung der Handwerkskammer Münster bietet staatlich anerkannte Fortbildungs-Studiengänge als Designstudium für Handwerker an. In insgesamt sechs Semestern lernen Handwerker zu entwerfen, zu planen und zu präsentieren sowie Kunden zu beraten und Aufträge zu managen.
Als Teilergebnis des Interreg-Projekts „Wohnen im Wandel“ wird ab Frühjahr 2010 regelmäßig das Modul „Design für Alle“ in Theorie und Praxis im 4. Semester in insgesamt 105 Unterrichtsstunden vermittelt. Wichtige Aspekte sind dabei Komfort, Lebensqualität und die menschliche Vielfalt.
„Mit der Einführung des Moduls „Design für Alle“ wollen wir erreichen, dass unsere Absolventen noch mehr Innovation und Erfolg im Beruf erzielen“, so die Leiterin der Akademie Gestaltung, Constanze Unger.
„Design für Alle umschreibt einen Planungs- und Gestaltungsprozess, der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von Produkten und Dienstleistungen für alle Menschen zum Ziel hat“, ergänzt Dr. Peter Neumann, Lehrbeauftragter an der Akademie Gestaltung und Vorsitzender des Europäischen Instituts Design für Alle in Deutschland e.V.
Nicht zuletzt bedingt durch den demografischen Wandel gewinnt das Thema Design für Alle zunehmend an Bedeutung. Produkte und Dienstleistungen sollten so gestaltet sein, dass sie für einen möglichst großen Nutzerkreis ohne Anpassung verwendbar und leicht auf verschiedene Anforderungen einstellbar sind. Die Ganzheitlichkeit des Konzeptes zeigt sich darin, dass die potenziellen Nutzer bereits bei der Entwicklung – und damit innerhalb des Gestaltungsprozesses – beteiligt werden.
Akademie Gestaltung im HBZ
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