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Hören, was die Hölzer sagen

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Hören, was die Hölzer sagen

Das Makellose, Gesunde, Genormte interessiert ihn nicht. Peter Wagensonner will Fehlern und Wider- sprüchen eine Form geben, ihre Schönheit zeigen. Der 47-jährige Gestalter will dem Holz die Sprache entlocken, „die uns zu einer Auseinandersetzung mit der Zeit zwingt.“

Ich stelle mir vor: Die Werkstatt in den ehemaligen Wirtschaftsgebäuden des Schlosses Kleeberg. Nicht klein und schnuckelig. Auf einer Fläche von 2000 Quadratmetern liegen Bäume aus aller Herren Länder. Riesige, verschrobene, wuchernde Exemplare. Nicht besonders romantisch. Oder doch? Vielleicht weiße, Efeu bewachsene Schlossmauern in der Abendsonne, alte Rosen neben bemoosten Steinen? Ich war niemals dort.

Das Schloss Kleeberg liegt bei Ruhstorf in Niederbayern, ganz nah an der österreichischen Grenze. Passau ist nicht weit. Peter Wagensonner hat dort seit 1996 sein Atelier mit Werkstatt eingerichtet, 1999 kam ein Ausstellungsraum dazu, 2001 wurde nochmals erweitert. Wagensonner ist dort auch geboren. Nein, nicht in der Werkstatt natürlich, in Niederbayern, meine ich. Das Handwerk wurde ihm nicht in die Wiege gelegt, stelle ich mir vor. Sonst hätte er nicht Krankenpfleger gelernt. Lange Jahre arbeitete er auf der Intensivsta- tion. Vielleicht haben ihn diese Jahre geprägt, seine Sinne geschärft für das Vergängliche. Mit 25 Jahren hat er diesen Beruf aufgegeben. Ihn störte, dass alles perfekt funktionieren musste, dass die größte Aufmerksamkeit darauf gerichtet war, keine Fehler zu machen. Heute stellt Peter Wagensonner die Fehler in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Sein Ausgangsmaterial sind die Bäume. Bäume mit Fehlern – seien es Wachstumsanomalien oder Verletzungen. Bäume mit Widersprüchen und Gegensätzen – und seien es nur die Farb- und Härteunterschiede von Kernholz und Splintholz, die jeder Baum in sich trägt. Die Hölzer kommen, wie gesagt, aus aller Welt. „Im deutschen Wald gibt es wenige Individuen“, meint Wagensonner. „Da wird zurechtgeschnitten, aufgeräumt und sortiert. Größtmögliche Wirtschaftlichkeit ist das Ziel. Für Inspiratives bleibt dort wenig Platz.“
Peter Wagensonner nimmt Holz, das die Forstleute aussortieren. Oder das der Schreiner aussortiert, wenn es sich doch mal zu ihm verirrt haben sollte. Wagensonner hat eine andere Auffassung von Holz. In seinem Statement „Holz lebt“ schreibt er: „Für mich ist Holz ein sensibler Stoff und birgt die Möglichkeit, der Suche des Menschen nach sich selbst Ausdruck zu verleihen. Diesem natürlichen und oft stummen Begleiter des Menschen darf ich die Sprache entlocken, die uns zu einer Auseinandersetzung mit unserer Zeit zwingt.“ Wagensonners Formulierung „die Sprache entlocken“ lässt deutlich werden, dass der 47-Jährige mit seinem Material wie ein Dichter umgeht. Er ist ein Mensch, der zuhören und hinschauen kann, also wahrnehmen im tiefsten Sinne des Wortes. Er lässt das Holz sprechen über Verletzungen, Widersprüche und Spannungen, lässt es Persönlichkeit sein und werden.
Anfangs standen Schalen, Hohlkörper und Kugeln in mannigfaltiger Größe im Mittelpunkt seines Schaffens. Wagensonner hat Drechsler gelernt. Von 1982 bis 1984 absolvierte er eine Drechslerlehre in München, es folgten Gesellenjahre und 1988 die Meisterprüfung bei Professor Gottfried Böckelmann. Wagensonner beherrscht die Klaviatur des Handwerks vollkommen. Die Perfektionierung der Drehtechnik jedoch, die so viele Drechsler bewegt, liegt Peter Wagensonner nicht am Herzen. Es geht ihm um die Auseinandersetzung mit der Natur des Materials. „Holz birgt Widersprüche“, sagt er. „Holz strahlt Wärme aus und erscheint weich. Holz verführt zum Hinfassen. Holz kann wunderbar farbig sein. Doch es hat auch andere Seiten: Es arbeitet, verzieht sich, reißt. Im Holz liegen Gegensätze und Gegensätzliches bestimmt uns.“ In seinen Stücken versucht er, diese Widersprüche zu artikulieren, die Schönheit dieser Widersprüche herauszuarbeiten und ihnen eine Form zu geben.
Die bis zu metergroßen Kugeln sind sein Markenzeichen geworden. Diese entstehen zwar nach wie vor an der Drehbank, jedoch hat Peter Wagensonner mittlerweile sein Hauptinteresse auf Skulpturen gerichtet. Sein künstlerischer Weg führte von der gedrehten Schale über die Hohlkörper und die Kugel hin zum Stamm. Und er geht noch weiter: Inzwischen interessiert ihn die Gruppe fast noch mehr als der einzelne Baum als Individuum.
Wagensonner entkleidet den Baum seiner schützenden Rinde, zeigt ihn nackt wie der Maler oder Bildhauer sein Modell. Doch die Baum-Körper, die Wagensonner zeigt, sind keine makellosen, „schönen“ Körper. Sie sind krumm und gewunden, sie sind verletzt wie der Stamm mit dem eingewachsenen Maschendrahtzaun, ihre Wunden wurden vernäht oder sind im Laufe der Jahre zugewachsen. Oder es sind Wucherungen, die an Krebsgeschwüre erinnern oder einfach an ungebändigte Individualität.
So wird verständlich, was Peter Wagensonner meint, wenn er sagt, die Natur, mit der er sich auseinander setze, sei immer auch die Natur des Menschen. Jeder, der Wagensonners Arbeiten betrachtet oder befühlt, darf wahrnehmen, wie schön Wesen sein können, die Fehler und Widersprüche in sich tragen, Abweichungen vom geraden Wuchs und sogar Verletzungen.
Regina Adamczak

Peter Wagensonner
  • 1956 geboren in Niederbayern
  • 1973–1981 Ausbildung zum Krankenpfleger mit anschließender Tätigkeit auf der Intensivstation
  • 1982–84 Ausbildung zum Drechsler
  • 1984–88 Gesellenzeit
  • 1987–89 Besuch der „Akademie für Gestaltung“ München, Schwerpunkt Proportion und Gestaltungslehre
  • 1988 Meisterkurs und Meisterprüfung bei Prof. Böckelmann, FH Hildesheim
  • seit 1987 freiberuflich tätig Kontakt
Wenn Sie Interesse an Kugeln, Objekten oder Skulpturen haben, können Sie sich direkt an Peter Wagensonner wenden. Um Anmeldung wird jedoch dringend gebeten.
Peter Wagensonner, 94099 Ruhstorf
Tel 08534 8101, Fax 08534 969950

Buch
Der Kunstverlag Edition artCo hat ein Buch über Peter Wagensonners Arbeiten herausgegeben. Es ist im Buchhandel erhältlich.
Peter Wagensonner, Skulpturen und Objekte aus Holz. Auswahl von Arbeiten aus den Jahren 1996 bis 2001. Text: Gisela Winkelhofer – 47 S. mit 58 meist farb. Abb., 31,5 cm, Buchleinen, 27 Euro, ISBN 3-902101-02-4, Kunstverlag Edition artCo 2001
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