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Weniger ist mehr!

Kritische Betrachtung zur neuen Ausbildungsordnung zum Tischler/zur Tischlerin
Weniger ist mehr!

Die Ergebnisse bei der diesjährigen Gesellenprüfung seien katastrophal gewesen, obwohl die Handarbeitsprobe, ein Frisierspiegel aus Buche, eher im leichten Bereich angesiedelt war. Würde man das Kriterium der Verkaufbarkeit anlegen, müßten gute 20 % der Prüflinge durchfallen. Mit diesen Worten leitet Christian Zander, Ausbildungsmeister an der Gewerbe Akademie Freiburg, den nachfolgenden Bericht ein, in dem er die neue Ausbildungsordnung aus seiner Sicht kritisch aufs Korn nimmt.

Bei der Maschinenarbeitsprobe brachten viele der Prüflinge innerhalb der vorgegebenen Zeit von 20 Minuten keine einfache Einsatzfräsung zusammen. Bei etlichen, die mit Ach und Krach die Zeit einhielten, stimmten die abgelieferten Ergebnisse nicht mit den laut Zeichnung geforderten Maßen überein.

Die Häufung vollständiger Unbeholfenheit und fachliche Inkompetenz, die teilweise um Leib und Gesundheit fürchten ließ, ließen den Prüfern die Haare zu Berge stehen und veranlaßten zu Fragen wie: „Was ist denn nur los? Warum können die denn nichts?“ Ein verunsicherter Bildungsausschuß beschäftigte sich damit, der Innungsvorstand lud Berufsschule und Träger der überbetrieblichen Ausbildung zu einer Krisensitzung ein, die fruchtlos endete: Die Berufsschule wehrte sich gegen den Vorwurf, es falle zuviel Unterricht aus, mit dem Hinweis auf die neue Ausbildungsordnung und neue pädagogische Konzepte, Innungsvertreter beklagten mangelnden Ausbildungswillen auch bei manchen Betrieben und die ÜBA war (noch) außen davor.
Die Unzufriedenheit mit der beruflichen Qualifikation, d. h. auch mit der beruflichen Ausbildung, wächst von Tag zu Tag. Davon ist auch die Situation im Tischler-/Schreinerhandwerk nicht ausgenommen. Im Gegenteil: Immer mehr Betriebe beklagen sich zunehmend auch lautstark über die mangelnden Grundfertigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens der Schulabgänger. Die Unlust auszubilden nimmt zu und schlägt sich in den Statistiken nieder. Immer mehr Stimmen nutzen die vermeintliche Gunst der Stunde und fordern, die Berufsschulzeit zu verkürzen. Auch die Dauer der Überbetrieblichen Unterweisung wird in Zweifel gezogen, wie die Diskussion um den Oberflächenkurs T3 zeigt.
In Baden-Württemberg gibt es beispielsweise den hektischen Versuch der Kultusministerin, über sogenannte „Lernortkooperationen“ die Zusammenarbeit aller Ausbildenden (Betrieb, ÜBA, Berufsschule) zu intensivieren und durch neue Lernkonzepte („übergreifendes Lernen“, projektorientiertes Lernen“) die Ausbildung selber effektiver zu gestalten. Dabei ist die neue, erst seit einem Jahr geltende Ausbildungsordnung für das Tischlerhandwerk die Grundlage der Diskussion in unserem Berufszweig.
Um auf den Kern zu kommen, will ich zwei Thesen aufstellen:
1. Der Ausbildungsplan hat für die betriebliche Praxis
eines Lehrlings keine Bedeutung!
Zwar ist jeder Betrieb verpflichtet, bei dem Abschluß eines Lehrvertrages einen betrieblichen Ausbildungsplan vorzulegen, auszuhändigen E
und sogar dem Vertrag beizufügen. Aber selbst da, wo dieses geschieht, wird er in den meisten Fällen nicht eingehalten. Mehr noch: er spielt überhaupt gar keine Rolle! Denn die betriebliche Ausbildung orientiert sich faktischerweise nicht an irgendwelchen Plänen, sondern an den anfallenden Arbeiten, den Aufträgen, mit denen das Geld verdient wird.
Heute gibt es nicht mehr „den“ Schreiner- bzw. Tischlerbetrieb, sondern eine Vielzahl weitgediehender Spezialisierungen, die sich allenfalls noch unter die zwei Gruppierungen der Bautischler und der Möbel- und Innenausbautischler fassen lassen. Und auch das schon recht mühsam. Wie will denn also ein Montagebetrieb die Furniertechnik vermitteln, wie ein Fensterbaubetrieb praktische Kenntnisse im Effektlackieren von Möbeln? Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.
Wenn das System der an die Produktion gebundenen betrieblichen Ausbildung von sich aus schon dem Ausbildungsplan widerspricht (und nur die bewußtesten Meister versuchen, diesem Widerspruch entgegenzuarbeiten), so verstärkt die Betriebswirklichkeit diesen Effekt noch einmal. Genau um dieser schädlichen Tendenz entgegenwirken zu können, wurde das Instrument der Überbetrieblichen Ausbildung gewissermaßen als „aktueller Ausputzer des Handwerks“ installiert. Wenn jetzt laut darüber nachgedacht wird, die ÜBA-Zeiten zu kürzen, muß man die entsprechenden Folgen für die Qualität der Ausbildung in Rechnung stellen.
Im Übrigen sage ich mit meiner These ja nichts Neues, nichts Unbekanntes. Neu ist eigentlich nur, daß es ausgesprochen wird. Wie denn sonst muß man die Ausführungen des Bildungsreferenten beim Bundesverband HKH, Wolfgang Heer, deuten, der in seinen Beiträgen zur Neufassung der Ausbildungsordnung betonte: „Der neue Ausbildungsrahmenplan ist wesentlich offener formuliert als der alte.“ Der Ausbildungsbetrieb habe neue „echte“ Freiräume und unterliege „nicht dem Zwang, bestimmte Techniken anzuwenden“ (aus: Der Hobelstoß 6/97, S.127). So brauche man nunmehr nicht mehr ein Fenster herstellen zu lassen, jeder andere Rahmen tue es auch, nötigenfalls auch ein Bilderrahmen. Für mich ein typisches Beispiel von Doppelmoral „um jenen Betrieben, die Schwerpunktfertigungen haben, auch zukünftig das Ausbilden zu ermöglichen (Heer).“ Der Schein bleibt gewahrt, die Qualität wird verschlechtert. Zudem handelt es sich um nichts weiter als um eine Flurbereinigung dessen, was bisher schon allgemeine Praxis war: Ich z. B. habe in meiner Ausbildung in Süddeutschland nie ein Fenster gebaut, geschweige denn derartige Kenntnisse vermittelt bekommen.
Ich erinnere an meine erste These, deren Folgen allerdings gravierend sind. Denn gerade die Verzahnung „Betrieb/ Schule“ sollte Garant einer qualifizierten Ausbildung sein. In Wirklichkeit klaffen betriebliche und schulische Ausbildung auseinander. Weiter als gedacht, weiter als erlaubt. Das abgestimmte Miteinander der beiden dualen Partner besteht nur auf dem Papier. Deshalb stimmt eine der wesentlichen Voraussetzungen einer qualifizierten Ausbildung nicht mehr.
Die zweite These soll hier anschließen:
2. Die Berufsschule erzieht zu mehr WISSEN und mehr KÖNNEN!
Die neue Ausbildungsordnung ist in Kraft, und überall im Land sind die Macher am Werk: neue Lehrpläne werden entworfen, umgesetzt, neue Prüfungsordnungen konzipiert usw. usw. Ich kann nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Denn was ist wirklich neu an der neuen Ausbildungordnung? Sie packt dem armen Stift noch mehr Wissensstoff zwischen die Ohren. Die Begründung ist schlüssig und in sich einsichtig: angesichts der technischen Weiterentwicklung muß auch die Kenntnisvermittlung mithalten. Nur: die Erfahrung zeigt, daß die Anhäufung des Wissensstoffes nicht zu mehr Wissen, sondern zu einem gehörigen Gehirnbrei führt. In der Praxis der Überbetrieblichen Ausbildungskurse werde ich ständig damit konfrontiert: Lehrlinge im 3. Lehrjahr, kurz vor, z. T. sogar nach der theoretischen Gesellenprüfung stehen ratlos vor den Leimeimern, wenn sie einen Furnierleim holen sollen, machen grundlegende Fehler beim Kantenanleimen, können den Begriffen des positiven und negativen Beizbildes nur mühsam etwas zuordnen („positiv ist, wenn’s gut aussieht“), erklären den Unterschied zwischen einer offenen und einer geschlossenen Schleifbandstreuung als unerheblich und würden bedenkenlos einen PUR-Lack in einen Wasserlack mischen, um einen neuen Farbton zu erzielen.
Natürlich ist es zugespitzt und Gott sei Dank trifft es nicht für alle Lehrlinge zu. Aber jeder, der in der Praxis mit Lehrlingen zu tun hat, im Betrieb oder in der ÜBA, wird diese Erfahrung bestätigen können. Das Mehr an Wissensvermittlung führt nicht zu erhöhter Handlungskompetenz, sondern zu Verwirrung und Überlastung. Das verwundert nicht bei einer Ausbildung, die vor allem den Kopf anspricht, weil die Verbindung zur praktischen Arbeit nicht wie eigentlich geplant funktioniert.
Die Alternative lautet nicht : Kein Wissen, sondern muß die entscheidende Frage beantworten: Wieviel Wissen, wann? Wer die Gelegenheit hat, sich einmal die Unterlagen der Schweizer Gesellenausbildung anschauen zu können, sollte diese unbedingt nutzen. Voller Erstaunen kann man da feststellen, daß dort seit Jahren, etwa seit Mitte der 70er Jahre, der Unterrichtsstoff energisch reduziert worden ist. Nicht, daß man neue Entwicklungen abkappt oder gar nicht aufnimmt, im Gegenteil. Aber der Stoff ist komprimierter, auf das Wesentlichste beschränkt und damit handhabbarer. Und das bei einer Ausbildungszeit von 3,5 Jahren.
Diesen Mut zum Wichtigen wünschte ich mir als Grundlage für die Neugestaltung der Ausbildungsordnung, nicht die nutzlosen Diskussionen um eine Verlängerung der Ausbildungszeit auf 3,5 Jahre. Denn die Überfrachtung mit theoretischem Wissen, das zum nutzlosen Ballast wird, ist Ursache der Fehlentwicklung in der beruflichen Ausbildung im Schreinerhandwerk. Nur indem man den Stoff komprimiert und nicht mehr in alle Einzelheiten gehen läßt, kann man auch das Problem einer Verkürzung der Berufsschulzeit in den Griff bekommen.
Begleitet werden müßte eine solche Umgestaltung der Ausbildung von einem Konzept der Weiterbildung für Gesellen. Denn spezialisierte, höherqualifizierte Arbeiten benötigen ein tieferes Wissen. Der Fachverband HKH in NRW hat durch seinen Hauptgeschäftsführer, Dieter Roxlau, verschiedentlich wichtige Initiativen in diese Richtung gestartet („Qualifiziertere Perspektiven sind nötig“). Auch der Landesverband Holz und Kunststoff Baden-Württemberg, Stuttgart, hat zusammen mit den Gewerbe Akademien der Handwerkskammern Konstanz und Freiburg ein Konzept erarbeitet, das Gesellen im Schreinerhandwerk die Möglichkeit der Weiterqualifizierung zum anerkannten „Facharbeiter“ auf den Gebieten Montage, Oberfläche, CNC und CAD gibt.
Gegen die inhaltliche Ausbildungsmisere hilft nur ein Umdenken. Nur so kann eine neue bessere Ausbildungsordnung geschaffen werden.
gez. Christian Zander
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