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Systemgrenzen ausloten«

Wann wird ein Fenster zur Fassade?
Systemgrenzen ausloten«

Architekten und Bauherren fordern immer größere Fenster, um den solaren Eintrag und den Tageslichtanteil zu erhöhen. Wann kommen Fensterbauer an ihre Grenzen und damit in den Bereich der Fassaden? BM sprach mit Christoph Rellstab, Mitglied der Departementsleitung der Berner FH Architektur, Holz und Bau und Leiter der Technikerschulen HF Holz Biel.

 

BM: Ist der Fensterbauer mit sehr großen Elementen überfordert?

Rellstab: So absolut würde ich es nicht formulieren. Es ist aber schon so, dass die Fensterelemente heute immer größer und breiter werden. Das führt dazu, dass Fensterbauer zu Fassadenbauern werden. Der Fensterbauer, wie auch ich einer bin, ist traditionellerweise gewohnt, mit Löchern in der Fassade zu arbeiten und nicht unbedingt mit Fassadensystemen und -elementen. Mit Fensterelementen und -bändern kann man gut umgehen. Zunehmend werden aber vermeintliche Fensterkonstruktionen ausgeschrieben und gefordert, welche sich über mehrere Etagen erstrecken. Und plötzlich wird man mehr oder weniger bewusst zum Fassadenbauer und ist bei diesen Dimensionen entsprechend mit ganz anderen Kräften konfrontiert, u. a. hohen Windkräften und hohen Eigenlasten. Die Folge kann sein, dass die klassische Fensterkonstruktion von diesen Kräften überfordert ist und die Systemgrenzen überschritten werden. Das kann durchaus auch gefährlich werden. Nebst dem Trend zu größeren Fensterelementen haben wir ja auch vermehrt den Trend zu hohen Gebäuden. Bezüglich der auf die Fenster einwirkenden Windkräfte ist es ein großer Unterschied, ob mein Fenster in einem Einfamilienhaus oder im 12. Stock eines Hochhauses eingebaut wird.
BM: Überschreitet hier der Fensterbauer seine Kompetenz?
Rellstab: Unter Umständen ja, und das kann zu Problemen führen. Man ist sich dieser Kräfte gar nicht bewusst und von der Statik ge- oder sogar überfordert, denn Statikberechnungen sind ja eigentlich eine klassische Ingenieursaufgabe. Möglicherweise sind diese Kompetenzen im Unternehmen noch gar nicht vorhanden. Aus meiner Sicht besteht hier das Problem, dass sich der Fensterbauer gar nicht bewusst ist, dass er vor einer Herausforderung steht.
BM: Wie wirkt sich das auf die standardisierten Befestigungen und Beschläge aus?
Rellstab: Natürlich belasten große Elemente die Beschlagsysteme resp. die Montagesysteme viel stärker. Wenn man zum Fenstereinbau z. B. bisher einen Winkel verwendete, den man mit jeweils zwei Schrauben im Fensterrahmen und an der Decke befestigte, funktioniert das gut. Wird aber mit dem gleichen Winkel eine Fassade montiert, wo mit viel größeren Kräften zu rechnen ist, dann ist dies schon grob fahrlässig.
BM: Der Markt fragt aber immer mehr große Fensterelemente nach.
Rellstab: Ja, und mit den heutigen Produktionsmitteln können diese Elemente auch problemlos hergestellt werden. Der Folgen dieser Entwicklung ist man sich aus meiner Sicht noch zu wenig bewusst. Die Branche muss sich vermehrt damit auseinandersetzen, was ihre heutigen Systeme leisten können und was nicht, sowie die Systemgrenzen ausloten. Dazu müssen eventuell neue (Statik-)Kompetenzen aufgebaut werden, die in diesem Ausmaß bisher nicht notwendig waren. Die Gutachterpraxis zeigt leider, dass es vermehrt Fälle gibt, wo ein Fensterbauer einen Schritt zu viel gewagt hat und dann nachträglich teure und ästhetisch nicht sehr gern gesehene Verstärkungsmaßnahmen getroffen werden müssen oder aber, dass die ganze Konstruktion ersetzt werden muss. Vielleicht ist es auch eine Aufgabe des Planers in solchen Fällen eine Fassade auszuschreiben und nicht mehr Fenster.
BM: Wo endet das Fenster und wo beginnt die Fassade? Gibt es da eine klare Definition?
Rellstab: Nein, nach meinem Wissensstand gibt es die eben nicht. In den schweizerischen Richtlinien für Holzfenster von 1988 hat man versucht, eine Faustregel aufzustellen, die besagte, dass ein Fenster, das mehr als 7 m2 Fläche aufweist und/oder eine Stütz-weite resp. Spannweite von mehr 2,40 m aufweist in der Mittelpartie, einem Setzholz oder einem Kämpfer und/oder wenn der Staudruck größer als 0,85 kN/m2 beträgt, besondere statische Aufmerksamkeit erfordert, die ggf. über die Möglichkeiten eines Fensterbauers hinaus gehen. Diese damalige Definition finde ich auch heute nicht so falsch. 7 m2 Fensterfläche mit einer Windbelastung von 0,85 kN sind heute relativ rasch erreicht und bedeuten sofort fast 600 kg Windlast, die auf diese Fläche einwirkt. Das wirkt vielleicht etwas plakativ. Aber in solchen und „schlimmeren“ Fällen kommt man rasch in den roten Bereich. Man muss sich bewusst sein, dass es hier um die Gefährdung von Menschen geht und nicht nur um die Funktion eines Bauelementes. Wer das notwendige Know-how nicht hat, der sollte sich daher einen Spezialisten holen.
BM: Gibt es ein entsprechendes Regelwerk?
Rellstab: Natürlich gibt es Regelwerke, in der Schweiz z. B. die SIA 261 – Einwirkungen auf Tragwerke und die SIA-Dokumentation D 0188 „Wind“. Aber ein Regelwerk bzw. eine Empfehlung von einer Instanz oder von einem Verband, welche dem Fensterbauer klar sagt, was er darf und was nicht, das gibt es nicht. Man ist sich dieser Thematik sehr wohl bewusst und es gab und gibt Kurse seitens der schweizerischen Fachverbände, teilweise mit unserer Unterstützung.
BM: Was kann die Branche in dieser Sache von Ihrem Institut erwarten?
Rellstab: Für mich geht es darum, ein Instrumentarium zu entwickeln, bei dem man den Anwendern sehr vereinfacht gewisse Hilfsmittel zur Verfügung stellt, mit denen Standardfälle abgedeckt werden. Denn was nützt ein teures Statikprogramm, wenn man die Grundlagen nicht hat.
BM: Das heißt, der Schreiner oder der Fensterbauer muss wissen, wo seine Grenze ist.
Rellstab: Ja, das ist so. Ein Fensterhersteller sollte wissen, wann seine Fenstersysteme ihre Grenzen überschreiten. Das Erkennen des Problems ist bereits die halbe Lösung.
BM: Ist die Herangehensweise bei Holz-, Holz-Alu- oder Kunststofffenstern identisch?
Rellstab: Natürlich sind die Materialien unterschiedlich. Das ist für mich nicht eine Diskussion der Materialien, sondern eine des Verständnisses per se. Sehe ich überhaupt, welche Kräfte auf die Konstruktion einwirken und weiß ich, wie ich damit umgehen muss? Erst wenn ich dieses Know-how habe, kann ich es materialspezifisch herunterbrechen, dann geht es um Verstärkungen, Verstärkungsprofile und andere konstruktive Lösungen, wie Kräfte übernommen werden können.
BM: Ist das zu viel für den Fensterbauer?
Rellstab: Ich sage nicht, dass die Hersteller das nicht können, und man kann auch lernen, damit umzugehen. Einen Unterschied gibt es zwischen der Kunststoff-, Metall- und der Holzbranche. Wenn ich Kunststoff- oder Metallsysteme verarbeite, dann erhalte ich vom Systemgeber auch die statischen Werte. Häufig fehlen beim Holz diese Angaben. Da muss ich mir selber Gedanken machen.
BM: Wie sieht es mit dem Trend zur immer schmaleren Rahmenkonstruktion aus?
Rellstab: Ja, dann stellt sich auch noch die Frage, ob die Rahmeneckverbindung die Kräfte übernehmen kann. Aufgrund der Anfragen, die bei uns eintreffen, ist das Thema Festigkeit der Rahmeneckverbindungen nun aber wieder auf die Agenda gekommen. Wir erhalten Anfragen zur Leistungsfähigkeit und der Belastungsgrenze von Rahmeneckverbindungen. Geschlitzt, gedübelt oder geschraubt ist dann eine interessante Fragestellung (Anm. der Redaktion: siehe BM 03/2013, Seite 72–76). Unsere Erfahrung ist, dass durch die Glasverklebung im Flügel ein leistungsfähiges Element entstehen kann. I
Das Interview führte Jörg Pfäffinger im Auftrag der BM-Redaktion.
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