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Abitur und Lehre – zwei auf einen Streich

Urspringschule
Abitur und Lehre – zwei auf einen Streich

Am Rande der Schwäbischen Alb, am Ende eines schönen Tales, findet man die Silhouette des über achthundert Jahre alten Klosterbezirkes Urspring: Anscheinend eine reine Idylle, tatsächlich aber ein Internat mit Tagesheimschule als Landerziehungsheim. Ein nicht alltägliches Internat, wo man versucht, den Kindern Orientierung anzubieten und zu einer hohen Lebenskompetenz zu verhelfen. Interessant dabei die Doppelqualifikation: Gymnasium und Handwerksausbildung – zum Schreiner, Schneider oder Maschinenbaumecha-niker – werden parallel gemacht. Sicher ein zeitlicher Mehraufwand, der sich bei einem anschließenden Studium durchaus lohnt – fundierte Erfahrungen und geprüftes Wissen bilden eine gute Startbasis.

Werkstattarbeit ist in vielen Internaten sehr oft nur ein Alibi – es wird für „chic“ angesehen, wenn Jugendliche mal eine Vase töpfern oder eine Säge in die Hand nehmen.

Anders ist die Werkstatt-„Philosophie“ in Urspring: Drei von sieben Werkstätten in Urspring sind echte Ausbildungsbetriebe, in denen gemäß § 37,3 der Handwerksordnung eine Lehre mit abschließender Gesellenprüfung absolviert werden kann. Mäd-chen und Jungen können hier also eine Doppelqualifikation erhalten: Abitur und Gesellenprüfung.
Immer wieder wird gefragt, ob man Jugendlichen den Stress einer schulischen und handwerklichen Ausbildung gleichzeitig zumuten könne. Die Antwort ist einfach, weil die Frage falsch gestellt ist. Von doppeltem Stress kann keine Rede sein, da sich beide Ausbildungsrichtungen, die schulische und die handwerkliche, ideal ergänzen.
Trotz mehrfacher Überarbeitung der gymnasialen Lehrpläne, ist deren Theoriebefrachtung zum Beispiel für Jugendliche mit vorwiegend praktischer Intelligenzstruktur vielfach zu hoch. Trotz mehrfacher Überarbeitung der handwerklichen Ausbildungspläne, ist deren theoretischer Oberbau für Mädchen und Jungen mit vorwiegend verbaler Intelligenzstruktur vielfach zu niedrig. Das in Urspring praktizierte gemeinsame System kommt der geforderten „ganzheitlichen“ Bildung durch Integration einen großen Schritt entgegen.
Die Mädchen und Jungen, die neben dem Gymnasium noch eine Handwerksausbildung machen, leisten sehr viel: Der zeitliche Umfang für die Ausbildung beträgt rund 3800 Stunden. In der 8. bis 12. Klasse beträgt die komplette Unterrichtszeit insgesamt 44 Stunden pro Woche. Davon entfallen 12 Stunden auf den theoretischen und praktischen Unterricht innerhalb der Schreinerlehre. In der 13. Klasse werden insgesamt 146 Stunden für die Lehre aufgewendet. Dieser Mehraufwand innerhalb von 6 ½ Jahren lohnt sich jedoch: Wer anschließend an Abitur und Gesellenprüfung ein Studium (beispielsweise in Architektur, Innen-architektur, Mode-Design oder als Ingenieur) aufnimmt, erspart sich Praktika und bringt außerdem fundierte Erfahrung und geprüftes Wissen mit.
In den Urspringer Werkstätten sind zurzeit 60 Auszubildende beschäftigt. Derzeit können in drei Berufen Ausbildungen und Gesellen-Prüfungen gemacht werden. In der Schneiderei werden nicht nur die elementaren und für die Gesellenprüfung erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, sondern auch Mode mit Witz, Feeling und mit eleganter Selbstsicherheit gestaltet.
Eine Sonderstellung nimmt die Ausbildung zum (zur) Maschinenbaumechaniker(in) ein. Ein renommiertes Industrieunternehmen stellt Ausbildungskapazitäten und einen Ausbildungs-Meister zur Verfügung.
Damit werden Maschinenbaumechaniker an zwei Orten ausgebildet: In Urspring und in der Realität eines führenden Industriebetriebes. Die oft zitierte Realitätsferne von Schulen, hat man mit dieser Ausbildungsart überwunden – zum gegenseitigen Vorteil.
Die Schreinereiwerkstatt verfügt über moderne Räumlichkeiten und eine zeitgemäße Ausrüstung. Hier werden jedoch nicht nur Werkstücke für den täglichen Gebrauch in Urspring gefertigt, sondern auch Möbel in modernem Design. Als Lehrmeister, Begründer und Leiter der Schreinerei hat Günther Mayer wesentlichen Anteil an dem in der Branche und in der Region beachtlichen Ruf der Schreinerwerkstatt.
Besser qualifiziert
Es überzeugt, dass damit die gymnasiale und die handwerkliche oder industrielle Ausbildungsqualität erheblich gesteigert wird. Jugendliche auch durch praktische Ausbildung frühzeitig besser zu qualifizieren und sie damit auch für die anhaltende Strukturveränderung der Wirtschaft vorzubereiten, scheint notwendig und sinnvoll zu sein. Und vor allem den Mädchen und Jungen macht das Ganze auch noch Spaß.
In den Werkstätten werden Material und Arbeitsprozesse begreifbar: Wer lernt, wie man material- und fachgerecht ein Möbelstück schreinert, eine Bluse schneidert oder einen Bolzen fräst, lernt eben mehr – er begreift die Autorität des Faktischen.
Weder Stahl, noch Seide, noch Holz lassen sich „irgendwie“ oder beliebig bearbeiten. In der Werkstattarbeit wird plausibel, dass man ganz konkrete Techniken, Gesetze und Prozesse erkennen und lernen muss, um Erfolg zu haben. Wer das erfahren hat, weiß, dass auch er jetzt etwas „Richtiges“ kann: Er begreift die Strukturen des eigenen Erfolges.
Die Freude an diesem Erfolg baut Verunsicherung ab und dies überträgt sich auch auf die Arbeit am Gymnasium. Zu erkennen, dass und wie Leistung machbar ist, schafft die Basis für Selbstständigkeit: Das Selbstvertrauen.
Es ist nicht Pflicht, in Urspring eine Lehre zu machen. Aber jede und jeder muss hier an einer der Werkstatt-Gruppen teilnehmen. Welche er wählt, ist freigestellt.
Aus der Einheit von Lehre, Gymnasium und dem Leben in Urspring, ergeben sich für Jugend-liche ganz neue Wahrnehmungs-horizonte. Die Erlebniswelt wird reicher und zugleich überschaubarer, weil Zusammenhänge sichtbar und nachvollziehbar werden. Und: Wer mehr weiß, sieht mehr.
Schreinerlehre nach Maß
In enger Kooperation und wohlwollender Begleitung durch die Handwerkskammer Ulm/Donau, die Schreinerinnung Ulm-Alb-Donau-Kreis, den Landesverband Holz + Kunststoff Baden-Württemberg, Stuttgart, das Oberschulamt Tübingen sowie die entsprechenden Verbände und Institutionen, werden den Schülerinnen und Schülern ab Jahrgangsstufe 8 während 6 ½ Jahren die erforderlichen Kenntnisse gemäß der Ausbildungsordnung zum Tischler/Schreiner vom 1. August 1997 vermittelt.
Die Lehrlinge – derzeit 40 – arbeiten genau in Abstimmung zum gymnasialen Unterrichtsplan, während der Schulzeit ganz- und halbtägig und „full-time“ in vier Projekt- und drei Ferienwochen pro Schuljahr in Praxis und Theorie.
Überbetriebliche Lehrgänge, wie den TSM-Lehrgang (Maschinenkurs) und den TSO-Lehrgang (Oberflächenkurs), besuchen die Urspringschüler im Berufsbildungszentrum der Handwerkskammer Ulm. Die Zwischenprüfung wird ebenfalls im BBZ durch die Schreinerinnung abgenommen.
Nach dem Abitur arbeiten die Lehrlinge in Fremdbetrieben ihrer Wahl ca. vier Monate lang im Status eines Lehrlings des 3. Ausbildungsjahres. „Fremde Tapeten zu sehen und andere Luft zu schnuppern“, ist allemal sinnvoll. Danach erfolgt die Vorbereitung auf die theoretische Gesellenprüfung, welche im Winter nach dem Abitur an der Gewerblichen Schule in Ehingen/Donau abgenommen wird. Im Februar des darauffolgenden Jahres steht die praktische Gesellenprüfung vor der Schreinerinnung an. Unter Kontrolle eines fremden Schaumeisters, zeigen die Lehrlinge im Ausbildungsbetrieb Urspringschule beim Anfertigen des Gesellenstücks ihr Können. Großer Wert wird auch deshalb auf eine optimale Ausbildung gelegt, da sich einige Absolventen mit „Abitur und Schreinerlehre“ auf Fach(hoch)schulen weiterbilden.
Zu diesem Zeitpunkt kann sich das Erlernen dieses Berufes bereits gelohnt haben.
So ist es möglich, sich die notwendige „Kohle“ für das Stu-dium durch Arbeiten im Beruf zu erwirtschaften. Dies macht auch mehr Freude als ein reines „Jobben“, um des Geldverdienens willen. Zudem ist eine Erweiterung vorhandener Kenntnisse möglich.
Grundsätzlich meldet die Urspringschule nur Lehrlinge zu den überbetrieblichen Lehrgängen, zur Zwischenprüfung und insbesondere zur theoretischen und praktischen Gesellenprüfung an, welche die notwendigen Unterrichtszeiten erreicht haben. Zum einen ist Gleichklang mit der dreijährigen Normalausbildungszeit in der Wirtschaft vorhanden und zum anderen ist das erlernte Können und Wissen identisch mit den erreichten praktischen und theoretischen Unterrichtszeiten. So besteht schlechthin keine Lehrzeitverkürzung, wie so oft bei Lehrlingen mit Abitur erwartet wird. Mit dieser konzeptionellen Einstellung agiert die Urspringschule an führender Stelle der Bundesrepublik Deutschland.
Pädagogische Ausbildungsmerkmale
Die Kenntnisse werden gemäß heutiger pädagogischer Erfahrungen vermittelt. Ein Basteln, Werkeln oder hobbyähnliches Arbeiten ist nicht gegeben.
Handwerksgerechtes Konstruieren unter Einbeziehung der Eigenschaften des Naturwerkstoffes Holz und entsprechender Kunststoffe ist die Maxime. Das Verwenden chemischer Oberflächenmaterialien oder so genannter Bio-Wachse und Öle für den Schutz bzw. für die Vergütung des Holzes und das Verwenden tropischer Hölzer aus selektiven Holzeinschlägen sind Themen, die immer wieder zu fachlichen Diskussionen führen.
Jeder Lehrling oder Schüler arbeitet in der Regel selbst an „seinem“ Objekt. Ausnahmen stellen die Serienmöbel (Regale, Betten, Tische für die Schülerzimmer oder dergleichen) dar. Der Lernende identifiziert sich mit dem Möbelstück. Er macht sich schon vor Beginn des Unterrichtes Gedanken, welche Arbeitsgänge anstehen.
Vom Holzzuschnitt, ja sogar vom Sägen der Stämme im Sägewerk über das Lagern der Schnitthölzer bis hin zur Oberflächenbehandlung reicht die Ausbildungspalette. Das Erlernen der klassischen Eckverbindungen (Zinken, Graten, Schlitzen und Zapfen usw.) wird grundsätzlich am zu erstellenden Möbelstück praktiziert. Probestücke, welche nachher irgendwo verstauben oder sogar verheizt werden, sind in der Urspringer Schreinerei nicht zu finden. Die Motivation für eine genaue und saubere Arbeit ist dadurch sehr hoch.
Da der theoretische Fachunterricht parallel zum praktischen Unterricht und durch die gleichen Lehrkräfte erteilt wird, kann eine Wissensvermittlung äußerst produktiv sein. So werden beispielsweise spezielle Themen aus den Gebieten der Technologie, des Technischen Zeichnens und der Fachmathematik für die zur gleichen Zeit in der Produktion befindlichen Objekte gleichgerichtet und in einem Zug abgehandelt.
Die Lehrer und Schüler stellen oft fest, dass sich eine erfolgreiche Arbeit in der Werkstätte auf das (Noten-) Klima im gymnasialen Unterricht positiv überträgt. Nicht zuletzt leuchten immer wieder die Augen der Schüler/ innen und ihres Meisters freudestrahlend bei der Übergabe eines Möbels.
Der Gymnasiast erkennt in seiner Schreinerlehre unmissverständlich, dass er in seinem Mathematik-Unterricht beispielsweise „nicht ins Blaue hinein zu pauken hat“: Er erlebt hautnah, dass die Winkelfunktionen oder der Pythagoras praktische Anwendung erfährt. Jährliche Lehrfahrten zu großen Betrieben der Branche (Furnierwerke, Tischlerplatten-, Spanplatten-, Parkett- und Möbelfabriken, Beschläge- und Maschinenfabriken) sowie Messebesuche runden das Programm ab.
Das Bildungsmodell der Urspringschule „Abitur mit Schrei-nerlehre“ macht das Handwerk zum Medium ganzheitlicher Erziehung und verwirklicht innerhalb der Grenzen des staatlich anerkannten Gymnasiums einerseits und der Handwerksordnung andererseits einen alten und ehrwürdigen Traum aller Erzieher, die der jungen Generation gönnen, lernend in das Leben hineinzuwachsen, indem sie „was Richtiges machen“. Jeder ist für jeden da, und trotzdem stellen sich bei dem eigenen „Ich“ Erfolgserlebnisse ein. Das Selbstwertgefühl steigert oder bildet sich überhaupt und fließt in den schulischen Alltag ein.
Praxisnähe
Gymnasiale und handwerkliche Ausbildung gehen in der Urspringschule Hand in Hand, wobei Praxisnähe und Ausbildungsqualität groß geschrieben werden. Das Modell ist attraktiv und fordert zum Weiterdenken heraus. Es verändert die Schule, die Bewegung und Entwicklung so nötig hat, hin zu einem als erfolgreich und befriedigend erlebten Tun für Jugendliche, die andernorts oftmals in einem Gefüge des Belehrtwerdens unwillig verwahrt werden.
Auch für Urspringschüler sind Lehrjahre keine Herrenjahre. Sie sind aber auch keine unnützen Jahre, sondern Zeiträume, an die sich die Jugendlichen später noch gerne erinnern und Epochen, in welchen das Arbeiten mit Kopf, Herz und Hand, auch durch notwendige Strenge, Spaß machen soll. So wird z. B. eine nicht sehr beliebte Aufgabe, nämlich das Aufräumen, in der Schreinerei der Urspringschule gemeinsam mit den Lehrlingen, dem Gesellen und dem Meister gleichzeitig erledigt. Ebenfalls mit eingeschlossen ist auch das Aufräumen von Werkzeugen und Zulagen während der Arbeit. Ein „Sich Verziehen“ des Lehrmeisters ins Büro ist nicht gegeben. Es kommen dadurch in der Regel gar keine Streitigkeiten auf. Selbstverständlich ist die Zeit des Meisters hierfür eigentlich zu kostbar, aber: es wiegt sich wieder auf. Zum einen sieht der Lehrling, dass gemeinsam ans Werk gegangen wird und vom Meister kein Obrigkeitsdenken ausgeht. Zum anderen wird richtig aufgeräumt, was bedeutet, dass jedes Werkzeug an seinem Platz ist.
Das Urspringer Modell „Abitur mit Gesellenbrief“ beinhaltet den alten Traum Pestalozzis: Lernen mit Kopf, Herz und Hand. o
Sie sprechen vom Unterricht. Sofern dieser auf ein „Was“ gerichtet ist, ist er nicht erzieherisch. Wenn er auf ein „Wie“ gerichtet ist, dann ist er erzieherisch. Erziehung ist keine Frage des „Was“, sondern des „Wie“. Wie jemand lehrt, wie jemand Begegnung vermittelt. Und das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Aber glauben Sie mir, selbst im Bereich des technischen Unterrichts gibt es ein ,Wie‘, obwohl es dort scheinbar keinen Platz für Seele, für Erleben gibt. Wenn der Lehrer den Schüler in die Welt der Technik einführt, sollte der Schüler auf Schritt und Tritt spüren, dass die Hauptsache die Humanisierung der Technik ist, dass sich die wahren zwischenmenschlichen Beziehungen gerade innerhalb der Technik abspielen.“(Martin Buber: Pfade in Utopia, 1950, 3. Aufl. 1985, S. 309f.)
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Schallmessung in der Praxis: Michael Fuchs (r.) und Simon Holzer bei raumakustischen Messungen in einem Objekt (Friseursalon Max in Wallersdorf). Foto: Barbara Kohl, Kleine Fotowerkstatt
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