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An Deck genießen

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An Deck genießen

Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten – über gutes Design nicht. Das erfüllt seine Funktion besser als schlechtes, es lebt länger und verzichtet auf den moralischen Verschleiß. Gute Gestaltung hat kein Verfallsdatum. Bedeutet dies Langeweile? Keineswegs. Aber Qualität braucht ein klares Konzept und ungewöhnliche Ideen.

Dafür steht auch die Arbeit von spek-design. Gemeinsam mit ihrem Team haben die beiden Innenarchitekten und Designer, Eberhard Kappler und Patrick Sauter, deren Anfangsbuchstaben das Kürzel „spek“ ergeben, viel Lob bekommen – Lob und Beifall für ihre pfiffigen Einfälle und die gestalterische Leistung beim Umbau von Cafeteria und Casino im Geno-Haus – Zentrale der Württembergischen Genossenschaften in Stuttgart. Auch deshalb, weil sie im Sinne von Corporate Identity den Stil des Hauses beibehalten und die vom Erbauer vorgegebene Architektur mit ausgeprägtem Gespür für bleibende Werte sensibel fortgeführt und ergänzt haben.
Denn, Kappler und Sauter sind nicht nur mit der bestehenden baulichen Substanz sehr behutsam umgegangen, sondern auch mit der Innenausstattung – beides geprägt durch das Architekturbüro Kammerer und Belz. Der Architekt Kammerer hat 1972 das Geno-Haus an der Heilbronner Straße in Stuttgart gebaut. Seine Architektur überdauerte die Zeit. Fast drei Jahrzehnte blieben die Räume und das Mobiliar auf den zwei Etagen des Wirtschaftsgebäudes fast unverändert. spek-design setzte bei der Architektur Kammerers an.
„Auf Vorhandenem aufbauen ist oft interessanter als bei Null anzufangen“, sagt Kappler. „Wir wollten eine ausgewogene Mischung finden, zwischen alt und neu, bewahren und verändern, und dabei den Charakter eines Hauses weiterführen, ganz im Sinne des Erbauers.“ Er betrachte das Projekt als Prototyp der Gebäudemodernisierung. Dazu gehöre das Fortschreiben von Tradition ebenso wie Langlebigkeit an sich und vor allem zukunftsorientiertes Gestalten. „Wenn die Sprache des Innenausbaus weitergehen soll“, so Kappler, „dann nur mit einem Design, das sich nicht verbraucht und mit Materialien, die auf Dauer wartungsfreundlich bleiben.“ „Für Geno“, meint er, „haben wir mit unserem Umbauplan zufällig das Richtige getroffen.“ Den Zufall bestätigt Uwe Peters, Geschäftsführer der Geno-Hausverwaltungsgesellschaft nicht. Neben anderen Bewerbern um den Auftrag, habe das Büro spek-design vor allem die betrieblichen Belange berücksichtigt und ihr Angebot bestens präsentiert. „Und, sie hören zu“, unterstreicht er. Die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten sei hervorragend gewesen. Und das bei nur vier Wochen Bauzeit, straffen Terminen und Handwerkern, die erst nach 14.00 Uhr ihre Arbeit beginnen konnten im Casino, weil die Versorgung der Mitarbeiter weiter laufen musste. „Einfach war das nicht“, ergänzt Peters und zeigt sich mehr als zufrieden mit der Sanierung, die ursächlich nur aus zwei Gründen beschlossen wurde: mehr Sitzplätze und weniger Lärm.
Heute ist von Lärm keine Rede mehr. Schallschluckende Decken sorgen für Ruhe. Auch Platz-gerangel findet nicht statt. Es ist kurz nach 12.00 Uhr und Tischzeit. Trotz vieler Menschen wirkt die Atmosphäre entspannt. „Auf Anhieb ist alles lichter geworden nach dem Umbau“, sagt eine Frau, wobei um sie herum Hochbetrieb herrscht im Casino. Sie fühle sich nun einfach wohler, der Steinfußboden gefalle ihr gut, weil sauber und hell, die Tische auch und eigentlich, sie überlegt, „ist im Vergleich zu vorher so ganz viel gar nicht anders geworden.“
Darin freilich liegt der subtile Reiz des gestalterischen Konzeptes von Kappler und Sauter. Die Veränderungen werden wahr-genommen, das Vertraute bleibt. Vergeblich sucht man darum die Anmaßung eines neuen Stils und spektakuläre bauliche Effekte. Fast selbstverständlich und glaubwürdig allemal ordnet sich das Neue respektvoll dem Alten zu und dennoch – die Gestalter überraschen mit einigen ausgefallenen Details.
Gleich im Eingangsbereich, der Problemzone vormals, erwartet den Besucher ein Schmuckstück der besonderen Art: die Garderobe. Fast bescheiden versteckt sie sich unter der Treppe, doch sie fällt auf. Zum einen durch das gebeizte Orange und zum anderen durch die Kombination von Holz, Glas und räumlich durchscheinendem Licht. Die Elemente fügen sich wie das Leichte und Schwere, das Zurückgenommene und Auffällige zu einer harmonischen Einheit. Sie ist einem begehbaren Kleiderschrank nachempfunden und endet im Inneren mit einer Spiegeltür, hinter der – ausge-tüftelt bis zum kleinsten Plätzchen – das Treppeneck als Putzkammer dient. Funktionaler Höhepunkt allerdings ist die ausziehbare Vorderfront. Mit leichten Handgriffen lässt sich die Garderobe per Teleskop-Kleiderstange vergrößern oder verkleinern – je nach Jahreszeit. Ja, die Garderobe sei schon etwas Besonderes, äußert Peters. Zudem trenne sie die hinteren Tische optisch von der Eingangstür, was wiederum ein erweitertes Sitzplatzangebot möglich gemacht habe.
Wie aus dem Notstand des Platzmangels visuelle Erlebnisse werden können, beweist das Design um den Eingang überhaupt. So lädt, gegenüber der Garderobe, ein feines Plätzchen zum Verweilen ein. Raumhoch erhebt sich da die Farbe Orange auf Sen-Esche gebeizt als markante Fläche, unterbrochen durch Glasfaserleuchten an den Paneelen, die im Umkreis von einem halben Meter den Beizton akzentuieren. Davor die zwei filigranen silbergrauen Tische aus Edelstahl und Glas, während eine Steh-Sitz-Bank – gewiss nicht alltäglich, aber funktional – die Beine beim Stehen entlastet. Ungewohnt ist die Wartezone in der Tat. Ein edles Ensemble, das mit Proportionen und Extremen spielt und mit der Wärme des Orange, das zum Fußboden hin mit dem kühlen Grau der Fliesen kontrastiert. Dazu eine kanadische Eibe – ein Baum mit Charakter.
Der Platz dafür musste durch Abbrucharbeiten und Rückbau geschaffen werden. Vor dem Ausbau stand unter der Treppe ein betonierter Trog und die Garderobe auf dem Podest. Telefonzelle, WC, alte Schränke und Putzkammer ließ man abreißen. Eine Stütze wurde auf das statisch notwendige Maß verkürzt. „Wir haben einiges geändert“, erklärt Kappler. Man sei „zur Sache“ gegangen und habe sich nicht nur auf Wandverkleidungen begrenzt. Selbst für diese sei das Beschaffen von Sen-Esche schwierig gewesen und als Modeholz der 70er Jahre schwer zu bekommen.
Mit dem gewonnenen Freiraum erweiterten die Architekten Küche und Entree. Sie organisierten den gesamten Eingangsbereich funktionaler und die einst problematischen Verkehrswege deutlich anders. Sie verlegten den Karten-automaten um die Ecke, weil zuvor die Warteschlangen den Gang zur Cafeteria versperrten. Das Bild wurde gedreht und der ehemalige Platz für den Essensaufwerter durch das Terrain für Verweilende ersetzt. Orangefarbene Paneelen bilden die örtlichen Rahmen.
Sen-Esche habe man für alle Paneelen verwendet und Buche für die Möbel. „Eine Mischwaldkonzeption“, so Kappler, dem der Gedanke gefällt, weil verschiedene Hölzer Leben ausstrahlen und Gebrauchsspuren hinterlassen, welche die Dinge mit den Jahren schöner machen. Die neuen Thonet-Stühle in der Cafeteria sind darum durchweg aus Buche natur, ebenso die Tischbeine. Eine gewisse Noblesse insgesamt ergeben die fein ab-gestuften Farben. Die Farbtöne zeigen auch Wege und Räume. Sie gliedern den stark frequentierten Stehtischbereich in Aktions- und Ruheflächen. Des weiteren ist die Kaffeetheke verlängert worden und komplett neu, zugunsten eines verbesserten Angebots. Neu ebenfalls sind die Stehtische aus Buche natur. Eine Idee, bei der spek-design den optisch kompakten Korpus auf zarte Beine stellt. Ihr lineares und puristisches Design lotet die Gegenpole aus und dies auf verschiedenen Ebenen.
Auf ganz anderer Ebene, dem Podest in der Cafeteria, erinnern Tische und Stühle an Kammerer. Hier wurde Altbestand restauriert. Dass dennoch dieser Ort als neu und anders empfunden wird, bekräftigen zwei junge Männer. Sie loben den Ausblick rundum, die entspannte Atmo-sphäre, das zurückgenommene Orange generell und den Eindruck „weg vom Arbeitsfeld“. Moderner sei alles, viel heller und angepasster an die Zeit. Doch sie sitzen auf Original-Thonet-Stühlen, den alten Kaffeehausklassikern, die man neu lackiert hat und die man erhalten wollte, weil sie schön sind. Und damit sie das bleiben, hat spek-design die neuen Tisch-platten jeweils mit Softkante verarbeiten lassen, was Kratzer an den Armlehnen der Stühle verhindert.
Rein bautechnisch wurde das Podest verändert durch eine um 25 cm angehobene und neu installierte gespritzte Akustik-decke. Die darüber liegenden Zuluftschächte wurden zuvor technisch auf den neuesten Stand gebracht. Das Problem am Treppenaufgang musste durch Rückbau gelöst werden. Der Treppenabsatz in seiner Form blieb bestehen. Aber er hat neue Funktion. Die Gäste können nun genau auf diesem an einem langen Tisch Platz nehmen und in fast nischenhafter Zurück-gezogenheit die Besucherströme vorbei ziehen lassen. Möglich gemacht durch einen fest installierten Paravent, der, orange-farben und mit Milchglas unterbrochen, gleichermaßen als Schutzblende und Gestaltungselement sinnvollen Zweck erfüllt.
Ein paar Stufen höher schiebt das Küchenpersonal 1300 Essen pro Tag über die Ausgabetheke. „Früher war da ein Riesenlärm“ – alles schallhart, erinnert Peters und schaut zur Decke. „Wir planten eine hochwertige Decke“, erläutert Kappler. Sein Anspruch war: Beleuchtung und Decke „wie aus einem Guss“. Das Design-Team entschied sich für zurückspringende Fugen, gefaste Schrägen und vertieft eingesetzte Leuchten. Die Strahler bewegen somit das Licht zwischen den Höhen und Tiefen und steigern gleichwohl den sinnlichen Wert. Sinnlich konträre Gestaltungselemente bestimmen hingegen die Optik beim Mobiliar. So haben die 7 cm hohe Laminat-Tischplatten bewusst mehr Gewicht gegenüber den feingliedrigen Formholzstühlen. Die Sitzplätze im Casino sind übrigens von 246 zuvor auf 280 erhöht worden.
Realisiert wurde das durch einen kleinen Kunstgriff. Die Innenarchitekten haben das Treppen-auge verkürzt, darauf hin die Rückfront vom Geländer großzügig verglast und die entstandene Enge somit wieder aufgelöst. Doch nicht nur das –- der Treppenaufgang entspricht einem Arrangement aus Funktion, Architekturgeschichte, Design und Aktions-Kunst. Letzteres in Form eines großen, dekorativen und dennoch leicht wirkenden Deckensegels – als Projektionswand für eine Uhr. Die Uhr wandert, durch einen Spiegel reflektiert, auf dem Segel. Sie kreist und verändert während dessen ihre Form von rund zu oval. Der Effekt ist ein bewegliches Bild, das man nicht sofort als Zeitmesser erkennt.
Handfest im Sinne des Wortes ist das Treppengeländer geblieben. Noch original Kammerer, aber neu gebeizt. Die Treppenstufen wurden mit Granit und Fliesen belegt, einem Baustoff, der ausnahmslos den alten Teppichboden in der Cafeteria und im Casino ersetzt. Und das schließlich erscheint nach der Sanierung wie von Licht durchflutet in luftiger Höhe. Nirgendwo wurde die Aussicht verstellt. Wie ein Sitzen im Freien mutet der Speisesaal an oder wie auf einem Schiff an Deck.
Die Gestaltung sollte ein leises, dezentes und Eleganz ausstrahlendes Ambiente hervorbringen, das auch nach zehn Jahren noch besticht, forderte Geno. Die Innenarchitekten von spek-design haben mit gediegenen Materialien, klaren Linien und pfiffigen Ideen ein selbstbewusstes repräsentatives Understatement gezeichnet. Christa Ladendorf
Planung des Umbaus:
spek-design, Stuttgart
Schreinerarbeiten:
Fa. Hanselman, Neuweiler
Fa. Günther, Baiersbronn
Trockenbau:
Fa. Bader, Göppingen
Bauleitung/Bauaufsicht:
Eberhard Kappler, spek-design, Stuttgart und Uwe Peters, Geno-Haus, Stuttgart
Fotos:
BM-Fotos, Frank Herrmann
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