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Die Ferne lockt

Begegnung mit der Handwerkskultur Japans
Die Ferne lockt

Kaum jemand kann sich der Faszination japanischer Handwerkzeuge entziehen. Hauchdünne Sägeblätter und messerscharfe Schneiden lassen jeden Schreiner ins Schwärmen geraten. Da ist es nicht verwunderlich, dass vor allem unter jungen Handwerkern ein starkes Interesse besteht, die Handhabung dieser Werkzeuge in der originären Umgebung zu erlernen. Zu den wenigen, die sich trotz finanzieller, kultureller und sprachlicher Hürden diesen Wunsch erfüllten, gehören die beiden jungen Tischler Jantje Hinze und Peter Emeis. Per Frachtschiff machten sich die beiden Wandergesellen Ende 1999 auf den Weg nach Japan. Kennen gelernt hatten sich die beiden auf der Wanderschaft, die sie dann gemeinsam nach Kuba, China, Russland und in die Mongolei führte.

Über das Goethe-Institut in Kyoto kam der erste Kontakt der beiden Wandergesellen zu ihrer ersten Arbeitsstelle in Japan zustande. Der Großbetrieb – der das Goethe-Institut ausgebaut hatte – beschäftigt rund 100 Angestellte und hatte sich vor 140 Jahren mit dem Bau von Möbeln für die japanische Teezeremonie einen Namen gemacht. Bis heute gilt der Betrieb als Haus- und Hoftischlerei des japanischen Kaisers. Die Tischlerei ist vorwiegend mit größeren Projekten betraut, so etwa dem Ausbau von Konzertsälen, die in einer für deutsche Verhältnisse geradezu unvorstellbaren Präzision durchgeführt werden. Auch die Herstellung eines Brüstungsgeländers mit Rundholz-Holzverbindungen, das in einen Shinto-Schrein eingebaut wurde, konnten die Weltenbummler dort verfolgen. Während ihres mehrwöchigen Aufenthalts wurden Jantje Hinze und Peter Emeis zwei Meister und ein Übersetzer zur Verständigung auf Englisch zur Seite gestellt. So konnten sie sich in aller Ruhe mit den Grundlagen der traditionellen, japanischen Tischlerei vertraut machen. Ein äußerst großzügiges Angebot, da sie nicht in die Produktion mit eingebunden waren, sondern auf Kosten des Hauses eine Art Intensiv-Schulung erhielten. Vor allem lernten sie den Bau von Tansus kennen, den traditionellen japanischen Möbeln, die vorwiegend zur Aufbewahrung von Kimonos dienen. Sie genügen höchsten Ansprüchen – sowohl was die Präzision der Verarbeitung als auch ihre Ästhetik betrifft. Diese „Kisten“ werden aus Kiriholz (Pauwlonia) gebaut und erhalten eine besondere Oberflächenbehandlung. Das Holz wird mit einer Art Wurzelbürste (Uzukuri) gebürstet und anschließend mit einer Lehmschlämme behandelt, um die Struktur zu betonen. Danach wird das Holz mit dem dunklen Extrakt der Jaschanuss gestrichen und danach gewachst. Die Kisten sind sehr leicht und weitgehend feuerresistent. Mit gutem Grund: japanische Wohnhäuser werden traditionell aus Holz gebaut und so kam es immer wieder zu größeren Bränden, bei denen es galt, sehr schnell seine wertvollen Besitztümer – das waren unter anderem die wunderbar bestickten Seidenkimonos – in Sicherheit zu bringen. Um die edlen Teile vor Motten und Staub zu schützen, schließen Schubladen und Türen nahezu luftdicht – natürlich mit dem Hobel eingepasst. Die Berufsausbildung zum Tansubauer dauert mindestens sechs Jahre; ein Beruf, der in Japan hoch geschätzt ist.

Sehr beeindruckt waren die beiden Wandergesellen von der reibungslosen Organisation und dem ausgeprägten Teamgeist in dieser Firma. Jede Abteilung teilte eigenverantwortlich die Arbeit ein, ohne dass weitere Vorgaben nötig waren. Die Geschäftsführer trugen zwar nicht die einheitliche Arbeits-kleidung, sondern Anzüge mit Schlips und Kragen. Doch das war für sie kein Grund, von der gemeinsamen morgendlichen Firmengymnastik Abstand zu nehmen.
Die zweite Anstellung fanden Peter Emeis und Jantje Hinze in der Universitätsstadt Matzumoto in den Japanischen Alpen (Nagano Präfektur). Ein Architekt, der sich stark im Denkmalschutz für Häuser engagiert, vermittelte den Wandergesellen den Kontakt zum englisch sprechenden Tischlermeister Fujiwara, der mit viel Liebe zum Handwerk seine Ein-Mann-Möbeltischlerei betreibt. Seine Werkstatt, in der Schleifpapier unbekannt ist, war der ideale Platz, um den Umgang mit japanischen Hobeln (Kanna) von Grund auf zu lernen. Zur Einstimmung mussten die Beiden zunächst mit Raubänken die aus einer starken Hartholzbohle bestehende Tischplatte ihrer Werkbank abrichten.
Danach ging es auch an feinere Arbeiten mit den verschiedenen Hobeln. Meister Fujiwara hat sich auf den Bau von Stühlen aus Kirschholz und Rüster spezialisiert. Der Stuhl ist kein traditionell japanisches Möbel, doch eine kulturelle Vermischung mit westlichem Lebensstil ist in Japan momentan sehr en vogue. So wurde auch in der Werkstatt sowohl traditionell im Sitzen auf Tatamimatten am Boden, als auch an westlichen Hobelbänken gearbeitet. Hobelbänke waren bis vor wenigen Jahren in Japan völlig unbekannt.
Nur für die allergröbste Vorarbeit nimmt der Meister Elektrowerkzeuge älteren Datums zu Hilfe. Alle weiteren Arbeitsschritte werden in reiner Handarbeit geleistet. Bis zu 25 verschiedene Wölbungshobel kommen pro Stuhl zum Einsatz. Fast ebenso viel Zeit wie das Hobeln selbst, nimmt das Schärfen der Hobeleisen in Anspruch. Aus der großen Auswahl von japanischen Wassersteinen gilt es, je nach Radius der konvexen oder konkaven Eisen, den passenden Formstein herauszufinden. Sowohl das Hobeln als auch das Schärfen sind viel Übungssache, doch dazu bot sich reichlich Gelegenheit in der Werkstatt des Gastgebers. Doch selbst nach mehrwöchiger Einarbeitungszeit benötigten die beiden Gäste zusammen immer noch doppelt so lang für den Bau eines Stuhls, wie der Meister alleine. Geschwindigkeit, Disziplin und Präzision zeichnen nun mal einen Shokunin (Meister) aus. Mit dieser Überzeugung und bereichert durch einen einzigartigen Erfahrungsschatz, machten sich das Gesellenpaar nach einem halbjährigen Japanaufenthalt mit Schiff und Eisenbahn über China, die Mongolei und Russland wieder auf die Heimreise. o
Die Wandergesellen
Jantje Hinze,geboren 1974 in Göttingen, Abitur, Tischlerlehre. Seit fünf Jahren freie Wandergesellin (traditionelle Gesellenvereinigungen nehmen keine Frauen auf), wird demnächst wieder „einheimisch“. Peter Emeis,geboren 1967 in Flensburg, Abitur, Tischlerlehre, drei Jahre bei einem Kunsttischler in Irland tätig, fünf Jahre auf Wanderschaft, seit Januar 2001 einheimisch, Holzbildhauerlehre in Flensburg.Während ihrer gesamten Wanderschaft standen Jantje Hinze und Peter Emeis per E-Mail in Verbindung mit der Dick GmbH in Metten, Niederbayern, wo sie Mitte April dieses Jahres einen vielbeachteten Dia-Vortrag über ihre Erfahrungen mit der Handwerkskultur Japans hielten.Fragen zum Thema beantwortet Jantje Hintze unter: ronjajantje@hotmail. com
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