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Eine Treppe für Baschkirien

Ein nicht alltäglicher Auftrag
Eine Treppe für Baschkirien

Begonnen hatte alles mit dem unangemeldeten Besuch zweier Herren in der Werkstatt von Tischlermeister Ulrich John. Daraus entwickelte sich schließlich ein nicht alltäglicher Auftrag – die Herstellung einer anspruchsvollen Treppenanlage für ein Haus in Russland. Ulrich John über seine dabei gemachten Erfahrungen.

Einige Grundrisszeichnungen und Schwarz-Weiß-Kopien von Fotos unterm Arm, betraten irgendwann zwei Herren unangemeldet mein Büro. Warum und auf wessen Empfehlung sie gerade in meinen Betrieb kamen, weiß ich bis heute nicht wirklich, aber es spielt eigentlich auch keine Rolle.

Jedenfalls legten sie mir ihr Material vor, auf dem eine große Treppenanlage zu sehen war. Stilistisch handelte es sich um eine Treppe mit barocken Formelementen. Genauere Details waren allerdings nicht erkennbar. Ob ich eine solche Treppe herstellen und montieren könne, war die Frage der beiden Herren. Ich beantwortete diese Frage positiv, wandte allerdings ein, dass ich natürlich genauere Angaben zu den konstruktiven Details, zur Holzart und zur Oberflächenbehandlung benötige. Nur wenige Tage später erhielt ich dann genaue Fotomontagen per E-Mail direkt vom zuständigen Planungsbüro aus Moskau. Ich wurde aufgefordert, ein Angebot über dieses Treppenprojekt abzugeben, inklusive Einbau der Treppenanlage vor Ort.
Angebot geschrieben, Angebot nach Moskau verschickt, Auftrag erhalten. Klingt einfach, hat aber durchaus so seine Zeit in Anspruch genommen. Einige Wochen später meldete sich schließlich das russische Planungsbüro und kündigte den Besuch des technischen Bauleiters in meinem Betrieb an. Mit ihm gemeinsam wurden dann die endgültigen Details anhand von Vorstudien, Profilvorgaben, Beiz- und Lackierproben festgelegt.
Trotz Treppensoftware: Planung „zu Fuß“
Schließlich wurden Aufrisse gezeichnet, alle Grund- und Höhenmaße kontrolliert und festgelegt. Auch wenn in meiner Firma seit mehr 10 Jahren Treppen computergestützt erstellt werden, war es hier notwendig und auch von mir gewünscht, diese Treppe „zu Fuß“ zu planen. Insbesondere die jungen Mitarbeiter, die Lehrlinge und Praktikanten konnten einen Einblick in den Treppenaufriss mit allen sich daraus ergebenden Schablonen, Bogen- und Teilungsmaßen bekommen.
Die komplexe und anspruchsvolle Treppenanlage wurde komplett ohne den Einsatz von CNC-Technik produziert. Sämtliche notwendigen Arbeiten sind auf Standardmaschinen ausgeführt worden, wenngleich diese Maschinen natürlich teilweise für den jeweiligen Einsatz modifiziert und mit speziellen Sondervorrichtungen ergänzt wurden.
Seitens des Auftraggebers war ein hohes handwerkliches Niveau vorausgesetzt worden. Die Geländerbaluster bestehen aus einem Stück, das zur Bearbeitung in drei Teile geschnitten wurde. Nach der Profilierung der Kopf-, Mittel- und Basisteile wurden die Hölzer in gleicher Reihenfolge wieder verleimt, damit der Verlauf der Maserung und der Beizton für den entsprechenden Baluster einheitlich bleiben. Auch die einzelnen Lamellen für die Treppenwangen und Handläufe sind fortlaufend aus einem Stamm geschnitten und – entsprechend sortiert – wieder verleimt worden.
Um das Transportrisiko zu minimieren und die Montagezeiten zu verkürzen, wurde ein möglichst hoher Vorfertigungsgrad angestrebt. Wangen und Geländer wurden also komplett montiert, alle Baluster eingepasst und befestigt und die einzelnen Stufen mit den entsprechenden Setzstufen verleimt. Sämtliche Teile wurden dann einschließlich der für den Einbau notwendigen Werkzeuge ganz besonders sorgsam verpackt, verladen und schließlich per Spedition nach Russland verschickt.
Edle Treppenanlage auf großer Reise
Bei der Abwicklung der Ausfuhrformalitäten unterstützte uns besonders auch die Industrie- und Handelskammer, die in Dortmund eine eigene Abteilung für Im- und Exportgeschäfte nach Russland unterhält.
Nach rund vier Wochen kam die Treppe dann auf der Baustelle an, nachdem sie fast 5000 km im LKW unterwegs war und etwa zwei Wochen im zentralen Zolllager von Moskau Aufenthalt hatte.
Bestimmungsort der Treppe war die russische Teilrepublik Baschkirien, ungefähr 200 km vom nächstgelegenen Flughafen der Stadt Ufa entfernt. Die Landschaft dort hat den Charakter eines Mittelgebirges und bildet das Vorland zum Ural. Hier hat der Bauherr ein ganzes Tal erworben. Teiche und Wege wurden angelegt und verschiedene Fachwerkhäuser errichtet. Eigene Quellen speisen die Teiche und dienen zur Trinkwasserversorgung. Die bereits fertiggestellten Gebäude werden als Gästehaus, Saunagebäude und für diverse andere Aufgaben genutzt. Ein „Hausmeister“ bewohnt die Anlage und kümmert sich um die Versorgung und Sicherheit. Das Haupthaus und die gesamte Außenanlage sollen seinem Besitzer im fertigen Zustand einmal als „Sommerresidenz“ dienen.
Gemeinsam mit einem meiner Tischlergesellen, der die russische Sprache beherrscht, bin ich dann der Treppe nachgereist. Für die Anreise – Flug und Autofahrten – benötigten wir rund 14 Stunden. Der Bauleiter, den wir ja bereits aus Dortmund kannten, hatte uns am Zielflughafen in Empfang genommen und zur Baustelle gebracht. An Ort und Stelle wurden uns dann drei örtliche Handwerker als Helfer an die Seite gestellt.
Zusammen haben wir mit Spannung dann die Treppenteile ausgepackt. Zu unserer Freude war alles komplett und unbeschädigt angekommen, so dass wir sofort mit dem Einbau der Treppe beginnen konnten.
Papier ist geduldig, Improvisation ist Trumpf
Nach Prüfung der örtlichen Maße musste ich leider feststellen, dass auch in Russland Papier sehr geduldig sein kann. Die tatsächlichen Maße stimmten nicht mit dem in Dortmund geprüften Aufmassblatt überein: Die Deckenöffnung war um 20 cm zu kurz und die Höhe der Zwischenetage um 5 cm zu hoch. Für unsere russischen Kollegen bedeutete dies allerdings kein Problem. Nach kurzer Zeit war die Deckenöffnung auf das richtige Maß gebracht. „Und den Estrich im Erdgeschoss bringen wir dann 5 cm dicker ein!“ Auch im Obergeschoss wurde der Fußbodenaufbau später entsprechend der Lage des Treppenaustritts erhöht. Die Deckenstärken stimmten nun nicht mehr – doch hatte ich hier in weiser Voraussicht die Verkleidungspaneele mit Übermaß vorbereitet, so dass hier letztendlich nichts zu schmal war. Am ersten Tag haben wir gemeinsam die einzelnen Treppenläufe eingebaut, am zweiten Tag erfolgte die Montage der Brüstungsgeländer und Deckenkantenverkleidungen. Auch wenn ich kein russisch spreche: Die Zusammenarbeit mit den dortigen Handwerkern war problemlos, es waren sehr genau arbeitende und verlässliche Partner. Mit Zurufen, Zeichensprache und Gestik am Objekt wurden auch schwierige Montagesituationen gemeistert, so dass am Ende des zweiten Tages die Treppenanlage komplett montiert war. Die Abnahme der Treppe erfolgte noch am gleichen Tag und wurde auch sofort erteilt.
Sehr interessante Erfahrungen gemacht
Die russischen Kollegen waren drei erprobte Bauhandwerker, die als selbstständig tätige Unternehmer einen Betrieb für das Bau- und Ausbaugewerk innehaben. Bei diesem Objekt hatten sie den Auftrag für den kompletten Innenausbau erhalten. Sie erledigten hier als Komplettanbieter alle Arbeiten, d. h. Estrich, Trockenbau, Fenster- und Türmontage, Fliesen- und Natursteinarbeiten und vieles mehr. Für unser Verständnis waren sie gewerkeübergreifend tätig und die Arbeitsergebnisse konnten sich durchaus sehen lassen.
Da die Baustelle ca. 40 km von der nächsten Stadt entfernt lag, erfolgte unsere Unterbringung im Gästehaus auf dem Anwesen. Es gibt darin mehrere Schlafzimmer, einen großen Gemeinschaftsraum mit Küche und Kamin sowie ein Billardzimmer. Für unser leibliches Wohl sorgte an den zwei Abenden ein extra eingesetzter Koch. Ebenfalls wurde die Sauna für uns in Betrieb genommen. Die drei russischen Handwerker, die mit uns die Einbauarbeiten ausführten, begleiteten uns auch noch in den Feierabend hinein. Manche Stunde wurde noch gefachsimpelt, Konversation konnte mein Geselle halten, wobei ich selber meine Zeichensprache perfektionierte. Beeindruckt waren die russischen Kollegen insbesondere von der Präzision unserer Handkreissäge mit Führungsschiene, mit der ich noch einige Schmiegen der Brüstungsgeländer angeschnitten hatte. Auch die Leistungsfähigkeit der kabellosen Akku-Bohrmaschinen mit Schnellspannfutter hinterließ bei ihnen offensichtlich bleibenden Eindruck.
Respekt vor den russischen Kollegen
Mich beeindruckte vor allem, mit wie wenig Werkzeug und Handmaschinen die dortigen Handwerker ihre Leistungen vollbringen. Neben einigen elektrischen Bohrmaschinen hatten sie auf dieser Baustelle nur noch zwei Eigenbau-Maschinen im Einsatz, eine kombinierte Abrichte-Dickte-Kreissäge und eine Nassschnittmaschine für Fliesen und Naturstein.
Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass mir in Deutschland viele Treppenbauer bekannt sind, die aufgrund ihrer Qualifikation in der Lage sind, solch eine Treppenanlage zu bauen. Wenige von ihnen würden aber auch die Montage mit erledigen. Gerade dieser Teil des Auftrags war für mich aber der reizvollste. Hier habe ich erstmals völliges Neuland betreten. Und weil am Ende dann noch alles gepasst hat, keine größeren Schwierigkeiten aufgetreten sind, die Bauleitung zufrieden war und sich bei der Nachkalkulation herausstellte, dass wir bei dem nicht alltäglichen Auftrag nicht „draufgezahlen“ mussten, konnte ich mich schließlich entspannt zurücklehnen und die neu gewonnenen Erfahrungen genießen.
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