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„Meiner Hände Arbeit“

Zu Besuch im „Klumpendorp“ Wessum
„Meiner Hände Arbeit“

Lange waren sie weit mehr als nützliches Requisit für Bauern, Schmiede und solche, die in der Eisen- und Stahlindustrie beschäftigt waren. Schließlich bieten sie ausgezeichneten Schutz vor Unfällen, Verletzungen, Verbrennungen oder unfreundlichem Wetter. Sie waren das Schuhwerk für alle Jahreszeiten, nehmen keinen Anstoß an Hindernissen und garantieren jedem Fuß, ob jung, alt, arm oder reich, ein angenehmes und warmes Klima. Die Rede ist von „Klumpen“ – also von Holzschuhen.

Auch heute gibt es noch Gegenden, wo man älteren Herren begegnet, die auf Klumpen leichtfüßig herumspazieren. Unlackiert und unbemalt müssen sie sein. Und aus einem bestimmten Holz. Münsterländische Holzschuhfans, so informierte man mich, bestehen auf Pappelholz.

Fürchtete ich bis vor kurzem noch, daß „Klumpen“ vom „Aussterben“ bedroht seien, belehrte mich Manfred Uhling, Vorsitzender des Wessumer Heimatvereins, eines besseren. Wessum, unweit von Ahaus im westlichen Münsterland gelegen, ist ein anmutiges Dorf, von den freundlichen „Eingeborenen“ liebevoll Klumpendorp getauft. Dort kam es zu der Begegnung mit zwei Vertretern des altehrwürdigen Handwerks: dem 84jährigen Gerhard Fleer und Ewald Berning (64).
Das Heimathaus in Wessum fügt sich kommod in die Gruppe kleiner Häuser ein, die sich um die gothische Pfarrkirche drängeln. Die überlebensgroße Skulptur eines Holzschuhmachers sagt mir, daß ich hier richtig bin. Sein Doppelgänger, Gerhard Fleer, wartet schon auf mich. Wessum, so erfahre ich, war bis 1934 die Heimat von 75 selbständigen Holzschuhmachern und eine Holzschuhfabrik war Arbeitgeber für 200 weitere. Tatsächlich gab es in jeder zweiten Familie eine Holzschuhwerkstatt. Auch hier im Heimathaus Wessum gibt es eine Klumpenkammer, wo das alte Handwerk demonstriert und quasi am Leben erhalten wird.
Unter schweren alten Balken macht sich trotzig der traditionelle Hauklotz (Haupaol) breit, auf dem Holzschuhe mit dem Handbeil gehauen werden. Auf ihm eine langarmige Axt. Daneben die Holzschuhbank (Praam), ein auf Holzstützen gelegter Baumstamm mit einer zwei Klumpen breiten Kerbe, in welche die Holzschuhe eingekeilt werden.
„Meine Holzschuhe“, sagt Gerhard Fleer mit sichtlichem Stolz, „sind von Anfang bis Ende meiner Hände Arbeit!“ Als wolle er beweisen, daß handgeschnitzte Klumpen so unverwechselbar wie eine Handschrift seien, gibt er mir eine praktische Kostprobe. „Zuerst spalte ich den Holzblock im Herzen, wie man den toten, meist dunkel gefärbten Kern nennt. Aus dem Spaltholz, das jetzt vom Herzholz befreit ist, forme ich auf dem Hauklotz mit dem Beil (bile) den Rohling.“ Sogar in dieser frühen Phase läßt sich erkennen, welcher der rechte oder linke Schuh sein wird. Auch Oben und Unten wird deutlich sichtbar.
Nach der vorläufigen Formgebung beginnt Fleers eigentliche Schnitzarbeit auf der Praam. Er greift zum 70-80 cm langen Pfahlmesser (Paolmes), das mit dem unteren Ende in einen Ring auf der Holzschuhbank eingehakt ist und das nach dem Hebelgesetz angesetzt wird. Mit der einen Hand den Rohling auf der Holzschuhbank festhaltend, bedient er mit der anderen das lange Messer. Mit wenigen, aber gekonnten Schnitten setzt er die für den Holzschuh charakteristische Form frei.
Fleer: „Manch ein Holzschuhmacher benutzt zum Schnitzen der äußeren Form ein mit zwei Griffen versehenes Rindenmesser (Trekmes).“ Mit Hilfe von Keilen und Füllhölzern spannt er den Holzschuh in die Holzschuhbank und arbeitet ihn vor mit der Kopfgütze, einem breiten, mit dünnem Stiel versehenen Holzmeißel, um ihm die gewünschte Hohlung zu geben. „Um die Handbohrer ansetzen zu können,“ erklärt der Experte, „muß ich eine Ansatzstelle vorschlagen, indem ich mit einem Holzhammer einen breiten, mit schmalem Griff versehenen Meißel in das Holzschuhinnere treibe. Alle Handbohrer, die ich verwende, sind unterschiedliche Löffelmesser. Jeder Bohrer läßt sich mit Hilfe des auf der Verlängerung sitzenden Quergriffs mit Leichtigkeit hin und her drehen. Das als Bohrer dienende Löffelmesser bedarf lediglich einer Drehung von 90°, um Holzspäne zulösen. Wenn der Hauptteil des Holzes entfernt ist, kann ich mit der eigentlichen Formgebung der Innensohle beginnen, und zwar mit eigens für diesen Zweck entwickelten Werkzeugen: Räumhaken (Rüümhaken) und Fersenmesser (Faßmes). Mit dem Bördelmesser (Böermes), das dem Schustermesser nicht unähnlich ist, beseitige ich alle scharfen Kanten des Holzschuhinneren. Von Gegend zu Gegend ist das Werkzeug anders und auch die Bezeichnung.“
Holzschuhmacher haben ein geschultes Auge für Proportionen. Die eines Fußes erkennen sie mit einem Blick, um sie – wie maßgeschneidert – auf den Holzschuh zu übertragen. „Schnitze ich zum Beispiel ein Paar hohe Deckelholzschuhe, muß ich darauf achten, daß der Zehbereich genügend ausgehölt ist, um Fußkomfort zu gewährleisten. Nichts geht über das Hand-Finish eines individuell angefertigten Holzschuhs! Wichtig ist, daß vorn auf dem Schuh drei Schnitte sichtbar sind. Sie sagen dem Fachmann, daß ich meine Sache verstehe.“
90 % aller Holzschuhe werden in dieser Gegend aus Pappelholz gefertigt. Von allen einheimischen Hölzern ist es das geeignetste für deren Fertigung, weil es schnell wachsend und leicht ist. Es gibt drei Arten davon: Espe (populus tremula), Weiß- oder Silberpappel (populus alba) und Schwarzpappel (populus nigra). Holzschuhmacher bevorzugen die Schwarzpappel, weil sie schnelles Wachstum zeigt und ein gutes Holz hat. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie von der kanadischen Pappel(populus kanadensis) in den Hintergrund verdrängt. „Mit einem spezifischen Gewicht von 0,45 ist Pappelholz sehr leicht. Die fast weiße Färbung des kanadischen Pappelholzes macht es beliebt bei weiblichen Holzschuhfans. Erle (alnus), Birke (betula) und Ulme (ulmus) sind ebenfalls geeignete, im westlichen Münsterland aber nicht so beliebt.
Seit eh und je besetzt Pappelholz im Münsterland eine besondere Nische. „Früher war es Bauernbrauch, anläßlich der Geburt einer Tochter eine Reihe Pappeln zu pflanzen, die verkauft wurde, wenn die Aussteuer benötigt wurde. Vorbei sind auch die Tage als ein Jungbauer mit Worten wie ,Sollen wir unsere Holzschuhe unter einen gemeinsamen Tisch stellen?’ um die Hand seiner Auserwählten anhielt. Heutzutage trägt man Holzschuhe weder zum Kirchgang, auf dem Schulweg noch zum Rendezvous. Vielleicht weil es ihnen an zierlicher Eleganz und Individualität mangelt? Anhänger des Holzschuhs sind nach wie vor Bauern, Schmiede und Gärtner. Landkinder schätzen sie als Schlittschuhalternative, funktionieren sie zu schnittigen Booten um oder verwandeln sie mit wenigen Schnüren in ein musikalisches Instrument.
Tatsächlich ist Pappelholz der Stoff, aus dem so manche Kindheitserinnerung gemacht ist. So war es früher am Nikolausabend nicht der Stiefel, der kleine Schätze barg, sondern der bescheidene Holzschuh. Aus ihm bastelte man Sparschweine und Futtertröge für Hund oder Katze.
Damenholzschuhe erkennt man übrigens an den spitzen ,Schnuten’, erklärt Ewald Berning. Berning besitzt eine gut florierende Holzschuhfabrik, was beweist, daß selbst das traditionellste Handwerk von der Technologie nicht unberührt bleibt. Sein einziger Konkurrent ist Manfred Uhlings Vetter Werner Uhling. Für Berning sind Handsägen und Löffelmesser Werkzeuge der Vergangenheit: Er arbeitet mit Bandsägemaschine, elektrischen Bohrern etc., die es ermöglichen, innerhalb von nur einer Stunde drei Paar Holzschuhe zu fertigen. „Auch wenn maschinell gefertigte Holzschuhe weniger arbeitsintensiv sind, benötigt man mehr Material.“
Im Münsterland werden Pappeln für die Herstellung von Holzschuhen angepflanzt und nach 25 Jahren gefällt, wonach das Holz langsam und sorgfältig getrocknet wird. Die anschließende Verarbeitung erfolgt mit lufttrockenem, aber noch leicht feuchtem Holz. Mit einer Motorsäge werden zwei Rohlinge hergestellt.
Die charakteristische Formgebung des Holzschuhs erfolgt heute durch eine Kopiermaschine, das Aushöhlen wird mit elektrischen Bohrmaschinen erledigt. Bandschleifer sorgen für äußere, Spindelschleifer für Glätte im Holzschuhinneren.
Schließlich werden die paarweise mit Draht zusammengebundenen Klumpen an der Luft zum Trocknen aufgehängt. „Wußten Sie“, fragt mich Gerhard Fleer mit zwinkerndem Auge, „daß Holzschuhe eine neue Form von Geburtenkontrolle sind? Tragen Sie einfach Ihre neuen Holzschuhe im Bett, ohne den Draht durchzuschneiden!“
Der 84jährige Gerhard Fleer beim Aushöhlen eines „Klumpen“
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