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Der RauTi-Sessel

Berufsfeldübergreifendes Projekt an der Gewerbeschule für Holztechnik, Farbtechnik und Raumgestaltung, Hamburg
Der RauTi-Sessel

Im neu geordneten Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Tischler/Tischlerin wird davon ausgegangen, daß das Tischlerhandwerk und dessen Berufsausbildung sich überwiegend mit produktorientierten Arbeitsaufgaben befaßt. Bekräftigt wird, daß bei allen Schwerpunkten der Ausbildung ästhetische Aspekte der Formgebung und Gestaltung zu berücksichtigen sind. Berufliches Lernen soll sich an einer Pädagogik ausrichten, die Handlungsorientierung betont und zum selbständigen Planen, Durchführen und Beurteilen von Arbeitsaufgaben befähigt. Handlungen sollen das ganzheitliche Erfassen der beruflichen Wirklichkeit fördern.

In der Abteilung Holztechnik der Gewerbeschule für Holztechnik, Farbtechnik und Raumgestaltung, G 6 in Hamburg, hat sich seit mehreren Jahren ein ganzheitlich- und handlungsorientierter Unterricht entwikkelt, der sich an einem zu fertigenden Produkt ausrichtet und deshalb auch als „produktorientierter Unterricht“ bezeichnet wird. Der in vielen Klassen durchgeführte fächerübergreifende Unterricht fördert das ganzheitliche Erfassen beruflicher Wirklichkeit in der Berufsschule. Dieser Ansatz konnte in einem berufsfeldübergreifenden Projekt im Schuljahr 1997/ 98 noch gesteigert werden.

An der Gewerbeschule 6 werden u. a. auch Raumausstatterinnen und Raumausstatter nach ähnlichen pädagogischen Schwerpunkten ausgebildet. So bot es sich für zwei Lehrerteams an, eine berufsfeldübergreifende Zusammenarbeit zu erproben. Der Vorschlag, gemeinsam ein Möbel zum Thema Sitzen zu entwickeln und praktisch umzusetzen, wurde einer Tischler- und einer Raumausstatterklasse unterbreitet, die sich beide am Beginn des zweiten Ausbildungsjahres befanden. Schnell war Einigkeit erzielt.
Planen
Der Unterricht wurde für ca. drei Tage so organisiert, daß die Schülerinnen und Schüler in einer gemeinsamen Kernzeit zusammen arbeiten konnten. Die Gruppen setzten sich so zusammen, daß sich Patenschaften aus beiden Klassen bildeten. Während der Entscheidungsfindung wurden eine Vielzahl von Entwürfen angefertigt, die regelmäßig vor der gesamten Gruppe präsentiert und diskutiert wurden.
Ein Besuch im „stilwerk“, einem Hamburger Design Center, schärfte den Blick für die eigene Formensprache und brachte viele Anregungen, die in den Entwurfsphasen verwertet werden konnten. Hohe Anforderungen wurden an die ergonomische Gestaltung des Sitzmöbels gestellt, Nacken- und Lendenbereich sollten vornehmlich unterstützt werden. Eine der großen Herausforderungen an alle Beteiligten in dieser Planungsphase war die Reduzierung aller Ideen auf einen einzigen Entwurf. Die Gruppe einigte sich schließlich auf ein bequemes Sitz- und Ruhemöbel mit gepolsterter Sitzfläche und gegurteter Rückenlehne.
Der Fertigungsablauf mußte auf die unterschiedlichen Blockzeiten der Raumausstatter abgestimmt werden, die während ihrer Schulzeit Sitzrahmen und Rückenlehnen polsterten bzw. gurteten.
Durchführen
Die Tischlerklasse fertigte einen Aufriß an, Arbeitsablaufpläne und Holzlisten wurden erstellt. Erste Planungen von Fertigung-sabläufen mit Zeiterfassungen ergaben einen Überblick über die Komplexität dieses Vorhabens. Fertigungstechnische und wirtschaftliche Erwägungen führten zu der Entscheidung, die gebogenen Armlehnen als Fremdauftrag bei Herrn Kasten, Norddeutschlands einzigem Holzbieger, biegen zu lassen, zumal Erfahrungen in der Furnier-Formverleimung bereits in einem Projekt des ersten Ausbildungsjahres gesammelt werden konnten.
Nachdem viele Details geklärt waren, wurde ein Prototyp gebaut, der wiederum als Basis für weitere Konkretisierungen diente. So wurde die Rückenlehne nochmals nach anatomischen Aspekten verbessert und fertigungsgünstigere Detaillösungen gefunden.
Nachdem die Tischlerklasse den Sitzrahmen angefertigt hatte, wurden die Hölzer für den Holzbieger und das Biegemodell vorbereitet, damit die Konditionierungszeiten von 3-4 Wochen eingehalten werden konnten. Gebogen wurden Ahorn, Buche, Esche und Kirschbaum. Nach einigen Stunden im Dampfkessel wurden die Hölzer mit maschineller Kraft über die angefertigte Vorrichtung gebogen. Durch die großen Kräfte entstanden beim Holz in den engen Radien zum Teil erhebliche Verformungen. Die Armlehnen wurden abgerichtet und auf der Tischfräse auf gleiche Breite gefräst. Mit Hilfe einer Bohrschablone wurden die zur Verbindung notwendigen Dübellöcher hergestellt. Sie dienten während der weiteren Bearbeitung zur Positionierung der Teile auf den entsprechenden Vorrichtungen. Die Raumausstatterklasse bespannte während ihrer Blockzeiten die Sitzrahmen mit Gurten, polsterte sie mit Polyesterwatte und Rosshaar auf und deckte sie mit Nessel ab. Der Bezug konnte frei gewählt werden, so daß eine bunte Vielfalt aus Leinen, Baumwolle oder Leder entstand. Die Rückenlehnen wurden in der ersten Hälfte des zweiten Blocks von der Tischlerklasse angefertigt, so daß die Raumausstatterklasse in ihrem dritten Block die Gurtung vornehmen konnten. Nun wurden noch die Zargen der Hinterbeine des Sessels sowie diverse Leisten zur Sitzauflage hergestellt. Bevor die Oberflächen geölt werden konnten, mußten alle Teile nochmals geschliffen werden, um den geforderten Qualitätsansprüchen zu genügen.
Beurteilen
Eine Größenordnung von ca. 50 Sesseln, so stellte sich heraus, war in insgesamt ca. 70 Stunden Wahl-Pflicht-Unterricht des zweiten Ausbildungsjahre nicht zu bewältigen. Auch wenn in fächerübergreifendem Unterricht viele Aspekte des Projekts Sessel verlagert bzw. Inhalte des Lehrplans auf das Projekt übertragen werden konnten, wurde doch der „ganz normale Unterrichtsstoff“ nach Lehrplan behandelt und die Schülerinnen und Schüler absolvierten nach dem zweiten Ausbildungsjahr ihre zweite Zwischenprüfung. Der Sessel wurde im darauffolgenden Block fertiggestellt. Voraussetzung zur Durchführung solcher Projekte ist zweifellos der Blockunterricht mit dem Idealfall von zwei Schulblöcken pro Ausbildungsjahr.
Zur Präsentation am Ende des Projekts waren auch die Ausbildungsbetriebe eingeladen. Die Schülerinnen und Schüler beider Klassen stellten noch einmal anhand von Vorrichtungen und Werkzeugen die wichtigsten Stationen des Fertigungsablaufes von der Entwurfsphase über den regelmäßigen gegenseitigen Informationsaustausch bis zur Endmontage aus ihrer Sicht dar und schilderten dabei auch wesentliche fachliche Erkenntnisse und persönliche Erfahrungen, die sich aus dem Zusammentreffen der unterschiedlichen Ausbildungsberufe ergaben.
Bei allen Beteiligten wurde eine große Zufriedenheit deutlich, über alle Schwierigkeiten hinweg ein Sitzmöbel mit hohem Sitzkomfort geplant und gebaut zu haben, das den persönlichen ästhetischen Aspekten genügte und in einer handwerklich soliden Konstruktion gefertigt war.
Stellvertretend für die beiden Lehrerteams: Sigrid Strauß, Rainer Maehl und Eberhard Berghäuser
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Schallmessung in der Praxis: Michael Fuchs (r.) und Simon Holzer bei raumakustischen Messungen in einem Objekt (Friseursalon Max in Wallersdorf). Foto: Barbara Kohl, Kleine Fotowerkstatt
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