Bei Ausstellungen von Meister- und Gesellenstücken – wie sie alljährlich stattfinden – erfreut sich das Schreinerherz an der Vielfältigkeit und Kreativität, die unser Beruf ermöglicht. Doch betrachtet man einige Details sehr kritisch, so kann man manchmal nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Da findet man formal einwandfrei gestaltete Gesellen- und Meisterstücke mit teilweise aufwendigen Konstruktionen – und dann “verunstalten” ein klobiger Rundzylinder oder Messingschlüssel samt Schlüsselschild eine sehr schöne Front! Hat es an Kreativität oder an Zeit gefehlt – oder war es nur Gedankenlosigkeit? Gewiß, die Prüfungsordnung verlangt – gerade beim Gesellenstück – ein Schloß in Funktion. Doch ich denke, hier sind die Ausbildungsbetriebe und vor allem die Prüfungsausschüsse gefordert. Sie sollten bei den Auszubildenden einerseits auf den Entwurf mehr Einfluß nehmen und andererseits die Vorschriften großzügiger auslegen und interpretieren – eben auch aus gestalterischen Gründen auf ein Schloß verzichten oder Varianten genehmigen. Daß dies innerhalb einiger Innungen praktiziert wird – leider noch viel zu wenig – verdeutlichen zwei Beispiele.
Elegante Lösungen
Bei seinem Gesellenstück hat Heiko Stähle die konkav gebogene Front aus Muschelahorn nicht durch einen Schlüssel oder anderen Verschluß beeinträchtigt. Er wählte einen Verschluß der Schubladen, der elegant versteckt ist und doch den Anforderungen des Prüfungsausschusses gerecht wird. Eine einfache Bohrung im unteren Bereich der Schubkastendoppel ist Basis dieses Verschlusses. In diese Bohrung ist ein Rundstab eingebracht, der über eine Feder nach vorne gedrückt wird. Zum Betätigen des Riegels ist eine eiförmige Vertiefung auf der Rückseite des Schubkastendoppels eingefräst, die bis zur Hälfte der Bohrung reicht. Auch der Rundstab wurde mit einer ca. 12 mm breiten Ausfräsung versehen und läßt sich so einfach nach hinten ziehen. Kleiner Nachteil dieser Konstruktion: der Riegel muß auch zum Schließen betätigt werden.
Die Integration von Form und Funktion gelang auch Sebastian Hald bei seinem Gesellenstück: ein Säulenschrank mit einer einfachen, aber ansprechenden Intarsienarbeit. Dabei ist das vordere, einzelne Quadrat keine Intarsie, sondern ein hölzerner Knopf, der gleichzeitig zum Betätigen des Verschlusses dient. Auf der Türinnenseite wird der rund 30 mm breite Riegel in zwei genuteten Leisten geführt und mit zwei kleinen Federn nach vorne gedrückt. Der in den Knopf eingeleimte Dübel steckt in einem Langschlitz im Riegel und dient als dessen End-Arretierung. Damit der Knopf beim Schließen der Tür nicht betätigt werden muß, ist der Riegel vorne abgeschrägt und läßt sich dank des Längsschlitzes – unabhängig vom Knopf – nach hinten bewegen. So werden hohe Reibungen vermieden – die Tür bzw. der Riegel lassen sich leicht schließen.
Diese zwei Gesellenstücke mit den eleganten Verschlüssen entstanden bei den Innungen Göppingen und Schwäbisch Hall.
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