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… hochgelobte „deutsche“ Ausbildung

Diskussion um die neue Ausbildungsordnung
… hochgelobte „deutsche“ Ausbildung

… hochgelobte „deutsche“ Ausbildung
„Ich habe die Diskussion in den BM-Ausgaben verfolgt und möchte nun einmal einen Eindruck über die hochgelobte ,deutsche’ Ausbildung zur Diskussion stellen“, schrieb uns Tischlerlehrling Thomas Lategahn aus Dortmund im Mai diesen Jahres. Nach dem Abitur hatte er seine Bundeswehrzeit abgeleistet und danach seine Tischlerlehre begonnen, die er inzwischen in diesem Sommer mit Erfolg beendet hat.

Ich bin nun 23 Jahre und somit nicht der durchschnitt-liche Lehrling. Dies aber nur, um meinen Standpunkt zu verdeutlichen.

Vor meiner Ausbildung war ich vollauf begeistert: Handwerk – gute Ausbildung und für Abiturienten die Chance, parallel zur Tischlerausbildung zum Betriebsassistenten des Handwerks weitergebildet zu werden. Dachte ich – aufgrund der großflächig plakatierten Werbeaussage – und begab mich zur Handwerkskammer. Dort der erste Dämpfer: „Für Tischler gibt es das hier nicht.“
Nun möchte ich auf die Ausbildung eingehen, die ich, da sie noch nicht so lange zurückliegt, noch gut in Erinnerung habe. Vor allem möchte ich auf die weiten Spannen zwischen den einzelnen Ausbildungsbetrieben hinweisen. Auf der Grundlage von Erfahrungsaustausch und Kommunikation in der Berufsschule mit anderen Lehrlingen, wurde ich auf die riesige Differenz der Qualität der Ausbildung aufmerksam. Das schlimmste war, so fand ich, als mir ein Lehrling erzählte, in der dreijährigen Ausbildung vielleicht zweimal an der Tischfräse gearbeitet und sonst vornehmlich auf Montage verbracht zu haben. Im Gegensatz dazu erzählte mir ein anderer Lehrling von seiner sehr differenzierten Ausbildung, in der er sehr zur Eigenarbeit angeleitet wurde. Andere Betriebe sind wiederum so spezialisiert, dass z. B. nur Fertigtüren montiert werden.
Da hilft es auch nicht, dass man von einer dualen Ausbildung spricht. Meiner Meinung nach findet der Großteil der Ausbildung im Betrieb statt bzw. sollte stattfinden. Grundlehrgang, Maschinenlehrgang und Oberflächenlehrgang sind nur kurze Einleitungen in differenzierte Arbeitsbereiche, die in der weiteren Ausbildung im Betrieb ausgefeilt werden sollten. Doch genau hier liegt ein Problem, nämlich die Einstellung des Betriebes zur Ausbildung. Es gibt Betriebe, da setzt man sich als Chef, Vorarbeiter bzw. Meister Freitagnachmittag nach dem Aufräumen mit dem Lehrling zusammen und diskutiert mit ihm Entwürfe zum Gesellenstück, bietet somit Unterstützung an und zeigt, dass einem die Lehrlinge nicht nur Hilfs-arbeiter sind.
Doch es gibt auch genau die anderen Chefs, die interessieren sich kein Stück für das Gesellenstück und was viel schlimmer ist, sie haben die Ausbildung nicht organisiert. Die Lehrlinge laufen nur als Hilfsarbeiter mit, die mit auf Montage gehen, um zu tragen etc. Sie müssen hier mal anpacken und da mal anpacken, kriegen also immer nur Bruchstücke einer Fertigung mit, die sie sich mit den Augen aneignen, da im Betrieb das eigenständige Arbeiten von Lehrlingen keine Unterstützung findet.
Dies dürfte vor allem in den Betrieben der Fall sein, die über ihr Kontingent ausbilden. Die Lehrlinge werden drei Jahre als Hilfsarbeiter mitgeführt und dann wieder abgestoßen. Somit ist es den (nicht allen, aber doch einigen) Betrieben relativ egal, wie viel die Lehrlinge in den drei Jahren mitkriegen; Haupt-sache sie bestehen die Prüfung, um den Ruf der Firma im Gewerbe nicht zu schädigen, wenn auch eben nur mit der Note „vier“; das ist egal. Ich finde das ekelhaft, diese menschenverachtende Einstellung. Solche Chefs machen sich überhaupt keine Gedanken, wie schwer es diese Lehrlinge dann im weiteren aufgrund mangelhafter Ausbildung haben. Ich finde es fehlt einfach ein Kontrollorgan, das die Qualität der Ausbildung sichert. Leider sieht man einen Betrieb bei der Einstellung zur Ausbildung nur von außen, so dass ich nun nur nachträglich resümieren kann. In meinem Fall kann ich nur sagen, dass es an Motivation und Lernbereitschaft nicht gefehlt hat; aber bei der Ausbildung handelt es sich nun mal um ein beiderseitiges Verhältnis.
Im Vergleich mit anderen Betrieben halte ich meine Ausbildung für mittelmäßig und aufgrund des Missmutes über den hochgelobten Standard der ,deutschen’ Ausbildung möchte ich noch einige Dinge sagen.
Drei Jahre Lehre ist ja schön und gut, doch leider sind es nicht drei Jahre lernen. Die Hand-langerarbeiten nehmen einen zu großen Teil im ersten Lehrjahr ein. Hier finde ich den neuen Ansatz in der Ausbildung wundervoll, dass man den Maschinenlehrgang teilen und die Handmaschinen, Kreissäge und Hobelmaschine ins erste Lehrjahr vorziehen will und somit die schnellere Selbstständigkeit des Lehrlings fördert.
Zeiten, in denen man nichts lernt, waren in meiner Lehrzeit zu häufig. Im ersten Lehrjahr ein Viertel und im zweiten sogar fast ein Drittel der Zeit. Es handelt sich um Arbeiten wie Hacker füllen, Brikettpresse reparieren, fegen, aufräumen, Müll entsorgen, Lieferfahrten etc. Diese Arbeiten (außer Fegen/Aufräumen: Sicherheit und Ordnung) vermitteln in keiner Weise Lerninhalte.
Ich möchte die bessere Einstellung von Betrieben zur Ausbildung an der Arbeit „Hacker füllen“ erklären: Ein Betrieb, der meiner Meinung nach in punkto Qualität im oberen Bereich liegt, hat für diese Tätigkeit einen rüstigen Rentner auf 580-Mark-Basis beschäftigt. Dies halte ich für sehr sinnvoll, vor allem in Betrieben (wie bei uns) in denen sehr viel Material den Fertigungsprozess durchläuft und somit auch viel Abfall entsteht.
Ich denke, ich habe nun einige verbesserungswürdige Mängel aufgezeigt, die man sich einfach vornehmen muss, aus der Welt zu schaffen. Und wie gesagt, es gibt auch Betriebe mit vielen guten Ansätzen und differenzierter und ebenso fundierter Ausbildung. Dies sind aus meiner Sicht vor allem Betriebe, die ihr ,Eigenkapital’ ausbilden und somit durch kompetente Mitarbeiter die Qualität ihres Betriebes sichern. Doch es kann einfach nicht sein, dass Betriebe so eigensüchtig sind und sich der Verantwortung für die Ausbildung ihres Lehrlings, ich will nicht sagen entziehen, aber sie dehnen die Ausbildungsordnung schon erheblich. Ich würde sogar sagen, dass vielen Betrieben der Ausbildungsrahmenplan relativ unbekannt ist bzw. sie diesen nicht als Richtlinie ansehen, und in ihrem Vorgehen auch nicht ermahnt werden, da heute ja die Masse an Auszubildenden zählt und nicht die Qualität der Ausbildung. Ich halte das nicht für den richtigen Weg. Ich finde es ja in Ordnung, dass der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement um Ausbildungsplätze ringt und Betriebe dann sagen: O.K., bilden wir halt weit übers Kontingent aus. Ich finde, das Problem liegt auch nicht in Großbetrieben mit eigener Lehrwerkstatt, in überbetrieblichen Ausbildungsstätten und in Kleinstbetrieben mit Meister, Geselle und Lehrling, sondern in Kleinbetrieben mit mehreren Gesellen und Lehrlingen. In diesen Betrieben ist ein Lehrling meist mit einem Gesellen unterwegs und hat so gut wie keinen Kontakt zu dem für die Ausbildung zuständigen Meister. In Kleinstbetrieben wird der Lehrling sehr schnell zur Eigenständigkeit angeleitet; in Lehrwerkstätten geht man genau nach Ausbildungsrahmenplan vor, was auch sehr gut ist; nur im Kleinbetrieb, in dem der Chef zuviel um die Ohren hat und der Meister, der für die Lehrlinge zuständig ist, mit Mitarbeiterführung und eigener Arbeit ebenso voll beschäftigt ist, ,hängen die Lehrlinge einfach zu sehr in der Luft’ (ohne ordent-liche Anleitung).
Ich möchte hier nicht verall-gemeinern, das ist nicht meine Absicht; doch ich finde es erschreckend, wenn ein Obermeisterbetrieb mit solchem Beispiel vorangeht. Die Quantität an zu schaffenden Ausbildungsplätzen darf nicht auf Kosten der Qualität der Aus-bildung in den Vordergrund gestellt werden. Aufgrund der schlechten Arbeitsmarktsituation ist man glücklich, einen Ausbildungsplatz zu bekommen; wenn dann die Ausbildung nur aus-reichend stattfindet, verhält man sich ruhig und pfeift auf Zivilcourage. Ein Bekannter sagte mir: ,Man muss auf den Tisch hauen und mit dem Chef reden; wozu gibt es denn den Ausbildungsrahmenplan.’
Es ist ja nur so, dass man von diesen Leuten etwas lernen will, und das geht nur mit einem einigermaßen guten Verhältnis. Und wenn man auf Kritik setzt, kann man leicht außen vor gesetzt werden und muss den Rest der Lehre auf einem sehr schweren Stand verbringen und lernt dann noch weniger.
Ich finde, man bräuchte neben einem Kontrollorgan auch einen Qualitätsvergleich der Ausbildung. Betriebe mit fundierter, organisierter und differenzierter Ausbildung könnten durch Veröffentlichung eines Vergleiches mehr Ansehen erlangen und die anderen Betriebe könnten durch Unterstützung, z. B. durch die Handwerkskammer, auf eine bessere Ausbildung hinarbeiten. Aus dem Radio weiß ich, dass es für (junge) Betriebe eine Broschüre über die Ausbildung gibt, um die Betriebe in vielen Fragen über Grundlagen etc. zu informieren. Doch was nützt eine solche Broschüre, wenn sich die meisten altein-gesessenen Betriebe sowieso nicht dafür interessieren? Meine vorher geäußerten Ansichten sind natürlich nur Aussichten, deren Umsetzung zuviel kostet und durch die mangelnde Vernetzung nicht möglich erscheint. Aber ich will ja auch nur äußern, was mir gerade durch den Kopf geht.
Nun möchte ich auf die Berufsschule eingehen. Wie schon erwähnt, hätte ich gerne den Betriebsassistenten im Handwerk gemacht. Das blieb mir vorenthalten. In der Berufsschule werden alle schulischen Standards gebündelt, was an sich schon recht schwierig erscheint, wenn Abiturienten und Hauptschüler zusammen lernen. Die Abiturienten langweilen sich und werden in der Berufsschule kaum gefordert, währenddessen Hauptschüler erhebliche Aufnahme- und Verständnisprobleme haben. Somit könnte in den drei Jahren viel mehr ins Detail gegangen werden, doch man muss sich dem schwächsten Glied der Kette anpassen. Aber auch viele Lehrer weisen eine Einstellung auf, mit der sie in der Wirtschaft schon längst gefeuert worden wären. Diese Lehrer machen nur Dienst nach Vorschrift und spulen Jahr für Jahr ihr immer gleiches Programm ab, ohne mal die Initia-tive zu ergreifen und ein biss-chen innovativ zu lehren. Was mich aber sehr ärgert ist, dass die CNC-Ausbildung in der Berufsschule noch so in den Kinderschuhen steckt. Es wird auf unterstem Niveau gearbeitet, oft entfallen Stunden einfach und somit wird keine vernünftige Grundlage für eine betrieb-liche Anwendung geschaffen.
Weiterhin halte ich die Fächer Sport, Deutsch und Religion für völlig sinnlos. Wenn mindestens zehn Jahre (Realschulabschluss) Deutschunterricht nicht gereicht haben, dann helfen die, die an der Berufsschule gelehrt werden, auch nicht weiter.
Sport und Religion dienen nur zur Volksbelustigung. Meiner Meinung nach könnte man diese Fächer streichen und dafür zukunftsorientierte Fächer wie z. B. CNC-, CAD-Technik sowie den gesamten Informatikbereich ansetzen. Im Hinblick auf das zusammenwachsende Europa wären auch Fremdsprachen wie z. B. Englisch sehr sinnvoll, welches ja bald schon von der Grundschule an gelehrt wird. Doch ich denke, dass dies dem Kultusminister nicht gefallen wird und eine Umstellung wiederum zu teuer wäre und eine Umsetzung im Bereich Beamtentum nun mal zu lange dauert.
Besonders hervorheben möchte ich, dass Initiativen wie z. B. der Lernortkooperationsausschuss (siehe BM-Extra 1999: Forum) gute Ansätze bilden. Man muss in Bezug auf das zusammenwachsende Europa die Qualität seiner Ausbildung auf einen sehr hohen Stand bringen und halten, um im Konkurrenzkampf zu bestehen, insbesondere, wenn bald der große Befähigungsnachweis nicht mehr gebraucht werden sollte; oder will man sich dann etwa wie in anderen Branchen gut ausgebildete Fachkräfte aus dem europäischen Ausland angeln?
Ich habe in meinen Ausführungen viel Kritik geübt und die guten Seiten, die es natürlich auch gibt, außen vorgelassen. Ich habe als Lehrling nun mal nicht den Überblick über unser gesamtes Gewerk und hoffe, dass es sich bei erwähnten Missständen nur um einige „schwarze Schafe“ handelt. Doch auch dann muss man diese Missstände im Keim ersticken. Diese Aufgabe obliegt dann wohl übergeordneten Gremien, die sich in endlosen und ziel-losen Diskussionen mit der Problematik befassen mit dem Ergebnis, dass sie wie die neue Ausbildungsordnung somit konkret im Betrieb keine Anwendung findet.
Abschließend hoffe ich, dass man mir meine Gedanken verzeihen kann, doch ich musste mir einfach mal meinen Frust von der Seele schreiben.
gez. Thomas Lategahn
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