Ein Bau aus den Fünfzigern ragt vor mir auf. Betongrau, schlicht und doch schön. Ein alter Baum davor, ein leuchtend gelbes Schild neben der Eingangstür und ein Mitarbeiter, der mich freundlich fragt, ob er mir weiterhelfen könne. Ich stehe vor dem Gebäude, in dem die Theaterwerkstätten der Oper Leipzig zu Hause sind. Hier treffe ich mich mit Marko Horschel, der mich eintauchen lässt in die Welt des Schauspiels und der Oper. Heute darf ich also hinter die Kulissen schauen.
Alles unter einem Dach
In diesem Gebäude befinden sich alle Gewerke der Theaterwerkstätten unter einem Dach. Dazu gehören die Metallverarbeitung, die Tischlerei, die Dekowerkstatt, eine Kaschierabteilung, die Tischlerei und oben direkt unter dem Dach der Malsaal. Doch ich bin nicht nur hier um Theaterluft zu schnuppern und Konstruktionen zu bestaunen, die ich in einer herkömmlichen Tischlerei nicht zu sehen bekomme. Die Queen des Tages ist heute eine Biesse Rover B 2267. Ein 5-Achs-Bearbeitungszentrum an einem besonderen Ort. Silvio Krolop von der Firma Biesse ist heute auch dabei. „Die Tischlerei der Oper ist ein Ersttäter“, wie Krolop es nennt. Seit Dezember 2021 steht das gute Stück hier und davor war quasi nur Kreissäge und Tischfräse.
Großformatiges Bearbeitungszentrum
Die Biesse Rover B 2267 ist schon von ihrer Größe eine Erscheinung. Der Tisch hat eine Bearbeitungslänge von 6700 mm und in der Tiefe von 2200 mm. „Die Platten, die wir hier verarbeiten, haben ein Maß von 5200 x 2070 mm“, erklärt Marko Horschel, Tischler und stellvertretender Fertigungsleiter. „Hier gibt es einen Vorteil gegenüber Tischlereien in der freien Wirtschaft“, führt Krolop weiter aus, „es wird nur Tischlerplatte und Sperrholz verarbeitet. Hier gibt es keinen Materialmix.“ Das bedeutet, dass hier keine Herausforderungen wie getrennte Absaugungen an die Maschine gestellt wurden.
Meterhohe Bauteile
In der Mitte des Bereiches der Tischlerei befindet sich ein hoher Schacht, der angelehnt ist an einen Bühnenturm, um fertige Kulissen aufstellen zu können. „Jede Arbeit muss im Rohbau aufgebaut werden und dann auch noch mal, wenn sie alle anderen Abteilungen durchlaufen hat und komplett fertig ist“, erklärt Horschel. Letzte Anpassungen und Änderungen werden im fertigen Zustand gemacht. Zur Bewertung der fertigen Kulissen sind dann nicht nur Vertreter der einzelnen Abteilungen da. Auch Künstler, Bühnentechniker und Beleuchter der Oper Leipzig stehen dann mit kritischem Blick davor. Hier wird nichts dem Zufall überlassen.
Das, was hier gebaut wird sind hauptsächlich Unterkonstruktionen, teilweise meterhoch, die im weiteren Verlauf bemalt, bespannt oder anderweitig dekoriert werden. Die Rahmenhölzer, Spanten und Leisten werden aus den Tischler- und Sperrholzplatten auf der Biesse gefräst. Ob gerade oder gebogene Teile, Bodenelemente oder Bauteile für Wandkulissen. „Was wir früher von Hand machen mussten, da unterstützt uns jetzt die CNC“, betont Marko Horschel. Die Hauptbühne hat eine Bodenfläche von 450 m2. Da ist das Team schon dankbar, wenn das Bearbeitungszentrum die Arbeit übernimmt, die sowohl präzise aber auch immer gleich aussehen muss. Den Job an der CNC übernimmt meistens Tischler Ingo Vater.
Learning by doing
Er ist Hauptansprechpartner im Umgang mit der Biesse. Vater ist, wie Horschel und viele seiner Kollegen und Kolleginnen, hier in der Tischlerei groß geworden und hier geblieben. Die Frage nach den Herausforderungen als Neuling an der CNC beantwortet er so: „Es ist learning by doing. Wir hatten extern einen viertägigen Lehrgang und hier vor Ort dann noch mal zwei produktionsbegleitende Tage mit Biesse.“ Krolop betont, dass nach etwa einem halben Jahr Sicherheit im Umgang mit der Maschine einkehrt. „Und wenn dann noch die interpolierende Achse dazu kommt, dauert es wiederum ein halbes Jahr, um damit angemessen umgehen zu können“, erklärt Krolop. CNC-Bediener und Tischler Ingo Vater zeigt mir weitere Vorzüge der Maschine auf.
Ausstattungsmerkmale der Biesse
Einer davon ist der EPS-Tisch mit vollautomatischer Positionierung der Konsolen und Sauger. Ein riesiger Vorteil bei einem 2200 mm tiefen Tisch. Da wird es nämlich sonst schwierig, die hinteren Sauger zu erreichen. „Wir können auch auf die hilfreiche Kollisionskontrolle am 3D-Modell in B-Solid zurückgreifen“, führt Vater aus. Darüber hinaus hat jeder Anschlag einen Sensor. Die Sauger sind außerdem aus Vollmaterial. Das heißt, dass diese auch bei leichter Beschädigung weiter genutzt werden können. Es gibt an der Oper Leipzig 4 Konstrukteure, die für die Modellierung der Kulissen in Auto CAD 3D zuständig sind. Bauingenieure mit Statikausbildung. Die Dateien der Frästeile werden im dxf-Format exportiert und an den Rechner der CNC geschickt. Hier lädt Vater die Datei in NC-Hops. Seine Aufgabe ist es nun noch Werkzeuge zuzuweisen. „Ein weiterer Vorteil unserer Maschine ist der 33-fach-Werkzeugwechsel, der auf der x-Achse mitfährt“, sagt Vater. So wird vor allem die Zeit des Umrüstens optimiert. „Und wenn ich mal nicht weiter weiß oder Fragen sowie Anregungen habe, kann ich mich auf die persönliche Betreuung und den Kundenservice von Biesse verlassen“, führt Vater weiter aus.
Von der Kunst bis zum Bauteil
Am Anfang der Planungs- und Bauphase der Tischlerei stehen die Entwürfe der Künstler, wie sie sich das Bühnenbild im fertigen Zustand vorstellen. „Oft nur ein leerer Volumenkörper“, erklärt Marko Horschel. Manchmal auch Handskizzen. „Wenn wir Glück haben gibt es eine CAD-Datei.“
Konstruieren, fräsen, zusammenbauen. Wenn es so einfach wäre. Bei einer Kulisse wie der der Oper Don Giovanni gibt es so viele Bauteile, dass die Kollegen da einen klaren Kopf bewahren müssen. „Unser Job ist immer spannend. Nie machen wir etwas zweimal“, so ein Mitarbeiter. „Der Arbeitsplatz ist schön und man hat immer was zum Überlegen und Tüfteln.“ Dafür ist es momentan auch noch unumgänglich, mit ausgedruckten Zeichnungen zu arbeiten. „Wir haben zwar einen Werkstattrechner, auf dem die Modelle eingesehen werden können, aber die Sachen sind so komplex, dass man ständig hin und her rennen müsste“, erklärt Marko Horschel.
Gekommen um zu bleiben
Die Mehrheit des 19-köpfigen-Teams der Tischlerei hat hier gelernt und wird bis zur Rente bleiben. „Hier ist es so gut, dass man nicht weggehen will. Außer wenn die Rente kommt oder jemand umzieht“, betont ein Mitarbeiter. „Wenn jemand einmal Blut geleckt hat und bei uns reingeschnuppert hat, dann will er auch hier arbeiten.“ Doch an den Punkt müssen sie die Leute erst mal kriegen. Auch die Theaterwerkstätten Leipzig bleiben vom Nachwuchsmangel nicht verschont. Trotz der tollen Stadt. Gewiss ist: Der jüngste Nachwuchs der Tischlerei, die Biesse Rover B 2267, wird bis zu ihrer Rente hier bleiben.
Die Autorin
Anna-Katharina Ledwa ist Tischlerin und Designerin (HWK), arbeitet als Projektleiterin in einer Tischlerei und lebt in Münster.
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