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„… nicht in Frage stellen“

Günter Füllgraf zur Modernisierung der Handwerksordnung
„… nicht in Frage stellen“

Wie reagiert die Handwerksorganisation und hier im Speziellen das Deutsche Tischler- und Schreinerhandwerk auf die von der Bundesregierung geplanten Änderungen der Handwerksordnung? BM führte dazu und den damit verbundenen Fragen der Berufsbildung ein Gespräch mit Günter Füllgraf, Präsident des Bundesverbands Holz und Kunststoff.

Darum geht es: Drei für die deutsche Handwerksorganisation zukunftsrelevanten Kernaussagen bezüglich des Meisterbriefes beinhaltete die Regierungserklärung, die Bundeskanzler Gerhard Schröder am 14. März 2003 vor dem Deutschen Bundestag abgab:

• die Infragestellung des Meisterbriefes in verschiedenen Handwerksberufen
• neue Regelungen für den Aufbau einer selbstständigen Existenz und
• die Ausbildung von Lehrlingen auch ohne Meisterbrief.
Das Handwerksrecht solle modernisiert und verschlankt werden, damit es im Handwerk wieder mehr Existenzgründungen gebe, dort mehr Arbeitsplätze entstünden und langfristig gesichert blieben. „Für unsere Volkswirtschaft sind Konzerne und Großunternehmen zwar wichtig. Aber der Motor des Wachstums ist und bleibt der Mittelstand”, so der Bundes-kanzler.
Diese Erklärungen sorgten auch beim BHKH für reichlich Diskussionsstoff.
BM Im Mittelpunkt derzeitiger Diskussionen in den Handwerksorganisationen steht die Modernisierung der Handwerksordnung. Ziel ist es, so ZDH-Präsident Dieter Philipp, „die Handwerksberufe dynamisch und flexibel den Herausforderungen der Zeit anzupassen und den Meisterbrief ‚europafest’ zu machen.“ Welche Position bezieht dazu das deutsche Tischler- und Schreinerhandwerk?
Füllgraf Die Modernisierung der Handwerksordnung steht schon seit längerer Zeit auf der Agenda 2010.
Die Handwerksorganisationen und dazu gehört auch der Bundesverband Holz und Kunststoff, arbeiten dabei gemeinsam unter Federführung des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, an der Novellierung der Statuten für das Deutsche Handwerk. Allerdings will die Handwerksorganisation das Heft des Handelns nicht aus der Hand geben, sondern selbst die Initiative ergreifen und mit eigenen Vorschlägen und Veränderungen bezüglich der Novellierung der Handwerksordnung auf die Regierung zugehen.
BM Bundeskanzler Gerhard Schröder hat es in seiner Regierungserklärung am 14. März 2003 deutlich gemacht: der Meisterbrief soll nur noch für diejenigen Handwerksberufe erforderlich sein, in denen es „auf das Qualitätssiegel des Meister-briefes besonders ankommt”. Der Kanzler nannte dazu alle Bereiche, in denen eine „unsachgemäße Ausübung Gefahren für die Gesundheit oder das Leben anderer verursachen könnte”.
Heißt das, Herr Füllgraf, Abschied nehmen von gewachsenen traditionellen Handwerksstrukturen?
Füllgraf Wie Sie ja wissen, sind die Vollhandwerke in der Anlage A der Handwerksordnung zusammengefasst. Das sollte auch so bleiben. Allerdings gibt es auch Bestrebungen, gewisse Handwerksberufe zukünftig in der Anlage B, den handwerks-ähnlichen Berufen, zu führen. Welche Berufe dies sein werden, wird noch intensiv zu diskutieren sein. Bei allen Überlegungen muss jedoch eines klar sein: Berufe mit einem breiten, anspruchsvollen Tätigkeitsfeld und mit beträchtlichen Ausbildungsleistungen müssen weiterhin in der Anlage A bleiben. So auch das Tischler- und Schreinerhandwerk, denn die Anforderungen an unser Gewerk, insbesondere z. B. im Bereich Bau, sind wesentlich höher und anspruchsvoller geworden. Auch in anderen Vollhandwerken werden inzwischen höhere Anforderungen an die Qualifikation gestellt. Und sie ist das Ergebnis der hohen Ausbildungsleistung im Handwerk. Übrigens, im Ausland wird unser duales Ausbildungssystem immer wieder bewundert.
BM In der Vergangenheit, vielleicht ist es heute auch noch so, war der Meistertitel ein Synonym für meisterliche Arbeit, galt ein Meisterbetrieb als ein Betrieb, der Qualitätsarbeit lieferte. Hat das Handwerk versäumt, für ein besseres Image meisterlicher Handwerksarbeit in der Öffentlichkeit zu sorgen?
Füllgraf Das Handwerk liefert meisterliche Qualitätsarbeit. Das ist auch heute noch so. Wir legen ganz großen Wert darauf, dass dies nicht verwässert wird. Ich würde schon sagen, dass im Grunde genommen in den letzten Jahren versäumt worden ist, sich strategisch gegenüber der Presse, der öffentlichen Meinung, insbesondere auch was das Marketing angeht, optimal zu positionieren. Dieses Versäumnis war nicht nur ein großer Fehler, es erweist sich nun auch als ein Nachteil. Ganz gleich, ob Sie Zeitungen aufschlagen oder das Fernsehen einschalten: immer wieder wird negativ über Handwerker berichtet, deren Arbeiten bemängelt werden. Aber über die 99,5 Prozent Handwerkerleistungen, bei denen es geklappt hat, berichtet im Grunde genommen niemand.
BM Aber der „Otto-Normalverbraucher” hat kaum detaillierte Kenntnisse über die Handwerksordnung. Der weiß nur, das ist ein Handwerker, das ist ein Schreiner, das ist ein Tischler, der ist teuer ….
Füllgraf Wenn auf Innungsversammlungen das Thema Handwerksordnung diskutiert wird, dann höre ich immer öfter die Frage: „Warum habe ich denn überhaupt meinen Meister gemacht?” Meine Antwort lautet dann in der Regel: „Weil du deine Meisterprüfung gemacht hast, gibt es dich jetzt überhaupt noch am Markt.”
Es ist alarmierend, wenn selbst den Schreinermeistern nicht klar ist, dass es im Grunde genommen hier um eine Qualifizierung geht, welche den Einzelnen überhaupt erst befähigt, einen Betrieb zu führen. Die Zahlen der Kammern belegen doch sehr eindeutig, dass ein ausgebildeter Meister wirklich eine sehr sehr große Chance hat, am Markt zu bestehen, während der Quereinsteiger, der einen B-Betrieb führt, aufgrund fehlender fachlicher und kaufmännischer Qualifikationen oft schon nach kurzer Selbstständigkeit wieder aufgeben muss. Jedenfalls verzeichnen die Statistiken eine verhältnismäßig hohe Quote an Aussteigern bei den B-Betrieben.
BM Bundeskanzler Gerhard Schröder will tüchtigen und erfahrenen Gesellen den Aufbau einer selbstständigen Existenz erleichtern. Zukünftig sollen sie nach zehn Jahren Berufstätigkeit einen Rechtsanspruch auf selbstständiges Ausüben ihres Handwerks haben. Braucht das Handwerk überhaupt noch den Meister? Zumal der Weg zur Meisterschaft im Handwerk nicht nur mit verhältnismäßig hohen Kosten verbunden, sondern ebenso zeitaufwändig und sehr entbehrungsreich ist!
Lohnt also heutzutage noch der Aufwand? Ist in der Zukunft der Meisterbrief infrage gestellt?
Füllgraf Das Handwerk kann auf den Meisterbrief nicht verzichten. Er ist die Voraussetzung für die Selbstständigkeit, sichert den hohen technischen Standard und ermöglicht eine qualifizierte Ausbildung der jungen Menschen.
Der Meistertitel schafft Vertrauen beim Kunden, signalisiert fachliche Kompetenz und Qualitätsarbeit. Und dafür, so meine ich, lohnt sich schon der Aufwand.
BM Der Meisterbrief war ja bisher Voraussetzung für die Lehrlingsausbildung. In Zukunft soll, nach dem Willen des Bundeskanzlers, jeder, der einen Betrieb mindestens fünf Jahre lang erfolgreich geführt hat, auch ohne Meisterbrief ausbilden können.
Füllgraf Also der Kanzler geht offensichtlich einfach davon aus, dass man nichts Gescheites gelernt zu haben braucht, um Politiker zu werden. Im Handwerk ist das Gott sei dank nicht so. Hier ist, die Voraussetzung allen Tun und Handelns eine vernünftige Ausbildung. Das ist die Grund-lage, durch die sich der angehende Handwerker auf das Berufs-leben vorbereitet und ihn befähigt, all die Unwägbarkeiten des Berufsalltags, die auf ihn zukommen, problemlos zu bewältigen. Sicherlich gibt es auch einige Leute, die sich die Dinge autodidaktisch aneignen. Was die Ausbildungsberechtigung anbetrifft, ist die Kanzleraussage inzwischen etwas revidiert worden. Nachzuweisen ist demnach nicht nur eine fünfjährige Selbstständigkeit, sondern ebenso eine Ausbildungseignungsprüfung.
BM „Der Meisterbrief sichert die hohe Ausbildungsleistung des Handwerks“, unterstrich der Generalsekretär des ZDH Zentralverband des Deutschen Handwerks, Hanns-Eberhard Schleyer, in einer Pressekonferenz anlässlich der Internationalen Handwerksmesse 2003 in München. Trotzdem – der Ausbildungserfolg ist auch abhängig von der Eignung und Lernbereitschaft der Auszubildenden.
Füllgraf Das ist leider so. Wir wissen, dass in manchen Berufen die Abbrecherquote sehr sehr hoch ist. Das aber kann nicht im Sinne der Volkswirtschaft sein. Um die Zahl der Ausbildungs-Abbrecher, die es auch im Tischler- und Schreinerhandwerk gibt, zu minimieren, wollen wir neue Wege gehen. Das heißt, wir werden in der 48. Kalenderwoche d. J. die Woche der Einstellungstests durchführen. Dabei sollen nur solche Ausbildungswilligen herausgefiltert werden, die für die Ausbildung im Tischler- und Schreinerhandwerk geeignet sind (Siehe Seite 42). Wir wollen damit ausdrücklich darstellen, dass der Tischler und Schreiner ein krea-tiver und technisch sehr anspruchsvoller Beruf ist. Es darf auf keinen Fall so sein wie beim Arbeitsamttest, dass jeder, der diesen Test besteht, dann Tischler bzw. Schreiner werden kann. Unsere Einstellungstests werden wie schon erwähnt, bundesweit von den Innungen oder von den Betrieben durchgeführt. Die Verbände werden dafür entsprechende Testfragen zur Verfügung stellen.
BM Laut Statistik hat die Zahl der Auszubildenden und Ausbildungsbetriebe im Vergleich zu den Vorjahren abgenommen. Welche Gründe gibt es dafür?
Füllgraf Der Grund dafür ist ganz einfach: die Arbeit fehlt. Wenn die Betriebe mehr Arbeit hätten, würden sie auch ganz sicher wieder mehr Lehrlinge einstellen. Denn die Lehrlingsausbildung ist für die Betriebe ein nicht unerheblicher Kostenfaktor. Wenn die Zeiten schlechter sind, wird quasi vom Personal schon beim Lehrling angefangen zu sparen.
BM Gibt es denn noch genügend Interessenten, die Tischler bzw. Schreiner werden wollen?
Füllgraf Die Nachfrage ist immer noch groß und die Ausbildungsleistungen der Tischler- und Schreinerbetriebe sind enorm. So bildet z. B. in Hessen das Tischlerhandwerk mehr aus als die ganze chemische Industrie.
BM Könnten Sie sich vorstellen, Herr Füllgraf, dass es in Zukunft einen europäischen Meisterbrief gibt? Im Ausland wird ja das deutsche Ausbildungswesen, wie Sie selbst soeben anführten, immer so hoch gelobt.
Füllgraf Wie die europäischen Kollegen darüber denken, kann ich hier schwerlich sagen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass überall, wo wir hinkommen, das deutsche Ausbildungswesen ein hohes Ansehen genießt. Dass man hier in Deutschland nun anfängt, die Axt andiesen gewachsenen Stamm zu legen, kann ich nicht begreifen. Ich meine, dass wir Altes und Überholtes über Bord werfen und uns nach vorne ausrichten müssen. Das bedarf doch gar keiner Frage.
BM Sie meinen damit die Novellierung der Meisterausbildung. In welche Richtung muss das gehen? Ist mehr die Fach-theorie, sind mehr die Kenntnisse in Betriebstechnik, Marketing und Betriebswirtschaft gefragt und weniger die manuellen Fertigkeiten, wie das Zinken von Hand?
Füllgraf Die Dinge sind viel-fältiger geworden, und nicht mehr mit einem Satz zu beantworten. Es kommt immer auf das Tätigkeitsfeld an. Wenn ich zum Beispiel restauriere, muss ich noch ordentlich zinken und alte Verbindungen herstellen können. Über allem aber steht heute die betriebswirtschaftliche Komponente. Das ist das Allererste, was ich als Meister beherrschen muss.
BM Welche Zukunftschancen sehen Sie für das Tischler- und Schreinerhandwerk speziell in Bezug auf den Meisterbrief?
Füllgraf Der Meisterbrief ist für den Handwerksbetrieb die Voraussetzung, um am Markt erfolgreich sein zu können. Durch spezielle Strukturunter-suchungen im Handwerk hat man immer wieder festgestellt, dass es gar keine Kritik an dem Handwerker als Handwerker im eigentlichen Sinne gibt. So haben die Raiffeisenkassen und Volksbanken in ihrem Branchenspiegel ganz gut dargestellt und auf den Punkt gebracht: der Tischlermeis-ter bzw. Schreinermeister ist auf Grund seiner Ausbildung und dessen was er in seiner selbstständigen Tätigkeit an Wissen dazu erworben hat, zwar ein kompetenter Fachmann, aber in den Bereichen Marketing, Betriebswirtschaft, Kooperation usw. besteht Handlungsbedarf.
Wir müssen den Meisterbrief als Nachweis für Kompetenz, Zuverlässigkeit, Termintreue und Qualitätsarbeit in einem reellen Preis-/Leistungsverhältnis in der Öffentlichkeit weit mehr herausstellen als bisher. Dazu sind nicht nur die Verbände und Innungen, sondern auch jeder einzelne Betrieb aufgerufen. Wenn sich alle dieser Aufgaben bewusst sind und sich aktiv in entsprechende Lösungskonzepte einbringen, sehe ich recht positiv in die Zukunft. Also ohne den Meister im Tischler- und Schreinerhandwerk wird es in Zukunft auch nicht gehen.
BM Sorgen wir also gemeinsam dafür, dass der Meistertitel im deutschen Tischler- und Schreinerhandwerk erhalten bleibt und so den Meister dazu befähigt, die Herausforderungen auch in der Zukunft erfolgreich zu meistern. Herr Füllgraf, wir danken Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.
Das Gespräch führte Peter Nagel
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Schallmessung in der Praxis: Michael Fuchs (r.) und Simon Holzer bei raumakustischen Messungen in einem Objekt (Friseursalon Max in Wallersdorf). Foto: Barbara Kohl, Kleine Fotowerkstatt
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