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Problemkinder

Einfachere Ausbildungen im Schreiner- und Tischlerhandwerk?
Problemkinder

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Wolfgang Heer ist Bereichsleiter Berufsbildung des Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
Die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildung soll laut Beschluss des Europäischen Rats, bis 2011 auf die Hälfte gesenkt werden. Für Deutschland wird dies eine schwierige Aufgabe, da hier zuzeit 14 Prozent der Jugendlichen ohne berufliche Bildung bleiben. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hat deshalb im vergangenen Jahr ein Gutachten in Auftrag gegeben. Ziel war es, Tätigkeitsfelder mit weniger komplexen Anforderungen ausfindig zu machen, um auf dieser Basis neue anerkannte Ausbildungsberufe mit abgesenktem Anforderungsniveau schaffen zu können. Auch für das Tischler- und Schreinerhandwerk wird schon über neue, abgespeckte Qualifikationen nachgedacht: So sind zum Beispiel zweijährige Ausbildungsgänge zum „Fenstermonteur“, zur „Einbaufachkraft für Holz-, Kunststoff- und Metallfertigteile“ oder die schon länger diskutierte „Fachkraft für Küchen- und Möbelmontage“ in konkreten Verhandlungen. Gerade dem letztgenannten Ausbildungsgang werden dabei große Chancen eingeräumt.

Deutschland liegt mit der Quote der Ungelernten zwar immerhin im besseren Drittel, aber Länder wie Norwegen, Finnland, Schweden, die Schweiz oder die USA weisen deutlich geringere Werte auf. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass ein Absenken dieser Quote möglich ist.

Bis in die achtziger Jahre ist man davon ausgegangen, mit dem dualen System in Deutschland die beste Berufsausbildung der Welt anzubieten. Im internationalen Vergleich zeigen sich aber auch Schwächen. Dies ist z. B. an dem sich einpendelnden Anteil der Geringqualifizierten in Deutschland zu erkennen. Andere Länder konnten diesen Anteil kontinuierlich senken.
Im internationalen Vergleich des Bildungsniveaus wird deutlich, dass es sich bei den 14 Prozent Ungelernten in der deutschen Bevölkerung keineswegs um einen harten Kern handelt, der für alle Zeiten fest geschrieben ist. Dies zeigen die Erfahrungen in anderen Ländern, wo Mittel und Wege gefunden wurden, den Anteil der Ungelernten zu reduzieren. Economix führt am Beispiel verschiedener Länder auf, wie dort erfolgreich Ausbildung für einfache Berufe praktiziert werden. So zeigen die Erfahrungen der Schweiz mit der so genannten Anlehre über zwei Jahre gute Erfolge.
Ein wichtiger Grund für die Erstellung der Studie dürfte auch der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sein. Dieser enthält die generelle Forderung: „Ausbildungsberufe verstärkt modernisieren und hierbei Entscheidungsverfahren straffen, differenziertere, zweijährige Ausbildungsberufe einführen und durch ein reformiertes Berufsbildungsgesetz mehr Jugendlichen eine echte Chance auf eine Ausbildung geben“.
Ursachen und Chancen
Im Vordergrund des Gutachtens stand die Frage, ob eine verkürzte, weniger theoretische Ausbildung sowohl für die benachteiligten Jugendlichen als auch für die Ausbildungsbetriebe eine Möglichkeit darstellt, die den Jugendlichen die Chance auf einen dauerhaften Arbeitsplatz oder zumindest zum Einstieg in eine qualifizierte berufliche Tätigkeit bieten könnte.
Die Studie hat die Aufgabe von zwei Seiten zu lösen versucht: Sie hat sich zum einen ausführlich mit den Ursachen der mangelnden Ausbildungsbeteiligung, der Ausbildungsverweigerung und des Ausbildungsabbruchs bei Jugendlichen beschäftigt, die Erfahrungen aus Modellprojekten resümiert und die Konzepte für die berufliche Bildung benachteiligter Jugendlicher im europäischen Ausland analysiert. Zum anderen hat sie sich mit den Beschäftigungschancen in einfachen Berufen auseinander gesetzt und die Ausbildung für einfache Berufe mit Blick auf ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt bewertet.
Resultat dieser zweifachen Perspektive ist eine Liste von Vorschlägen für die Ausbildung in einfachen Berufen, die nach der Auffassung von Economix sowohl mit ihrem Volumen an Ausbildungsplätzen als auch mit ihren künftigen Beschäftigungs-Chancen einen substanziellen Beitrag zur Reduzierung der Quote der Ungelernten in Deutschland leisten kann.
Ohne Ausbildung
Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass es sehr viele Gründe für die Ausbildungsverweigerung, den Ausbildungsabbruch und die z. T. erheblichen Defizite bei Jugendlichen gibt. Die Politik steht damit einer sehr heterogenen Zielgruppe gegenüber.
Als Gründe bzw. bestimmende Faktoren, warum ein Jugendlicher den Weg in die Ausbildung nicht schafft, werden genannt:
  • Fehlender Schulabschluss
  • Jugendliche (Mädchen) mit eigenen Kindern
  • Jugendliche mit Migrationshintergrund
  • Familiäre Situation
  • Analphabetentum, Legasthenie, Dyskalkulie
  • mangelnde Motivation
  • fachliche oder intellektuelle Überforderung
  • sprachlichen Defizite
  • Schulverweigerer.
Economix kommt außerdem zu dem Schluss: „Es ist eines der großen Defizite des deutschen Bildungssystems, dass es funktionale Analphabeten und andere Personen mit prinzipiellen Bildungsrückständen in relativ großer Zahl ins Arbeitsleben entlässt und ihnen damit den Zugang zur Aus- und Weiterbildung verbaut. Die Reform der Hauptschule ist ein entscheidender Schlüssel zum Abbau der Ungelernten-Quote in Deutschland. Ohne ein Bildungskonzept, das das Bildungsniveau der Schüler anhebt und für eine stärkere Bildungs- und Ausbildungsbeteiligung sorgt, dürfte der Erfolg vieler anderer Maßnahmen ausbleiben. Die „Problemkinder“ bedürfen immer einer besonderen Fürsorge.“
Die Zielgruppen
In dem Gutachten wird versucht, die Zielgruppen der in Frage kommenden Jugendlichen zu klassifizieren. Unter den benachteiligten Jugendlichen stellen ausländische Jugendliche aufgrund ihres überproportional hohen Anteils an den Hauptschulabgängern eine bedeutende Gruppe dar. Diese Jugendlichen sind zwar in der Lage, eine herkömmliche Vollausbildung zu absolvieren, jedoch sind die Bildungsdefizite zu groß, um die Ausbildung tatsächlich zu schaffen. Nicht nur die Jugendlichen mit Migrationshintergrund, auch andere Jugendliche, in deren Familien, Bildung keinen hinreichenden Stellenwert hat, finden sich in dieser Gruppe.
Die theorie- bzw. zeitreduzierte Ausbildung ist zudem für jene Jugendliche geschaffen, die sich, weil sie sofort Geld verdienen wollen, gegen eine langjährige Ausbildung entscheiden, oder die sich nicht in der Lage sehen, eine anspruchsvollere Ausbildung zu bewältigen. Diese Zielgruppe der lernbehinderten Jugendlichen stellt aber nur einen Teil der Gesamtheit dar.
Eine dritte Gruppe sind jene Jugendlichen, die sich aus unterschiedlichen persönlichen oder familiären Gründen in einer Lernkrise befinden. Derartige Lernkrisen treten insbesondere in jenem Alter auf, in denen die Lehrjahre absolviert werden sollen. Diesen als lernverhindert bezeichneten Jugendlichen könnte eine Ausbildung, die in kleinen Schritten erfolgt, den Zugang zur beruflichen Bildung öffnen. Bei dieser Gruppe sind schnell einsetzende Erfolgserlebnisse wichtig. Möglich wären Teilerfolge durch Modularisierung und Flexibilisierung der Ausbildung.
Neue Berufe bei Tischlern?
Economix stellt in dem Gutachten eine Reihe neuer, möglicher Berufe auf. Von den Vorschlägen wäre auch das Tischler- und Schreinerhandwerk betroffen. Einige der Vorschläge befinden sich zurzeit bereits in konkreten Verhandlungen:
  • Einbaufachkraft für Holz-, Kunststoff- und Metallfertigteile
  • Baufertigteile-Monteur
  • Fenstermonteur
  • Holz- und Bautenschützer.
Die Inhalte der vorstehenden Ausbildungsvorschläge werden noch diskutiert. Klar ist, dass das Tischlerhandwerk eine Berufsfeldbreite hat, welche ideale Voraussetzungen für die Generierung neuer Berufe bietet.
Die schon seit 1996 diskutierte 2-jährige Ausbildung zur „Fachkraft für Küchen- und Möbelmontage” wurde nun nach zahlreichem Scheitern umbenannt und mit einer 3-jährigen Ausbildungszeit versehen. Soweit die Befürworter dieses Berufes nachweisen können, dass Ausbildungsplätze entstehen, wird die Chance für die Neuschaffung dieses Berufes als groß angesehen.
Ob die Schaffung von Ausbildungen für einfache Berufe die Lösung der Probleme ist, lässt sich nur bedingt vorhersehen. Grundsätzlich bestehen erhebliche Bedenken gegen derartige Berufe. Gleichwohl führt das Gutachten auch Gründe auf, die für den Ausbau von Ausbildungsordnungen für einfache Berufe sprechen: „Der Ruf nach Verkürzung der Ausbildung und nach Modularisierung ist auch durch die Verkürzung der wissenschaftlichen, technischen und organisatorischen Innovationszyklen bedingt, der die Verfallsraten der Erstausbildung laufend erhöht. Der weltweite Informationsaustausch über elektronische Medien hat diesen Prozess wesentlich beschleunigt. Berufliche Bildung ist damit nicht mehr allein im Jugendalter zu erwerben, sondern Daueraufgabe während der gesamten Erwerbstätigkeit. Es kommt daher weniger darauf an, die benachteiligten Jugendlichen in jungen Jahren voll auszubilden, als ihnen vielmehr den Zugang zum Wissen generell zu eröffnen und ihnen die Eigenverantwortung für ihren Ausbildungsweg zu verdeutlichen.”
Ist ein Arbeitsmarkt da?
Dass zahlreiche Berufe komplexer werden, steht im Widerspruch zu der Schaffung einfacher Berufe. Economix führt aus, dass langfristige Prognosen zu dem Ergebnis kommen, dass auch in zehn Jahren noch knapp ein Drittel der Arbeitsplätze für Hilfstätigkeiten oder einfache Fachtätigkeiten vorgesehen sein werden. Der Arbeitsmarkt für einfache Berufe wird kontinuierlich schrumpfen – aber er wird nicht gänzlich verschwinden. Nachfrage wird vor allem in solchen Unternehmen bestehen, deren Absatz- und Beschaffungsmärkte im regionalen Umfeld liegen. Dies sind vorrangig kleinere Unternehmen im Handwerk oder im Dienstleistungsbereich.
Mit der vorgelegten Studie wurde eine interessante Analyse erstellt, die Anlass für Diskussionen geben wird. Mit den Bemühungen um die Schaffung von Ausbildungen für einfache Berufe kommt eine Diskussion erneut auf, die vor Jahren unter dem Stichwort „Kleiner Gesellenbrief” geführt wurde. Bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen letztlich gezogen werden und wie sich diese Entwicklung auf die Bildungslandschaft und die Beschäftigten auswirkt.
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