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Sieben Thesen

CNC und Tischlerhandwerk
Sieben Thesen

Seit etwa Mitte der 80er Jahre wird die CNC-Technik im Holzbereich nicht nur in Einzelfällen, sondern in nennenswerter Weise eingesetzt. Auch das Tischlerhandwerk in Deutschland hat sich diese innovative Technik in die Werkstätten geholt und damit eine Entwicklung in Gang gesetzt, deren spannende Folgen wir jetzt in ihren Grundzügen recht gut beschreiben können.

Der Autor: Christian Zander, Sölden, ist Aus-bildungsmeister an der Gewerbe-akademie Freiburg und arbeitet aktiv im CNC-Forum Karlsruhe mit

1. These:
Der CNC-Einsatz ist Ursache einer erneuten Strukturveränderung
Bereits einmal, vor 130 Jahren, erlebten die deutschen Tischlereien und Schreinereien durch die Maschinisierung der Arbeit eine grundlegende Umwälzung ihres Arbeitsprozesses.
Auch wenn es den betroffenen Handwerkern, vielen Intellektuellen und auch Politikern damals so erschienen ist. Nicht die Maschinen waren damals die Ursache der Zerschlagung alter, aus der Zunftordnung kommenden Betriebsstrukturen und der auf der Handarbeit beruhenden Arbeitsweise. Die Maschinen wirkten eher wie ein Katalysator, indem sie einen Vorgang beschleunigte, der durch die Einführung der Gewerbeordnung, des Konkurrenzkampfes und der Marktgesetze geprägt war: die Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise.
Heute erleben wir eine zweite grundlegende Veränderung der Tischlerarbeit selbst. Die CNC-Technik und andere neue Technologien stülpen die bisherigen Arbeitsweisen und –gewohnheiten gründlich um; der erhöhte Produktionsausstoß bringt in Verbindung mit dem notwendig erhöhtem Kapitalbedarf eine neue Runde des Konkurrenzkampfes zwischen den Tischlerbetrieben hervor, der bei nicht erweiterbarem Absatzmarkt zu Konzentration, Verdrängung und Geschäftsaufgaben führt.
Auffälligerweise wird dieser Vorgang erneut von einer Veränderung auf der politischen Bühne begleitet, der Etablierung des freien Marktes auf europäischer Ebene. Allerdings handelt es sich jetzt nur um eine neue Stufe einer eingeführten Produktionsweise, nicht wie vor 130 Jahren um das Durchsetzen einer neuen Epoche selber. Deshalb haben wir es hier mit hemmenden oder fördernden Einflüssen zu tun, nicht aber mit jenen, die einen Prozeß verursachen.
2. These:
Die CNC-Technik leitet eine neue Runde der Auseinandersetzung zwischen Möbelindus-trie und Handwerk ein
Entwickelten sich vor 120 Jahren im Zuge der Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise Teile des Handwerks zur Industrie, die dem zurückbleibenden maschinisierten Handwerk große Teile des angestammten Marktes entrissen (man denke an den Bereich der Möbel, der Türen, Fenster, heute auch Küchen, Paneele und Fußböden), so verursacht der CNC-Einsatz im Holzgewerbe jetzt eine neue Runde zwischen Industrie und Handwerk in der Auseinandersetzung um die künftige Aufteilung der Marktanteile, d.h. um die Größe des verbliebenen „Handwerkerkuchens“.
Die flexible „Einer-Serie“ unter Industriebedingungen ist die durchschlagende Angriffswaffe der Industrie, die eingeschliffenen Marketingerfahrungen das Pfund, mit dem sie wuchert.
Das Angebot an Handwerksbetriebe nach Anlage A und B der Handwerksordnung Montagearbeiten zu vergeben, verbunden mit der Anstrengung, ein Qualitätsmanagement auch hier einzuführen, ist der wahrscheinlich erfolgreiche Versuch, die Achillessehne in der ansonsten ISO-geprüften Produktions- und Vertriebsreihe zu schließen.
Das Handwerk ist trotz des „maschinellen Gleichstandes“ mit dem sie der Industrie heftig Paroli bieten könnte noch nicht so richtig in der Offensive, sondern eher in der Defensive; in der Verteidigung seines bisherigen Marktanteils.
Konnten etwa die metallverarbeitenden Betriebe in den 80-ziger Jahren aufgrund der CNC-Maschinen neue Absatzmärkte als Zulieferer für die Industrie (vor allem als Spritzgussformen-Bauer für die damals expandierende Kunststoffindustrie) erschließen, so ist ein ähnlicher Vorgang für das Tischlerhandwerk kaum in Sicht.
3. These:
Das Wesen der CNC-Technik besteht für das Handwerk in der Standardisierung der Produktion
War bei der Maschinisierung des Tischlerhandwerks die Zerlegung des Arbeitsprozesses und das Produzieren maschinengerechter Einzelteile das entscheidend Neue, das u.a. Stücklisten hervorgebracht hat und die Meßmethoden nach einem festliegenden Maßstab, d.h. Zentimeter und Meter, in die Werkstätten brachte, so ist bei der Einführung der CNC-Technik das wesentlich Neue die Standardisierung der Produktion.
Es handelt sich um das Eindringen von Elementen der industriellen Herstellungsweise in den Bereich des Handwerks, das subjektiv bei vielen Handwerkern das Gefühl des Verlustes der individuellen Fertigungssouveränität hervorbringt. War es bisher relativ gleichgültig, auf welcher Höhe z.B. ein Topfband gebohrt wurde und lag dieses mehr oder minder in der Entscheidung des einzelnen Arbeiters, variabel von Auftrag zu Auftrag – aber eben auch mit einem hohen Fehlerquotienten verbunden, so besteht nun eine „Variablen-Programmierung“ auf genauer Normung sowohl der Bandart als auch des Sitzes dieses Bandes.
Ohne die Standardisierung bleibt die CNC-Anwendung zeitintensives Stückwerk, CAM-Systeme sind ganz undenkbar. Die zu verzeichnenden Produktionssteigerungen (einige Fachberater bei den Verbänden des Tischlerhandwerks rechnen mit dem Faktor 6 oder mehr) bilden nicht das Wesen dieser neuen Technik, sondern sind mehr oder minder lediglich sichtbare Folge des Zwanges zur Normung der Produktion. Interessanterweise berichten z.B. die Mitglieder der zuletzt so hochgelobten Handwerkergemeinschaft „ConCraft“, dass ihre Arbeit vor allem darin bestehe, die Materialverwendung und die Konstruktionsmerkmale in den einzelnen Betrieben zu vereinheitlichen, um den Synergieeffekt gemeinsamer Entwürfe bei dezentraler Produktion ausspielen zu können. Auch ist es in diesem Zusammenhang von Bedeutung, wenn die Mitarbeiter eines Freiburger 10-Mann Betriebes, die alle (!) an einem Bearbeitungszentrum (BAZ) arbeiten, von sich aus beginnen, eine Vereinheitlichung der Konstruktionsmerkmale zu erarbeiten, um sich die Arbeit zu erleichtern.
4. These:
Eine kaufmännische Geschäftsführung ist notwendig denn je
Die neue Technisierungswelle erfordert mehr denn je die zwingende Einführung einer kaufmännischen, kundenorientierten Geschäftsführung. Die Realität zeigt leider auch heute noch das Vorherrschen der Produktionsorientierung der Handwerker.
Viele haben sich bis heute nicht von dieser Fessel der Zunftvergangenheit befreit. Dieses Phänomen zeigt sich u.a. in der Untersuchung von Stefan Maas, der berichtet, welche Schwierigkeiten Tischlermeister, Inhaber auch größerer Betriebe, damit haben, den für das Marketing zentralen Begriff der „Zielgruppe“ für sich zu definieren.
Es zeigt sich aber auch in der bei Maschinenhändlern inzwischen schon berüchtigten „Technik-Blindheit“: Im Sog der Technikbegeisterung werden Maschinen angeschafft, die für viel zu viel Geld Leistungen in sich vereinen, die ein, zweimal im Jahr benötigt werden und zumeist erheblich billiger mit Standardmaschinen hätten abgedeckt werden können. Aus dem gleichen Grund wird häufig die Anschaffung eines Bearbeitungszentrums reduziert auf die Probleme der Finanzierung, allenfalls noch der Personalbesetzung und –Ausbildung. Schon nicht mehr bedacht werden die Fragen des Absatzes einer massiv erhöhten Produktionsmenge, der ebenso erhöhten Materiallagerung, bzw. des Materialflusses; kurz: alle Fragen der Betriebsorganisation und letztlich der Betriebsausrichtung und Positionierung auf dem Markt kommen erst dann in das Blickfeld, wenn „plötzlich“ Maschinenlaufzeiten von 10/15 Stunden in der Woche oder weniger Krisenstimmung aufkommen lassen. CNC-Technik ist im Wesen offensiv; sie bedeutet Produktionserhöhung und beinhaltet über den Maschinensatz, der abhängig ist von der Laufzeit, den damit unlösbar verbundenen Zwang, den Absatzmarkt auszuweiten. Dieses ist heute nur möglich, wenn der Handwerker nicht mehr nur Handwerker, Tischler, Schreiner bleibt, sondern die Rolle eines Geschäftsmannes annimmt und ausfüllt.
5. These: Erst in der Zukunft werden sich die innovativen Folgen der CNC-Technik zeigen
Lassen sie uns gedanklich einmal 130 Jahre zurückspringen: In Deutschland wurden nach der Erfindung der Abrichte, die 1876 auf der Weltausstellung in Philadelphia vorgestellt worden war, die Tischler- und Schreinerwerkstätten Schritt um Schritt maschinisiert. Dazu mussten die Geheimnisse der „maschinengerechten Produktion“ erlernt und angewendet, die Betriebsabläufe völlig umgestellt werden.
Nach einer Welle der politischen und ideologischen Abwehr, die sich von den Bewegungen der Maschinenstürmer bis hin zu den Strömungen wie „arts and crafts“ in England und dem „Jugendstil“ in Deutschland entwickelte, formulierte das „Bauhaus“ 1920, also gut 40 Jahre nach dem Auftauchen von Maschinen in Tischlerwerkstätten, eine zeitgenössische Ästhetik, die die Maschinenarbeit der Tischler ( und Möbelfabriken) im Zusammenhang mit neuen Materialien zu neuen Ufern aufbrechen und allgemeine gesellschaftliche Anerkennung gewinnen ließ.
Heute stehen die Entwicklungen einer neuen Formensprache – etwa die Renaissance des Ornamentes oder die Verwendung sichtbarer Verbindungen – und neuer Kooperationsformen im Handwerk – z.B. die Gemeinschaften „newcraft“ und „concraft“ – erst ganz am Anfang, noch befinden wir uns in der Phase der Aneignung der Technik selbst. Sie werden aber notwendigerweise Folgen der neuen Technik sein.
Im Augenblick sehen wir erst tastende Schritte in diese Richtung, geprägt vor allem noch von der Lust an der exakten Verbindung: Was sonst nur mühselig und teuer herzustellen war, kann nun in staunenswerter Weise präzise und dazu noch billig produziert werden. Das fasziniert naturgemäß den Handwerker, der nun Träume wahr werden sieht – ob es aber auch den Kunden gefällt, ist eine ganz andere Frage. Die übrigens bei den meisten bisherigen Modellen mehr oder weniger eindeutig ausgefallen ist: Ablehnend.
Strittig ist auch – wenn man die Entwicklung bei der Maschinisierung des Tischlerhandwerks noch einmal Revue passieren lässt – ob das neue Material MDF bereits der neue, CNC-adäquate Werkstoff ist oder nicht. Wohl kaum aber werden es Multiplex-Platten sein, auf die im Augenblick viele Schreiner zurückgreifen, indem sie aus der Not der Kantenbearbeitung eine Verarbeitungstugend machen. Über die Ansätze der beiden erwähnten Kooperationsbeispiele, die beide die Kosten des Entwurfs und der Arbeitsvorbereitung minimieren wollen, indem sie diese für mehrere dezentrale Firmen verfügbar machen, weist der Versuch hinaus, der im Internet unter www.inmode.org den Kunden selber zum Entwerfen verlocken will. Das Konzept sieht vor, dass der Benutzer sofort am Bildschirm mit einem Kaufpreis versehen ist und online seine Bestellung aufgeben kann, die dann nach einer technischen Machbarkeitsprüfung in die Produktion gehen soll. Es wird sich erweisen, wie ausgereift beide Ansätze bereits sind: Ganz zweifellos aber weisen sie in eine Richtung, die – untrennbar mit der neuen Technik und den neuen Kommunikationsmitteln verbunden – den Weg einer zukünftigen Entwicklung für fortgeschrittene Betriebe auch des Tischlerhandwerks aufzeigen kann.
6. These:
Die CNC-Technik verändert die Struktur, die Aufgabengebiete und das Erscheinungsbild des Tischlerhandwerks
Die Zuliefererfirmen im Bereich des Tischlerhandwerks waren die Türöffner für die neue Technologie der CNC-Technik im Bereich des Holz-Handwerks. Sie haben das Vorrecht der Initiative, der ersten Welle: Wenn sie die Technik beherrschten, d.h. vor allem wenn das Gesetz der Standardisierung erkannt und umgesetzt worden ist, weiteten sie ihre Geschäftsbereiche erheblich aus. Dies allerdings nur, wenn sie den Sprung in eine „kaufmännische Unternehmensführung“ vollziehen konnten – soll heißen, die Grundsätze des Marketings konsequent auf die Unternehmensführung anwenden können. In einer zweiten Welle vollzogen die Großtischlereien den Einsatz der CNC-Technik: Sie betrieben allerdings günstigstenfalls nur ihre Bestandssicherung für die Zukunft. Zugleich setzten sie mit ihrem Engagement die neuen, gesunkenen Preise als allgemein geltenden Maßstab für das ganze Handwerk durch. Ab jetzt ist die Auftragsvergabe mindestens im Bereich des Innen- und Ladenbaus zunehmend enger an das Vorhandensein der CNC-Technik im Betrieb gebunden.
Im letzten Schritt ziehen die mittleren und teilweise sogar die kleineren Betriebe nach. Allerdings geraten sie in heftige Konkurrenzkämpfe mit anderen Tischlereien, weil die verfügbaren Märkte inzwischen fast völlig besetzt sind. Diejenigen, die jetzt nicht diesen Schritt vollziehen, werden über kurz oder lang wegen zu hoher Herstellungskosten aus der Produktion herausgedrängt – allenfalls können sie Nischen wie die Altbausanierung , Reparaturarbeiten oder die Sargschreinerei besetzen.
Ihnen bleibt als Ausweg die Montagetätigkeiten für CNC-Tischlereien oder die Industrie. Wir befinden uns gegenwärtig in dieser Entwicklungsphase. Das große Firmensterben, das wir im Moment erleben müssen, das Hochschnellen der Montagebetriebe nach der Anlage B der Handwerksordnung, das Ansteigen der Montagetätigkeiten im Berufsalltag überhaupt – all das wird natürlich verschärft durch die Wirtschaftslage, aber im Grundsatz verursacht durch das Eindringen der CNC-Technik und anderer rationeller Technologien in unser Handwerk. Das Tischlerhandwerk wird überleben, aber anders aussehen als heute: im vorwiegend produktiven Bereich werden sich in 10 Jahren nur noch höchstens 20 – 30% der heutigen Betriebe bewegen. Und auch diese werden anders aussehen: Kleiner, hochtechnisiert, flexibel, verschiedene interne und externe Kooperationsformen ausnutzend.
7. These: Die Verbände des Tisch-lerhandwerks beginnen im Allgemeinen erst, die Anforderungen der neuen Technik aufzugreifen
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